TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 23. September 2019

Paw Patrol und Super Wings und Greta Thunberg

von Herbert Schwaab
Serienzuschauer sind wie kleine Kinder, die immer wieder dieselben Geschichten hören wollen, sagt der Semiotiker, Kulturwissenschaftler und Bestsellerautor Umberto Eco. Daher wundert es nicht, dass Serien für kleine Kinder noch offensichtlicher von Wiederholung bestimmt sind.
Das Düsenflugzeug Jett bekommt von dem in einem Hightech-Kontrollzentrum sitzenden Fluglotsen Roger den Auftrag, ein Paket an ein Kind zuzustellen, das irgendwo auf der weiten Welt wohnt und dessen Ort Roger immer wieder die Möglichkeit gibt, auf einer Karte den Zuschauenden rudimentäre Geografiekenntnisse zu vermitteln. Jett fliegt los und hat Freude daran, den Auftrag auszuführen. Wenige Augenblicke später ist er am Zielort und übergibt einem Kind, das keine Eltern zu haben scheint, das Paket ohne die Annahme bestätigen zu lassen. So liefert er etwa einem Jungen aus Schottland einen Dudelsack, denn die gibt es ja nicht in Schottland. Weil Jett immer länger bleibt und sich noch etwas unterhält, passiert immer etwas, so dass die Hilfe eines weiteren Superwing mit der jeweils auf das entstandene Problem angepassten besonderen Fähigkeit angefordert wird. Einer der Superwings oder eine Superwing (von den 9 Superwings sind ja immerhin zwei weiblich) macht sich auf den Weg, ist sofort da und löst das Problem. Das ist die Serie Superwings, von der es 102 zwöflminütige Folgen gibt.
Ryder hat eine Truppe von kleinen Hunden zusammengestellt, die in einem hypermodernen Gebäude, eine Mischung aus Feuerwehrzentrale und Kontrollturm, darauf warten, für einen Auftrag ausgewählt zu werden. Wenn der Auftrag nach einem harmlosen Beginn hineinkommt, meist muss das Huhn der Bürgermeisterin gerettet werden, wird über das Display von Ryders Smartphone der durch seine Fähigkeiten zu dem zu lösenden Problem passende Hund ausgwählt, der jeweils als Hundecyborg durch angehängte Technologie mit einer Superfähigkeit ausgestattet ist: Marshall ist etwa ein Feuerwehrauto-Dalmatiner, Chase ist ein Polizeiwagen-Schäferhund, Zuma ein Hovercraft-Labrador, und Skye, deren Farbe rosa ist, die einzige Welpin, eine Pudel, Cocker-Spaniel Mischung, die mit ihrem Hubschrauber für Vertikalflüge gefordert ist. Beim Auftrag treten meist Komplikationen auf, so dass über das Display ein weiterer Paw Patrol Hund zur Unterstützung ausgesucht wird. Das ist die Serie Paw Patrol, von der es 91 12 minütige Folgen gibt.
Als einfühlsamer Beobachter und Versteher der Kindermedienwelt und als Vater von Kinder, die wenigstens für ein oder zwei Monate eine große Begeisterung für eine dieser Serien aufbringen, gibt es natürlich unzählige Dinge, die erklären, warum Kinder solche Serien mögen: Kinderserien sind immer fantastische Abbilder der Erwachsenenwelt, ihrer Mechanismen und Technologien. Diese Technologien ermöglichen häufig kleine Metamorphosen. Die Superwings sind mit etlichen Scharnieren ausgestattet und können jederzeit die Form ändern, von einem fliegenden zu einem laufenden Superwing. Die Paw Patrol und ihre Werkzeuge sind hybride Cyborgs, die dadurch Superkräfte bekommen. Jeder Superwing oder Paw Patrol hat eine nette kleine Eigenheit, Rubbles liebt es zum Beispiel Skateboard oder Snowboard zu fahren, Rocky kann nicht schwimmen und lernt immer wieder, seine Angst vor dem Wasser zu überwinden. Kleine Lektionen werden erteilt und gelernt, irgendeine Angst (vor dem Wasser) oder ein Gefühl (Neid) wird verhandelt, und die kleinen Zuschauer und Zuschauerinnen lernen etwas über die Welt. B esonders Super Wings stellt heraus, dass es geografisches und kulturelles Wissen über die Zielorte der Pakete vermittelt. In beiden Welten ist immer alles einfacher, Ziele werden schneller erreicht, die Welt ist kleiner und überschaubarer, Probleme werden immer gelöst, Technologien sind dominant, moderne digitale ebenso wie klassisch mechanische, und erweisen immer wieder ihren Nutzen, wenn es darum geht, die kleinen Komplikationen aufzulösen. Zusätzlich gibt es noch eine Vielzahl von exzentrischen und interessanten Nebencharakteren wie die Bürgermeisterin Goodway und ihr Huhn Chicaletta oder der Ozeanforscher und sein französischer Verwandter, der dem berühmten Taucher Jacques Cousteau nachempfunden ist. Und dann entwickelt zumindest Paw Patrol noch eine komplexe, eigene Mythologie, etwa mit den Meerfellfreunden, Hunden, die wie Nixen im Wasser leben und nur bei Vollmond zu sehen sind. Über diesen erweiterten Cast und den vielen Unterschieden zwischen Hunden und Flugzeugen versuchen solche Serien immer eine Diversität und Globalität zum Ausdruck zu bringen und für Toleranz zu sorgen, aber für eine Toleranz, die niemandem wehtut. Als letztes spielen auch wiederkehrende Catchphrases, wie „Landeerlaubnis für Jett“ oder „Kein Problem ist zu groß und kein Hund zu klein“ für Wiedererkennbarkeit und dafür, dass kleine Kinder, diese Worte in ihren Spielealltag übernehmen können.
Es ist also leicht zu verstehen, warum diese Serien kindliche Zuschauer gewinnen. Trotzdem nerven sie mich hochgradig für die vielen Dinge, die sie auch noch tun und die mit der Kultur und Ökonomie der Kinderserie und unserer Welt zu tun haben. Warum gibt es immer ein zwei weibliche Alilbifiguren? Die Frage beantwortet sich schnell. Weil Serien heute immer ein bestimmtes, immer noch in weiblich und männlich unterschiedenes Publikum im Blick haben, ein simpler Effekt der Diversifikation von Produktionen, die Sendevielfalt und neue digitale Technologien – es ist sehr einfach, Animationen zu machen – bewirken. Die einfachen Muster der Serie sind auch Muster der Konditionierung von Verhalten, Einübungen in die Konsumkultur. Super Wings lässt sich auf die Struktur reduzieren: Bestellung geht ein, Paket wird ausgeliefert, Bote verquatscht sich, nächster Auftrag, nächste Bestellung folgt. Und es ist kein Problem, Dinge um die halbe oder ganze Welt zu verschicken. So werden Amazon neue Kunden zugeführt, die über den Dienst auch gleich die vielen Superwingsfiguren und Kleidungstücke bestellen können. Auch Paw Patrol bietet eine Einübung in unsere Konsumkultur, mit der ausführlichen Darstellung neuer Technologien, der Vielzahl an Screens und Displays, über die Aktionen organisiert werden, aber auch durch ihren Gebrauch unterschiedlichster Vehikel, vom Hovercraft zum Hubschrauber. Es ist eine Konditionierung für eine Kultur, in der sich bis heute noch immer viel zu wenige die Frage stellen, wo eigentlich die Energie herkommt, die wir für unseren Konsum und unsere Reisen verbrauchen. Kinderserienwelten digitaler Animationen sind häufig Welten einer ungezügelten Ressourcenverschwendung, in der jede Aufgabe, die auch ohne Technologie gelöst werden könnte, mit Technologie gelöst wird, in der Technologien anthropomorphisiert sind, in der es daher noch keine Flugscham für die Mobilitätsexzesse unserer Kultur gibt, da die Flugzeuge ja so niedlich sind, in der es einen nie versiegenden Strom von Bodenschätzen gibt, die von den überdominanten Maschinen gebraucht werden. Natürlich könnte eingewendet werden, dass Kinder schon immer an Miniaturautos und ähnlichem Spielzeug Freude empfunden haben, und natürlich kann ich dann einwenden, dass es keine unschuldige Kinderkultur und keine unschuldigen Kinderbedürfnisse gibt und sie und wir immer in der Kultur leben, die wir selbst geschaffen haben und deren Konsequenzen wir alle tragen werden. Daher lässt sich vielleicht am Ende die Frage stellen: Wie können wir uns Serien vorstellen, die Konsum, Neoliberalismus und Globalisierung nicht einfach nur affirmieren (mit dem Placebo der Diversität und Toleranz), sondern auch Kritik an ihr üben? Wie sieht eine Kinderserie nach Greta Thunberg aus? Aber eine, die auch meine Kinder schauen wollen.

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