TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 7. September 2017

Nicht Nachmachen (nur Zuschauen)

Von Katharina Harbach 

Mein Freund und ich haben hin und wieder Probleme, uns beim abendlichen Online-Streaming auf eine neue Serie zu einigen. Dies liegt vor allem daran, dass ich im Gegensatz zu ihm kein Fan von Sitcoms bin (weil sie mich langweilen) - und kostenlos auf Amazon Prime soll das gewünschte Format auch bitte erhältlich sein. Jedenfalls präsentierte er mir neulich voller Stolz seine neue Lieblingssendung - ausgerechnet vom oft so biederen ZDF - die ich auf den ersten Blick völlig bescheuert, aber nach den ersten Folgen doch sehr faszinierend finde.  


Man nehme eine Wasserpistole gefüllt mit Brandbeschleuniger und eine Feuerquelle: So lassen sich Kerzen bequem vom Sofa aus anzünden. Aber: Bitte nicht nachmachen!

Bernhard Hoëcker und Wigald Boning (vor allem letzterer sieht mit Pullunder und Krawatte immer wie ein spießiger Professor aus) kenne ich schon aus einigen mehr oder weniger wissenschaftlichen Formaten wie Clever! und Genial Daneben. In der heutigen Sendung haben sie eine Spraydose in der Hand und lesen den Warnhinweis vor: „ ‚Nicht offenem Feuer zuführen‘, das wäre doch Wahnsinn, wenn man so etwas macht“, meint Hoëcker, während er und Boning sich schon die Schutzbrillen anziehen. „Fertig? Und los“ Mit diesen Worten werfen sie die Dose in den brennenden Grill und suchen schreiend und kichernd das Weite. „Und ganz wichtig: Nicht nachmachen!“ betont Hoëcker nach der Explosion. „Nicht nachmachen“ ergänzt Kollege Boning, während sich die beiden Moderatoren unter kindischem Gelächter zum nächsten Experiment begeben. Nicht Nachmachen - der Titel der Sendung und alles, was man zum Verständnis des Formats, das seine Wurzeln in Norwegen hat, braucht. 

Pro 40-minütiger Folge werden um die zehn Experimente vorgestellt, bei denen vorsätzlich sämtliche Warnhinweise von Geräten oder Verbote missachtet werden. Daher wird dies auch unter der Aufsicht von mehreren Feuerwehrleuten und Sicherheitsexperten durchgeführt. Die beiden Moderatoren begleiten dies mit ironischen und lustigen Kommentaren. „Wir alle kennen es: Wenn man sich Ravioli aus der Dose machen möchte, muss man immer ewig nach dem Dosenöffner suchen – und danach das ganze Geschirr abwaschen! Warum stellt man dann nicht einfach die ganze Dose auf die voll erhitzte Herdplatte?“ Gesagt- getan: Noch weit bevor es „Bumm“ macht, laufen die Moderatoren kreischend aus dem Raum und beobachten hinter einer Plexiglasscheibe mit dem Kamerateam das Geschehen. Die Kameras, die sich noch im Raum befinden, liefern dem Zuschauer Überwachungsbilder, indem sie das Experiment von den unterschiedlichsten Perspektiven beobachten. Nach vielen Minuten (die für das Publikum natürlich viel kürzer sind) meint Boning schließlich, es passiere eh nix mehr, um dann natürlich vom lauten Knall eines Besseren belehrt zu werden. Die Dose und das ganze Essen fliegen durch den Raum. Die beiden Moderatoren betreten den Tatort wieder und Hoëcker fährt mit dem Finger über die Wand und probiert das, was von den Ravioli noch übrig geblieben ist. „Schmeckt gut- ich wüsste nicht, warum man das jetzt nicht nachmachen sollte“, so sein Kommentar. Recht hat er: Man muss sich nicht mehr mit Dosenöffnern rumärgern und hat auch das lästige Geschirrwaschen nicht mehr. Nur das mit der verwüsteten und stinkenden Küche ist ein wenig ärgerlich. 

Das satirische Wissensmagazin spielt in Gebäuden, die eigentlich zum Abriss freigegeben sind und extra von der Produktionsfirma angemietet wurden. Zwischen jedem Experiment werden in kleinen Video-Sequenzen explodierende oder splitternde Gegenstände in Zeitlupe gezeigt: Ein rohes Ei, das von einer Mausefalle zerschlagen wird oder eine Bierdose, die von einer Axt halbiert wird. Zerstörung ist auch bei fast allen der längeren Experimente das Ergebnis, wobei das Zerbersten stets mindestens zweimal gezeigt wird: Einmal kurz, in Echtzeit und dann noch einmal in Zeitlupe, damit man jeden einzelnen, fliegenden Splitter sieht. Untermalt wird das Ganze mit entweder bewusst ironisch eingesetzter klassischer oder draufgängerisch rockiger Musik, wie „Live and Let Die“ von Guns N’ Roses, was während dem Intro läuft

Es liegt auf der Hand, warum „Nicht Nachmachen“ gerade bei den jüngeren Zuschauern so beliebt ist: Wer von uns hat sich nicht schon mal gewünscht, völlig ungeniert irgendetwas zu zerstören und zu sehen, was passiert, wenn man einen Fernseher mit der Axt zertrümmert oder ein ganzes Badezimmer flutet? 

Selbstverständlich ist das alles auch trotz Sicherheitsmaßnahmen nicht ganz ungefährlich: So holte sich Wigald Boning bereits beim Dreh der ersten Folge durch das Zusammenwirken mehrerer Experimente eine leichte Rauchvergiftung und Hoëcker riss sich die Achillessehne, als er vor einer Stichflamme fliehen wollte. Ob das der Grund ist, weshalb es nach nur 8 Folgen keine weiteren Fortsetzungen von Nicht Nachmachen mehr gibt? Offiziell heißt es, dass das Konzept nun auserzählt sei. Ein weiterer Kritikpunkt, den man der Serie ankreiden kann, ist die Verschwendung von Lebensmitteln, wenn circa 50 Becher Sahne in einen riesigen Eimer gefüllt werden, um mittels eines Außenbordmotors Schlagsahne daraus zu machen, dabei jedoch mehr als die Hälfte auf den Boden verschüttelt wird. Die Hauptkritik, dass das Format wie Jackass zum Nachmachen anrege, weisen die Verantwortlichen hingegen von sich. „Bernhard und ich wollen zeigen, was passiert, damit andere Leute es eben nicht nachmachen. Also das Ganze hat sozusagen eine wichtige Ventilfunktion für die Gesellschaft“, äußerte sich Wigald Boning gegenüber dem Schwäbischen Tagblatt. 

Er und Hoëcker verabschieden sich mit den Worten „Ich glaube, für heute haben wir unseren öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag erfüllt“ vom Zuschauer der ersten Folge. Dem kann ich nur bedingt zustimmen, schließlich hätte ich auch zuvor keine Weinflasche in die Mikrowelle gestellt oder Raviolidosen auf einen offenen Herd. Doch trotzdem finde ich, dass die Serie neben dem offensichtlichen und selbstverständlich vordergründigen Unterhaltungseffekt noch mehr zu bieten hat, seien es die ästhetischen Slow-Motion Clips und natürlich die doch oft genug verblüffenden und überraschenden Experimente. Auch die beiden Moderatoren, die rumkichern wie zwei Jungs, die etwas Verbotenes tun (was im Endeffekt auch stimmt) haben dafür gesorgt, dass ich mich wohl zu noch einigen Folgen überreden lassen kann. 

Auch wenn ich danach manchmal Angst habe, meine Mitseher könnten doch auf die Idee kommen, etwas aus Nicht Nachmachen nachzumachen.

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