TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 6. September 2017

Mein Kind, dein Kind – Wie erziehst du denn?

von Lea Schinzel 

Wie erziehe ich am besten mein Kind? Welche Freiheiten, aber auch welche Regeln sollten gegeben sein? Diese Fragen stellen sich wahrscheinlich die meisten Eltern. Die Doku-Soap Mein Kind- Dein Kind von dem TV- Sender Vox greift genau diese Thematik seit 2015 in über 160 Folgen in fünf Staffeln auf. Zwei Elternteile mit jeweils konträren Erziehungsstilen besuchen sich jeweils einen Tag und bewerten einander, während ein vom Sender sogenannter Querschnitt der Bevölkerung (also verschiedene Familienformen wie Pärchen, Großeltern und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften) das ganze Geschehen vom Sofa aus kommentiert.


Das Konzept ist relativ einfach zu erklären, ein sehr autoritärer Erziehungsstil wird einem völlig freien, sogenannten laissez faire – zu deutsch, wie einer der Zuschauer seiner Frau übersetzt – „Lass-dat-Kind-doch-ma-machen“-Erziehungsstil gegenüber gestellt. Dabei ist dann natürlich vorprogrammiert, dass die Fetzten fliegen und der andere Erziehungsstil durchgehend kritisiert wird, sowohl von den Elternteilen selbst als auch von den Möchtegern Erziehungsprofis vor dem Fernseher. Bei der Folge vom 08.06.2017 wird als Erstes Mama und Hausfrau Agnieszka aus Polen und ihr Sohn Richard (drei Jahre alt) gezeigt. Agnieszka erlaubt ihrem Sohn alles und würdigt jede Tätigkeit, sei es das Werfen eines Lappens auf die Wohnzimmerdeckenlampe oder eine Ganzkörper-Bemalung mit einem Filzstift, immer mit den Worten „Super hast du das gemacht, Richard!“ Sie hat ihren Job aufgegeben und kümmert sich immer um ihren Sohn, der sich den ganzen Tag mit seinem eigenen Tablet, dem ganztags laufenden Fernseher oder den allzeit zugänglichen Süßigkeiten, denn schließlich soll er schon in jungen Jahren lernen sich Süßigkeiten selbst einzuteilen, beschäftigen darf. Auf die Frage, warum Richard nicht in einer Kita untergebracht sei, folgt die Aussage Agnieszkas, Richard hätte schon versucht in zwei Kitas Anschluss zu finden, sei aber von ihr und ihrem Mann nach drei Tagen wieder rausgenommen worden, da es ihm dort nicht gefallen hatte und dies sich auch in seinem Ess- und Schlafverhalten negativ abgezeichnet hätte. Nun wird ins Spielzimmer gegangen, wo Richard erst wild durch das Zimmer rennt und seiner Mutter dann einen Legostein ins Gesicht wirft. Von Agnieszka wird das nur mit einem „Richard, das tat weh, das ist blöd“ kommentiert, woraufhin dieser den Vorgang sofort wiederholt. Während Agnieszka das nun ignoriert, melden sich die fassungslosen Zuschauer zu Wort. Kommentare wie „Dat Kind is ja völlich verzogen“ oder „Das kleine Kind hat die Mutter ja voll im Griff – hast du das gesehen Hildegart, bei uns wäre das so nicht gegangen!“ werden eingeblendet.

Madlen ist der andere Elternteil, sie ist Erzieherin, hat eine dreijährige Tochter namens Neele und ist zum zweiten Mal schwanger, weshalb sie in dieser Situation auch fluchtartig das Spielzimmer verlässt, da Richard nun mit einem Ball durch den Raum schießt und sie fürchtet getroffen zu werden. Der Einblick in Agnieszkas Erziehungsmethode geht damit zu Ende, dass Madlen ihr deutlich macht, dass sie den Erziehungsstil als viel zu frei empfindet und „das Kind ja nur verzogen sein kann, wenn man ihm keine Grenzen setzt“. Danach schiebt sie noch ein schnelles „Es ist ja nicht alles schlecht, da du deinen Sohn ja zumindest zweisprachig erziehst“ ein, um Agnieszka etwas milde zu stimmen, da sie ja den nächsten Tag mit ihr bei sich Zuhause verbringen wird.

An besagtem nächsten Tag bekommen die Zuschauer einen Einblick in den sehr autoritären Erziehungsstil von Madlen, sie erzieht ihre Tochter mit strengen Regeln, sowohl was das Essen als auch was das Spielen und den Alltag angeht. Diesmal verläuft der Tag relativ ruhig, Neele beeindruckt die Zuschauer mit perfekten Manieren und Schüchternheit und ist deshalb bei allen Zuschauern sofort beliebt. Während Agnieszka den Erziehungsstiel als total herzlos und eischränkend empfindet, loben die Zuschauer die Erziehung von Madlen. Neele bleibt am Tisch sitzen, isst ihren Brokkoli ohne zu meckern und fährt mit ihren drei Jahren, vorbildlich mit Helm und immer mit geringem Abstand zu ihrer Mutter, Fahrrad, was auch Agnieszka zu beeindrucken scheint. Bei ihrem Tagesfazit bezeichnet sie den Tag als gute Vergleichsmöglichkeit, auch wenn „man das ja nicht wirklich vergleichen kann, weil Neele ja ein Mädchen ist und Jungs in der Phase immer etwas wilder sind und sich das bei ihrem Richard bestimmt noch legt“.

Die Aussprache am dritten Tag bringt keine neuen Erkenntnisse, die Fronten sind verhärtet, beide versuchen vehement ihren Erziehungsstil als den besseren darzustellen, kritisieren dabei fleißig die andere, nehmen selbst aber kein bisschen der Kritik an. Das Fazit der Zuschauer dagegen fällt einheitlich aus, alle finden den Erziehungsstil von Agnieszka unmöglich und deshalb den strengen Erziehungsstil von Madlen besser, wobei dieser von manchen doch als teilweise zu streng empfunden wird.

Geeinigt wird sich darauf, „Dat eben die goldene Mitte immer dat Richtige is“ so wie einer der Zuschauer es treffend formuliert und ein ausgewogenes Maß von Zuckerbrot und Peitsche gefunden werden muss.

Auch wenn die einzelnen Szenen und Kommentare der Zuschauer sehr erheiternd sind, so sind sie doch wenig erkenntnisreich und hilfreich bei der Frage, wie man denn sein Kind am besten erzieht. Als Zuschauer weiß man schon vom ersten Moment an welcher Erziehungsstil als besser dargestellt werden soll und erfreut sich deshalb wahrscheinlich eher an der Kritik und den teils übertriebenen Kommentaren über den somit schlechteren Erziehungsstils, als wirkliche Erziehungstipps zu erwarten. Was diese Doku-Soap bei manchen noch kinderlosen Zuschauer vielleicht erreicht ist, dass diese jetzt schon anfangen eine Liste mit Regeln zu erstellen als reine Präventionsmaßnahme, um sich ja nicht ein so verzogenes Kind wie Richard heranzuziehen. Auch wenn die Zuschauer keine Erziehungstipps daraus entnehmen können, so fühlen sich doch einige durch dieses negative Beispiel in ihren eigenen Erziehungsmethoden bestätigt und auch die zuschauenden Kinder ertragen die ein oder andere Strenge der Eltern vielleicht etwas besser. Dennoch ist es sicherlich nicht schlecht, manchen Eltern einen Spiegel vor zu halten, sodass sie ihre Erziehungsmethoden überdenken, auch wenn es meiner Meinung nach keine Veränderung bringt, wenn man nur abschreckende negativ Beispiele zeigt, anstatt Lösungs- und Verbesserungsansätze zu liefern. Da der erzieherische Fokus der Sendung bei näherer Betrachtung nicht wirklich zu erkennen ist, stellt man sich automatisch die Frage nach dem Zweck dieser Sendung. Betrachtet man die Doku-Soap genauer, erkennt man, dass wieder einmal die Mischung aus Schadenfreude, Fremdscham und Belustigung zu ziehen scheint. Man denkt sich als Zuschauer auf der einen Seite immer wieder „Gott sei Dank muss ich mit diesem Rotzlöffel nicht in einer Wohnung leben“, wie es ein Familienvater von den “Sofakritikern“ auf den Punkt bringt, auf der anderen Seite fühlt man sich durch die teils lustigen Situationen und witzigen Kommentare durchaus unterhalten.

Allerdings muss man sich doch fragen, ob einem die hilflose Mutter nicht eigentlich eher Leid tun sollte. Nicht nur hat sie offensichtlich ihren Sohn nicht unter Kontrolle, sondern wird auch von allen Seiten kritisiert. Das Format ist nicht nur inhaltlich fragwürdig, sondern auch das Konzept an sich scheint widersprüchlich. Der TV-Sender Vox hat auf der einen Seite scheinbar penibel darauf geachtet, keine soziale Gruppe bei dem Querschnitt der deutschen Fernsehgesellschaft zu diskriminieren, da jegliche nur erdenkliche Familien- und Partnerschaftskonstellation vertreten ist. Auf der anderen Seite aber wird der Elternteil mit dem freien Erziehungsstil ungeniert abgewertet und herunter gemacht, obwohl es vorher als Vergleich zweier gleichwertiger Erziehungsstile angepriesen wurde. 

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Bildungsaspekt dieses TV-Formates gegen null geht, wohingegen der Unterhaltungsaspekt dadurch um einiges höher ausfällt und man trotz der Fremdscham und Abschreckung doch nicht wegschalten kann. Und auch wenn diese Doku-Soap sicherlich nicht dazu beiträgt, die Frage nach der richtigen Erziehung, falls es sie gibt, zu beantworten, liefert sie doch eine fast perfekte Anleitung dafür wie man es auf jeden Fall nicht machen sollte.

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