TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 14. März 2012

Unser Sandmännchen – Deutschland geht zu Bett

von Carina Castrovillari

Das kleine Männchen mit der Zipfelmütze und dem langen weißen Bart ist wohl jedem Deutschen, egal ob jung oder alt ein Begriff. Seit gut 52 Jahren begeistert es täglich kleine wie auch große Zuschauer im ganzen Land. Inzwischen wird es um 18:50 Uhr auf KI.KA, 18:54 auf dem MDR sowie bereits um 17:55 auf dem RBB ausgestrahlt. Dass die Rede hier von dem Format Unser Sandmännchen ist, ist eindeutig. Es wurde zum ersten Mal am 22. November 1959 in Ostdeutschland auf dem DFF (Deutscher Fernseh Funk) ausgestrahlt. Entstanden ist das Sandmännchen nach dem Vorbild des „Sandmann“ aus dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Auch in Westdeutschland entstand ein Konkurrenzsandmännchen, welches jedoch zur Zeit der Wende wieder eingestellt wurde und deswegen hier keine weitere Beachtung findet. Das Sandmännchen hat sich zu einer Kultfigur für die ganze Nation entwickelt. Scheinbar jedes Kind beobachtet es allabendlich auf dem heimischen Fernsehgerät und auch für die Eltern ist es immer wieder eine Freude in alten Kinderzeiten zu schwelgen und sich wieder ein wenig mit Traumsand berieseln zu lassen.
Die kindliche Erscheinung des Männleins, ausgestattet mit den Merkmalen der Weisheit und Würde des Alters, macht die Figur das Sandmännchens besonders sympathisch und stellt eine Verbindung für die Kluft zwischen Kindheit und Alter her.
Der Aufbau der Sendung bleibt seit jeher traditionell gestaltet. Im Vorspann erscheint das Sandmännchen zunächst üblicherweise auf einem seiner zahlreichen Transportmittel. Sein Fuhrpark besteht aus Traktoren, Kutschen, Schlitten, Autos, Fischkuttern und Raketen ebenso wie Taucherglocken, Segelbooten, Lilienthalgleitern oder Zügen, wobei dieser mehrere hundert Fahrzeuge umfasst. Es befindet sich auf dem Weg zu den Kindern, um ihnen den Abendgruß vorbeizubringen und Traumsand zu streuen, damit diese wohlig einschlafen können. Dabei macht sich das Männlein auf den Weg durchs Märchenland und ferne Länder, ins Weltall oder auf den Meeresgrund.
Begleitet wird es auf seinen Reisen vom „Sandmann-Lied“, welches 1959 von Wolfgang Richter komponiert wurde und bis heute unverändert seinen Platz in der Sendung einnimmt. Sobald der erste Part der Melodie und der Weg des Sandmanns beendet sind, fungiert ein beliebiges aufleuchtendes Objekt als Bildschirm um die Gute-Nacht-Geschichte zu zeigen. Diese Erzählungen hegen, laut der eigenen Internetpräsenz, den Anspruch, dass es in ihnen humorvoll und nachdenklich, verträumt und engagiert zugeht.
Sobald das Scheinen des Bildschirms erlischt und der Abspann beginnt, ertönt der zweite Teil des Sandmann-Liedes, das Sandmännchen steigt wieder auf sein Gefährt und streut den Anwesenden Kindern Traumsand in die Augen, sowie symbolisch den kleinen und großen Zuschauern auf der anderen Seite der TV-Geräte zu Hause.
Während das Sandmännchen auf RBB und MDR jeweils 5 Minuten andauert, wird es auf dem KI.KA durch eine Hinführung auf 10 Minuten Sendezeit verlängert. Um 18:50 Uhr erscheinen die Moderatoren des Kinderkanals in ihrem Baumhaus und kündigen den Abschluss des Tages durch das Sandmännchen mit der Preisverleihung für eingesandte Kinderbilder an.
Verwirklicht wurde Unser Sandmännchen mit Hilfe der Stop-Motion Technik mit Trickfilm-Puppen. Inzwischen wird diese Methode jedoch nichtmehr angewendet, stattdessen wird mit Computeranimationen gearbeitet. Im Jahr 1999 entstanden die ersten Folgen in einer Kombination von Puppentrick, Realfilm und digitalem Trick. Dies hat aber nicht zu bedeuten, dass die älteren Produktionen in der Versenkung verschwinden, stattdessen werden im Wechsel alte und neue Versionen gezeigt um die Tradition aufrechtzuerhalten. Dieses Konzept ist auch in den gezeigten Gute-Nacht-Geschichten wiederzufinden.
Traditionell kamen in den Geschichten des Sandmanns die Figuren Pittiplatsch, Schnatterinchen, Moppi, Fuchs und Elster, sowie Plumps vor. Doch auch neue Figuren wie Kalli, die drei kleinen Spürnasen, die obercoole Südpolgang, Ebb und Flo, Rabe Socke, Miffy und der kleine König finden seit einiger Zeit ihren Platz in der Sendung,  genauso wie Figuren des westdeutschen Sandmännchens (Piggeldy und Frederick).
Doch warum ist Unser Sandmännchen eines der erfolgreichsten Formate in der deutschen Fernseh-Geschichte? Zum einen mag es an seinem Anliegen, den Kindern zum Ausklang des Tages, Harmonie, Ruhe und Geborgenheit zu vermitteln festzumachen sein, was der ganzen Familie einen abgerundeten und angenehmen Abschluss des Tages bietet. Zum Anderen liegt es höchstwahrscheinlich daran, dass die Eltern heutzutage ihrem eigenen Nachwuchs mitgeben möchten, was ihnen in ihrer eigenen Kindheit den Alltag verschönerte. Weiterhin gestaltet es sich nicht unbedingt einfach, in der riesigen Fernseh-Landschaft wirklich kindgerechte und pädagogisch wertvolle Inhalte für die Kleinen zu entdecken. Das Sandmännchen stellt hierbei noch ein Stückchen heile Welt im Flow von Comics und Anime dar, welche viel zu oft nicht altersgerechte Szenen darstellen.
Im Zeitalter der digitalen Revolution passt sich das Sandmännchen aber nicht nur im Bereich der technischen Entwicklung an, nein, es ist auch transmedial geworden. Neben der allabendlichen Ausstrahlung neuer sowie auch alter Folgen gibt es inzwischen zahlreiche Merchandising Artikel wie Puppen, Hörspiele und Bücher. Weiterhin gibt es Ausstellungen, wie im Filmpark Babelsberg oder dem Filmmuseum Potsdam. Seit 1999 ist das Sandmännchen online mit seiner eigenen Homepage www.sandmaennchen.de vertreten. Neben Programm- und Sendeinformationen findet man dort Sandmännchens Freunde wieder, es gibt Platz für Lieder und Geschichten, Spiele und Adressen an welche man seine Post richten kann. Aber auch Raum für Sandmännchens Geschichte und die Personen die hinter ihm stehen wird eingeräumt. Und sollte man einmal eine Folge verpasst haben, gibt es die Möglichkeit, diese auf der Internetpräsenz nachzuschauen.
Doch das Paket scheint noch nicht vollendet zu sein, wenn ein großes Feld nicht erobert wurde, das Kino. Zum 50. Geburtstag des Sandmännchens wurde also ein Kinofilm produziert, der am 30. September 2010 unter dem Titel „Das Sandmännchen - Abenteuer im Traumland“ Premiere feierte und wie die neuen Folgen mit Animationstechniken produziert wurde. Natürlich werden die Folgen sowie der Kinofilm inzwischen auch auf DVD vertrieben.
Auffallend ist weiterhin die Intermedialität des Formats. Unser Sandmännchen arbeitet mit dem Medium in dem es selbst ausgestrahlt wird, indem der Sandmann, zusammen mit den Kindern um ihn, selbst die Gute-Nacht-Geschichte in einem TV ähnlichen Medium betrachtet, wenn auch nicht immer in der typischen Form eines Fernsehgerätes. Hier verweist das Medium also auf sich selbst.
Das Sandmännchen stellt in seiner Rolle als Märchen- und Gute-Nacht-Geschichten-Erzähler einen wertvollen Part der deutschen Fernsehgeschichte dar. Es brachte Millionen an Kindern mit seinen Erzählungen zu Bett und wird heute als Kultfigur gefeiert. Das allabendliche Sandmann-Schauen ist in vielen Familien zu einem Ritual geworden, dessen Tradition von Generation zu Generation weitergegeben wird. Andere Formate, welche die kleinen Bürger zu Bett geleiten sollen, existieren kaum oder gar nicht. Aus diesem Grund wurde Unser Sandmännchen auch in viele andere Länder wie Finnland, Dänemark und Schweden, sowie arabische Länder verkauft und als sogenanntes „Solidaritätsgeschenk“ auch nach Vietnam vermittelt (Quelle: www.sandmaennchen.de).
Durch die in den meisten Familien etablierte Tradition, vor dem Zubettgehen das Format gemeinsam zu sehen, trägt „Unser Sandmännchen“ einen kleinen Teil zu einem geregelten Tagesablauf bei, der für Kleinkinder besonders wichtig ist und aus vielen, sich wiederholenden Ritualen bestehen soll. Nebenbei stellt dies die Programmstruktur aus Wiederholungen der gleichen Formate an denselben Sendeplätzen dar. Dass das Sandmännchen selbst, sowie alle anderen Figuren, keine eigene Stimme besitzt, vereinfacht die Produktion und lässt den Zuschauern viel Platz für die eigene Fantasie, weiterhin wird dadurch die Beobachtungsfähigkeit gefördert. Die wiederkehrende Sandmann-Melodie, die über das Intro sowie den Abspann gelegt wird stellen gleichbleibende Strukturen in einem Format dar, welches dessen täglich wechselnden Geschichten einen sicheren Rahmen verleiht und einen Orientierungspunkt für die Kinder bietet.
Das Sandmännchen geht mit der Zeit. Zu Beginn in SchwarzWeiß ausgestrahlt änderte es 1964 seine Produktionstechnik und sendete von nun an in Farbe. Vor wenigen Jahren folgte ein weiterer Wechsel, seit 1999 wird das Sandmännchen mit Hilfe digitaler Techniken verwirklicht, die der Sendung eine neue moderne Gestalt verleihen. Es ist selbstverständlich von Vorteil aktuell zu bleiben und sich im Laufe der Zeit mit den sich ändernden Techniken anzupassen. Auf diese Weise entgeht man der Gefahr als „altbacken“ abgetan zu werden und in der Versenkung zu verschwinden. Andererseits muss man gerade dem Format des Sandmännchens diese Veränderung ankreiden, denn eben dieser kleine Mann steht für ein halbes Jahrhundert an deutscher Tradition. Bei derartig großen Veränderungen sollte man große Vorsicht walten lassen, denn wenn etwas mit langem geschichtlichem Hintergrund dermaßen stark verändert wird, besteht die Gefahr, dass es seinen Flair verlieren könnte. Die Erinnerung an die eigene Kindheit der Erwachsenen verschwindet und für die Kinder wird es zu einer ähnlichen Figur wie die zahlreichen Charaktere der restlichen Sendungen im Kinderprogramm. Die Einzigartigkeit sticht nichtmehr heraus, sie geht verloren. Die einfacheren Produktionsmöglichkeiten mögen einen Vorteil für die Macher bieten, jedoch ist es eine Enttäuschung für klein und groß in ganz Deutschland. Doch die Produktionsfirma scheint dies erkannt zu haben und strahlt  alte und neue Folgen im Wechsel aus.
Auch bietet der Bereich der Vermarktung großen Platz für Skeptiker, denn der pädagogische Hintergrund und die Produktion durch öffentlich-rechtliche Sender ist ein eher untypischer Bereich um einen solchen Reichtum an Merchandising-Produkten an den Mann zu bringen wie es bei unserem Sandmännchen der Fall ist. Nicht nur in vielen Geschäften sind dessen Produkte zu kaufen, das Sandmännchen besitzt seinen eigenen Online-Shop (http://www.rbb-online-shop.de/sandmann-shop/index.html). Natürlich erfreut sich jedes Kind an einem eigenen Stückchen Sandmännchen, jedoch muss man sich dabei Fragen ob es wirklich nötig ist dieses kleine Männlein derart zu vermarkten, denn die 6 Oberkategorien DVD, CD/Hörbücher, Bücher, Textilien, Sandmannpuppen, Spielwaren & Co. bieten eine kaum zu überschauende Produktvielfalt an. Weswegen das passende Computerspiel noch nicht auf dem Markt ist, bleibt ungeklärt, ist aber wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit.
Dass Unser Sandmännchen ein wertvolles und traditionsreiches Kulturgut Deutschlands darstellt, kann und soll keinesfalls bestritten werden. Die Sendung ist eine Bereicherung für die gesamte Republik und sollte noch eine lange Zeit fortgesetzt werden. Schade ist jedoch, dass es sich nach und nach zu einem rein kommerziellen Produkt verwandelt, anstatt seiner Linie, Kindern den Weg ins Traumland zu bahnen, treu zu bleiben. Zu viele Veränderungen und Anpassungen können einem Format genauso schaden wie das Verharren in veralteten Positionen. Es bleibt also zu hoffen, dass die Produzenten ein gesundes Mittel finden, denn ein Zubettgehen ohne eine Brise Traumsand des Sandmännchens wäre für die nächsten Generationen wirklich schade.

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