Dem
bizarren Geständnis, dass ich ein Fan von Skispringen bin, folgt ein weiteres
Bekenntnis, dass ich die Skisprungübertragungen des Senders Eurosport denen der
öffentlich rechtlichen Sender bevorzuge. Ein seltsamer und interessanter Aspekt
von live-Sportübertragungen ist, dass die Bilder unabhängig von den
übertragenden Sendern im Auftrag der Sportverbände, in diesem Fall der FIS,
produziert werden. Die Abläufe in der Dokumentation eines Sprunges, die
Positionen der Kamera, der Bildaufbau, die Kamerabewegungen, der Schnitt, die
Verwendung von Zeitlupen und Superzeitlupen, sie alle folgen einem genau
ausgearbeiteten Plan und bleiben, abgesehen von wenigen Modifikationen, die Jahr
für Jahr eingeführt werden, immer gleich. Abhängig von den Schanzen und einer
widerspenstigen Natur mag es Probleme bei der Platzierung der Kameras geben,
was den räumlichen Eindruck bei den Sprüngen verändert. Ist die Kamera, die
Flugphase und Landung abdeckt, zu weit weg und zu weit oben am Hang platziert,
komprimiert sich der Raum am Ende des Fluges: Die Zeit scheint länger zu
werden, die zurückgelegte Distanz in den wenigen Sekunden des Sprungs scheint
sich zu verkürzen.
Sonst
bleibt alles gleich, was auch ein Grund dafür ist, dass es eine beruhigende
Gleichförmigkeit der Übertragung von Skispringen im Weltcup gibt. Sie ist auch
ein Grund dafür, warum Sport so beliebt und so geeignet für das Fernsehen ist.
Viele mögen denken, Sport lebe von Spannung auf Aufregung, aber für mich
charakterisiert die pure Ereignislosigkeit dieses Genre des Fernsehens.
Fernsehen besetzt und strukturiert durch sein Dauersignal und seinen flow Zeit,
und Live-Sport ist ein wunderbarer Zeitvernichter. Nichts auf der Welt könnte
entspannter sein (für mich) als einen Sonntagnachmittag zwei Stunden Zeit damit
zu verbringen, den immer gleichen Abläufen eines vom Fernsehen übertragenen
Skisprungevents beizuwohnen. Ein anderer Grund liegt in der Faszination für
diesen eigenartigen Sport, das unnütze Wissen, das ich über ihn über die Jahre
generiert habe, die Tatsache, dass ich aus dem Stehgreif die Namen von 10
japanischen Skispringen nennen könnte (Masahiko Harada, Kazuyoschi Funaki,
Noriaki Kasai, Hiroya Saitoh, Hideharu Miyahira, Jinji Nischikata, Takanobu
Okabe, Daiki Ito, Kazuja Yoschioka, Akira Higashi, und ich schwöre, dass ich
gerade nicht gegoogelt habe), das mich der Aspekt des Fliegens aus eigener
Kraft interessiert, dass ich Schnee und das Aussehen von Schanzen mag, die auf
seltsame Weise Areale in der Natur besetzen und die Landschaft für die Dauer
eines Wettbewerbs verändern, die vielen kleinen Unterschiede zwischen den
Skisprungschanzen und -orten, vom eisigen Norden Finnlands, den Alpen bis zum
Sauerland, und dass ich selbst immer noch davon träume, meine Laufbahn als
Medienwissenschaftler zu beenden und dafür eine Karriere als Skispringer zu
beginnen, auch wenn ich ahne, dass es langsam zu spät dafür wird.
Das
zweite Bekenntnis, das ich die Übertragungen von Eurosport liebe, ist nicht
weniger eigenartig. Wenn die Bilder die gleichen sind, sollte der Vorteil der
öffentlich rechtlichen, dass sie zusätzlich einen Experten und Interviews
anbieten können, mich eigentlich zu diesem Sender führen. Aber das Moderatorenteam
mit Dirk Thiele, der für seine
Olympiaberichterstattung auch schon einen Fernsehpreis gewonnen hat, und dem
mittelmäßigen ehemaligen Skispringer und sächselnden Gerd Siegmund als
Ko-Kommentator, habe ich über die Jahre lieb gewonnen. Dirk Thiele ist ein
polternder, jovialer, kenntnisreicher Moderator, ein Mensch, dem man sich in
einer Eckkneipe genauso gut vorstellen kann wie in einer engen
Moderatorenkabine, der jedem der Skispringer seine Freundschaft aufzudrängen
scheint und der Inbegriff einer raumnehmenden Kumpelhaftigkeit ist. So formelhaft, kalt, schematisch,
technologisch Skispringen auch sein mag: Dirk Thiele und Gerd Siegmund schaffen
es, aus diesem extrem mediatisierten Sport eine Familie, die in ihren Anzügen
und Helmen kaum erkennbaren Sportler zu Menschen zu machen. So lebt diese
Übertragung auch von Reiz des Wechselspiels zwischen der größtmöglichen Distanz
und einer, bisweilen auch leicht unerträglichen, Nähe zu dem Moderator oder den
Sportlern. Nirgendwo besser ließe sich die besondere Adressierungsform des
Fernsehens oder der Begriff der parasozialen Beziehung erläutern.
In
den transmedialen Weiterungen der traditionellen, großen Kanäle durch die
kleinen Kanäle im Internet, die entweder auf YouTube oder auf der Webseite mit
kurzen Clips das Sendeangebot ergänzen, lässt sich sogar eine
medienwissenschaftlich hochinteressante Umkehrung des Verhältnisses zwischen
Medium und Sport betrachten. In kurzen Clips berichten Dirk Thiele und Gerd
Siegmund nach den Übertragungen von den Skisprungevents, ziehen ein Fazit oder
interviewen beteiligte Springer. Diese Clips sind die einzige Möglichkeit, den
Stimmen ein Gesicht zu geben, was aber nicht unbedingt notwendig oder
wünschenswert ist, da die Art der Moderation niemals den Eindruck vermitteln
könnte, die beiden Moderierenden nicht zu kennen. Den riesigen technischen
Aufwand in der Produktion der Skisprungbilder kontrastierend werden die Clips
mit einer kleinen Handkamera gedreht, die entweder von den Moderierenden selbst
oder von im Springerlager vorbeilaufenden Personen geführt werden. Bei einem am
7.12. 2014 aufgenommenen Clip führt gar ein am Springen erfolgreich beteiligter
Sportler, der Österreicher Michael Hayböck, die Kamera und lässt es sich nicht
nehmen, die Kamera kurz auf sein Gesicht zu schwenken und in die Kamera zu
grinsen. Die Dokumentierten dokumentieren sich selbst, die Sportler, deren
Bewegungen und Fähigkeiten vermehrt durch den Blick einer eiskalten,
distanzierten medialen Maschine erkundet werden, schlagen zurück und nehmen die
Produktionsmittel in die eigene Hand und geben dem in unserer Medienkultur oft
bemühten Begriff der Partizipation eine Bedeutung. Der marginale Sender
Eurosport, dem immer mehr Sportrechte genommen werden und der vermehrt über
ebenso marginalisierte Sportarten wie Billard oder Darts berichten muss, wird
hier die Aufgabe überantwortet, etwas hochgradig Signifikantes über den Mediensport,
der wachsenden Medienkompetenz der User und den Transformationen der
Medienkultur zum Ausdruck zu bringen.
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