TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 22. Dezember 2014

Die Weihnachtsmonotonie- Fluch oder Segen?

von Hanna Lehanka


Das Fernsehprogramm symbolisiert eine Mixtur der verschiedensten Geschmäcker unserer ganzen Gesellschaft. Wir genießen heute eine Vielfalt an Serien und Filmen, sodass Jedermann getrost etwas findet, was ihn vor den Bildschirm zieht und zum gemütlichen Couchabend einlädt. Doch es scheint, als gäbe es eine Zeit im Zyklus die diesen Pluralismus außer Kraft setzt: Die Weihnachtszeit!
Die großen Sender werben plötzlich mit einem „alle Jahre wieder“ anstatt mit den neuesten Serien- und Filmhits. Alle Jahre wieder rücken dann Klassiker wie Drei Nüsse für Aschenbrödel (1973), Kevin allein zu Haus (1990), Der kleine Lord (1980), Eine schöne Bescherung (1989) oder die dramatische Geschichte der Kaiserin der Herzen, Sissi (1952), in den Fokus. Selbst der eher sporadische Fernsehgucker kennt zur Weihnachtszeit das Fernsehprogramm ganz ohne den Blick in die Zeitung auswendig.
Bestimmte Filme gehören einfach zum festen Bestandteil des Senderepertoires in der Weihnachtszeit. Das Genre Weihnachtsfilm lässt sich in Filme klassifizieren, deren Sendetermin auf die Weihnachtszeit datiert ist und Filme deren Handlungen sich um Heiligabend herum aufspannen.
Der Märchenfilm Drei Nüsse für Aschenbrödel (1973) gehört ohne Frage zu den traditionellen Klassikern unter den Weihnachtsfilmen und wird ausschließlich zur Weihnachtszeit von den öffentlich- rechtlichen Sendern ausgestrahlt. Die Handlung des Kultfilmes hat allerdings nichts mit Weihnachten an sich zu tun, lediglich die schneeweiße Kulisse verweist auf die Winterzeit. Tatsächlich Liebe (2003) hingegen erzählt die Lebensgeschichte verschiedener Charaktere in der Zeit um den Heiligabend und verbindet das festliche Ereignis mit der Filmhandlung.
Ein weiteres Merkmal welches den klassischen Weihnachtsfilm kennzeichnet sind die ähnlichen Handlungsmotive. Weihnachtsfilme thematisieren oftmals hochmoralische Themen, welche um die trivialen Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen kreisen. Ein beliebtes Weihnachtsfilm-Thema ist beispielsweise die Familie, deren Mitglieder sich im Alltagstress schier verlieren und sich rechtzeitig an Heiligabend wieder versöhnen. Diese Versöhnungsdramaturgie stellt eines der beliebtesten Motive weihnachtlicher Filme dar, denn was gibt es schon romantischeres als das Zelebrieren einer Versöhnung am Fest der Besinnung? Der klassische Weihnachtsfilm will jedoch nicht nur zum Nachdenken anregen sondern vor allem als Unterhaltungsmedium für die ganze Familie fungieren. Die meisten Weihnachtsfilme sind trotz moralisierender Thematik als Komödie realisiert.
Ein bekanntes Beispiel ist Kevin allein zu Haus (1990) von John Hughes. Der Film erzählt die Geschichte eines kleinen Jungens, der im Gefecht des Alltags einfach zu Hause vergessen wird als die Familie an Weihnachten verreist. Aufgrund des familiären Stresses freut sich Kevin anfangs über diese Situation, bemerkt jedoch im Laufe des Filmes, dass es alleine zu Hause ganz schön gefährlich für einen kleinen Jungen sein kann und wünscht sich seine Familie zurück. Der Film plädiert somit für familiären Zusammenhalt und dafür, sich mehr Zeit füreinander zu nehmen. Durch die Komödienästhetik des Filmes ist diese Handlung bei der Rezeption keineswegs traurig, sondern eine unterhaltende Geschichte, in deren Lauf Kevin sich zum Sympathienträger etabliert.
Weihnachtsfilme haben die Funktion uns auf das Weihnachtsfest vorzubereiten, uns ein Gefühl von Wärme und Freude zu vermitteln und sollen uns nicht mit einem unbefriedigten Gefühl von der Couch zu entlassen. Deshalb gehört das Happy End in den Weihnachtsfilm wie Plätzchen in die Adventszeit. Dieses schier unumgängliche Happy End schlägt sich auch in der ästhetischen Realisierung und Ausgestaltung der Weihnachtsfilme nieder.
Die Ästhetik der Weihnachtsfilme konstituiert sich meist aus einer märchenhaften, verkitschten Atmosphäre. Realismus scheint bei dieser Weichzeichnerästhetik fehl am Platz! Weihnachtsfilme leben von der Überdimensionalisierung der Ereignisse und vor allem des Heiligabends.
Viele Weihnachtsfilme leben auch von ihrem nostalgischen Zauber. Filme wie Der kleine Lord (1980), Drei Nüsse für Aschenbrödel (1973) oder Sissi (1952) sind mit „Neuerscheinungen“ wie Tatsächlich Liebe (2003) ästhetisch nicht vergleichbar. Die Qualität des visuellen und auditiven Filmmaterials divergiert hier stark. Trotzdem sind es gerade die alten Filme, die zur Weihnachtszeit eine ganz neue Bedeutung erhalten und vom Massenpublikum mehr denn je konsumiert werden. Diese Filme besitzen eine Art Kultstatus. Dieser Kultstatus ergibt sich zum einen aus der Tatsache, dass viele dieser Filme lediglich zur Weihnachtszeit ausgestrahlt werden und zum anderen aus deren Traditionswert. Das Wort Tradition gehört zum festen Weihnachtsvokabular. Alle Jahre wieder greift man die alten Handlungsmuster auf und erfreut sich daran wenigstens einmal im Jahr nicht auf rasende Veränderung zu setzen, sondern auf das gewohnt Vertraute. Aus diesem Grund sehe ich mir wohl Jahr für Jahr die Geschichte des siebenjährigen Cedrics an, der als Erbe eines Adelstitels zu seinem mürrischen Großvater zieht und mit seinem Charme die Sympathie und Bewunderung des ganzen Schlosses gewinnt. Der kleine Lord wurde im Jahr 1980 produziert und gehört somit eigentlich nicht zu den Filmen meiner Kindheit, aber zu der meiner Eltern, die es in unserer Familie eingebürgert haben, traditionell jährlich diesen Film anzusehen. Dies erklärt wohl auch die Beliebtheit der Rezeption vieler alter Kinderfilme zur Weihnachtszeit wie die Klassiker von Astrid Lindgren.
Die Weihnachtsmonotonie- Fluch oder Segen? Das Fernsehprogramm an Weihnachten mag kitschig und monoton sein, aber es spiegelt exakt die Werte wieder, die mir an Weihnachten wichtig sind. Vertrautheit, Tradition und ein bisschen Ruhe. An Weihnachten finde ich es in Ordnung über die gleichen Filmszenen zu lachen wie vor zehn Jahren und sich an ein Gefühl zurück zu erinnern, dass möglicherweise schon lange nicht mehr existiert. Weihnachtsfilme sind eine Art Vermittler, die uns in der Gegenwart finden und uns ein Stück Vergangenheit schenken. Auch wenn das Genre Weihnachtsfilm nicht Jedermanns Geschmack trifft, gehören die Zuckerguss-Filme meiner Meinung nach einfach zu einer abgerundeten Weihnachtszeit dazu. Frohe Weihnachten!

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Saturday Night Fever: So feiert Österreich, so ist Reality TV



von Herbert Schwaab 
 
Aristoteles nennt schon vor über 2000 Jahren in seiner Poetik Gründe für die Freude der Menschen an Reproduktionen der Wirklichkeit. Sähe man einen Löwen in der Wirklichkeit, würde man Angst vor ihm haben. Sieht man ihn auf einer Abbildung, kehre sich die Furcht in einen ästhetischen Genuss vor dem ungefährlich gewordenen Tier um. Das ist eine frühe Beschreibung für eine mediale Differenz, die beispielsweise auch erklärt, warum das Interesse der Menschen für Formate des Reality Television durch die einhellige Ablehnung des Formats durch die Fernseh- und Kulturkritik nicht einfach so getrübt werden kann. Die österreichische Dokusoap Saturday Night Fever – So feiert Österreich, ist ein gutes Beispiel dafür. Besoffene Jugendliche, die in einer mir immer noch unverständlichen Sprache die Menschen um sie herum mit witzigen und beleidigenden Bemerkungen bedenkend nächtens durch das Salzburger Bahnhofviertel torkeln, sind für mich der Inbegriff einer großstädtischen Gefahr. Es mag an dem exzessiven Konsum von Red Bull liegen oder an der frustrierenden und durch die Berge dramatisierten Kleinheit und Enge des Landes, vielleicht auch daran, dass nur der Winter dem Land im Sport Erfolge einbringt, die im Sommer längst vergessen sind, aber Österreichs Jugendliche sind um einiges lauter, ungehemmter und nerviger als deutsche Jugendliche. Diese Gefahr kehrt sich aber in einen Genuss um, wenn dieselben Protagonisten durch das Reality TV Format Saturday Night Fever So feiert Österreich in eine mediale Repräsentation verwandelt werden, im Fall von Film und Fernsehen in realitätsnahe Abbildungen, die immer eine Verankerung in der Wirklichkeit finden und daher umso intensivere Realitätseffekte erzeugen. Die Formel des RTV (Reality TV) ist einfach: Ist es erstmal abgebildet, dann interessieren uns plötzlich die Küchen schlechtlaufender Restaurants, die mit Plüschtieren überhäuften Wohnzimmercouchen problematischer Familien, die die Hilfe einer Erzieherin in Anspruch nehmen wollen oder die auf einer Papiertafel mit Filzstiften aufgeführten Details der Überschuldung überforderter Ehepaare, die sich ihr steriles Eigenheim in einer langweiligen Vorstadt besser nicht gekauft hätten.
Doch ganz so einfach lässt sich die besondere Freude, die Saturday Night Fever bereitet, nicht erfassen. Unabhängig von einem unstillbaren Hunger nach den Realitätseffekten des RTV kann dieses Genre sehr nerven: der herabwürdigende Umgang mit den Figuren, die durchsichtigen Versuche, durch Manipulationen bestimmte Gefühle herauszukitzeln, die Strategien, durch Schnitt und Inszenierung, die Ereignisse der Wirklichkeit zu dramatisieren und aus dem undramatischen Alltag dramatische Geschichten zu machen. Das alles macht scheinbar auch SNF, aber es macht es auf überaus elegante Weise. SNF begleitet seit 2010 Jugendliche des Landes bei ihren kleinen, wochenendlichen Feierabenteuer, es verfolgt ihre Partyexzesse in Diskotheken, aber auch vielfältige Formen und weit in den Alltag hineinreichende vorabendlichen Interaktionen. Es kann serielle Formen annehmen und bestimmte Figuren über mehr als eine Folge verfolgen. Eine auf der Senderseite einsehbare Folge des Formates führt auf besondere Weise vor, worin der Reiz dieses Formates liegt (http://atv.at/saturday-night-fever-staffel-7/folge-7/d148340/). Es begleitet drei unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen. Eine Clique setzt alles daran, den Liebeskummer ihres Freundes Wolfi, der melancholisch den Titanicsong von Celine Dion vor sich hinsingt, in einem Feierexzess zu ertränken. Patrick versucht endlich bei Lena, einer schrillen Frau, die den Look von Lady Gaga nachahmt, zu landen. Eine andere Clique soll bei einem Bowlingabend die neue Freundin ihres Kumpels kennenlernen, doch sie sind überzeugt davon, dass sie nur ein Phantom ist. Das Format legt Spuren von Geschichten, denen der Zuschauer dann folgen kann und will. Es geschieht allerdings fast schon auf subtile Weise, die Manipulation drängt sich nicht auf. Patricks peinliches Werben um Lena, die ihn eher als einen Bruder ansieht, wird zu einem Minidrama über verfehlte Wünsche und Vorstellungen. Wolfis Liebenskummer, seine ehrlichen Gefühle konstrastieren auf extreme Weise mit dem Partybegehren seiner Freund. Seine Äußerung „Ich will nur, dass es ihr gut geht“ wird mit höhnischen Lachen quittiert. Doch so sentimental und idiotisch sie seine Depression finden, ihr Anliegen, ihn durch Feiern zu trösten erscheint echt und rührend. Das Format inszeniert kleine, häufig multikulturelle Gemeinschaften (Wolfi, Ivo, Okan, Giovanni und Khouri). Dass man Okan nicht versteht, hat hier damit zu tun, dass er völlig integriert ist und lupenreines steirisch spricht. Es zeigt ganz einfach und häufig, was Freundschaft bedeutet, wie sich hinter der ganzen Ausgelassenheit, den liebevollen Beleidigungen und dem zwanghaften Lächerlichmachen ernster Gefühle auch eine große soziale Bindungskraft verbergen kann.
Das Format löst Diskussionen aus, es ist ein Beispiel für die Fähigkeit bestimmter Formen des Fernsehens, wie Andrea Seier in einem medienwissenschaftlichen Text über Reality TV und über SNF deutlich macht, Anschlusskommunikationen zu ermöglichen, die auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet. Ein kulturkritischer Zugang regt sich über den offenen Sexismus und den Alkoholkonsum der Figuren des Formates auf, ist aber tatsächlich auch von den Figuren und den Ereignissen fasziniert. Andere, jüngere Zuschauer können sich tatsächlich mit den Figuren identifizieren, interessieren sich für die, aus ihrer Perspektive, komplexe, philosophische Deutung der Welt. Aber jeder Zuschauer staunt einfach nur über die entwaffnende Ehrlichkeit und das Selbstbewusstsein der Protagonisten, etwa über Khouri, der seinen Freunden vorgaukelt, dass er die Scheißerei habe, tatsächlich aber das Ausgehen mit ihnen vermeiden will, weil er an diesem Abend ein Date hat. In den für diese Formate typischen, an die Kamera in Interviewsequenzen gerichteten Worten kommentiert er diesen Umstand: „I hob a puppen kennenglernt Silvester, joa, und di kommt mi jetz besuachen. Schau mer mol, wos geht. Also, es geat immer wos, sag mer mal so.“ Die Interviewsequenzen sind fast so wichtig wie der Off-Kommentar und die ironischen Bildunterschriften, die etwa zu einer Figur, die gerade ein Auto kauft, einblenden: Kennt sich mit Autos aus, hat schon beide Teile von Cars gesehen. Diese Ironisierungen sorgen immer dafür, dass sich der Zuschauer schlauer als die Figuren fühlt, es erzeugt in ihm das Gefühl, als ironischer Zuschauer nur mal so reinzugucken in das Format, das eigentlich ja für ganz andere Menschen, für so ein Unterschichtenpublikum da unten gemacht ist. Tatsächlich handelt es sich um einen geschickten Versuch der Absicherung eines bestimmten Segments des Publikums, ein kleiner Distanzgewinn, der die Unmittelbarkeit der Realitätseffekte in einen Rahmen einordnet und ihn oder sie vergessen lässt, dass er und nicht die anderen der Zuschauer oder die Zuschauerin ist. Die Figuren lassen sich gar nicht wirklich ironisieren: Sie sind so wie sind, ehrlich, souverän, nur dann lächerlich, weil sie lächerlich sein wollen. Die Zuschauenden sehnen sich nach dieser Sicherheit, die es in bestimmten Phasen des Lebens und in bestimmten sozialen Formationen zu geben scheint und die in den Kommentaren der Figuren sichtbar wird: So inszeniert die Ereignisse sein mögen, bei den Interviewsequenzen hat man selten das Gefühl, dass die Figuren spielen, es sind ihre Ansichten und es sind bizarre, aber auch interessante Ansichten. In dieser Folge wird auch ein weiterer Aspekt der Effekte des Realitätsfernsehens deutlich. Ich kann nicht beschreiben, was für ein Alien Lena, die Lady Gaga-Imitatorin, ist, ich kann nicht wirklich erklären, wie amüsant ihre Selbstbeschreibungen, ihr Outfit und ihre Ansichten zum Leben, aber auch ihre kleine Gesten und Ungeschicktheiten sind,  dafür ist es notwendig, die Episode zu schauen. Aber keine Fiktion könnte sich so eine Figur ausdenken, nicht einmal Lady Gaga könnte dies. Das kann nur die Wirklichkeit selbst. Mag der Rahmen der Inszenierung und Manipulation auch noch so eng gespannt sein, der Vorwurf erscheint banal hinsichtlich eines eines überbordenden Realitätseffektes, der von dieser so ‚aufgematscherlten‘, überinszenierten, künstlichen, blondgefärbten Frau ausgeht.

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Bekenntnisse eines Skisprungfans

Herbert Schwaab

Dem bizarren Geständnis, dass ich ein Fan von Skispringen bin, folgt ein weiteres Bekenntnis, dass ich die Skisprungübertragungen des Senders Eurosport denen der öffentlich rechtlichen Sender bevorzuge. Ein seltsamer und interessanter Aspekt von live-Sportübertragungen ist, dass die Bilder unabhängig von den übertragenden Sendern im Auftrag der Sportverbände, in diesem Fall der FIS, produziert werden. Die Abläufe in der Dokumentation eines Sprunges, die Positionen der Kamera, der Bildaufbau, die Kamerabewegungen, der Schnitt, die Verwendung von Zeitlupen und Superzeitlupen, sie alle folgen einem genau ausgearbeiteten Plan und bleiben, abgesehen von wenigen Modifikationen, die Jahr für Jahr eingeführt werden, immer gleich. Abhängig von den Schanzen und einer widerspenstigen Natur mag es Probleme bei der Platzierung der Kameras geben, was den räumlichen Eindruck bei den Sprüngen verändert. Ist die Kamera, die Flugphase und Landung abdeckt, zu weit weg und zu weit oben am Hang platziert, komprimiert sich der Raum am Ende des Fluges: Die Zeit scheint länger zu werden, die zurückgelegte Distanz in den wenigen Sekunden des Sprungs scheint sich zu verkürzen.
Sonst bleibt alles gleich, was auch ein Grund dafür ist, dass es eine beruhigende Gleichförmigkeit der Übertragung von Skispringen im Weltcup gibt. Sie ist auch ein Grund dafür, warum Sport so beliebt und so geeignet für das Fernsehen ist. Viele mögen denken, Sport lebe von Spannung auf Aufregung, aber für mich charakterisiert die pure Ereignislosigkeit dieses Genre des Fernsehens. Fernsehen besetzt und strukturiert durch sein Dauersignal und seinen flow Zeit, und Live-Sport ist ein wunderbarer Zeitvernichter. Nichts auf der Welt könnte entspannter sein (für mich) als einen Sonntagnachmittag zwei Stunden Zeit damit zu verbringen, den immer gleichen Abläufen eines vom Fernsehen übertragenen Skisprungevents beizuwohnen. Ein anderer Grund liegt in der Faszination für diesen eigenartigen Sport, das unnütze Wissen, das ich über ihn über die Jahre generiert habe, die Tatsache, dass ich aus dem Stehgreif die Namen von 10 japanischen Skispringen nennen könnte (Masahiko Harada, Kazuyoschi Funaki, Noriaki Kasai, Hiroya Saitoh, Hideharu Miyahira, Jinji Nischikata, Takanobu Okabe, Daiki Ito, Kazuja Yoschioka, Akira Higashi, und ich schwöre, dass ich gerade nicht gegoogelt habe), das mich der Aspekt des Fliegens aus eigener Kraft interessiert, dass ich Schnee und das Aussehen von Schanzen mag, die auf seltsame Weise Areale in der Natur besetzen und die Landschaft für die Dauer eines Wettbewerbs verändern, die vielen kleinen Unterschiede zwischen den Skisprungschanzen und -orten, vom eisigen Norden Finnlands, den Alpen bis zum Sauerland, und dass ich selbst immer noch davon träume, meine Laufbahn als Medienwissenschaftler zu beenden und dafür eine Karriere als Skispringer zu beginnen, auch wenn ich ahne, dass es langsam zu spät dafür wird.
Das zweite Bekenntnis, das ich die Übertragungen von Eurosport liebe, ist nicht weniger eigenartig. Wenn die Bilder die gleichen sind, sollte der Vorteil der öffentlich rechtlichen, dass sie zusätzlich einen Experten und Interviews anbieten können, mich eigentlich zu diesem Sender führen. Aber das Moderatorenteam  mit Dirk Thiele, der für seine Olympiaberichterstattung auch schon einen Fernsehpreis gewonnen hat, und dem mittelmäßigen ehemaligen Skispringer und sächselnden Gerd Siegmund als Ko-Kommentator, habe ich über die Jahre lieb gewonnen. Dirk Thiele ist ein polternder, jovialer, kenntnisreicher Moderator, ein Mensch, dem man sich in einer Eckkneipe genauso gut vorstellen kann wie in einer engen Moderatorenkabine, der jedem der Skispringer seine Freundschaft aufzudrängen scheint und der Inbegriff einer raumnehmenden Kumpelhaftigkeit ist. So formelhaft, kalt, schematisch, technologisch Skispringen auch sein mag: Dirk Thiele und Gerd Siegmund schaffen es, aus diesem extrem mediatisierten Sport eine Familie, die in ihren Anzügen und Helmen kaum erkennbaren Sportler zu Menschen zu machen. So lebt diese Übertragung auch von Reiz des Wechselspiels zwischen der größtmöglichen Distanz und einer, bisweilen auch leicht unerträglichen, Nähe zu dem Moderator oder den Sportlern. Nirgendwo besser ließe sich die besondere Adressierungsform des Fernsehens oder der Begriff der parasozialen Beziehung erläutern.  
In den transmedialen Weiterungen der traditionellen, großen Kanäle durch die kleinen Kanäle im Internet, die entweder auf YouTube oder auf der Webseite mit kurzen Clips das Sendeangebot ergänzen, lässt sich sogar eine medienwissenschaftlich hochinteressante Umkehrung des Verhältnisses zwischen Medium und Sport betrachten. In kurzen Clips berichten Dirk Thiele und Gerd Siegmund nach den Übertragungen von den Skisprungevents, ziehen ein Fazit oder interviewen beteiligte Springer. Diese Clips sind die einzige Möglichkeit, den Stimmen ein Gesicht zu geben, was aber nicht unbedingt notwendig oder wünschenswert ist, da die Art der Moderation niemals den Eindruck vermitteln könnte, die beiden Moderierenden nicht zu kennen. Den riesigen technischen Aufwand in der Produktion der Skisprungbilder kontrastierend werden die Clips mit einer kleinen Handkamera gedreht, die entweder von den Moderierenden selbst oder von im Springerlager vorbeilaufenden Personen geführt werden. Bei einem am 7.12. 2014 aufgenommenen Clip führt gar ein am Springen erfolgreich beteiligter Sportler, der Österreicher Michael Hayböck, die Kamera und lässt es sich nicht nehmen, die Kamera kurz auf sein Gesicht zu schwenken und in die Kamera zu grinsen. Die Dokumentierten dokumentieren sich selbst, die Sportler, deren Bewegungen und Fähigkeiten vermehrt durch den Blick einer eiskalten, distanzierten medialen Maschine erkundet werden, schlagen zurück und nehmen die Produktionsmittel in die eigene Hand und geben dem in unserer Medienkultur oft bemühten Begriff der Partizipation eine Bedeutung. Der marginale Sender Eurosport, dem immer mehr Sportrechte genommen werden und der vermehrt über ebenso marginalisierte Sportarten wie Billard oder Darts berichten muss, wird hier die Aufgabe überantwortet, etwas hochgradig Signifikantes über den Mediensport, der wachsenden Medienkompetenz der User und den Transformationen der Medienkultur zum Ausdruck zu bringen.