TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 12. September 2017

Polizeiruf 110 - Kreise: Der Dialog, der nicht enden wollte

von Stefan Wallner 


Die Konstellation Ermittler/Verdächtiger hat in der Filmgeschichte große Dialoge hervorgebracht. Man denke an die Szene aus Das Schweigen der Lämmer, als Clarice Starling, die unerfahrene FBI-Agentin, und Hannibal Lecter zum ersten Mal aufeinander treffen, an das Ende von Sieben, wenn John Doe Detective Mills dazu verführt, ihn zu erschießen, oder an die Befragung von Arthur Leigh Allen in Zodiac – Die Spur des Killers. Diese Dialoge leben von der Beziehung, die zwischen den Gegenspielern aufgebaut wird. Sie leben vom Machtverhältnis, das sich permanent verschiebt.



Der Polizeiruf 110 mit dem vielsagenden Titel Kreise, der erstmals am 28. Juni 2015 ausgestrahlt wurde, scheitert genau an dieser Beziehung. Der zehnminütige Dialog zwischen Kommissar Meuffels und dem Verdächtigen Peter Brauer, der den Ton für den Krimi setzt, verkörpert dabei, was viele Zuschauer am modernen, deutschen Krimi der öffentlich-rechtlichen Sender nervt: der Anspruch, an dem er zum Scheitern verdammt ist.



Der Dialog will viel und schafft wenig. Er versucht sich an intermedialen Querverweisen. Doch die inhaltliche Einbindung des Films Ganz so schlimm ist er auch nicht, über den Brauer sehr ausführlich monologisiert, an das Verhör erfolgt nur über oberflächliche Verknüpfungen. Peter Brauer teilt mit dem Film die Passion für Möbel, doch eine tiefere Bedeutungsebene bleibt aus. Der Song I‘m not in love von 10cc, der am Ende des Dialogs erwähnt und im Laufe des Krimis wiederholt gespielt wird, wird mit der Ambition verwendet, das Gefühlsleben von Brauer zu versinnbildlichen. Doch letztendlich bleibt das nur ein Vorwand, um alte Musik in einer neuen Produktion zu verwenden, was nicht erst seit The Guardians of the Galaxy in Mode zu sein scheint.



Doch es bleibt nicht bei den nostalgischen Anspielungen auf alte Filme oder Songs. Alles soll interpretiert werden, um eine bedeutungsschwangere Aura zu erzeugen. Besonders das Philosophieren über „Kreiswelten“, die dem Krimi seinen Titel geben, versucht sich an tiefgreifenden Erkenntnissen über das Leben und die Welt. Als Ergebnis stehen am Ende aber nur Gemeinplätze, Stereotypen und Alltagsweisheiten. So ist zum Beispiel die Erkenntnis, dass es sich bei dem Emporkömmling, der die Unternehmerstochter heiratet, um ein Klischee handelt, bei weitem keine neue. Um solche Schwächen zu kaschieren, werden immer wieder einzelne Geschichten aus dem Leben des Peter Brauer eingestreut, die er mit blumiger Sprache, viel zu langen Pausen und schwelgerischer Miene vorträgt. Diese Einschübe sollen wohl poetisch und detailverliebt wirken, bleiben allerdings hölzern und trocken. Vor allem aber lassen sie häufig den Bezug zum Hintergrund der Befragung, der ja immerhin ein Mord ist, vermissen. Warum interessiert es den Kommissar, ob Möbellinien, die Brauers Firma vor seiner Übernahme hergestellt hat, schön waren oder nicht? Diese Frage und weitere bleiben offen.



Wenigstens scheint die Folge des Polizeiruf 110 ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen. So lässt Meuffels Brauer wenigstens ordentlich auflaufen, als dieser anfangen will über seine „Kreiswelten“ zu diskutieren und Brauer fragt mitten im Verhör, als es gerade um die Geschichte der Möbelfirma geht: „Keine Fragen wie: Wo waren sie zum Zeitpunkt der Tat? Wie war ihr Verhältnis zum Opfer? Gab es Differenzen? Streit? Hatte Claudia Feinde?“. Doch es ist zu befürchten, dass vor allem letzteres eher als ironische Kritik an der Gattung des Krimis gedacht ist und sich somit wieder in den pseudointellektuellen Habitus eingliedert, der dem Rest des Verhörs innewohnt.



Wenigstens findet das Verhör ein versöhnliches Ende, wenn Meuffels nach 10 Minuten Vorspiel dann doch noch die eine unumgängliche Frage stellt: „Wo waren Sie denn am Freitag zwischen 15 und 17 Uhr?“ und Brauer mit dem vorletzten Satz des Dialoges endlich seine Unschuld beteuert. Leider lässt es sich der Krimi nicht nehmen, mit dem letzten Satz die gesamte Unstimmigkeit des Dialogs auf den Punkt zu bringen, wenn Brauer auf die Beteuerung seiner Unschuld die seltsam deplatzierte und pathetische Feststellung folgen lässt: „Ich kann nicht weinen.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen