TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 28. August 2019

Hilf Mir! … Und rette mich vor diesem Format!

von Elias Schäfer
Da kommt man nach einem anstrengenden Tag nach Hause, geht auf YouTube, um den Abend entspannt ausklingen zu lassen, und erblickt zwischen all dem gängigen Clickbait und den meisterhaften Photoshop-Thumbnails eine wahre Perle von Titel: “All-in: Mein Mann hat mich beim Pokern verscherbelt”, gepostet von einem Kanal namens Hilf Mir! Jung, pleite, verzweifelt. Dies stellt die aktuelle Lebenssituation vieler Studierenden dar, also zeige ich mich als Angehöriger dieser Gruppe interessiert und klicke auf diesen Kanal, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Daraufhin öffnen sich regelrechte Abgründe: Durchschnittlich 15 minütige Clips mit weiteren Titelhammern wie “Mein Freund mästet mich!” (mauserte sich sogar zum epischen Zweiteiler!), “Vom nerdy Loser zum freshen Checker? Umstyling a la Pascal”, “Die Furry-WG: Die Hausmeisterin terrorisiert uns”… die Auswahl ist grenzenlos und zutiefst verlockend. Zuerst geht es allerdings an die Recherche über die eigentliche Show.

Love Island oder auch - Lasst es lieber Island (Dating Reality Show)

von Beatrice Sawatzki
Was macht der durchschnittliche Teilzeit Hobby RTL Zuschauer um einen gewissen Grad an Bekanntschaft in der deutschen Z Promilandschaft zu erlangen, wenn er weder singen noch tanzen kann oder gegen Rosen allergisch ist. Er geht zu Love Island. Denn da sind die Vorrausetzungen gut. Es wird nicht einmal eine Grundintelligenz des Teilnehmers verlangt. Und wenn die Muskelmasse noch breiter ist als die eigene Gehirnmasse oder die künstlichen Nägel noch länger sind als die eigene Schullaufbahn, ja dann bist du schon quasi in der nächsten Show mit dabei.

Donnerstag, 22. August 2019

Die Telefonistinnen – Madrid Calling

von Felicitas Dusel
Wir schreiben das Jahr 1928. Eine Feier, elegant gekleidete Frauen mit Perlenketten und extravaganten Kopfbedeckungen, Männer in Anzügen mit Zigarren und Champagnergläsern in der Hand. Der heitere Anschein trügt, wenn man den Worten der Protagonistin Lidia Aguilar im Voiceover folgt. Denn Lidias Realität ist eine andere: aufgrund der Unterdrückung der Frauen im Spanien der 20er Jahre, ist sie drauf und dran mit ihrer Freundin nach Argentinien zu fliehen. Doch dies endet mit der Ermordung besagter Freundin durch deren Ehemann, was auch Lidias Leben von da an komplett verändern wird. Kurz darauf findet sie sich in einem Telekommunikationsunternehmen Madrids wieder, welches sie im Auftrag eines Polizisten ausrauben soll, da er sie andernfalls fälschlicherweise des Mordes an ihrer Freundin schuldig machen würde.

Die Fahrt ums Überleben- Drive to Survive

von Bjarne Schwebcke
Glühender Asphalt, durchdrehende Reifen, teure Autos, Kollisionen und Überschläge und hitzige Rivalitäten. Als Hauptdarsteller könnte man an Vin Diesel, Paul Walker oder Dwayne Johnson aus Fast and Furious denken. Doch die Hauptakteure heißen Daniel Ricciardo, Sebastian Vettel, Lewis Hamilton und Max Verstappen. Es geht um die teuersten und schnellsten Rennen der Welt. Es geht um die Formel 1. Einem Speedjunkie, dem auch noch ein Flugzeugstart zu langsam ist, kribbelt es beim Gedanken an solche Geschwindigkeiten.
Jedes Jahr werden die Präzisionsinstrumente noch schneller, aerodynamischer, ‚abgespaceter‘. Millimentergenau wird nicht nur an dem Bulliden, sondern auch auf der Strecke gearbeitet. An jeder Millisekunde wird gefeilt. Bis zum absoluten Limit. Aus der Perspektive im Cockpit, wahrlich eine Fahrt die es zu überleben gilt. In einem Formel 1 Auto wirkt des öfteren eine 4- bis 8-fache G-Force auf den Fahrer. Ein Raketenstart mit bis zu 3-facher Erdanziehungskraft ist daneben auch nur eine Lappalie. Fahrer schwärmen es fühle sich an wie Fliegen. Die bangende Mutter von Daniel Ricciardo will nur ein sicheres Rennen. Jede gute Platzierung ist in ihren Augen ein Geschenk. Doch die Netflix Serie zeigt nicht nur wie die Fahrer in der Saison 2018 um ihr eigenes Überleben fahren.

Die Ich-Ich-Ich-Reporter: Rabiat – Arsch hoch, Deutschland! (ARD, 13.5.2019)

von Herbert Schwaab
Bilder einer nächtlichen Stadt. Die Reporterin Anne Thiele folgt einer jungen Mutter, Kerstin, die am Silvestermorgen Flaschen sammeln geht. Die pulsierenden, wackligen Bilder werden mit vielen Schritten aneinandergereiht, nicht zufällig, sondern kunstvoll und schick und passend für Fernsehen und Smartphone komponiert. Die Reporterin unterrichtet uns darüber, was sie gerade macht, kommentiert dabei, dass so früh kein Kameramann zu bekommen war, der arbeiten wollte, weswegen sie mit dem Handy filmt. Komisch nur, dass auch Bilder zu sehen sind, die nicht von ihr stammen, sondern sie und die junge Mutter etwas entfernt von hinten zeigen. Sie kommentiert, dass die junge Frau mit dem Flaschensammeln ihre Einkünfte aus ihrer Arbeit und Hartz4 aufstockt, um für ihre 2 Kinder und 5 Tiere zu sorgen. Sie sagt das mit einer ruhigen, unaufgeregten, aber hochgradig emphatischen Stimme. Dann zeigt sie Bilder aus ihrem eigenen Arbeitsalltag, aus dem Büro, von Zuhause im Homeoffice mit einer Tasse Kaffee in der Hand und im Schnittraum, um zu zeigen, dass auch sie arbeitet. Sie hält sogar intime, auf dem Handy gespeicherte Fotos von ihrem ersten Job als Babysitter in die Kamera, um ihr Arbeitsleben umfassend zu dokumentieren, aber auch, um sich für uns fast völlig zu entblößen und deutlich zu machen, dass sie alles gibt. Es gehe ihr darum, wie sie in die mittlerweile ganz nah gerückte Kamera spricht, zu erkunden, ob sie sich die Sicherheit, die sie mit ihrer Arbeit und ihrem Elternhaus erworben hat, tatsächlich verdient hat und ob Fleiß allein ausreicht, so ein sicheres Leben zu führen. Die Antwort auf diese Frage wird sie in die Welt der Hartz4 Empfänger führen.