TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 23. September 2019

Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why) – Keiner ist unschuldig!

von Chiara Ecker
Stell dir vor du kommst eines Tages von der Schule nach Hause und vor deiner Tür steht eine Schuhschachtel, darin befinden sich 7 Tapes, die vorne und hinten mit Zahlen beschriftet sind von eins bis 13. Du suchst nach einem Kassettenspieler, legst das erste Tape ein und drückst auf Play. Auf der Kassette ist die Stimme deiner Mitschülerin zuhören, die vor zwei Wochen Selbstmord begangen hat und sie erzählt dir die Gründe warum sie sich dazu entschied ihr Leben zu beenden. Insgesamt gibt es dafür 13 Gründe. Jedes Tape handelt dabei von einzelnen Personen, die eine Mitschuld an den Gründen hatten, weshalb sie sich das Leben nahm. Und wenn du diese Kassetten erhalten hast, bist du einer der Gründe für ihren Tod. Wie würdest du darauf reagieren und was würdest du als nächstes tun?
Genau in dieser Situation befindet sich der 17-jährige High School Schüler Clay Jensen. Er ist eigentlich ein ziemlich ruhiger und sympathischer Typ, steht auf Comics, ist nicht der beliebteste in seiner Schule, kommt aber mit seinen Mitschülern gut aus. Nun soll er jedoch laut Aussage seiner ehemaligen Schulfreundin Hannah Baker eine Mitschuld an ihrem Tod haben und neben ihm noch elf weitere Personen aus seiner Schule. Hannah hat sich vor ihrem Suizid dazu entschieden, die Gründe, warum sie ihr Leben beenden will, und es letztendlich auch beendet hat, auf Kassetten aufzunehmen und sich darum gekümmert, dass nach ihrem Tod eine Kopie der Tapes der Reihe nach zu den Menschen geliefert werden, über die sie auf ihren Kassetten spricht. Die originalen Kassetten werden von einer vertrauenswürdigen Person aufbewahrt, damit keiner auf die Idee kommt die Tapes zu vernichten. Sobald einer die Tapes bekommt soll er sie alle durchhören und danach an die nächste Person weitergeben. Die Reihenfolge der Personen, über die Hannah auf den Kassetten spricht soll auch bei der Übergabe der Tapes berücksichtigt werden.
Als die Kassetten aber Clay Jensen als Nummer elf auf den Tapes erreichten, hörte er sie nicht wie seine Vorgänger alle auf einmal durch und gab sie an den nächsten weiter, sondern er versuchte das auf den Kassetten geschilderte zu verstehen und konfrontierte seine auf den Tapes vorkommenden Mitschüler mit ihren Taten, die Hannah in den Selbstmord trieben. Seine Mitschüler versuchen aber selbst noch das Gehörte zu verarbeiten und halten die Existenz der Tapes vor anderen geheim um nicht in Schwierigkeiten zu kommen, da auf den Kassetten auch von Straftaten, wie Vergewaltigung und Drogenmissbrauch, gesprochen wird. Doch nun drohen die dunklen Geheimnisse der Schüler ans Licht zu kommen. Und Clay zerbricht sich den Kopf darüber, als er sein eigenes Tape noch nicht gehört hat, warum er überhaupt auf den Kassetten ist und was er Hannah schlimmes angetan haben könnte, so dass sie keinen anderen Ausweg sah als sich das Leben zu nehmen. Denn Clay war eigentlich mit Hannah befreundet, sie arbeiteten nach der Schule zusammen in einem Kino und außerdem war er heimlich in Hannah verliebt.
Die Handlung der Dramaserie verläuft nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit, dabei werden die von Hannah auf den Kassetten geschilderten Geschehnisse gezeigt und Rückblicke Clays auf Momente, die er mit Hannah teilte. Mittendrin zweifelt Clay Jensen aber immer wieder an Hannahs Glaubwürdigkeit und auch seine Mitschüler versuchen ihn davon zu überzeugen, dass Hannah auf den Tapes Lügengeschichten erzählt, die Wahrheit verdrehte, eine Dramaqueen war und einfach nur Aufmerksamkeit wollte. Das Gehörte macht Clay zu schaffen und er bekommt Albträume und Wahnvorstellungen, er sieht immer wieder seine tote Freundin. Clay gibt sich selbst die Schuld an dem Tod seiner Freundin und macht sich Vorwürfe, dass er ihre Probleme, als sie noch am Leben war, nicht erkannte und ihr so auch nicht helfen konnte. Als Nebenhandlung bekommt man mit, wie Hannahs Eltern mit dem Verlust ihrer Tochter umgehen und man erfährt, dass Hannahs Eltern einen Prozess gegen ihre Schule führen. Sie haben zwar anfangs keine Ahnung, dass die Tapes existieren, sind aber fest davon überzeugt, dass die Schüler und Lehrkräfte der Liberty High etwas mit Hannahs Entscheidung Selbstmord zu begehen zu tun haben.
Ursprünglich kommt die Serie aus Amerika, sie basiert auf dem Roman von Jay Asher und wurde am 31. März 2017 erstmal auf Netflix veröffentlicht, mittlerweile gibt es drei Staffeln und der Beginn der Dreharbeiten für eine 4. Staffel, welche die letzte sein soll, wurde ebenfalls bereits bestätigt. Eine Staffel hat dabei jeweils 13 Folgen, die alle ungefähr eine Stunde dauern. Neben Suizid problematisiert die Show auch andere Thematiken wie Mobbing, sexuelle Belästigung, körperliche Gewalt, Drogen-/Alkoholmissbrauch, Stalking, Vergewaltigung und Selbstzweifel, Probleme mit denen viele Jugendliche zu kämpfen haben. Es geht aber auch viel um Vertrauen, Verstehen, Zusammenhalt, Unterstützung und um Freundschaft vor allem im Laufe der zweiten und dritten Staffel.
Die Serie stellt den, laut ihrer Aussage, normalen Alltag in vielen amerikanischen High Schools mit ihren Lehrern und Schülern dar, dabei scheinen die Sportler, also die Jungs zum Beispiel des Football- oder Basketballteams, die Kings der Schule zu sein, sie haben auch das Sagen und meinen sich alles erlauben zu können. Unter den beliebten Schülern der Schule haben vor allem die eher weniger beliebten Schüler zu leiden, da diese oft deren Streichen und Gemeinheiten zum Opfer fallen. In Hannah Bakers Fall führte dies sogar dazu, dass sie sich in einer Badewanne die Pulsadern aufschlitzte, da sie keinen anderen Ausweg mehr wusste.
Seit der Ausstrahlung der ersten Staffel rückt die Serie aber immer wieder in den Fokus der Medien und erhielt neben Lob auch sehr viel Kritik. Zudem löst die Dramaserie einige Debatten darüber aus, wie realitätsgetreu man Suizid in einer eigentlich für Jugendliche und junge Erwachsenen gedachten Serie darstellen darf. Auch ich muss zugeben, dass ich über einige Szenen wirklich schockiert war, weil diese so echt wirkten. Kritiker, wie zum Beispiel Ärzte, befürchteten außerdem, dass sich seelische Probleme bei depressiven Jugendlichen und Suizidgefährdeten durch das Anschauen der Serie noch mehr verstärken könnten. Aber im Gegensatz zu den Verfechtern der Dramaserie, bin ich ein Fan von Tote Mädchen lügen nicht und habe die Serie mittlerweile schon dreimal komplett durchgeschaut, außerdem finde ich es gut, wie die Serie gesellschaftliche Probleme aufgreift über die sich viele nicht sprechen trauen, denn leider sind Vergewaltigungen, Alkohol-/Drogenmissbrauch und Mobbing keine Einzelfälle an Schulen und generell ein Teil des Leben von vielen Menschen, egal ob jung oder alt. So finde ich es wichtig Menschen darüber aufzuklären und sie darauf aufmerksam zu machen.
Ist man aber unter 16 sollte man die Serie vielleicht nicht alleine oder nicht ohne einen Erwachsenen anschauen, da immer wieder sehr realistisch wirkende Szenen zum Beispiel auch von Vergewaltigungen und Hannahs Suizid gezeigt werden (diese Szene wurde aber zu Beginn der dritten Staffel aus der Serie gelöscht), die durchaus auf die Psyche gehen könnten.
Zum Einstieg und ebenso noch einmal am Ende einer Folge machen die Schauspieler der Dramaserie darauf aufmerksam, was die Zuschauer erwarten kann und weisen darauf hin, dass manche Szenen schockieren könnten und man sich auf ihre Website 13reasonswhy.info Hilfe suchen kann, falls man selbst mit den in der Serie aufgezeigten Themen, wie zum Beispiel Suizidgedanken oder Mobbing zu kämpfen hat oder jemanden kennt aus seinem Bekanntenkreis, der Hilfe benötigt.
Um auch die Absichten der Schöpfer von 13 Reasons Why zu verstehen, brachten sie zusätzlich eine Dokumentation zur Serie heraus mit dem Namen 13 Reasons Why: Beyond the reason (Tote Mädchen lügen nicht: die Geschichte dahinter). Nach jeder Staffel gibt es eine Dokumentarfolge, in der die Schauspieler, Produzenten, Drehbuchautoren und Mitarbeiter der Serie mit Ärzten und Psychologen zusammenkommen und Szenen aus den einzelnen Staffeln gemeinsam besprechen. Dabei werden die Intentionen hinter den einzelnen Szenen genannt und sie klären auf, was man damit bewirken wollte und warum man Szenen mit in die Serie aufnahm, die vielleicht viele Menschen als erschreckend und zu krass empfanden. Zudem erzählen die Schauspieler wie ihrer Gefühle während der Dreharbeiten waren und wie sie sich auf gewisse Szenen vorbereitet und diese verarbeitet haben. Die schauspielerische Darbietung der Darsteller von 13 Reasons Why ist aufs Höchste zu loben, man sieht wie sehr sie sich bemüht haben eins mit ihrer Rolle zu werden und kann jeden Schmerz der Charaktere spüren, sich in ihre Gefühlslage hineinversetzen und leidet mit ihnen mit.
Die Dramaserie öffnet ihren Zuschauern die Augen und zeigt, dass es besser ist, sich in gewissen Situationen dafür zu entscheiden hinzusehen statt wegzusehen. Es wird gezeigt, dass nicht in jedem nur Gutes steckt, sondern bestimmt jeder Mensch auch eine dunkle Seite hat, aber ebenso wird gezeigt, dass sich Menschen, von denen man denkt sie hätten nur Schlechtes in sich, durchaus zum Positiven verändern können. Wer also wissen will, wie die erste Staffel ausgeht und was in den Staffeln zwei bis drei passiert, ein Fan von Drama-/Krimiserien ist und neugierig geworden ist, ob Hannah Baker wirklich die Wahrheit erzählt auf ihren Tapes, was auf Clay Jensens Kassette zu hören ist und ob er wirklich eine Mitschuld an Hannahs Tod hat, der sollte sich die Serie unbedingt ansehen. Und für alle 13 Reasons Why Fans da draußen, hat das Warten auf Staffel vier vermutlich spätestens zum Jahresbeginn 2021 ein Ende.

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