TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 25. September 2019

„Einen Betrüger kannst du nicht betrügen“. Der Betrug (David Spaeth, ARD 2018)

von Herbert Schwaab
Die Algorithmen von Netflix haben bestätigt, was ich schon lange geahnt habe: Ich bin ein Fan von True Crime. Die Empfehlungen von Netflix sperren mich dementsprechend in einer Welt schicker True Crime Dokumentationen ein, geschliffener Unterhaltung für Erwachsene mit kleineren Obsessionen. Die Dokumentationen bemühen sich, relevant zu erscheinen, gesellschaftliches Engagement und eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Verbrechens in der USA zum Ausdruck zu bringen, aber sie bleiben am Ende doch Unterhaltung und vermögen nicht völlig das schlechte Gewissen zu beruhigen, dass daraus resultiert, Freude an der Dokumentation von Verbrechen zu empfinden.
Im Gegensatz zu dem bisweilen unangenehmen Gefühl, Netflixdokuserien über Mörder und Serienmörder zu schauen, verschafft mir die Rezeption von Der Betrug auf ARD einen Genuss ohne schlechtes Gewissen und das Gefühl, durch sie wirklich etwas über die Welt zu lernen. Der knapp 90 minütige, mit einem Grimmepreis bedachte Dokumentarfilm von David Spaeth beschäftigt sich mit dem unglaublichen Fall eines Mannes, der den harmlosen Posten eines Finanzvorstandes des Kindergartens einer Elterninitiative in Schwabing dazu nutzt, innerhalb eines Jahres deren sattes Konto von 250000 Euro abzuräumen.
David Spaeth wählt für seine Dokumentation einen sehr einfachen Ansatz. Es gibt einige Bilder von der Gerichtsverhandlung und einige hochästhetische Tableaus, die in Zeitlupe prassende Menschen zeigen, irgendwie hochsymbolisch, aber eigentlich überflüssig sind. Sonst besteht die Doku nur daraus, den Betrüger und einige Eltern der Initiative als Paare auf dem Sofa ihrer Wohnzimmer zu interviewen und davon berichten zu lassen, wie es passieren konnte, dass er betrogen hat oder sie betrogen wurden. Dieser einfache, vielleicht auch auf den ersten Blick sperrige Zugang auf die Tat, bietet tatsächlich eine hochspannende Auseinandersetzung mit den faszinierenden Subjekten der Betrüger, die viel zu selten Gegenstand von True Crime Formaten sind. Wir lernen sehr viel über die Gesellschaft und unser Verhalten, auch weil die Befragten ein hohes Maß an Einsicht und Selbstreflexion offenbaren, was sie aber nicht davor geschützt hat, betrogen zu werden.
Die Eltern bemerken selbst, dass sie Angehöriger einer Klasse von kreativen und finanziell erfolgreichen Menschen sind, die nicht ohne Grund mit ihresgleichen in Schwabing zusammenleben. Sind sie so homogen, dass es ihnen selbst bereits weh zu tun scheint. Der Betrüger Bastian dagegen ist ein Oberproll, der auf keine Weise in dieses Milieu passt, und es dennoch geschafft hat, als mittelloser Einzelhandelskaufmann sein beeinträchtigtes Kind in der Integrationsgruppe des Kinderhauses dieser Elterninitiative unterzubringen. Bastian thematisiert immer wieder den Unterschied zwischen ihm und den anderen Eltern und erkennt darin den Grund für das erste kleine Kartenhaus, dass er aufgebaut hat und dem immer wieder neuere, größere und windigere Kartenhäuser folgen werden. Er gibt sich eine falsche Herkunft (Hamburg statt Ostdeutschland), einen falschen Beruf (Eventmanager) und ein falsches Studium, BWL („Das ist ja nichts greifbares. Wenn du sagst du bist Architekt und kommst mit anderen ins Gespräch, würdest du sofort auf die Schnauze fallen.“), um nicht nur darin zu reüssieren, einen Platz für sein Kind zu finden, sondern auch seinen Platz in einer sozialen Gemeinschaft von Menschen, die er beeindrucken will. Der erste Schritt in den Betrug ist sein Wunsch, etwas dafür zurückzugeben, dass sein Sohn einen so guten Ort gefunden hat. Deswegen drängt er darauf sich im Vorstand zu engagieren, und bekommt dafür fatalerweise den eigentlich bedeutungslosen Posten des Finanzvorstandes. Die Psychologie des langsamen Absteigens in den Betrug wird von ihm sehr gut geschildert: Erst das Wundern darüber, dass der Kindergarten solche Unsummen auf seinem Konto hat, was ja direkt zum Betrug einlade, dann die ersten kleinen Überweisungen auf das eigene Konto aus purer Not, weil er so „ratzefaul“ gewesen sei und aktuell keine Einkünfte hatte, dann die weiteren, größeren Überweisungen, mit denen, wie Bastian einräumt, unnötige Dinge bezahlt werden, wie Luxuslimousinen als Mietwagen, mit denen zum Familienfest gefahren wird, später dann Thailandurlaube, die als Geschäftsreisen nach Dubai ausgegeben werden.
Bastian hat große Einsichten in das, was er getan hat, aber er dissoziiert sich auch davon, spricht von sich in der dritten Person, unterteilt sich in den Mensch Bastian, der eigentlich etwas zurückgeben wollte, und den Betrüger Bastian, der tatsächlich alles genommen hat. Aber er bleibt ein Rätsel, das auch der Dokumentarfilm nicht zu lösen vermag: Was sind das für Menschen, die die ultimative Bestätigung für ihr Ego dadurch erhalten, mit dem Sportwagen vor dem Tor des Kindergartens einer Elterninitiative vorzufahren, die aus Menschen besteht, die eher mit schlechtem Gewissen ihre unnötig großen Familienkutschen dezent etwas weiter weg parken würden? Die Betrogenen dagegen schildern auf ähnlich unfassbare Weise, wie sie ihn alle nicht ernst nehmen konnten, weil er mit weißen Turnschuhen und mit Hose aus Ballonseide zum ersten Treffen gekommen sei. Sie beschreiben, wie alle seine Auftritte eigentlich immer over the top waren, wie lächerlich sie es fanden, dass er so erpicht darauf war, in den Vorstand zu kommen, wie sie eigentlich immer nur über ihn gelacht haben, wenn er auf einem Elternwochenende im Muscle-hirt mit einem (geliehenen) Sportwagen vorgefahren kam oder sich bei Festen von einer (ebenfalls geliehenen) Limousine abholen ließ. Es gibt immer wieder Momente, in denen er dann endgültig aufzufliegen scheint, wenn etwa eine Mutter auf dem Elterntreffen kommentiert, dass es schon komisch ist, dass der Finanzvorstand so ein begabter und engagierter Pokerspieler ist, oder eine andere Mutter zu einem seiner Auftritte mit einem Sportwagen bemerkt, dass da wohl das ganze Geld der Initiative hineinfließe. Die Väter stellen übrigens nie fragen, sie nehmen den Proll nicht ernst, sie freuen sich, dass sie jemand haben, mit dem es nie langweilig ist und bei dem es nie Gesprächspausen gibt.
Was sich hier auftut, ist schlicht und einfach ein Klassenkonflikt. Der Betrüger bemerkt immer wieder, dass sich von seinem offenen Betrug nur Menschen aus Schwabing betrügen lassen konnten, er aber niemals Menschen aus der Arbeiterklasse so gut hätte betrügen können. Niemand betrügt den Betrüger ist eine weitere Weisheit, die er uns mitgibt. Und es schwingt neben seiner großen Bewunderung für die reichen, engagierten Menschen und seinen aberwitzigen Versuchen, sich als Teil dieser Welt zu inszenieren, immer auch etwas Verachtung mit über deren Naivität, und dass in diesen Familien der Vater immer auf Dienstreise sei und die Mutter zuhause bleibt und sich als Künstlerin verwirklichen könne. Der große Betrüger konstruiert sich, das wird deutlich, immer kleine Entschuldigungen für sein monströses Verhalten. Der Kontrast kommt durch die einfache Inszenierung noch besser zum Ausdruck: die Eltern sitzen zum Teil in Strümpfen auf ihren schicken Sofas in ihren schicken Wohnungen und erzählen erstaunt von allen Sachen, die passiert und ihnen wiederfahren sind. In einzelnen Einstellungen schweigen sie auch nur, als bräuchten sie jetzt Zeit, das Ganze zu verarbeiten, oder als staunten sie ähnlich wie die Zuschauer dieser Dokumentation über diesen einfachen und durchsichtigen Betrug. Sie sind wütend darüber, dass ‚in so einer netten Kommune‘ wie dem Kinderhaus den Menschen ständig ins Gesicht gelogen wird. Sie erkennen ihre privilegierte Position und ihre Naivität, sie identifizieren sich als Angehöriger einer wohlhabenden Klasse, die es einfach nicht erwarten, betrogen zu werden und die deswegen betrogen werden. Sie durchschauen die Inszenierung, aber sie verstehen nicht, was passiert, bis es zu spät ist und das ganze Geld für unsinnige Dinge wie Luxuausautos, Urlaube, Spielbankbesuche und Prostituiertenbesuche ausgegeben ist. „Du Lügner, du skrupelloser Lügner“, entfährt es in direkter Ansprache einmal einer der Mütter. Aber was soll man auch tun, wenn man für einen Elternabend in das Zuhause des Betrügers eingeladen wird, und der dort Kaviar und Champagner serviert und zudem auch die eigens für den Abend besorgten Möbel mit der EC-Karte der Elterninitiative bezahlt. Selbst als die Eltern in einem Wohnzimmer sitzen und beschreiben, es habe gewirkt, als würde man in einem Möbelhaus feiern, weil alles neu besorgt wurde, fällt ihnen der Betrug nicht auf.
Die Fragen, die sich die Eltern, der Betrüger und die Dokumentation immer stellen ist, war es ein geplanter Betrug (die Eltern) oder ist er einfach so da rein geschlittert. David Spaeth, der diese Dokumentation gemacht hat, gehört selbst zu den betrogenen Eltern, ist selbst Teil dieser Inszenierung, was es ihm sicherlich leichter gemacht hat, die Zustimmung der anderen Eltern für diese Dokumentation zu gewinnen und ihre oft entlarvenden Selbstauskünfte zu erhalten. Es ist eine faszinierende Dokumentation, die mit einfachen Mitteln den Blick auf große Tatsachen vermittelt: Welche Unterschiede es in den Lebenswelten der Menschen gibt, wie groß nicht nur der Realitätsverlust der Betrogenen ist, die einem eigentlich unsympathisch sein sollten wegen ihrer abgehobenen Herkunft und ihrer Naivität, deren Motive wir aber auch im Laufe der Dokumentation nachvollziehen lernen, wodurch sie menschlicher werden. Es besticht und fasziniert aber auch der Realitätsverlust des Betrügers, wie er eine mehr als luftige Existenz aufbaut, die von ständiger Angst, Verdrängung und noch bizarreren Versuchen bestimmt ist, eine mehr als durchsichtige Fassade aufzubauen. Der Betrug ist einfach nur eine Dokumentation, die die Aufgabe einer Dokumentation zu erfüllen versteht, etwas über die Welt und über sich zu lernen, aber dennoch nicht vorzugeben, alle Geheimnisse der Welt lüften zu können. Das schafft diese einfach gemachte Dokumentation, das gelingt Netflix dann doch relativ selten.
Zur Website des Regisseurs: http://www.davidspaeth.de/betrug/
Zum Film: https://www.youtube.com/watch?v=dMG3eQh-6NQ

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