TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 6. September 2017

Türkisch für Anfänger: Multi-Kulti-Karambolage

von Anna Lančava 

Die auf 52 Episoden aufgeteilte Familien- und Comedyserie der ARD „Türkisch für Anfänger“ wurde 2004 erstmals ausstrahlt. Sie diente als Vorlage für den gleichnamigen 2012 erschienen Kinofilm, der die Handlung vor einer anderen Kulisse, aber mit gleichbesetzten Rollen, neu startet. In der Serie steht die Problematik der neu entstandenen Multikulti-Family von Doris Schneider (Anna Stieblich) und Metin Öztürk (Adnan Maral) im Vordergrund, da das frischverliebte Paar zusammenziehen möchte. Beide alleinerziehende Elternteile von jeweils zwei pubertierenden Teenagern: Lena (Josephine Preuß) und Nils (Emil Reinke) vs. Yağmur (Pegah Ferydoni) und Cem (Elyas M‘Barek) – und so unterschiedlich wie die Namen bereits klingen, genauso so groß sind die kulturellen Kontraste innerhalb dieser Konstellation.

Mit viel Humor wird sowohl der Alltag der Familie Schneider-Öztürk thematisiert als auch die vermeintlichen Klischees, die beide Parteien mitbringen. Die „Öko-Deutschen“ auf der einen Seite und die „Proleten-Türken“ auf der anderen. Doris, die fest von ihrer regelfreien und lockeren Erziehungsmethode überzeugt ist, an schamanische Rituale glaubt, nicht kochen kann und sich wegen ihrer emanzipierten Einstellung nur schwer in die Rolle der Hausfrau einfinden kann, gibt sich Mühe es als Mutter allen Recht zu machen - Ihre Kuchenevolution von leicht verbrannt über verbrannter bis am verbranntesten oder ihr nicht identifizierbares Essen, bis die Federn Aufschluss darauf geben, um was für ein Tier es sich wohl handelt. Sie versucht, maximal modern, cool und auf keinen Fall spießig zu sein, ist für ihre Kinder aber eher peinlich. Cem spielt den Coolen, hält sich für den Checker unter Frauen, schreibt seiner Schwester Yağmur und seiner neuen Schwester Lena vor, wie sie sich zu verhalten haben, ist der Meinung die Frau müsse Essen machen und haut gerne den ein oder anderen respektlosen Spruch raus. „Schwing das Eisen!“, befiehlt er Doris, als er sein Shirt gebügelt haben will. Sein Ghetto-Slang und seine Ausdrucksweise lassen ihn nicht besonders intelligent wirken, runden aber das Bild des Machos, das er verkörpert, ab. Außerdem ist er der absolute Frauenschwarm der Serie und bestimmt auch ein wichtiger Grund für ihre Beliebtheit. Yağmur ist eine strenggläubige, kopftuchtragende Muslima, die ihren Glauben täglich ausübt und auch sehr ernst nimmt. „Ich hätte gerne einen frisch verpackten Teller“, sagt sie beispielsweise der Bedienung im Restaurant, da auf einem beliebigen Teller schon einmal Schweinefleisch hätte serviert werden können. Außerdem findet sie sexuelle Themen unangenehm, die Doris aber vor allen Kindern offen anspricht. Lena ist die sture, griesgrämige Tochter von Doris, die von Anfang an ein Problem mit der neuen Beziehung ihrer Mutter hat und fest davon überzeugt ist, die neue Familie würde bald scheitern. Sie dokumentiert wichtige Ereignisse ihres Alltags auf Video, für ihre verreiste Freundin Kathi: „Hey Kathi…“, so beginnt sie jede Session. Es gleicht einem Tagebuch, in dem Lena das Geschehene ihrer Freundin erzählt und ihre Sichtweise wiedergibt. Obwohl Lena erwachsen wirken möchte, bittet sie oft ihre Mutter um Rat und steht im Konflikt mit sich selbst, ob es denn nun schon Zeit ist die Bibi Blocksberg-Bettwäsche wegzuwerfen oder nicht. 

Ihr kleiner Bruder Nils, ebenso wie Vaterfigur Metin, bilden eher die Ruhepole in der Familie, die die anderen besänftigen und bei so viel Spannung stets versuchen die Wogen zu glätten. Dadurch, dass in der Patchwork-Family Schneider-Öztürk jedes noch so intime oder unangenehme Problem angesprochen wird, wird kein Konflikt gelöst, bevor nicht jedes Familienmitglied seinen Senf dazu abgegeben hat. So entstehen manchmal peinliche und lustige Situationen, die die Serie ausmachen. 

Interessant ist, dass nur der Schauspieler Adnan Maral alias Metin wirklich türkischer Abstammung ist. Elyas M’Barek alias Cem hat tunesische Wurzeln und Pegah Ferydoni alias Yağmur ist Iranerin. Außerdem wird die Serie für den DAF-Unterricht verwendet, also zum Erlernen der deutschen Sprache und es gibt sogar passende Arbeitsblätter. Ob die Teilweise sehr vulgären Ausdrücke wirklich so unterstützend sind, um die Sprache zu lernen, wage ich zu bezweifeln. Die Beleidigungen sollten definitiv nicht als erstes von den Schülern übernommen werden. Auf der anderen Seite kann ich die Verwendung der Serie, als Unterrichtsmaterial durchaus nachvollziehen, weil die Alltagssprache, die in der Familie Schneider-Öztürk gesprochen wird leichter adaptiert werden kann und das Lernen mit Sicherheit Spaß macht. 

Generell bespricht Türkisch für Anfänger besonders Teenager-Probleme, mit denen sich gleichaltrige Zuschauende identifizieren können. Von schulischen Problemen, über die erste Liebe, bis hin zu den Vor- und Nachteilen vom Leben in einer Großfamilie. Außerdem wird die Beziehung der Eltern Doris und Metin ebenfalls thematisiert, wodurch sich das Altersspektrum erweitern lässt und man die Serie durchaus mit der ganzen Familie anschauen kann, wenn nicht gerade im Klassenzimmer. Auch wenn die Serie bereits vor über 10 Jahren produziert wurde, ist sie meiner Meinung nach noch lange nicht veraltet, da die Probleme von jungen Menschen und auch die in einer Familie heute noch die gleichen sind und sich so schnell nicht ändern werden. Ich selbst schaue die Serie immer wieder gerne von vorne an, da es mich an meine eigenen „sweet sixteen“ erinnert und ich den Humor jedes Mal aufs Neue zum totlachen finde.

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