TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 30. September 2019

Schreckensort Psychiatrie? American Horror Story: Asylum

von Josefine Montgelas
Zugegeben, ich bin nicht so der Serienfan. Außer Game of Thrones und Queer as folk kannte ich bisher nichts. Das hat sich jetzt geändert. In der Stadtbücherei (altmodisch, ich weiß) entdeckte ich American Horror Story und nahm zuerst die zweite Staffel mit nach Hause, Asylum. American Horror Story ist eine amerikanische Horror-Serie fürs Fernsehen, deren erste Staffel 2011 ausgestrahlt wurde. Warum ich mit der zweiten Staffel angefangen habe? Nun, zu allererst handelt es sich um eine Anthologieserie, das heißt, in jeder Staffel gibt es neue Charaktere – die Schauspieler bleiben der Serie aber zumeist treu.
Zum Anderen hat mich die Thematik angesprochen: Asylum spielt, wie der Name schon vermuten lässt, in einer Irrenanstalt, im Amerika der Sechziger Jahre. Obwohl das Haus, worin die Serie spielt, eigentlich ein Gerichtsgebäude ist, macht es sich recht überzeugend als Nervenheilanstalt Briarcliff für geisteskranke Straftäter. Natürlich ist es ein furchtbarer Ort, wo die Kranken misshandelt und vernachlässigt werden – psychiatriekritische Filme wie Einer flog übers Kuckucksnest lassen grüßen. Auch die Verbindung von Psychiatrie und Horror ist nicht neu. Schon Filme wie Shutter Island und Session 9 spielen diese Karte recht erfolgreich aus.
Es gibt viele Gründe für diese Verbindung: Wahnsinn ist furchteinflössend. Wenn der Feind im Inneren des eigenen Kopfes sitzt, kann man ihm nicht entkommen. Die eigene Wahrnehmung der Welt kann falsch sein. Was habe ich wirklich gesehen oder getan und was bilde ich mir nur ein? Wenn auf die eigenen Gedanken keine Verlass mehr ist, worauf dann überhaupt noch? Die totale Institution ist ein weiteres Moment des Schreckens: Die Insassen sind völlig entrechtet, von Menschenversuchen über drakonische Strafen bis hin zum Mord kann ihnen alles widerfahren; sie können sich nicht wehren, weil sie zum einen keinen Kontakt nach draußen haben, zum anderen sowieso jede ihrer Aussagen angezweifelt werden kann, nach dem Motto: „Sie bilden sich das alles nur ein!“ Nicht umsonst widmete der berühmte post-strukturalistische Soziologe Michel Foucault der Psychiatrie ein eigenes Buch: Wahnsinn und Gesellschaft.
Ein weiterer Grund, weshalb gerade geisteskranke Straftäter sich für Horrorfilme eignen ist, dass sich mit ihnen besonders „kranke“ Taten und Persönlichkeiten im Plot rechtfertigen lassen. All diese Möglichkeiten setzt die Serie auch in die Tat um, kein Klischee über Psychiatrien und ihre Insassen wird ausgelassen. Immerhin gibt es eine gewisse Distanz, da die Handlung (hauptsächlich) in den Sechziger Jahren spielt und an einigen Stellen indirekt Kritik übt an den damaligen – leider oft tatsächlich unmenschlichen – Bedingungen in psychiatrischen Krankenhäusern. So hatte sich 1887 die amerikanische Journalistin Nellie Bly selbst in eine solche Institution einweisen lassen, indem sie „verrückt“ spielte. Sie wollte die dortigen Zustände aufdecken. Was sie erlebte, schockierte die ganze Nation und führte teil-weise auch zu Verbesserung der bis dahin menschenunwürdigen Bedingungen. Ihrer Person ist die Serienfigur Lana Winters nachempfunden, ebenfalls Journalistin, die in Briarcliff Manor einen Artikel über den Massenmörder Kit Walker schreiben will, der erst vor kurzm dort eingetroffen ist. Die Gräueltaten des Bloody Face genannten Mannes sind ebenfalls denen eines echten Serienmörders, Ed Gein, nachempfunden, der bereits in den Fünfziger Jahren sein Unwesen getrieben hat.
Auch nicht fehlen darf natürlich die Elektrokrampftherapie, die in Briarcliff, genauso wie in Einer flog übers Kuckucksnest, weniger zur Behandlung als zur Bestrafung der Patienten ein-gesetzt wird. Dabei sollte diese Behandlungsmethode eigentlich mithilfe künstlich hervor-gerufener epileptischer Anfälle – durch Elektroschocks – zum Beispiel Schizophrenen helfen. Bis heute ist die EKT im Einsatz, allerdings wird sie heute unter Narkose angewendet und die Patienten bekommen weit niedrigere Stromstöße als zu ihrer Anfangszeit in den Dreißiger Jahren. Gerade bei schwerer Depression soll die Behandlung helfen. Nebenwirkungen sind Gedächtnisstörungen, Amnesie oder Kopfschmerzen. Ein Bekannter von mir hat seinen Tinnitus mit Elektroschocks behandeln lassen, worauf das Brummen im Ohr allerdings noch schlimmer wurde. Dass diese Therapieform dennoch bei einigen Patienten positive Ergebnisse bringt, will ich nicht leugnen. Doch seien wir ehrlich: Aus Psychiatriefilmen kennen und fürchten wir diese Behandlungsmethode eher. Die Vorstellung, völlig ausgeliefert auf einem Bett fixiert, mit schmerzhaften Stromschlägen malträtiert zu werden ohne dass die eigenen Schmerzensschreie das Personal beeindrucken, ist sehr furchteinflössend. Das kann nur reine Schikane sein!
Neben dieser Bestrafung gibt es Einzelhaft, medizinische Versuche, Ans-Bett-gefesselt-werden oder – ganz altmodisch – Schläge mit dem Rohrstock. Die werden von Schwester Jude ausgeteilt, deren Energie, Boshafigkeit aber auch Zweifel und Verletzlichkeit von Jessica Lange grandios gespielt werden. Überhaupt ist sie eindeutig der Star der Staffel. Neben ihr glänzt Joseph Fiennes als scheinheiliger Priester, Evan Peters als Kit Walker, Sarah Paulson als Lana Winters. Zwei weitere männliche Hauptfiguren sind James Cromwell als bösartiger alter Arzt Dr. Arthur Arden sowie Zachary Quinto als externer Psychiater Dr. Oliver Thredson.
Der Wahnsinn ist in der Serie nicht nur im Gemäuer verborgen, sondern kommt auch von außen; allerdings scheint er sich dann in Briarcliff zu verdichten, oder unaufhaltsam dorthin zu streben. Alles Böse in der Welt scheint sich im Irrenhaus zu versammeln. Weil der Wahnsinn alleine den Drehbuchautoren Ryan Murphy und Brad Falchuk anscheinend nicht ausreichte, um genügend horrorträchtige Situationen zu schaffen, holte man kurzerhand noch Aliens, Frankenstein und den Teufel mit an Bord. Obwohl diese zusätzlichen Dimensionen durchaus Spannung bringen, erscheinen sie an einigen Stellen als zu viel des Guten und Effekthascherei. Ich bin mir sicher, dass es das alles mit dem richtigen Plot nicht gebraucht hätte. Aber es ist eben auch die Frage, wie man Horror inszenieren möchte.
Psychoterror alleine reichte den Machern jedenfalls nicht aus, sie setzten wiederholt auch auf blutige Details und krasse Bilder. Obwohl ich nicht gerade zimperlich bin, empfand ich Manches schon als grenzwertig: Weder Vergewaltigung, Verstümmelung, Mord auf alle erdenklichen Arten oder Folter werden dem Zuschauer erspart; Insgesamt beobachte ich, wie gerade in Serien Hemmschwellen in Bezug auf Gewalt immer weiter sinken oder völlig ausgehebelt werden. Game of Thrones ist in dieser Hinsicht ähnlich. Es scheint fast, als sei eine der Methoden, die Zuschauer auf Dauer vor die Mattscheibe zu fesseln, ein stetig anwachsendes Gewalt-Crescendo. Im Gymnasium wollte ich einmal bei einem Kurzfilm mitwirken: Die Handlung stand schon grob fest, es ging um ein Kindermädchen, dass ihre Schützlinge ermordet. Ich sollte dieses Kindermädchen spielen und nun ging es um die Frage, wie viele Kinder sie denn nun ermorden sollte. Ein paar Teenager-Mädchen aus der zehnten Klasse stritten sich darum. „Drei sind läppisch“, meinte die eine, “Es müssen mehr sein“. Damit war ich draußen.
Filme, in denen Gewalt lediglich um der Gewalt willen eingesetzt wird, um die Handlung „krasser“ zu machen, lehne ich ab. Ich glaube zwar nicht, dass Kinder, die Killerspiele spielen, zu Amokläufern werden oder Horrorfilm-Fans zu Messermördern. Aber ich glaube, dass die Vorliebe für bestimmte Inhalte eine Aussage über die Gesellschaft macht und dass mir diese Gesellschaft zum Teil suspekt ist. Oder sollte ich froh sein, dass bestimmte Leute ihre Gewaltfantasien nicht in die Tat umsetzen, sondern sie lieber in einen Film oder eine Fernsehserie packen? Nochmal: Schon Platon jammerte vor über zweitausend Jahren über die Jugend und den Verfall der Gesellschaft. Dem will ich mich nicht anschließen, denn es hat sich gezeigt, dass die ältere, kritischere Generation stets so denkt. Aber ich möchte die Frage stellen, was genau die steigende Vorliebe für Horrorfilme über unsere heutige Welt aussagt.
Unwillkürlich kommen mir Begriffe wie „Dekadenz“ oder „Wohlstandsübersättigung“ in den Sinn. Aber nur zu sagen „uns geht’s zu gut“, bringt auch nichts. Wenn es uns gut geht, ist das ja im Grunde zunächst nichts Schlechtes. Es entfernt uns von Gewalt und Krieg. Wir kennen den echten Horror nur aus dem Fernsehen oder Internet – falls wir nicht einen schweren Autounfall haben, oder in einen Terroranschlag geraten. Meistens leben wir friedlich vor uns hin. Aber anstatt zu vergessen, wozu Menschen in der Lage sind, beschäftigen wir uns in unserer Freizeit mit Serienmördern, Sadisten, mit Mord und Totschlag. Wir nutzen den Frieden, in dem wir leben, um künstliche Monster zu erschaffen. Vielleicht ist es ein menschliches Grundbedürfnis, Angst zu haben, eine Bedrohung zu spüren? Es scheint uns ja etwas zu fehlen, sonst würden wir es nicht suchen.
In letzter Zeit schaue ich immer mehr Horrorfilme. Irgendwie beruhigt mich die Sicht auf Monster aus sicherer Entfernung und durch den Bildschirm hindurch. Ich fühle mich geläutert, weil es meistens gut ausgeht und auf eine magische Weise relativiert diese Praxis den Einfluss meiner kleinen alltäglichen Dämonen, die mir im Nacken sitzen. Große, gefakte Probleme lassen kleine Alltagsprobleme in den Hintergrund treten? Anscheinend. Was würde wohl Sigmund Freud dazu sagen, der heute seinen achzigsten Todestag feiert? In Briarcliff Manor kommt sein neuer Ansatz in der Behandlung von psychisch Kranken erst langsam an. Noch ist die Anstalt eher ein Aufbewahrungsort für Außenseiter, als ein Ort zur Genesung. Heute ist auch Freuds Psychoanalyse in vielen Teilen überholt. Der Umgang mit dem Wahnsinn hat sich seit den Sechziger Jahren rapide verändert. Aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung werfen ein neues Licht auf so manches Störungsbild. Längst nicht allen psychischen Erkrankungen kann man nur mit Gesprächen beikommen. Für schwere Fälle gibt es psychiatrische Krankenhäuser. Und die sind längst nicht so schrecklich wie uns Filme und Serien glauben machen. Es wäre an der Zeit, den Ort, der so vielen Leuten hilft, in einem positiveren Licht darzustellen. Wie wäre es mit einer Familienserie wie der Landarzt, die in der Psychiatrie spielt?

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