TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 4. September 2019

Ozark (Netflix, 2017)

von Herbert Schwaab
Im griechischen Mythos wird der Frevler Sisyphos von den Göttern damit bestraft, einen Felsblock einen Berg hinaufrollen zu müssen, der kurz vor dem Gipfel immer wieder den Berg herunterrollen wird. Dieser Mythos der grauenvollen Wiederholung ist auch ein Mythos des seriellen Fernsehens und seiner Unabgeschlossenheit, wie Jens Ruchatz in einem Text zum Serienfernsehen schreibt. Netflix bietet zwar meist Serien an, die nicht den radikal episodischen Charakter klassischer Sitcoms oder Krimiserien haben, aber das Versprechen der Abgeschlossenheit wird mit Aussicht auf weitere Staffeln überstrapaziert, so dass auch der moderne Netflixzuschauer selten die Erfahrung macht, zu einem Ende gekommen zu sein.
Ähnlich der Sysiphusaufgabe, eine Serie zu schauen, vom Anfang bis zum irgendwann eintretenden Ende, sehen sich Marty Byrd und seine Familie in der Netflix-Serie Ozark seit 2017 mit nicht zu bewältigenden Aufgaben konfrontiert. Die Serie gibt sich nur wenige Minuten Zeit, um den tristen Alltag des Finanzberaters in Chicago zu zeichnen: Die Probleme mit seiner Frau Wendy und das drohende Ende ihrer Ehe, das Leben mit der rebellischen Tochter Charlotte und dem schüchternen Sohn Jonah. Das alles wird innerhalb kürzester Zeit zerstört, als Marty Byrd, dessen Geschäftspartner Geld unterschlagen hat, nur dadurch verhindern kann, von Boss eines mexikanischen Drogenkartells erschossen zu werden, diesem anzubieten, innerhalb kürzester Zeit 8 Millionen Dollar seines Drogengeldes zu waschen. Die Byrds fliehen mit dem Geld aus Chicago nach Missouri, zu den bewaldeten Bergen der Ozarks, deren Täler von einem gigantischen Stausee geflutet sind, und hoffen dort Möglichkeiten zu finden, die Rechnung zu begleichen.
Das Fernsehen kennt viele Serien wie Everwood, Twin Peaks, Northern Exposure, in denen Protagonisten von der Stadt in die Provinz ziehen und dort mit schrulligen, aber netten Provinzmenschen und der Alltäglichkeit des Lebens konfrontiert werden. Diese Provinz ist aber nicht nur Operationsort für die vielen kleinen Verbrechen der Geldwäsche, die Marty Byrd dadurch begeht, beispielweise die Geschäftsführung einer Pension und später eines Nachtclubs zu übernehmen, während seine Frau anfängt für das gleiche Ziel mit Immobilien zu handeln und ein Bestattungsinstitut übernimmt. Diese Provinz ist keine Idylle, sondern ein hochgradig gefährliches Areal der verschiedensten Verbrechen, mit denen Marty Byrd bald zu tun bekommt. So geraten seine Geschäfte mit denen der Snells in Konflikt, ein skrupeloses Ehepaar, das in den abgelegensten Winkel ihrer riesigen Farm Opium anbaut. Er und seine Frau müssen sich mit ihnen arrangieren, mit ihnen Geschäfte machen und in Beziehung treten, auch wenn sie wissen, dass der kleinste Fehler unweigerlich zu einer Katastrophe führen wird. Nicht weniger gefährlich sind die Langmores, eine im Trailer lebende, mutterlose Redneck-Familie, die sich mit kleinen Jobs und kleinen Verbrechen über Wasser halten, aber auch mal mehrere Millionen des Drogengelds klauen, als sich die Chance dazu bietet. Eine der faszinierendsten Figuren der Serie ist die 19 jährige Ruth Langmore, die sich liebevoll um ihren jüngeren, begabten Bruder kümmert, die zunächst Marty Byrd bestehlen und sogar ermorden will, aber dann Aufstiegsfantasien entwickelt, ihn bewundert und von ihm lernen will, seine Geschäfte führt und dadurch in Loyalitätskonflikte mit ihrer Familie gerät.
Ozark ist eine Familienserie. Ähnlich wie Breaking Bad zeigt sie nicht nur das Geschäft des Verbrechens, sondern auch die Korrumpierung und Veränderung des Familienlebens. Natürlich bedeutet der Fokus auf die Familie, dass sich das Ehepaar über das gemeinsam zu bestehende Abenteuer des Verbrechens wieder annähert, aber es bedeutet auch, dass der 13jährige Sohn eine Waffe in die Hand nimmt und Erfahrungen mit Gewalt und Tod macht oder die 15jährige Tochter, die eigentlich nur ihre Pubertät genießen und bescheuerte Dinge tun will, darunter leidet, vorsichtig und vernünftig sein zu müssen wegen der vielen Gefahren, die von FBI, Drogenkartell, den Snells und vielen mehr lauern – und die dann natürlich doch nicht vorsichtig ist. Es wird sehr genau nachgezeichnet, wie Verbrechen die Figuren führt, wie Wendy ihre für die Familie geopferte Karriere wieder aufnimmt und bald als Lobbyistin für ein großes Glücksspielprojekt, dass es Marty erlauben würde, noch mehr Geld zu waschen, sich in die Politik des Staates Missouri verstrickt und geschickt zwischen den unterschiedlichen Parteien vermittelt und Intrigen spinnt. Die Serie ist in der Darstellung der Beziehungen und der Effekte ihres Handelns psychologisch sehr akkurat, dabei ist sie von einem Thema bestimmt: dem Versuch, in dem ganzen Chaos moralisch zu handeln, oder wenigstens von sich behaupten zu wollen, doch irgendwie das Richtige zu tun. Neben diesen moralischen Fragen und der faszinierenden Beobachtung einer Familie im Ausnahmezustand, ist die Serie fast schon konventionell von einer Cliffhangerstruktur immer neu gestellter Herausforderungen ihrer Bewältigung bestimmt: Wie soll Marty es innerhalb so kurzer Zeit nur schaffen, aus diesem Schlamassel herauszukommen. Wenn zum Beispiel die 8 Millionen endlich gewaschen sind, wir uns zurücklehnen möchten und hoffen, dass es ruhiger wird, liefert (hier kommt ein kleiner Spoiler), das Kartell wegen der guten Arbeit weitere 50 Millionen, die auch innerhalb sehr kurzer Zeit gewaschen werden sollen.
Was bei dieser Serie herausgestellt werden muss, ist die unheimlich gute Besetzung fast jeder Rolle. Jason Bateman, der die Serie auch mitproduziert hat und bei einigen Folgen Regie geführt hat, verkörpert diesen emsigen und ehrlichen Arbeit im Garten des Verbrechens auf sehr überzeugende Weise, irgendwie zugleich langweilig und passiv als auch aufregend agierend und die Fäden in der Hand haltend. Laura Linney liefert mit ihrer Darstellung seiner in die Welt von Geschäft, Verbrechen und Macht abdriftenden Ehefrau eine großartige Leistung ab. Aber auch die von bisher unbekannten Darstellern verkörperten Kinder der Familie, vor allen Sofie Hublitz als Charlotte bieten sehr vielversprechende Schauspielleistungen, ebenso die faszinierende Julia Garner als Ruth Langmore, die ebenso attraktiv wie linkisch und hinterwälderisch durch die Welt stapft, nach höherem strebt, kaltblütig und liebevoll zugleich sein kann. Eigentlich denke ich selten über das Schauspiel nach, aber Ozark ist eine der wenigen Serien, die ich wirklich auch deswegen schaue, weil ich diese Gesichter, ihre Sprache und ihre Ticks wiedersehen und –hören will.
Aber das Wichtigste an Ozark findet sich vielleicht auf einer anderen Ebene. Eine Attraktion ist das simple Abarbeiten der unglaublichen Herausforderungen, die Marty gestellt werden. Es macht Spaß, dem Waschen von Geld zuzuschauen, den komplizierten Geschäftskonstruktionen und Buchführungen, die Marty durchführen muss, den hektischen Versuchen, durch Bestellungen überteuerter Einrichtungen und ähnlichem immer wieder kleinere Teile der Summe unterzubringen. Aber allein schon die Versuche, diese riesigen Mengen Geld zu sehen und sie verstecken, indem man etwa Häüser baut, deren Wände mit Geldscheinen isoliert werden, hat etwas Faszinierendes. Meist geht es bei Verbrechen in audiovisuellen Darstellungen um Mord und Gewalt, hier bietet aber eine Serie die Möglichkeit, das alltägliche Geschäft des Verbrechens zu beleuchten. Hier wird die monetäre Dimension der immensen Geldströme und das Delta der Operationen und Verheerungen, in das sie strömen, vor Augen geführt. Marty Byrd muss wie Sysiphos diesen riesigen Block von Geld einen Berg hinaufrollen, und gerade wenn er es geschafft hat, kommen neue Beträge oder Verwicklungen hinzu, und der Geldblock rollt wieder runter. Albert Camus hat in seiner existentialistischen Deutung des Mythos geschrieben, dass wir uns Sysiphos als glücklichen Menschen vorstellen müssen. Netflix und andere Plattformen nerven mich, weil auch hier Serien oft unabgeschlossen bleiben, aber natürlich wollen wir auch, dass es weitergeht, sind wir, was auch Ruchatz in dem eingangs erwähnten Text bemerkt, glückliche Zuschauer von Wiederholungen und Fortsetzungen. Marty Byrd ist, auch wenn er es nicht zugeben wird, glücklich bei seinen Operationen, seinen Berechnungen und Verschiebungen von Summen und seinen spontan, aber detailliert ausgedachten Plänen, die ihn aus den ausweglosen Situationen herausbringen sollen, die er sich als handelnde Person und Zentrum dieser Welt aber selbst eingebrockt hat.

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