von Stefan Wallner
Ein Tisch, sechs Stühle, Aschenbecher,
Whiskeygläser. Mikrofone dicht vor den Stühlen platziert. Eine tief hängende,
übergroße Lampe taucht den Tisch in fast klinisch helles, weißes Licht. Bereits
die Kulisse schreit nach Showdown. Zeit für eine Männerrunde. Im Zuschauer
steigt Vorfreude auf. Jetzt wird Klartext gesprochen.
Die zwei Titelhelden treten auf. Böhmer-Man und
sein Sidekick Olli Schulz ermutigen sich vor Betreten des Schlachtfelds noch
einmal gegenseitig mit einer Hommage an das Kult-Format Wetten, dass...?:
„Hallo, mein Name ist Olli Schulz und ich wette, dass ich mit einem
Gabelstapler Jan Böhmermann den Slip ausziehen kann.“ „Mein Name ist Jan
Böhmermann und ich wette, dass Olli Schulz in dieser Sendung eine Zigarette
raucht, obwohl er das nicht möchte.“ Damit sind die Reviere abgesteckt und es
kann losgehen.
Die Gäste
Nachdem sich der Vorhang zur Manege geöffnet
hat, werden die Erwartungen des Zuschauers enttäuscht. Die Luft ist weder von
Rauch geschwängert, noch mit Testosteron aufgeladen. Stattdessen sitzt am Tisch
nur ein Mann. Johannes Kneifel, der Ex-Neonazi und jetzt Pastor, macht keinen
besonders angriffslustigen Eindruck, sondern scheint von christlicher
Nächstenliebe weichgespült worden zu sein. Umgeben ist er von drei Frauen.
Claudia Roth, die talkshowerfahrene Grünen-Politikerin, Margarete Stokowski,
Autorin von „Untenrum frei“ und Kolumnistin für prestigeträchtige, überregionale
Zeitungen, sowie Jenny Elvers, Bezwingerin von Dschungelcamp, Alkoholsucht und
Klatschpresse.
Die achte Folge der Talkshow Schulz und
Böhmermann, die seit 2016 auf ZDF-neo ausgestrahlt wird, verheißt nichts
Gutes für den Zuschauer, der hitzige Diskussionen, gewagte Thesen und nichts
geringeres als die Erklärung der Welt erwartet. Das können diese
harmoniebedürftigen Frauen doch gar nicht leisten, denkt er sich. Stattdessen
erwartet er Allianzenbildung entlang der Geschlechtergrenzen und Selbststilisierung
der weiblichen Front zu Opfern des männlichen Patriarchats. Und er sieht sich
im Laufe der Sendung in seinem Urteil bestätigt.
Das Thema
Der
Konsens der Runde ist schnell klar: Die Männer tragen die Schuld. Egal ob
Fußfetischisten, die zu Großaufnahmen von Jenny Elvers masturbieren, zahlreiche
ihrer Ex-Männer, derer sie sich nur unter Anrufung der Justitia erwehren kann,
unausgelastete Internet-Kommentatoren, die Margarete Stokowski verbal
attackieren, und besonders Übereifrige, die in Briefen ihr und ihren
Angehörigen Gewalt androhen. Natürlich nicht fehlen darf auch die
international-politische Perspektive mit den scheinbar übermächtigen und
explizit chauvinistischen Staatspräsidenten Trump und Erdogan. Auch die beiden
Moderatoren Schulz und Böhmermann werden vom weiblichen Geschlecht zu
Schuldigen erkoren, wenn sie sich von Moralapostelin Stokowski bei
Chatgesprächen via Smartphone ertappt und verurteilt fühlen. Zentrales Ziel der
weiblichen Schuldzuweisung ist allerdings der geläuterte Paulus Kneifel, in dem
die Damen der Runde aufgrund seiner fehlenden Bereitschaft zur Reue noch Spuren
des rechtsextremen und rassistischen Saulus vermuten.
Der männliche Zuschauer fühlt sich umso stärker
provoziert, je länger es das einzige Motiv der Show ist, dem vermeintlich
unterdrückten weiblichen Geschlecht eine Bühne für Selbstmitleid und offene
oder unterschwellige Schuldzuweisungen zu bieten. Da hilft es auch nicht, dass
es nur selten zu erregten Gemütern und nie zu verbalen Schlägen unter die
Gürtellinie kommt, die den Zuschauer eventuell für den einseitigen Verlauf der
Sendung entschädigen könnten. Das Fass zum Überlaufen bringen jedoch die von
Sibylle Berg zu den jeweiligen Gästen verfassten und vorgetragenen
Kurzbiographien, die (möglicherweise aufgrund einer gewissen Voreingenommenheit
der Autorin) für die weiblichen Teilnehmerinnen der Runde uneingeschränkt
positiv ausfallen, während der einzige Mann mit spöttischem Hohn und subtiler
Verachtung für seine Vergangenheit und seine neugewonnene religiöse Überzeugung
leben muss.
Hass ist nicht umsonst das veranschlagte Motto
der Talkshow. Er wird nicht nur thematisch aufgegriffen, wenn in der Runde über
Hassbriefe an Stokowski und Roth oder Gewalt durch Anhänger rechtsextremer
Bewegungen diskutiert wird. Vielmehr funktioniert die Sendung wie ein soziales
Experiment, dessen grundlegendes Prinzip bereits in den einleitenden Sätzen von
Sibylle Berg preisgegeben wird: „Hass ist einfach. Er beginnt mit dem inneren
Satz: ‚Ich bin ein Opfer.‘ Nach dieser Erkenntnis wird ein Tunnelblick
eingestellt der Alle oder Einzelne oder Gruppen zu Tätern erklärt.“
Der Zuschauer
Um diesen Prozess der Hassentwicklung im
männlichen Zuschauer anzustoßen, wird er so lange provoziert, bis seine
Schmerzgrenze erreicht ist, er sich als Opfer fühlt und beginnt Hass (oder
zumindest den ihm zugrundeliegenden Affekt der Wut) auf die Sendung bzw. ihre
Teilnehmer und vor allem Teilnehmerinnen zu entwickeln. Dazu werden nicht nur
Geschlechtergegensätze benutzt. Provokation des Zuschauers ist auch das Ziel,
wenn Schulz und Böhmermann per Smartphone Textnachrichten austauschen, die groß
im Bild eingeblendet und von einem penetranten Klingeln begleitet werden,
während Sibylle Berg aus dem Off ihre Texte vorträgt.
Die zentrale Provokation ist allerdings die
radikale Umkehrung der Sehgewohnheiten des Zuschauers in Bezug auf Talkshows.
Statt wie gewohnt die Männer in der Überzahl zu sehen, die zudem mit einem
Großteil der Redezeit ausgestattet werden oder diese Unausgewogeneit mit
überlangen Ausführungen, Unterbrechungen oder einer Erhöhung der
Stimmlautstärke selbst herbeiführen, setzt Schulz und Böhmermann einen
Kontrapunkt durch die ausgeglichene Besetzung (bei der reinen Betrachtung der
Gäste sind die Frauen sogar in der deutlichen Überzahl). Dadurch wird auch die
weibliche Perspektive weiter ins Zentrum gerückt, statt dem üblichen
mansplaining freie Bahn zu gewähren. Dieser Kontrast wird zusätzlich dadurch
verstärkt, dass durch die Gästeauswahl der einzige Mann in der eindeutigen
Schuldrolle und die Frauen in der Rolle der Ankläger festsitzen.
Das Fazit
Durch die Provokation des Zuschauers wird dafür
gesorgt, dass er sich mit den Themen der Sendung nicht nur oberflächlich
auseinandersetzt und sich im Glauben der moralischen Überlegenheit von jeder
eigenen Betroffenheit freisprechen kann, sondern dass er aktiv in die
Diskussion einbezogen wird und sich seiner eigenen Fehlbarkeit bzw.
Voreingenommenheit stellen muss. Dass Schulz und Böhmermann hierzu so stark die
Geschlechterthematik heranzieht, hat auch Nachteile, da von der Provokation nur
der männliche Zuschauer betroffen ist. Das lässt sich zwar durchaus damit
rechtfertigen, dass sich in der Geschichte der Talkshowformate eher eine
Tendenz zur Benachteiligung des weiblichen Geschlechts erkennen lässt,
vielleicht sollten sich aber auch die Zuschauerinnen nach der Sendung
hinterfragen, inwiefern sich bei ihnen ein Gefühl der Bestätigung, des Triumphs
oder vielleicht sogar der Überlegenheit eingestellt hat und ob dieses Gefühl
möglicherweise nicht genauso Ausdruck eines gefärbten Geschlechterbilds ist.
Zudem muss kritisiert werden, dass die Show es
beim Prinzip der Provokation belässt. Tief schürfende Erkenntnisse, die über
das Mobilisierungspotential des Geschlechter-kampfes hinausgehen, sind aus der
Show nicht zu ziehen. Zumal sie was die Gästeauswahl anbelangt außerhalb der
Geschlechterverteilung mit jeweils einem Gast (oder einer Gästin) aus Politik,
Religion, Presse und öffentlichem Leben die stereotypen Anforderungen an eine
Talkshow erfüllt. Ein Umbruch im Umgang mit Geschlechterrollen ist über die
gesamte Staffel der Show ebenfalls nicht zu erkennen, da männliche Gäste
weiterhin deutlich in der Überzahl und Moderatoren, sowie Produzenten nur mit
Männern besetzt sind. Sibylle Berg ist und bleibt da nur ein Tropfen auf den
heißen Stein.
Die Quintessenz der Show ist dementsprechend ein
Attribut, das in der öffentlichen Wahrnehmung doch eher dem männlichen
Geschlecht zugeschrieben wird: große Klappe, leider wenig dahinter.
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