TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 1. September 2017

'Gewinnertypen' in einem Gewinnerformat. Die NDR-Talkshow

von Magdalena Barfuß



Am 9. Februar 1979 geht sie zum ersten Mal auf Sendung: die NDR Talk Show. Seitdem wurde gelacht, gestritten, diskutiert und auch geweint. In der 797. Ausgabe der zweitältesten Talk Show erwarten Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt nur „Gewinnertypen“ aus den verschiedensten Disziplinen.

Erfolgsgeheimnis Nr. 1 der Talkshow ist die bunte Gäste-Mischung. Das bewährte Konzept blieb über die Jahrzehnte weitestgehend unverändert: Sieben bis acht Gäste pro Sendung; Prominente, aber auch mindestens ein weniger bekannter Gast, die eine spannende Thematik zu bieten haben. Ab dem 9.Februar 1979 moderierte die ersten 15 Jahre ein Trio - Dagobert Lindlau, Wolf Schneider und Hermann Schreiber. Sie starteten ganz trendy in der linken Musikkneipe "Onkel Pö" in Hamburg, Eppendorf. Die Begeisterung von Kritikern und
Publikum war anfangs verhalten. Doch das änderte sich. In der mehr als 30-jährigen Geschichte der NDR Talk Show sorgen nicht nur skandalöse Momente wie Auftritte, in denen Eartha Kitt Rudi Carrell in die Nase biss oder Schauspieler Klaus Löwitsch beim Anblick seiner Ex-Freundin Barbara Valentin aus dem Studio flüchtete, für legendäre Momente. Vor allem die ruhigen Momente sind es, die den Charme des Formats ausmachen. Zu den eindrucksvollsten gehört das Gespräch mit dem 1999 verstorbenen Dirigenten Yehudi Menuhin, der zu den bekanntesten Violinisten des 20. Jahrhunderts gehörte. Nachdenklich stimmt auch das Interview mit dem sterbenskranken Fassbinder-Freund und Schauspieler Kurt Raab, der in der NDR Talk Show einen seiner letzten öffentlichen Auftritte hatte.
Und was zählt in der modernen Medienwelt des Fernsehens zu den unverzichtbaren Elementen? Die Moderation. Die Leistung derer, die Sendungen begleiten und durch sie führen, entscheidet letzten Endes über den Erfolg oder Misserfolg aller Sendeformate.
Julia Westlake mit Jörg Pilawa, Alida Gundlach, „Dalli Dalli“ Moderator Kai Pfaume oder Hermann Schreiber, welcher mit seinem ruhigen, einfühlsamen und doch kritisch hinterfragenden Stil die Sendung viele Jahre mitprägte, sind mindestens eine genauso bunte Mischung wie deren Gäste.
Begonnen hat ihre Karriere mit der unvergessenen Sendung "Blondes Gift". Seitdem wurden ihr etliche Preise, unter anderem der „Deutsche Fernsehpreis“ in der Kategorie „Beste Moderation Unterhaltung“ oder der „Deutsche Comedy Preis“, verliehen. Ein loses Mundwerk, Schlagfertigkeit und scharfe Kurven. Die Rede ist von Barbara Schöneberger. Seit Januar 2008 moderiert sie an der Seite von Hubertus Meyer-Burckhardt. Der gewohnt souveräne Fernsehproduzent und Journalist hält den Gastgeber-Rekord der Sendung mit mehr als 230 Einsätzen.
In der 797. Ausgabe der NDR Talkshow erwartete das Duo wie gewohnt eine zwar gediegene, aber gemischte Runde. Betitelt mit „Gewinnertypen“ waren in der Sendung zu Gast: die Sängerin Gitte Haenning und Gil Ofarim, das Moderatorenpaar Frank Plasberg und Anne Gesthysen, der Komiker Wolfgang Trepper, Foodexperte Sebastian Lege, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche Heinrich Bedfort-Strohm und, wie sollte es anders sein, um die bunte Mischung zu vollenden, der Reality-Star Daniela Katzenberger.
Das bodenständige Moderatorenpaar Frank Plasberg und Anne Gesthysen eröffnen die Gesprächsrunde mit der klassischen Frage nach der Harmonie im Hause Plasberg-Gesthysen. Er ist für seine knallharten Fragen im Polittalk „hart aber fair“ bekannt, sie hat jahrelang das ARD-Morgenmagazin moderiert und ist darüber hinaus Bestsellerautorin. Geschichten zum Weihnachtsessen und klassischem Urlaubsstress aus dem Familienalltag sind der perfekte Einstieg in eine Talkrunde am Freitagabend. Jeder kennt diese Situationen und kann sich sofort mit den Beiden identifizieren. Das Paar scheint zu den wenigen in der Fernsehwelt zu gehören, welche sich den elementaren Aspekten des harmonischen Zusammenlebens widmen. Ein harmonisches „Gewinnerpaar“.

"Ich will nen Cowboy als Mann" - mit diesem Ohrwurm hat die dänische Sängerin Gitte Haenning 1963 das Deutsche Schlagerfestival gewonnen. Mehr als 60 Jahre Bühnenerfahrung hat sie inzwischen hinter sich und fast 30 Alben veröffentlicht. 

Sie spielt derzeit in Lübeck in dem Andrew Lloyd Webber-Music „Sunset Boulevard“ die Figur Norma Desmond; eine alte Hollywood-Diva, die ihre besten Jahre hinter sich hat und nun komplett isoliert und abgeschottet von der Außenwelt lebt. Gewisse Parallelen scheinen sich in ihrem Privatleben wider zu spiegeln: unter anderem lebt Heanning auch privat eher abgeschottet und versucht „ihre privacy genießen zu können“. Komplett in weiß gekleidet, mit den Händen pausenlos ihre Struwwelpeter-Frisur richtend, wirkt Haenning in der Sendung erzwungen jugendlich rebellisch. Und betont einmal zu viel, wie lange sie im Rampenlicht steht und macht dem Zuschauer klar, wie es ist, ein Leben lang „im Sonnenlicht“ zu stehen. Doch auch sie nutzt ihre Bekanntheit als Shareholder im Verein „Freeartus“, welcher sich für Einwanderer in Deutschland einsetzt. Zwar in Satzfetzen und etwas naiv formuliert, aber durch die Passion zu diesem Thema erreicht es einen auf einer sehr persönlichen Ebene.

Vor genau 20 Jahren löste er einen Teeniealarm aus: Gil Ofarim. Der damals 15-jährige Sohn des Sängers Abi Ofarim wurde in der Foto-Love-Story der Jugendzeitschrift „Bravo“ entdeckt und startete daraufhin eine erfolgreiche, wenn auch kurze Karriere als Sänger. Nun ist er laut eigener Darstellung ein Mann geworden. Thema Tanzen und Familie stehen im Vordergrund. Mit einer erfreulichen Nachricht über den Gesundheitszustand seines Vaters ist sein kurzer, wenig aufschlussreicher Auftritt in der Show beendet.

Mit seinem trockenen Humor ist der Komiker Wolfgang Trepper ein wahrer Lichtblick nach der Selbstdarstellung der beiden Kinderstars Haenning und Ofarim. Seit 14 Jahren steht der gebürtige Duisburger auf der Bühne und macht eigentlich nichts Anderes als sich aufzuregen. Er kann sich über alles echauffieren: den Wetterbericht im Fernsehen, Tiersendungen, Kochshows, die Politik, das Einkaufsverhalten von Frauen und vor allem sinnentleerte Schlagertexte. Mit Anekdoten aus seiner Kindheit, welche für verbreitete Belustigung sorgen, schafft er es als Einziger, das Gespräch eigens zu leiten und stellt die Moderatoren an diesem Abend in den Schatten.

Anlässlich der ARD-Themenwoche „Woran glaubst Du?“ begrüßen die Moderatoren Bischof Heinrich Bedford-Strohm, der seit 2014 das Amt des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche innehat. Er ist überzeugt: Eine Gesellschaft ohne Religion verliert ihren Halt. „Was mich am christlichen Glauben fasziniert, ist seine untrennbare Verbindung von Gottesliebe und Nächstenliebe“, sagt der Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche. Bedford-Strohmist, ein Mann der klaren Worte und ein volksnaher Geistlicher.

„Er deckt auf, wie uns die Lebensmittelindustrie versucht zu täuschen“: gemeint ist der Koch und Food-Experte Sebastian Lege. Der Bremer hat es sich zur Aufgabe gemacht, humorvoll über die Zubereitung und Herstellung von alltäglichen Lebensmitteln aufzuklären. Er deckt auf, wann, wo, und wie oft Verbraucher von der Lebensmittelindustrie manipuliert werden. Mit seinen verblüffenden Beispielen in der „NDR Talk Show“ beweist er, dass in der Nahrung oft etwas Anderes drinsteckt als draufsteht. Er ist einer der Gäste, welcher merklich nicht talkshowerprobt ist. Er benötigt viele Anstöße von Hubertus Meyer-Burckhardt, wird oft unterbrochen und seine Zeit scheint einfach zu kurz zu sein, für solch ein wichtiges Thema. Er möchte die Menschen zu mehr Aufmerksamkeit im Einkaufsalltag anregen, ihm fehlt jedoch die Medienkompetenz, um den Zuschauer für sich und seine Ideen gewinnen zu können.

Ihr erster Kommentar in der Sendung, ihr Mann bezeichne sie als „Sternzeichen Pink, Aszendent Barby“, könnte keine bessere Einleitung zu Daniela Katzenbergers Beitrag zu diesem Abend sein. Sie wird auffällig oft eingeblendet, wirkt jedoch unter den anderen Gästen zurückhaltend und unsicher. Bei ihren gewohnten Themen wie der prominente Ehemann, Mallorca als neue Heimat oder ihre Blitzdiät, folgt sie treu ihrer Linie. Sie ist das Quotensternchen der Runde. Naive Kommentare, eine perfekt sitzende Makeupschicht und abermals skurrile Diättipps, scheinen einerseits nahezu grotesk im Vergleich zu den anderen Gästen zu stehen. Aber ist es nicht das, was die NDR-Talkrunde ausmacht?! Es ist eine Abwechslung zu den ernsten, abermals diskutierten Themen, was wir an einem Freitagabend im Fernsehen präsentiert haben wollen. Weg von reinem, primitiven Unterhaltungsfernsehen, jedoch nicht zu weit entfernt, um den „Berieselungsfaktor“ zu wahren. Die NDR Talk Show mit ihren illustren Gästerunden, einer treuen Zuschauerschaft und nicht zuletzt sehr guten Einschaltquoten, ist gut im heutigen Freitagabendprogramm angekommen.



Quellen:

http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ndr_talk_show/geschichte/Die-Geschichte-der-NDR-Talk-Show,ntalkgeschichte121.html

 


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