TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Bekenntnisse eines Skisprungfans

Herbert Schwaab

Dem bizarren Geständnis, dass ich ein Fan von Skispringen bin, folgt ein weiteres Bekenntnis, dass ich die Skisprungübertragungen des Senders Eurosport denen der öffentlich rechtlichen Sender bevorzuge. Ein seltsamer und interessanter Aspekt von live-Sportübertragungen ist, dass die Bilder unabhängig von den übertragenden Sendern im Auftrag der Sportverbände, in diesem Fall der FIS, produziert werden. Die Abläufe in der Dokumentation eines Sprunges, die Positionen der Kamera, der Bildaufbau, die Kamerabewegungen, der Schnitt, die Verwendung von Zeitlupen und Superzeitlupen, sie alle folgen einem genau ausgearbeiteten Plan und bleiben, abgesehen von wenigen Modifikationen, die Jahr für Jahr eingeführt werden, immer gleich. Abhängig von den Schanzen und einer widerspenstigen Natur mag es Probleme bei der Platzierung der Kameras geben, was den räumlichen Eindruck bei den Sprüngen verändert. Ist die Kamera, die Flugphase und Landung abdeckt, zu weit weg und zu weit oben am Hang platziert, komprimiert sich der Raum am Ende des Fluges: Die Zeit scheint länger zu werden, die zurückgelegte Distanz in den wenigen Sekunden des Sprungs scheint sich zu verkürzen.
Sonst bleibt alles gleich, was auch ein Grund dafür ist, dass es eine beruhigende Gleichförmigkeit der Übertragung von Skispringen im Weltcup gibt. Sie ist auch ein Grund dafür, warum Sport so beliebt und so geeignet für das Fernsehen ist. Viele mögen denken, Sport lebe von Spannung auf Aufregung, aber für mich charakterisiert die pure Ereignislosigkeit dieses Genre des Fernsehens. Fernsehen besetzt und strukturiert durch sein Dauersignal und seinen flow Zeit, und Live-Sport ist ein wunderbarer Zeitvernichter. Nichts auf der Welt könnte entspannter sein (für mich) als einen Sonntagnachmittag zwei Stunden Zeit damit zu verbringen, den immer gleichen Abläufen eines vom Fernsehen übertragenen Skisprungevents beizuwohnen. Ein anderer Grund liegt in der Faszination für diesen eigenartigen Sport, das unnütze Wissen, das ich über ihn über die Jahre generiert habe, die Tatsache, dass ich aus dem Stehgreif die Namen von 10 japanischen Skispringen nennen könnte (Masahiko Harada, Kazuyoschi Funaki, Noriaki Kasai, Hiroya Saitoh, Hideharu Miyahira, Jinji Nischikata, Takanobu Okabe, Daiki Ito, Kazuja Yoschioka, Akira Higashi, und ich schwöre, dass ich gerade nicht gegoogelt habe), das mich der Aspekt des Fliegens aus eigener Kraft interessiert, dass ich Schnee und das Aussehen von Schanzen mag, die auf seltsame Weise Areale in der Natur besetzen und die Landschaft für die Dauer eines Wettbewerbs verändern, die vielen kleinen Unterschiede zwischen den Skisprungschanzen und -orten, vom eisigen Norden Finnlands, den Alpen bis zum Sauerland, und dass ich selbst immer noch davon träume, meine Laufbahn als Medienwissenschaftler zu beenden und dafür eine Karriere als Skispringer zu beginnen, auch wenn ich ahne, dass es langsam zu spät dafür wird.
Das zweite Bekenntnis, das ich die Übertragungen von Eurosport liebe, ist nicht weniger eigenartig. Wenn die Bilder die gleichen sind, sollte der Vorteil der öffentlich rechtlichen, dass sie zusätzlich einen Experten und Interviews anbieten können, mich eigentlich zu diesem Sender führen. Aber das Moderatorenteam  mit Dirk Thiele, der für seine Olympiaberichterstattung auch schon einen Fernsehpreis gewonnen hat, und dem mittelmäßigen ehemaligen Skispringer und sächselnden Gerd Siegmund als Ko-Kommentator, habe ich über die Jahre lieb gewonnen. Dirk Thiele ist ein polternder, jovialer, kenntnisreicher Moderator, ein Mensch, dem man sich in einer Eckkneipe genauso gut vorstellen kann wie in einer engen Moderatorenkabine, der jedem der Skispringer seine Freundschaft aufzudrängen scheint und der Inbegriff einer raumnehmenden Kumpelhaftigkeit ist. So formelhaft, kalt, schematisch, technologisch Skispringen auch sein mag: Dirk Thiele und Gerd Siegmund schaffen es, aus diesem extrem mediatisierten Sport eine Familie, die in ihren Anzügen und Helmen kaum erkennbaren Sportler zu Menschen zu machen. So lebt diese Übertragung auch von Reiz des Wechselspiels zwischen der größtmöglichen Distanz und einer, bisweilen auch leicht unerträglichen, Nähe zu dem Moderator oder den Sportlern. Nirgendwo besser ließe sich die besondere Adressierungsform des Fernsehens oder der Begriff der parasozialen Beziehung erläutern.  
In den transmedialen Weiterungen der traditionellen, großen Kanäle durch die kleinen Kanäle im Internet, die entweder auf YouTube oder auf der Webseite mit kurzen Clips das Sendeangebot ergänzen, lässt sich sogar eine medienwissenschaftlich hochinteressante Umkehrung des Verhältnisses zwischen Medium und Sport betrachten. In kurzen Clips berichten Dirk Thiele und Gerd Siegmund nach den Übertragungen von den Skisprungevents, ziehen ein Fazit oder interviewen beteiligte Springer. Diese Clips sind die einzige Möglichkeit, den Stimmen ein Gesicht zu geben, was aber nicht unbedingt notwendig oder wünschenswert ist, da die Art der Moderation niemals den Eindruck vermitteln könnte, die beiden Moderierenden nicht zu kennen. Den riesigen technischen Aufwand in der Produktion der Skisprungbilder kontrastierend werden die Clips mit einer kleinen Handkamera gedreht, die entweder von den Moderierenden selbst oder von im Springerlager vorbeilaufenden Personen geführt werden. Bei einem am 7.12. 2014 aufgenommenen Clip führt gar ein am Springen erfolgreich beteiligter Sportler, der Österreicher Michael Hayböck, die Kamera und lässt es sich nicht nehmen, die Kamera kurz auf sein Gesicht zu schwenken und in die Kamera zu grinsen. Die Dokumentierten dokumentieren sich selbst, die Sportler, deren Bewegungen und Fähigkeiten vermehrt durch den Blick einer eiskalten, distanzierten medialen Maschine erkundet werden, schlagen zurück und nehmen die Produktionsmittel in die eigene Hand und geben dem in unserer Medienkultur oft bemühten Begriff der Partizipation eine Bedeutung. Der marginale Sender Eurosport, dem immer mehr Sportrechte genommen werden und der vermehrt über ebenso marginalisierte Sportarten wie Billard oder Darts berichten muss, wird hier die Aufgabe überantwortet, etwas hochgradig Signifikantes über den Mediensport, der wachsenden Medienkompetenz der User und den Transformationen der Medienkultur zum Ausdruck zu bringen.  

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