„Gib mir Sonne“: Mit dieser Textzeile aus dem gleichnamigen Rosenstolz-Song beginnt jede neue Episode von „Anna und die Liebe“, einer von Sat1 produzierten Telenovela. Mit dem melancholisch anmutenden Titel wird der Zuschauer sogleich in die passende Stimmung versetzt und es wird klar, was ihn erwartet: Ein auf circa 23 Minuten portionierter Happen Herzschmerz, Drama und Sinnkrise. Ob das ein Genuss wird, ist fraglich und ob man es überhaupt probieren sollte auch.
Das Konzept einer Telenovela ist kein neues. Ein unscheinbares Mädchen mit anfangs verkanntem Talent buhlt um die Aufmerksamkeit ihres erfolgreichen und gut aussehenden Traumprinzen. Dabei setzt sie sich immer wieder erfolgreich gegen Sticheleien der neidischen Konkurrentinnen durch und sieht sich im finalen Plot der Erfüllung all ihrer Wünsche gegenüber. Dieses romantisierte und idealisierte Format ist mit seiner Happy-End-Garantie das televisionäre Pendant zum klassischen Liebesroman. Seinen Anfang fand die Idee in Lateinamerika. Der internationale Erfolg gab dem Konzept Recht, so etablierten sich ähnliche Ideen auch in der deutschen Sendelandschaft. Am bekanntesten ist die Telenovela „Verliebt in Berlin“, in der sich Alexandra Neldel als Mauerblümchen Lisa Plenske in die Herzen der Fans und innerhalb der Rolle auch in das Herz ihres Chefs David spielte. Seitdem versucht nicht nur Sat1 mit ähnlichen Konzepten an die hohen Einschaltquoten heranzukommen. Nach der unerfolgreichen Reihe „Schmetterlinge im Bauch“ setzte Sat1 2008 mit „Anna und die Liebe“ nach. Produziert wird seit 2008 in Potsdam und Babelsberg.
Die Laufzeit von mittlerweile mehr als drei Jahren ist ungewöhnlich, da für ein solches Format höchstens ein Zeitrahmen von einem Jahr vorgesehen ist. Ich habe die Serie zu ihren Anfangszeiten gelegentlich gesehen und ihr nicht wirklich viel abgewinnen können. Aus diesem Grund habe ich mich gefragt, ob es denn wirklich soviel aus der fiktiven Welt von Anna, der Titelheldin, zu berichten gibt, um die Verlängerung um drei Staffeln (die vierte Staffel wird derzeit ausgestrahlt) zu rechtfertigen.
In der aktuellen ‚Season’ spielt die Szenerie in dem Modeunternehmen Lanford und nicht mehr- wie zu Serienbeginn- in der Werbeagentur Broda und Broda. Anna, gespielt von Jeanette Biedermann, übernimmt auch nicht mehr den Part der Hauptdarstellerin, sondern wurde von Nina Hinze abgelöst. Viele der Schauspieler, die früher bei Broda und Broda tätig waren, sind jedoch auch bei Lanford angestellt. Der Wiedererkennungsfaktor der Serie bleibt also bestehen. Und so ist auch die Folge vom 07.11.2011 nur eine aufgewärmte Geschichte, deren Haupthandlung zumindest schnell erklärt ist: Nina, eine schüchterne Angestellte mit großem Herz und Talent ist in ihren Chef Luca verliebt. Dieser hat auch Gefühle für sie, versucht diese aber zu unterdrücken, da er eigentlich mit einer anderen - Olivia - verlobt ist. Schließlich erfährt diese davon und schon ist die emotionale Dreiecksbeziehung geboren, die Stoff für viele Tragödien in der Serie bieten wird. Nichts fehlt in dieser Folge, um dem Dramedy-Konzept einer solchen Serie gerecht zu werden: Es gibt den Magic-Moment, bei dem sich Nina und Luca in die Augen sehen und ihre Blicke Bände sprechen. Dabei steht jedoch die gehörnte Verlobte direkt daneben. Die verfahrene Situation könnte nicht klischeehafter dargestellt werden. Natürlich wird daraufhin ein ruhiger Popsong eingespielt, bei dem alle drei Darsteller dabei gefilmt werden, wie sie gedankenverloren ins Leere starren. Die Mimik schreit förmlich nach Liebeskummer, in welchem die drei augenscheinlich wohl gerade zergehen. Der große Cliffhängermoment am Ende krönt die Telenovela für heute. Olivia teilt Luca mit, die Verlobung auflösen zu wollen. Dramatische Musik, die dem Zuschauer den Ernst der Lage verdeutlichen soll, wird eingespielt. Die Kamera zeigt ein Close-Up vom schockierten Gesichtsausdruck Lucas und schon ist die Folge aus. Es folgt der Abspann. Nun wird mit Spannung darauf gewartet, wie es am nächsten Tag weiter geht. Oder eben nicht, wenn man bedenkt, mit wie wenig Kreativität das Drehbuch seit über drei Jahren auskommt. Eigentlich ist klar, wie es weiter geht.
Ein kleiner Exkurs in der Seriengeschichte zeigt, dass eben diese Story - in ihren Details abgewandelt - schon zweimal Anna Lanford und einmal deren Cousine Mia erlebt haben.
So schaffte es die schüchterne Titelheldin Anna in der ersten Staffel, sich gegen alle Art von bösartigen Seitenhieben durch Neider durchzusetzen, die Aufmerksamkeit ihres Traummannes Jonas auf sich zu ziehen und diesen nach scheinbar ewigem Hin- und Her und zwischengeschalteter Verlobung mit Alexander Zeiss doch noch zu heiraten. Ihre Schüchternheit überwindet sie im Laufe der Zeit. Ganz im Motto des Aschenputtelmärchens wird sie eine erfolgreiche und für die Firma unersetzbare Werbetexterin. Der Ex-Verlobte Alexander muss jedoch nicht traurig sein, so heiratet er doch am Ende der zweiten Staffel Mia (gespielt von Josephine Schmidt), Annas Cousine, die zwar nicht schüchtern aber dafür durch ihren Analphabetismus gehandicapt ist. Der Analphabetismus wird überwunden, die Konkurrentinnen um Alexanders Herz auch und so kommt es zur zweiten Traumhochzeit. Der Sender oder der Sat1-Zuschauer hatte dann wohl noch immer nicht genug, denn es folgen noch zwei weitere Staffeln. Um Jeanette Biedermann wieder in die Hauptrolle zu versetzten, wechselt Anna das Berufsfeld und wird Modedesignerin bei Lanford. Nach der Ermordung von ihrem Ehemann Jonas wiederholt sich das Drama um die beruflichen Strapazen bis zum Durchbruch. Der neue Traummann von Anna ist Tom, der Sohn des exzentrischen und kreativen Kopfs des Modeimperiums Lanford. Ein allzu bekanntes Gefühlsdurcheinander hält die beiden nicht davon ab am Ende der Staffel doch noch zueinander zu finden.
Zurück aber zum Cliffhangermoment der Folge vom 07.11.2011 aus der vierten Staffel. Muss man wirklich darüber nachdenken, wie es weiter geht? Wahrscheinlich müsste man nicht. Vielleicht aber ist Kreativität gar nicht Sinn der Sache. Folgerichtig darf eine solche Sendeidee nicht ausschließlich an ihrem Einfallsreichtum gemessen werden. Das ‚Format-Tuning’, dass der Regisseur der Telenovela Christian Popp, der auch „Verliebt in Berlin“ produzierte, anwendet, ist gewollt. Das Publikum verlangt nach solchen Formaten und somit bekommt es diese auch. Doch warum genau fordert das Publikum ein solches Konzept ein? Die Antwort findet sich vielleicht in der gesellschaftlichen Zielgruppe: 14 bis 49-Jährige Mädchen oder Frauen, die sich mit der Titelfigur identifizieren können. Christian Popp gibt selbst an, dass sich das Drehbuch an schüchterne Frauen wendet, die in ihrem Alltag ein Märchen suchen, den Beweis, dass alles gut wird. Doch wie steht es um die Gesellschaft, wenn ein dermaßen überzogenes Skript akzeptiert und als Ideal verkauft werden kann? Träumen ist ja legitim, aber kann man dabei tatsächlich darüber hinwegsehen, dass das ein Weltbild dermaßen romantisch verklärt dargestellt wird? Mir persönlich ist das zuviel, eine Gesellschaftskritik würde hier aber zu weit gehen. So darf man in die inhaltliche Ausgestaltung einer Telenovela nicht zu viel hineininterpretieren. Die Sendezeit um 18:30 Uhr ist wohlüberlegt gewählt, so dass man einschaltet, um vom komplizierten Alltag Abstand nehmen zu können. Dieser Grundgedanke geht auch auf. „Anna und die Liebe“ läuft, wenn die Zielgruppe gerade von der Arbeit kommt oder die Hausaufgaben für die Schule erledigt hat. Nach geistiger Anstrengung ist dabei verständlicherweise den Wenigsten zumute. Würde man diese jedoch betreiben, fiele einem wohl auch die eher überdurchschnittlich emotionalisierte darstellerische Leistung der Darsteller auf. Sich an der Theatralik aufzuhängen, wäre hier allerdings kontraproduktiv, würde doch eine Dramedy-Serie ohne sie nicht funktionieren.
Ein weiteres Phänomen einer solchen Telenovela ist es also wohl, dass man sich an die diese Art der Darbietung gewöhnt und sich so als Zuschauer schneller in die Charaktere einfindet.
All diese Zugeständnisse an die Reihe können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass diese mittlerweile an Beliebtheit abnimmt. Im November 2011 erreichte „Anna und die Liebe“ gerade einmal 6,9 % der Einschaltquoten innerhalb der Zielgruppe. Ob einer der aufgeführten Aspekte dafür der Grund ist, ist schwer zu beantworten. Vielleicht liegt der Quoteneinbruch auch daran, dass in der Sendezeit mit alteingesessenen TV-Größen wie den „Simpsons“ oder „Alles was zählt“ konkurriert werden muss oder dass der Zuschauer nach der vierten Adaption einfach keine Lust mehr auf die Welt von Anna hat. Bei der Telenovela handelt es sich durch die lange Laufzeit auch schon fast um ein Soap-Format.
Der Grund für die sinkenden Einschaltquoten ist jedoch mit Sicherheit nicht das Konzept der Telenovela im Allgemeinen: Der öffentlich-rechtliche Konkurrenzsender ARD verzeichnet mit „Sturm der Liebe“, die auf die 1500ste Folge zugeht, regelmäßig Quoten von 25 Prozent.
So bleibt nur noch zu sagen, dass „Anna und die Liebe“ wie jedes andere TV-Ereignis auch eine individuell zu bewertende Geschmackssache bleibt. Wer dieses Konzept genießen kann, sollte das auch tun. Ich für meinen Teil habe es probiert, Geschmack daran habe ich aber nicht gefunden.
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