TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 7. September 2017

How to Get Away with Murder

von Luisa Albrecht 

Einen leichten Einstieg in die Story gewährt uns die Serie How to get away with murder nicht. Gleich die erste Sequenz zeigt vier panische Jugendliche im nächtlichen Wald hinter dem Unicampus, wie sie eine Leiche eingewickelt in einen großen Teppich tragen. Dazu parallel findet die größte Uni-Party des Jahres statt, das Bonfire. Der gewitzte Zuschauer kann sich schon denken, was später mit der Leiche im Teppich passiert…

Die Geschichte handelt von fünf Jurastudenten im ersten Semester, die gemeinsam mit ihrer Dozentin und Strafverteidigerin Annalise Keating, sowie ihren zwei Mitarbeitern Bonnie Winterbottom und Frank Delfino versuchen, ihre Klienten im Gerichtssaal zu verteidigen und nebenbei noch einen von ihnen begangenen Mord zu vertuschen. Ausgestrahlt wurde die US-amerikanische Krimiserie How to get away with murder in Deutschland im April 2015. Produziert wurde die Serie von Shonda Rhimes im Jahr 2014 für den amerikanischen Fernsehsender ABC. Im Moment sind zwei der mittlerweile vier Staffeln auf Netflix verfügbar.

Die Person, um die sich die ganze Serie bildet, ist Annalise Keating. Sie ist sowohl Middleton Law Professor als auch als erfolgreiche und bissige Strafverteidigerin bekannt. An der Universität lehrt sie den Erstsemestern den Kurs "Einführung in das Strafrecht" oder wie sie ihn (passend zu Geschehnissen der Serie) nennt "How to get away with murder". Mit Annalise Keating präsentiert uns die Serie eine perfekte Antiheldin, jede Folge muss der Zuschauer für sich selbst neu definieren ob er sie lieben oder hassen soll. Manipulativ gibt sie alles, um zu gewinnen und geht hierfür sogar über Leichen. Fünf ihrer Studenten haben zudem die Möglichkeit, das theoretisch gelernte auch praktisch anzuwenden. Gleich zu Beginn des Semesters wählt Professor Keating die fünf besten Studenten aus, die das Privileg haben, sie bei der Verteidigung ihrer Klienten zu unterstützen. Alle Fünf sind hochambitioniert und engagiert, für ihre Professorin und deren Verteidigungsfälle alles zu tun und die ambivalente Frau zu beeindrucken, um die sogenannte Trophäe zu gewinnen, eine eiserne Figur der Justitia. Dem Inhaber dieser Trophäe ist es möglich, das Semester auch ohne Teilnahme an der Abschlussprüfung zu bestehen. 

Zwischen den Studenten entsteht geradezu ein Wettstreit, um Keating die besten und exklusivsten Informationen für einen Fall zu beschaffen. Connor Walsh, einer der fünf Studenten, zeigt sich hierbei schon in der ersten Folge als sehr engagiert. Kurzerhand schläft er mit einem Informanten, um der Verteidigung eines von Keatings Klienten zu helfen. Connor tritt immer selbstbewusst auf und stellt seine Homosexualität und sein gutes Aussehen in den Vordergrund. Trotzdem lässt sich schon in den ersten Folgen der Serie erkennen, dass er seine Unsicherheiten hinter seinem selbstbewussten Auftreten versteckt, wie es geradezu alle anderen Charaktere der Serie auch tun. 

Neben ihm befinden sich unter den von Keating Auserwählten noch zwei weitere Männer. Zum einen der dunkelhäutige Wes Gibbins, der von Beginn an eher als Außenseiter auftritt und nicht ernst genommen wird, da er unvorbereitet in der ersten Vorlesung erscheint und nur durch ein Nachrückverfahren zum Studiengang zugelassen wurde. Außerdem wirkt er mit seiner Aufrichtigkeit in der korrupten Welt von Annalise Keating völlig fehl am Platz. Er selbst findet gleich zu Beginn der Staffel heraus, dass seine Professorin eine Affäre mit einem Polizisten hat. Er ist der Meinung, nur deswegen von Professor Keating ausgewählt worden zu sein, um diese nicht zu verraten. Mit Voranschreiten der Serie wird dem Zuschauer jedoch immer bewusster, dass Keating sowohl den Scharfsinn des jungen Mann bewundert, als auch gleichzeitig starke Mutterinstinkte für ihn entwickelt. Zum anderen Asher Millstone, der als Juravorzeigestudent definiert wird, er stammt aus privilegiertem Elternhaus, denn auch sein Vater ist bereits erfolgreicher Richter. Dies lässt Asher oft genug seine Mitstudenten wissen, er wirkt überheblich und besserwisserisch. Trotzdem zeigt er im Verlauf der Serie oft Mitgefühl mit seinen Mitmenschen. Neben den jungen Männern hat Professor Keating sich auch für zwei junge Frauen entschieden. Die verlobte, ehrgeizige und gutaussehende Studentin Michaela Pratt und die zurückhaltende und idealistische Laurel Castillo. Während Michaela gleich zu Beginn in Keatings Fußstapfen treten will und versucht, geradezu überengagiert bis verzweifelt die Gunst der Professorin zu gewinnen, ist Laurel eher skeptisch. Durch ihr Studium möchte sie Bedürftigen helfen, diese Vorstellung wird aber schon nach einigen Folgen der ersten Staffel desillusioniert.

Die Charaktere der Serie sind gut greifbar und genau ausgearbeitet, sie zeigen dem Zuschauer immer wieder neue Facetten von sich selbst und werden nicht langweilig und einseitig. Sie überraschen immer wieder damit, dass geschlechtliche, soziale und ethnische Klischees aufgebrochen werden. Dadurch erfährt die Serie eine fesselnde Wirkung. Auch der Aufbau der Serie hat diesen Effekt. Immer zum Ende einer Folge wird dem Zuschauer ein Ausblick auf erschreckende Ereignisse der nächsten Folge präsentiert. Außerdem wechselt der Zuschauer immer in Zeitsprüngen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. In langen Rückblicken wird die Geschichte bis zur ausschlaggebenden Mordnacht gezeigt, dabei werden immer wieder kleine Sequenzen dieser Nacht blitzartig eingefügt. Der Zuschauer selbst muss dabei extrem schnell umdenken, in welchem Zeitraum er sich gerade befindet, wobei es oft zu Verwirrungen kommen kann. Dazu spielen die Produzenten der Serie sehr stark mit dem Stilmittel der Wiederholung. Immer wieder werden Schlüsselszenen der Mordnacht eingeblendet oder als Gedankenfetzen der Protagonisten eingefügt. Durch diese Darstellung von Zeit kann der Zuschauer schnell überfordert werden. Trotzdem steigert dies extrem die Spannung der Serie, da so immer wieder erst im späteren Verlauf der Serie passierende Vorfälle verfrüht gezeigt werden.

Sex wird in der Serie großgeschrieben und spielt eine sehr wichtige Rolle. Leidenschaft, sexueller Missbrauch und Affären zeigen sich in allen Folgen. Dabei wird sowohl Sex zwischen Schwulen, als auch die interethnische Ehe von Professor Keating und ihrem Ehemann Sam Keating ohne Rückhalt behandelt, was ein wichtiger Schritt in der heutigen Zeit ist. Auch der Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen wird mehrfach thematisiert.

Für viele Zuschauer kann die Serie allerdings trotzdem eine Erschütterung ihrer Ponyhof-Welt bedeuten. Im Vordergrund steht für Annalise Keating nicht die Weltverbesserung durch ihre juristischen Tätigkeiten, sondern einzig und alleine das Gewinnen. Hierfür setzen sie und ihre Mitarbeiter fragwürdige, illegale, aber vor allem unorthodoxe Methoden ein, um ihre Fälle zu gewinnen und ihre Straftaten zu vertuschen. Keating verteidigt im Gegensatz zu vielen anderen TV-Anwälten nicht die fälschlicherweise Angeklagten. Sondern Menschen mit Persönlichkeiten irgendwo zwischen unsympathisch und psychopathisch. Je schuldiger der Mandant erscheint, desto größer die Herausforderung für Keating. Um ihrem Ruf als starke Frau nicht zu schaden, baut sie sich eine Fassade auf, die ihre Zerbrechlichkeit versteckt. Aber wenn Annalise ihre Perücke ablegt, sich das Make-up von Augen und Lippen wischt und die falschen Wimpern abzieht, blickt man einer fast Fünfzigjährigen ins ungeschminkte Gesicht, in dem sich diese Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit wiederspiegelt. Rhimes setzt bei der Gestaltung der Hauptfigur der Serie nicht die allgemein geltenden Schönheitsideale in den Vordergrund. Eine ältere, schwarze und nicht klassisch schöne Frau als Protagonistin gibt der Serie etwas Einzigartiges und trägt zur Überwindung veralteter Schönheitsideale bei.

How to get away with murder ist meiner Meinung nach eine Krimiserie mit großem Potential, schon alleine aus dem Grund, dass sie Konventionen und Normen der Gesellschaft unter den Teppich kehrt und eine komplett neue Welt der Annalise Keating aufbaut, der sich jeder andere Charakter unterzuordnen hat. Eine weitere Besonderheit der Serie ist die Handlung in verschiedenen Zeitebenen, die dem Zuschauer keine ruhige Minute in der Keating-Welt gewährt. Alles in allem hat mich die Serie von Anfang an sehr überzeugt. Für Serienjunkies mit schwachen Nerven oder dem heilen Weltbild vom guten Menschen ist die Serie wahrscheinlich eher desillusionierend anzuschauen.

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