TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Saturday Night Fever: So feiert Österreich, so ist Reality TV



von Herbert Schwaab 
 
Aristoteles nennt schon vor über 2000 Jahren in seiner Poetik Gründe für die Freude der Menschen an Reproduktionen der Wirklichkeit. Sähe man einen Löwen in der Wirklichkeit, würde man Angst vor ihm haben. Sieht man ihn auf einer Abbildung, kehre sich die Furcht in einen ästhetischen Genuss vor dem ungefährlich gewordenen Tier um. Das ist eine frühe Beschreibung für eine mediale Differenz, die beispielsweise auch erklärt, warum das Interesse der Menschen für Formate des Reality Television durch die einhellige Ablehnung des Formats durch die Fernseh- und Kulturkritik nicht einfach so getrübt werden kann. Die österreichische Dokusoap Saturday Night Fever – So feiert Österreich, ist ein gutes Beispiel dafür. Besoffene Jugendliche, die in einer mir immer noch unverständlichen Sprache die Menschen um sie herum mit witzigen und beleidigenden Bemerkungen bedenkend nächtens durch das Salzburger Bahnhofviertel torkeln, sind für mich der Inbegriff einer großstädtischen Gefahr. Es mag an dem exzessiven Konsum von Red Bull liegen oder an der frustrierenden und durch die Berge dramatisierten Kleinheit und Enge des Landes, vielleicht auch daran, dass nur der Winter dem Land im Sport Erfolge einbringt, die im Sommer längst vergessen sind, aber Österreichs Jugendliche sind um einiges lauter, ungehemmter und nerviger als deutsche Jugendliche. Diese Gefahr kehrt sich aber in einen Genuss um, wenn dieselben Protagonisten durch das Reality TV Format Saturday Night Fever So feiert Österreich in eine mediale Repräsentation verwandelt werden, im Fall von Film und Fernsehen in realitätsnahe Abbildungen, die immer eine Verankerung in der Wirklichkeit finden und daher umso intensivere Realitätseffekte erzeugen. Die Formel des RTV (Reality TV) ist einfach: Ist es erstmal abgebildet, dann interessieren uns plötzlich die Küchen schlechtlaufender Restaurants, die mit Plüschtieren überhäuften Wohnzimmercouchen problematischer Familien, die die Hilfe einer Erzieherin in Anspruch nehmen wollen oder die auf einer Papiertafel mit Filzstiften aufgeführten Details der Überschuldung überforderter Ehepaare, die sich ihr steriles Eigenheim in einer langweiligen Vorstadt besser nicht gekauft hätten.
Doch ganz so einfach lässt sich die besondere Freude, die Saturday Night Fever bereitet, nicht erfassen. Unabhängig von einem unstillbaren Hunger nach den Realitätseffekten des RTV kann dieses Genre sehr nerven: der herabwürdigende Umgang mit den Figuren, die durchsichtigen Versuche, durch Manipulationen bestimmte Gefühle herauszukitzeln, die Strategien, durch Schnitt und Inszenierung, die Ereignisse der Wirklichkeit zu dramatisieren und aus dem undramatischen Alltag dramatische Geschichten zu machen. Das alles macht scheinbar auch SNF, aber es macht es auf überaus elegante Weise. SNF begleitet seit 2010 Jugendliche des Landes bei ihren kleinen, wochenendlichen Feierabenteuer, es verfolgt ihre Partyexzesse in Diskotheken, aber auch vielfältige Formen und weit in den Alltag hineinreichende vorabendlichen Interaktionen. Es kann serielle Formen annehmen und bestimmte Figuren über mehr als eine Folge verfolgen. Eine auf der Senderseite einsehbare Folge des Formates führt auf besondere Weise vor, worin der Reiz dieses Formates liegt (http://atv.at/saturday-night-fever-staffel-7/folge-7/d148340/). Es begleitet drei unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen. Eine Clique setzt alles daran, den Liebeskummer ihres Freundes Wolfi, der melancholisch den Titanicsong von Celine Dion vor sich hinsingt, in einem Feierexzess zu ertränken. Patrick versucht endlich bei Lena, einer schrillen Frau, die den Look von Lady Gaga nachahmt, zu landen. Eine andere Clique soll bei einem Bowlingabend die neue Freundin ihres Kumpels kennenlernen, doch sie sind überzeugt davon, dass sie nur ein Phantom ist. Das Format legt Spuren von Geschichten, denen der Zuschauer dann folgen kann und will. Es geschieht allerdings fast schon auf subtile Weise, die Manipulation drängt sich nicht auf. Patricks peinliches Werben um Lena, die ihn eher als einen Bruder ansieht, wird zu einem Minidrama über verfehlte Wünsche und Vorstellungen. Wolfis Liebenskummer, seine ehrlichen Gefühle konstrastieren auf extreme Weise mit dem Partybegehren seiner Freund. Seine Äußerung „Ich will nur, dass es ihr gut geht“ wird mit höhnischen Lachen quittiert. Doch so sentimental und idiotisch sie seine Depression finden, ihr Anliegen, ihn durch Feiern zu trösten erscheint echt und rührend. Das Format inszeniert kleine, häufig multikulturelle Gemeinschaften (Wolfi, Ivo, Okan, Giovanni und Khouri). Dass man Okan nicht versteht, hat hier damit zu tun, dass er völlig integriert ist und lupenreines steirisch spricht. Es zeigt ganz einfach und häufig, was Freundschaft bedeutet, wie sich hinter der ganzen Ausgelassenheit, den liebevollen Beleidigungen und dem zwanghaften Lächerlichmachen ernster Gefühle auch eine große soziale Bindungskraft verbergen kann.
Das Format löst Diskussionen aus, es ist ein Beispiel für die Fähigkeit bestimmter Formen des Fernsehens, wie Andrea Seier in einem medienwissenschaftlichen Text über Reality TV und über SNF deutlich macht, Anschlusskommunikationen zu ermöglichen, die auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet. Ein kulturkritischer Zugang regt sich über den offenen Sexismus und den Alkoholkonsum der Figuren des Formates auf, ist aber tatsächlich auch von den Figuren und den Ereignissen fasziniert. Andere, jüngere Zuschauer können sich tatsächlich mit den Figuren identifizieren, interessieren sich für die, aus ihrer Perspektive, komplexe, philosophische Deutung der Welt. Aber jeder Zuschauer staunt einfach nur über die entwaffnende Ehrlichkeit und das Selbstbewusstsein der Protagonisten, etwa über Khouri, der seinen Freunden vorgaukelt, dass er die Scheißerei habe, tatsächlich aber das Ausgehen mit ihnen vermeiden will, weil er an diesem Abend ein Date hat. In den für diese Formate typischen, an die Kamera in Interviewsequenzen gerichteten Worten kommentiert er diesen Umstand: „I hob a puppen kennenglernt Silvester, joa, und di kommt mi jetz besuachen. Schau mer mol, wos geht. Also, es geat immer wos, sag mer mal so.“ Die Interviewsequenzen sind fast so wichtig wie der Off-Kommentar und die ironischen Bildunterschriften, die etwa zu einer Figur, die gerade ein Auto kauft, einblenden: Kennt sich mit Autos aus, hat schon beide Teile von Cars gesehen. Diese Ironisierungen sorgen immer dafür, dass sich der Zuschauer schlauer als die Figuren fühlt, es erzeugt in ihm das Gefühl, als ironischer Zuschauer nur mal so reinzugucken in das Format, das eigentlich ja für ganz andere Menschen, für so ein Unterschichtenpublikum da unten gemacht ist. Tatsächlich handelt es sich um einen geschickten Versuch der Absicherung eines bestimmten Segments des Publikums, ein kleiner Distanzgewinn, der die Unmittelbarkeit der Realitätseffekte in einen Rahmen einordnet und ihn oder sie vergessen lässt, dass er und nicht die anderen der Zuschauer oder die Zuschauerin ist. Die Figuren lassen sich gar nicht wirklich ironisieren: Sie sind so wie sind, ehrlich, souverän, nur dann lächerlich, weil sie lächerlich sein wollen. Die Zuschauenden sehnen sich nach dieser Sicherheit, die es in bestimmten Phasen des Lebens und in bestimmten sozialen Formationen zu geben scheint und die in den Kommentaren der Figuren sichtbar wird: So inszeniert die Ereignisse sein mögen, bei den Interviewsequenzen hat man selten das Gefühl, dass die Figuren spielen, es sind ihre Ansichten und es sind bizarre, aber auch interessante Ansichten. In dieser Folge wird auch ein weiterer Aspekt der Effekte des Realitätsfernsehens deutlich. Ich kann nicht beschreiben, was für ein Alien Lena, die Lady Gaga-Imitatorin, ist, ich kann nicht wirklich erklären, wie amüsant ihre Selbstbeschreibungen, ihr Outfit und ihre Ansichten zum Leben, aber auch ihre kleine Gesten und Ungeschicktheiten sind,  dafür ist es notwendig, die Episode zu schauen. Aber keine Fiktion könnte sich so eine Figur ausdenken, nicht einmal Lady Gaga könnte dies. Das kann nur die Wirklichkeit selbst. Mag der Rahmen der Inszenierung und Manipulation auch noch so eng gespannt sein, der Vorwurf erscheint banal hinsichtlich eines eines überbordenden Realitätseffektes, der von dieser so ‚aufgematscherlten‘, überinszenierten, künstlichen, blondgefärbten Frau ausgeht.

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