TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 7. März 2012

The same procedure? – Ja genauso wie immer!


von Verena Blinzler

Man kann es ja schon fast nicht mehr hören. Es ist überall. Jederzeit. Zumindest an einem bestimmten Tag im Jahr. Aber das dann dafür jedes Jahr. „I think we have Sherry with the soup!“ Jeder kennt die Sätze, jeder kennt die Abfolge. Dinner for one – eine nationale Krankheit? Es ist Silvestermorgen, ein paar arme Deutsche müssen heute tatsächlich noch arbeiten, für alle andern heißt es schon mittags: dieselbe Prozedur wie letztes Jahr, Miss Sofie?
14:55 Der Startschuss: Hessischer Rundfunk, James läutet den Gong und stellt auf hessisch die Gäste vor. Wie immer ist natürlich keiner anwesend.
Aber wieso überhaupt kommt jedes Jahr, am gleichen Tag der gleiche Film? Wird das nicht langweilig? 

Dinner for One gehört inzwischen einfach dazu. Und irgendwie passt der Sketch auch wirklich gut in das Silvesterprogramm, Silvester ist ja immerhin auch jedes Jahr gleich. Man verabschiedet das alte und begrüßt das neue Jahr und zwischendrin nimmt man sich halt einfach 20 Minuten Zeit und schaut Dinner for One. Betrinken tun sich die meisten ja auch, ganz nach Vorbild James. Es hat sich einfach zur Tradition entwickelt, ob man nun will oder nicht. Der Gag mit dem Tigerteppich wird halt nie langweilig!
15:00 Kinderkanal, James serviert den ersten Gang. Suppe und dazu – Sherry!
Die ersten vier Gläser hat James geleert, da fragt man sich doch, ob man Kindern wirklich zeigen sollte, wie sich ein Butler betrinkt. Es wirkt leicht ironisch neben den anderen KiKa-Formaten, die Jugendliche vor Alkoholmissbrauch warnen. Aber es ist ja nur ein amüsanter Scherz, außerdem ist Miss Sofie mit ihren 90 Jahren durchaus alt genug um Sherry und White-Wine und  zu genießen. Da kann man schon mal ein paar Augen zudrücken. Kinderschutz? Quatsch - ist doch nur Dinner for One!
15:40 Miss Sofie ist im ARD angelangt und feiert hier zum X-ten mal ihren 90. Geburtstag, sie sieht jedes Jahr jünger aus, naja zumindest wird sie nicht älter.
So auch das Publikum, jeder ob jung ob alt kennt James den Butler und Miss Sofie. Viele kennen sogar die Namen der restlichen (Nicht-)Anwesenden und deren Vorlieben. Die Sendung schafft es einfach, alle Genrationen zu vereinen. Schon seit 1963 wird der Klassiker ausgestrahlt, so ziemlich jeder ist damit aufgewachsen. So auch meine Generation. Wie Kinder freuten sich meine 20-Jährigen Freunde über das typische „Skål“ von Admiral Schneider – und stoßen gleichzeitig auf ihn an. Aber auch mit meinen Eltern kann ich über Dinner for One reden, auch meine Oma möchte mitreden, zwar kann sie kein Englisch aber was soll‘s. „seim prositschör äs last jier?“
16:45 der Hessische Rundfunk geht in die zweite Runde, diesmal auf Nordhessisch. Eine sehr schöne Nachahmung im Dialekt. Die Kulisse ist super getroffen, der Text ist sehr nah am Original, die Witze auch, James (hier heißt er allerdings Schorsch) ist langsam etwas angetrunken. Und wer glaubt’s: auch in Nordhessen trinkt man Sherry zum „Süppchen“.
17:35 NDR, die „Heimat“ vom 90. Geburtstag. Der norddeutsche Rundfunk gilt als Produktionsleiter des Formates, selbst wenn die Erstausstrahlung in der ARD erfolgte. Der Autor des Sketches war Brite, ebenso die Darsteller Freddie Frinton und May Warden. Nur die Einleitung spielt ein deutscher, Heinz Piper und nur dieser Teil ist original auf Deutsch. Er sollte den Sketch erklären, denn der war ja auf Englisch und nicht jeder hätte ihn verstanden. Erstaunlich, dass es dem Erfolg von Dinner for One nichts angetan hat. Die Erläuterung am Anfang hilft anscheinend wirklich! Lob an den NDR, gute Arbeit.
18:40 der HR sendet im  Breitwand-Format. Der 3. Gang ist dran, Hühnchen. Mit Champagner. Der landet beim Einschenken übrigens nicht immer im Glas. Mit James Manieren geht es auch dahin, lallen tut er auch schon.
18:50 im Westdeutschen Rundfunk stolpert James über einen Tigerkopf.
Das geschieht insgesamt 11 Mal, eigentlich ein ganz einfacher Scherz. Man legt etwas auf den Boden und ein anderer stolpert darüber – noch älter als das Ausrutschen auf einer Bananenschale, möchte man meinen. Trotz seiner Banalität erfüllt er seinen Zweck, jeder lacht! Obwohl es so vorhersehbar ist und – wie fast alles in diesem Sketch – sich ständig wiederholt. Aber schon wieder stört es keinen. Man freut sich dann sogar darüber, wenn James es einmal schafft, nicht zu stolpern. So einfach kann Comedy sein.
19:00 Der MDR zeigt das Spektakel in schwarz-weiß.
Das ist die Originalfassung. Warum wurde der Film überhaupt eingefärbt, wenn man ihn dann doch „altmodisch“ zeigt? Wahrscheinlich würde es sonst einfach zu langweilig werden, wäre ja dann immer dasselbe. Halt. Der Inhalt bleibt ja gleich. Hat wohl keiner gemerkt, denn zur gleichen Zeit senden auch der Bayerische Rundfunk und der Süd-West-Rundfunk. Der RBB liefert fünf Minuten später dieselbe Prozedur wie die anderen Sender. Eingefärbt wurde der Film per Computer 1999, das hat einigen gut gefallen, anderen wiederum nicht. Deswegen werden jetzt beide Versionen gezeigt. Und alle sind zufrieden. So kann man Sendezeit sinnvoll füllen, gleicher Inhalt, verschiedene Aufmachung, fast wie bei Talkshows auf Sat1 und RTL, da geht es auch immer um dasselbe (Sex und Silikonbrüste), nur das es in verschiedenen Studios aufgenommen wird.
19:10 schon wieder der Hessische Rundfunk. Nichts anderes zu senden oder wie? Ist schon komisch, dass ein Sender immer und immer wieder dasselbe bringt, innerhalb weniger Stunden. Ganz nach dem Motto doppelt hält besser, also dreifach und vierfach hält am besten?
Mittlerweile erfreuen sich auch die Schweizer auf SF1 am 90. Geburtstag. Es bleibt einfach ein Phänomen für sich. Länderübergreifend, dieser Sketch kennt keine Grenzen. Vor allem nicht im Ausstrahlungsumfang.
19:40 NDR, in Deutschland haben die meisten wohl schon ihr Abendessen hinter sich, Miss Sofie kriegt aber immer noch nicht genug, sie diniert weiter.
Ebenso auch „Merkozy“, einige werden das Video kennen – Dinner for One, nur dass die Hauptpersonen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sind. Ihre Köpfe wurden auf die Körper von Miss Sofie und Butler James gesetzt. Der Satiriker Udo Eling hat den Sketch umbenannt. „Der 90. Rettungsgipfel oder Euros for No One“ ist seit seiner Austrahlung im ARD-Morgenmagazin auf YouTube angekommen und dort richtig beliebt. Eling kritisiert unter anderem, dass es in Europa keine anderen Staatsmänner und –frauen mehr braucht, denn die haben halt eh nichts zu sagen, fast wie Miss Sofies Gäste. Die Ironie ist wirklich gut gelungen. Auch wenn es schon fast nervt, dass jeder Komiker zu Jahresende seine eigene Fassung des Sketches bringt. Ralph Schmitz (als Butler) und Otto Waalkes (als Miss Otti) an Ottos Geburtstag, Harald Schmidt in der Harald Schmidt Show,  Erkan und Stefan gaben mit  „Döner for one“ ihr bestes, Stefan Raab bei TV total mit Bully, Thomas Hermanns und Elton, auch Shary und Ralph spielen in „Wissen macht Ah!“ ihren Sketch „Dinner for Ah!“ und sogar Bernd das Brot trat  schon mal als James auf. Ob die Sketche lustig sind, muss wohl jeder für sich entscheiden. Aber langsam ist das Thema doch wirklich durchgekaut.
21:45 der WDR bringt die Schweizer, der HR (ja schon wieder!) die nordhessische Version des Sketches.
23:30 Silvester rückt immer näher, auch in Österreich wird nochmal nachgeschenkt. Die meisten Silvester-Party-Leute sind wohl ebenso betrunken wie James, der inzwischen aus einer Vase trinkt.
23:35 NDR, James beweist wie jung er ist und wagt einen mutigen Sprung über den Tigerkopf. Bringt nichts, kurz danach stolpert er erneut. Einige Lacher. Zum Schluss begleitet James Miss Sofie die Treppe hinauf.
Jetzt ist endlich Silvester, Raketen versprühen bunte Funken, Menschen umarmen sich, Jungs zünden Böller, Sektgläser werden gehoben, das Handynetz ist überlastet. Hier und da hört man die Leute fragen: und was hast du dir vorgenommen für nächstes Jahr? Für Miss Sofie wäre diese Frage leicht zu beantworten, sie macht einfach dasselbe wie letztes Jahr, aber unser Leben geht weiter, also was tun 2012?
Demjenigen, dem die Füße dann langsam abfrieren, der kann wieder ins Haus gehen. Um 0:05 Uhr zeigt der Bayerische Rundfunk ein letztes Mal Sofies 90. Geburtstag. Wie wird es wohl diesmal ausgehen? Wohl wie die letzten knapp 20 Male auch an diesem Abend. Mit betrunkenen Dienern und  lachenden Zuschauern.
Damit Happy Birthday Miss Sofie und ein Frohes Neues Jahr!
 

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