TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 7. März 2012

FRINGE Staffel 4 – Einem geschenkten Gaul schaut man nichts ins Maul?

von Lisa Hölzl

Ob es nun an den unzähligen Paketen mit roten Weingummischlangen (die Leibspeise eines Hauptcharakters aus Fringe), die die Fans an den amerikanischen Sender FOX geschickt haben, an den recht guten DVR-Zahlen oder schlichtweg an der Qualität der Serie lag, dass Fringe nach der dritten Staffel um eine volle weitere verlängert wurde, wird wohl ein Geheimnis des Senders bleiben. Fest steht nämlich, dass die Verlängerung ein mittelprächtiges Wunder war, denn die Quoten lagen weit unter dem Senderschnitt von FOX. Schon als die Serie zu Beginn des Jahres 2011 auf den „Todesslot“ am Freitag um 21.00 Uhr verschoben wurde, war für viele klar, dass wohl die Absetzung folgen wird, denn in den USA geht es nicht um den Marktanteil, sondern den Anteil aller Amerikaner – und der ist am Freitag natürlich eher gering, da kaum jemand vorm Fernseher sitzen will. Startete die erste Folge nach dem Herbstfinale überraschenderweise noch mit relativ guten 1,9% Prozent bei den 18- bis 49-Jährigen, so kam das Staffelfinale nur noch auf schlechte 1,2 Prozent. Auch hierzulande, wo die dritte Staffel montags um 20:15 Uhr auf ProSieben lief, sanken die Quoten immer weiter und lagen zuletzt sogar unter dem Senderschnitt.

Achtung - SPOILER -
Umso erfreulicher war es für die Fans, eine weitere Staffel bekommen zu haben - doch schon bald nachdem die Serie im Herbst mit der vierten Staffel zurückgekehrt war, wurde diese Freude etwas getrübt, da das, was die Serie hauptsächlich ausmacht, plötzlich nicht mehr existiert: die Charaktere selbst und vor allem deren Beziehungen zueinander, die über die ersten drei Staffeln mehr oder minder mühsam aufgebaut worden waren und die die Fans so lieben und schätzen. Der Grund: das Finale der dritten Staffel, in dem Peter Bishop, einer der drei Hauptfiguren, aus der Existenz gerissen wurde, nachdem er mit Hilfe einer Maschine die zwei Universen (richtig gelesen, zwei Universen – dazu gleich mehr) vor der Zerstörung bewahrte. Und nicht nur das: Peter hat niemals existiert, was bedeutet, dass alles, was bisher geschehen ist, nicht so passiert ist, wie es der Zuschauer in den vorhergehenden Staffeln erlebt hat. Es fällt daher leider schwer, eine Beziehung zu den neuen, „Peter-losen“ Charakteren aufzubauen, da sich diese ohne dessen Einwirken stark verändert haben. Vor allem Dr. Walter Bishop, Peters Vater, der 17 Jahre in einer Nervenheilanstalt verbracht hat, bis ihn FBI-Agentin Olivia Dunham für einen Fall benötigte, wurde ohne seinen Sohn kaum an die Außenwelt gebunden und verbringt seine Zeit ausschließlich im Laborkeller der Harvard Universität in Boston. Sein ganzes Verhalten weißt nun deutlich darauf hin, warum bzw. dass er in der Anstalt war. Auch ist sein Wesen eher herzzerreißend als zum Schmunzeln, gab es doch vorher regelmäßig witzige Kommentare von ihm, vor allem im Zusammenspiel mit Peter. Dieser hat ihn zuvor außerdem „vermenschlicht“ und er wurde damit zu einem immer noch leicht verrücktem, aber liebenswerten Charakter. Peter entwickelte sich derweil vom zynischen Einzelgänger zum einfühlsamen Sohn und so wurde die Beziehung der beiden langsam immer stärker und berührender - jedenfalls bis Peter von Walters Geheimnis erfuhr, um das sich im Grunde die komplette Serie dreht. An dieser Stelle soll noch nicht zu viel verraten werden, doch dieses Geheimnis hat unmittelbar mit den beiden Universen zu tun.
Das eine, auch als blaues Universum bezeichnete, ist unseres und alles ist so, wie wir es gewohnt sind. Im anderen, roten, Universum ist jedoch alles etwas anders, da andere Entscheidungen getroffen wurden; so steht zum Beispiel das World Trade Center noch, es gibt Doppeldecker-Autos und statt Flugzeugen gelten Zeppeline als Fortbewegungsmittel. Das macht das andere Universum sehr interessant, denn im Hintergrund entdeckt man oft viele kleine und eben andere Details. Auch die Charaktere sind auf der anderen Seite alle etwas anders, jedoch physisch identisch. Was hat das nun mit Peter und Walter zu tun? So viel sei verraten: Peter gibt es nur einmal.
Doch nun sind beide Universen wieder etwas anders, da Peter ja nie existiert hat – mittlerweile ist er, auf bisher ungeklärte Weise, wieder aufgetaucht und kann sich an alles erinnern. Nur will der neue Walter absolut nichts mit ihm zu tun haben; für ihn ist er ein Fremder. Auch Olivia kennt Peter nicht mehr, und damit existiert eine weitere Beziehung, welche vor allem die weiblichen Fans begeistert, nicht mehr. Schon in der Pilotfolge konnte man erkennen, dass die beiden zusammen gehören, jedoch hat es bis Mitte der dritten Staffel gedauert, bis sie ein Paar wurden. Vorher gab es immer wieder große Hindernisse, die die beiden auseinanderhielten – und zwar immer genau dann, wenn sie sich gerade einander angenähert hatten. Auch diese Liebesbeziehung gibt es nun nicht mehr, was natürlich frustrierend ist, denn die meisten, inklusive Walter, warten schon seit der ersten Staffel sehnsüchtig auf deren „Vereinigung“.
Vielen Fans ist das Schicksal der neuen Charaktere leider nahezu egal, da sie sich nur eins wünschen: Peter soll so schnell wie möglich wieder in seine alte Zeitlinie zurückkehren, aus der er gerissen wurde. Ob und wie das passiert, steht noch in den Sternen. Aber auch das gehört zu Fringe – Theorien aufstellen und rätseln, was als nächstes passieren könnte.
Doch auch wenn die Charaktere nicht mehr so sind wie vorher – die Serie bleibt weiterhin qualitativ hochwertig. Vor allem Anna Torv (Olivia) und John Noble (Walter), die ja schon zwei verschiedene Versionen ihrer Figuren spielen, beweisen einmal mehr, wie talentiert sie sind. Beide schaffen es, ihre Charaktere aus unserem Universum neu wirken zu lassen, jedoch noch eine gewisse Anlehnung an die alten Charaktere zu halten. Anna Torv glänzt besonders in Szenen, in denen beide Olivia interagieren. Schon allein an der unterschiedlichen Mimik und Gestik erkennt man sofort, welche Olivia welche ist – besonders deutlich wird dies, als in einer Folge beide genau gleich aussehen und nicht wie sonst eine blond und die andere rothaarig ist.
Des Weiteren wird die neue Vergangenheit der Charaktere erst nach und nach aufgedeckt, wodurch der Zuschauer interessiert auf neue „Erkenntnisse“ wartet. So erfährt man zum Beispiel, dass Olivia als Kind ihren Stiefvater in der neuen Timeline erschossen hat, nachdem er ihre Mutter misshandelte, wohingegen sie das in der alten Zeitlinie nicht schaffte. Der Zuschauer kann dabei rätseln, wie dies mit Peter zusammenhängt und ob es vielleicht ein Grund dafür ist, warum die neue Olivia offener wirkt als die alte. Und wer die Serie kennt und gut kombinieren kann, der findet darauf sogar eine Antwort.
Außerdem sind die meisten Fälle, die fast immer unerklärbare Tode behandeln (und oft nicht gerade Appetit fördernd sind), nach wie vor spannend und interessant; vor allem dann, wenn sie mit der Hauptstory verbunden sind oder als Metapher für diese dienen.
Trotzdem entspricht die vierte Staffel nicht ganz den Erwartungen mancher Fans – man kann jedoch noch auf eine positive Entwicklung der Staffel hoffen. Die Showrunner Joel Wyman und Jeff Pinkner betonen schließlich regelmäßig, dass sie die Zuschauer nicht „betrügen“ werden, aber sie die alten Charaktere nun erst einmal genauso sehr vermissen sollen wie Peter selbst. Das jedenfalls ist ihnen hervorragend gelungen, doch muss man dafür wirklich ein Drittel einer Staffel „opfern“, die wahrscheinlich sogar die letzte ist?
An die älteren Staffeln – vor allem an die grandiose dritte Staffel – kommt die vierte auf jeden Fall (noch) nicht heran. Was als eine Procedural-Serie startete (jedoch von einem roten Faden durchzogen), wurde ab Mitte der zweiten Staffel immer serialer, da seitdem der Fokus mehr auf den Charakteren und damit auch der Hauptstory liegt. Ist der Zuschauer dann einmal gefangen, wird er nicht mehr so schnell losgelassen.
Viele Fans vergleichen die Serie mit Lost, da es häufig, auch während einer Staffel, überraschende Wendungen in der Story und Cliffhanger-Momente gibt, die zum Aufstellen von Theorien verleiten (wie sollte es in einer J.J. Abrams Show auch anders sein?). Ein Beispiel dafür ist der Cliffhanger der ersten Staffel: Olivia steht plötzlich im World Trade Center und Walter besucht das Grab seines Sohnes, der doch eigentlich recht lebendig zu sein scheint. Besonders viel gegrübelt kann über das besagte Staffelfinale der dritten Staffel werden: Warum ist Peter verschwunden und vor allem wie? Wie kehrt er wieder zurück? Und selbst wenn man von seiner Theorie überzeugt ist – am Ende kommt doch alles ganz anders. „Expect the Unexpected“ lautet das inoffizielle Motto der Serie, das sie besser nicht beschreiben könnte. Ähnlich wie bei Lost regen manchmal auch schon die Episodentitel allein zum Nachdenken an: Was könnte zum Beispiel um „6:02 AM EST“ (3.20) passieren? Was könnte in Episoden wie „The Day We Died” (3.22) oder „Back To Where You’ve Never Been” (4.08) geschehen?
Auch an Eastereggs wird nicht gespart: In jeder Folge kommt der „Beobachter“ vor, ein mysteriöser Mann mit schwarzem Anzug und Glatze. Wem also doch mal langweilig ist, der kann im Hintergrund nach diesem Ausschau halten – manchmal ist er jedoch gar nicht leicht zu finden. Für frustrierte Beobachter-Sucher gibt es aber pro Staffel eine Folge, in der es ausschließlich um ihn geht und in der man ihn auf keinen Fall übersehen kann. Das Mysterium der Beobachter ist bis jetzt jedoch noch weitgehend ungeklärt.
Was ebenfalls in jeder Folge vorkommt, ist ein Hinweis für die nächste Episode; zum Beispiel in Form eines Wortes oder Bildes, das im Hintergrund zu sehen ist. Außerdem werden zwischen manchen Szenen bestimmte Glyphen eingebaut, die richtig übersetzt ein Wort ergeben. Man sieht also, bei Fringe gibt es immer etwas zu tun.
Auch schrecken die Showrunner nicht davor zurück, gewagte Folgen, wie etwa eine Musical-Folge (2.19) oder eine Zeichentrick-Folge, die sich zum Großteil in Olivias Verstand abspielt (3.19), einzubauen. Besonders überzeugend sind auch die beiden Episoden, die in den 80er Jahren spielen und die damaligen Geschehnisse aufklären, nämlich „Peter“ (2.15) und „Subject 13“ (3.15). Nun kann sich vermutlich schon auf die Folgen 4.15 und 4.19 freuen, wer außergewöhnliche Episoden mag.
Was vor allem die dritte Staffel so genial macht, ist das Paralleluniversum, das nun fester Bestandteil der Serie ist. Die ersten sieben Folgen spielen abwechselnd auf unserer und auf der anderen Seite, da unsere Olivia im anderen Universum gefangen genommen und nach einer Art Gehirnwäsche davon überzeugt ist, die andere Olivia zu sein. Auf unserer Seite spielt die andere Olivia derweil unsere, doch niemand bemerkt es. Der erste Teil der Staffel nimmt dabei unglaubliche Fahrt auf, verliert kaum an Spannung und wird nur noch von der Folge getoppt, in der die Verwirrung aufgelöst wird, da sie auf beiden Seiten gleichzeitig spielt und dabei zu keiner Sekunde langweilig wird.
Leider geben viel zu wenige der Serie eine Chance, da sie denken, sie sei nur ein billiger Abklatsch von Akte X, doch spätestens in der zweiten Staffel dürfte dieser Anschein verflogen sein. Viele Fans argumentieren auch, dass sich die Zuschauer vor dem Fernseher einfach nicht anstrengen und mitdenken wollen und die Serie daher mit so niedrigen Quoten zu kämpfen hat. Es hilft wohl auch nicht, dass man im Grunde jede Folge sehen muss, um die Story zu verstehen. Wer aber Spaß daran hat, Theorien aufzustellen und regelmäßig überrascht zu werden, der ist mit Fringe richtig bedient – doch auch allein wegen ihrer Charaktere ist die Serie schon sehenswert.
Ich selbst schaue die Serie seit der ersten Folge, doch richtig gepackt wurde ich erst ab der 14. Folge der zweiten Staffel, da mit dieser meiner Meinung nach die Serialität begann. Seitdem warte ich immer mehr als gespannt auf die neuen Folgen – lange Sommer- und Winterpausen werden regelrecht zur Qual. Da ich aber zu den Fans gehöre, die die Show hauptsächlich wegen ihrer Charaktere ansehen, bin ich noch nicht recht überzeugt von der neuen Staffel. Doch nach den Trailern für die neuen Folgen nach der Winterpause zu urteilen, könnte die Staffel wieder an die letzte anknüpfen und diese möglicherweise über-trumpfen, klärt man nur alle Fragen gut und zufriedenstellend auf und vor allem: lässt man Peter und den Zuschauer wieder zu den lieb gewonnenen Charakteren zurück.

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