TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 4. September 2017

Schuld und Böhmer-Mann



von Stefan Wallner
 
Ein Tisch, sechs Stühle, Aschenbecher, Whiskeygläser. Mikrofone dicht vor den Stühlen platziert. Eine tief hängende, übergroße Lampe taucht den Tisch in fast klinisch helles, weißes Licht. Bereits die Kulisse schreit nach Showdown. Zeit für eine Männerrunde. Im Zuschauer steigt Vorfreude auf. Jetzt wird Klartext gesprochen.
Die zwei Titelhelden treten auf. Böhmer-Man und sein Sidekick Olli Schulz ermutigen sich vor Betreten des Schlachtfelds noch einmal gegenseitig mit einer Hommage an das Kult-Format Wetten, dass...?: „Hallo, mein Name ist Olli Schulz und ich wette, dass ich mit einem Gabelstapler Jan Böhmermann den Slip ausziehen kann.“ „Mein Name ist Jan Böhmermann und ich wette, dass Olli Schulz in dieser Sendung eine Zigarette raucht, obwohl er das nicht möchte.“ Damit sind die Reviere abgesteckt und es kann losgehen.

Die Gäste


Nachdem sich der Vorhang zur Manege geöffnet hat, werden die Erwartungen des Zuschauers enttäuscht. Die Luft ist weder von Rauch geschwängert, noch mit Testosteron aufgeladen. Stattdessen sitzt am Tisch nur ein Mann. Johannes Kneifel, der Ex-Neonazi und jetzt Pastor, macht keinen besonders angriffslustigen Eindruck, sondern scheint von christlicher Nächstenliebe weichgespült worden zu sein. Umgeben ist er von drei Frauen. Claudia Roth, die talkshowerfahrene Grünen-Politikerin, Margarete Stokowski, Autorin von „Untenrum frei“ und Kolumnistin für prestigeträchtige, überregionale Zeitungen, sowie Jenny Elvers, Bezwingerin von Dschungelcamp, Alkoholsucht und Klatschpresse.

Die achte Folge der Talkshow Schulz und Böhmermann, die seit 2016 auf ZDF-neo ausgestrahlt wird, verheißt nichts Gutes für den Zuschauer, der hitzige Diskussionen, gewagte Thesen und nichts geringeres als die Erklärung der Welt erwartet. Das können diese harmoniebedürftigen Frauen doch gar nicht leisten, denkt er sich. Stattdessen erwartet er Allianzenbildung entlang der Geschlechtergrenzen und Selbststilisierung der weiblichen Front zu Opfern des männlichen Patriarchats. Und er sieht sich im Laufe der Sendung in seinem Urteil bestätigt.

Das Thema


 Der Konsens der Runde ist schnell klar: Die Männer tragen die Schuld. Egal ob Fußfetischisten, die zu Großaufnahmen von Jenny Elvers masturbieren, zahlreiche ihrer Ex-Männer, derer sie sich nur unter Anrufung der Justitia erwehren kann, unausgelastete Internet-Kommentatoren, die Margarete Stokowski verbal attackieren, und besonders Übereifrige, die in Briefen ihr und ihren Angehörigen Gewalt androhen. Natürlich nicht fehlen darf auch die international-politische Perspektive mit den scheinbar übermächtigen und explizit chauvinistischen Staatspräsidenten Trump und Erdogan. Auch die beiden Moderatoren Schulz und Böhmermann werden vom weiblichen Geschlecht zu Schuldigen erkoren, wenn sie sich von Moralapostelin Stokowski bei Chatgesprächen via Smartphone ertappt und verurteilt fühlen. Zentrales Ziel der weiblichen Schuldzuweisung ist allerdings der geläuterte Paulus Kneifel, in dem die Damen der Runde aufgrund seiner fehlenden Bereitschaft zur Reue noch Spuren des rechtsextremen und rassistischen Saulus vermuten.
Der männliche Zuschauer fühlt sich umso stärker provoziert, je länger es das einzige Motiv der Show ist, dem vermeintlich unterdrückten weiblichen Geschlecht eine Bühne für Selbstmitleid und offene oder unterschwellige Schuldzuweisungen zu bieten. Da hilft es auch nicht, dass es nur selten zu erregten Gemütern und nie zu verbalen Schlägen unter die Gürtellinie kommt, die den Zuschauer eventuell für den einseitigen Verlauf der Sendung entschädigen könnten. Das Fass zum Überlaufen bringen jedoch die von Sibylle Berg zu den jeweiligen Gästen verfassten und vorgetragenen Kurzbiographien, die (möglicherweise aufgrund einer gewissen Voreingenommenheit der Autorin) für die weiblichen Teilnehmerinnen der Runde uneingeschränkt positiv ausfallen, während der einzige Mann mit spöttischem Hohn und subtiler Verachtung für seine Vergangenheit und seine neugewonnene religiöse Überzeugung leben muss.
Hass ist nicht umsonst das veranschlagte Motto der Talkshow. Er wird nicht nur thematisch aufgegriffen, wenn in der Runde über Hassbriefe an Stokowski und Roth oder Gewalt durch Anhänger rechtsextremer Bewegungen diskutiert wird. Vielmehr funktioniert die Sendung wie ein soziales Experiment, dessen grundlegendes Prinzip bereits in den einleitenden Sätzen von Sibylle Berg preisgegeben wird: „Hass ist einfach. Er beginnt mit dem inneren Satz: ‚Ich bin ein Opfer.‘ Nach dieser Erkenntnis wird ein Tunnelblick eingestellt der Alle oder Einzelne oder Gruppen zu Tätern erklärt.“

Der Zuschauer


Um diesen Prozess der Hassentwicklung im männlichen Zuschauer anzustoßen, wird er so lange provoziert, bis seine Schmerzgrenze erreicht ist, er sich als Opfer fühlt und beginnt Hass (oder zumindest den ihm zugrundeliegenden Affekt der Wut) auf die Sendung bzw. ihre Teilnehmer und vor allem Teilnehmerinnen zu entwickeln. Dazu werden nicht nur Geschlechtergegensätze benutzt. Provokation des Zuschauers ist auch das Ziel, wenn Schulz und Böhmermann per Smartphone Textnachrichten austauschen, die groß im Bild eingeblendet und von einem penetranten Klingeln begleitet werden, während Sibylle Berg aus dem Off ihre Texte vorträgt.
Die zentrale Provokation ist allerdings die radikale Umkehrung der Sehgewohnheiten des Zuschauers in Bezug auf Talkshows. Statt wie gewohnt die Männer in der Überzahl zu sehen, die zudem mit einem Großteil der Redezeit ausgestattet werden oder diese Unausgewogeneit mit überlangen Ausführungen, Unterbrechungen oder einer Erhöhung der Stimmlautstärke selbst herbeiführen, setzt Schulz und Böhmermann einen Kontrapunkt durch die ausgeglichene Besetzung (bei der reinen Betrachtung der Gäste sind die Frauen sogar in der deutlichen Überzahl). Dadurch wird auch die weibliche Perspektive weiter ins Zentrum gerückt, statt dem üblichen mansplaining freie Bahn zu gewähren. Dieser Kontrast wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass durch die Gästeauswahl der einzige Mann in der eindeutigen Schuldrolle und die Frauen in der Rolle der Ankläger festsitzen.

Das Fazit


Durch die Provokation des Zuschauers wird dafür gesorgt, dass er sich mit den Themen der Sendung nicht nur oberflächlich auseinandersetzt und sich im Glauben der moralischen Überlegenheit von jeder eigenen Betroffenheit freisprechen kann, sondern dass er aktiv in die Diskussion einbezogen wird und sich seiner eigenen Fehlbarkeit bzw. Voreingenommenheit stellen muss. Dass Schulz und Böhmermann hierzu so stark die Geschlechterthematik heranzieht, hat auch Nachteile, da von der Provokation nur der männliche Zuschauer betroffen ist. Das lässt sich zwar durchaus damit rechtfertigen, dass sich in der Geschichte der Talkshowformate eher eine Tendenz zur Benachteiligung des weiblichen Geschlechts erkennen lässt, vielleicht sollten sich aber auch die Zuschauerinnen nach der Sendung hinterfragen, inwiefern sich bei ihnen ein Gefühl der Bestätigung, des Triumphs oder vielleicht sogar der Überlegenheit eingestellt hat und ob dieses Gefühl möglicherweise nicht genauso Ausdruck eines gefärbten Geschlechterbilds ist.
Zudem muss kritisiert werden, dass die Show es beim Prinzip der Provokation belässt. Tief schürfende Erkenntnisse, die über das Mobilisierungspotential des Geschlechter-kampfes hinausgehen, sind aus der Show nicht zu ziehen. Zumal sie was die Gästeauswahl anbelangt außerhalb der Geschlechterverteilung mit jeweils einem Gast (oder einer Gästin) aus Politik, Religion, Presse und öffentlichem Leben die stereotypen Anforderungen an eine Talkshow erfüllt. Ein Umbruch im Umgang mit Geschlechterrollen ist über die gesamte Staffel der Show ebenfalls nicht zu erkennen, da männliche Gäste weiterhin deutlich in der Überzahl und Moderatoren, sowie Produzenten nur mit Männern besetzt sind. Sibylle Berg ist und bleibt da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die Quintessenz der Show ist dementsprechend ein Attribut, das in der öffentlichen Wahrnehmung doch eher dem männlichen Geschlecht zugeschrieben wird: große Klappe, leider wenig dahinter.

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