TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 7. März 2012

„Comedystreet“ - Abwechslungsreiche Unterhaltung auf Kosten anderer?

von Ruscha Blanke-Roeser

„Comedystreet“ ist eine deutsche Unterhaltungs-sendung, die seit 2002 auf dem deutschen Sender Pro 7 ausgestrahlt wird. Das Produktionsunternehmen ist Prime Productions GmbH. Der Protagonist der Comedysendung ist Simon Gosejohann. Die meisten Sketche sind in Nordrhein-Westfalen gedreht, Drehorte sind aber auch zum Beispiel Hamburg und Sylt. Derzeit läuft „Comedystreet“ als „Comedystreet XXL“ jede Woche donnerstags ab Mitternacht als Doppelfolge. Eine Episode dauert 22 Minuten und als XXL-Folge 44 Minuten.
Zum Beispiel beginnt die Folge Nummer sechs vom 24.02.2012 wie jede Episode mit einem kurzen, einprägsamen Clip, dann wird die Titelmusik eingespielt. Der Protagonist Simon Gosejohann tritt meist allein, gelegentlich jedoch auch mit anderen Schauspielern, auf. Stets begleitet ihn sein Bruder Thilo Gosejohann, welcher mit versteckter Kamera das Geschehen filmt. Oftmals ist der blonde Schauspieler verkleidet, manchmal wagt er sich aber auch in Alltagsklamotten auf die Straße. Das Konzept der Unterhaltungssendung „Comedystreet“ ist einfach: Simon Gosejohann mischt sich verkleidet oder unverkleidet unter die Menschen und verkaspert sie. Dabei macht er sich entweder über andere oder über sich selbst lustig.
Doch kann eine solche Comedysendung bei der großen Konkurrenz wirklich überleben und mit großem Erfolg bei den Zuschauern rechnen? Die Antwort ist: Ja! „Comedystreet“ ist tatsächlich eine der erfolgreichsten Unterhaltungssendungen im Fernsehen und erfreut sich hoher Einschaltquoten, selbst zu den ungewöhnlichsten Sendezeiten. Doch wie schafft es Simon Gosejohann, dass die Zuschauer vor Lachen literweise Tränen vergießen?
Die Antwort liegt auf der Hand: Simon Gosejohann ist ein Entertainer, wie er im Bilderbuche steht. Man kann ihn mit seiner großen Klappe und den teilweise obszönen Sprüchen lieben oder hassen - doch dass er sich Mühe gibt, kann niemand bestreiten.
Gosejohann schlüpft in sehr unterschiedliche, facettenreiche, gut durchdachte Rollen, welche dann oftmals wiederholt auftreten. Die Verkleidungen Gosejohanns sind lustig und abwechslungsreich, doch stellt sich die Frage: Sind die Kostüme wirklich realistisch und glaubhaft oder eher lächerlich? Sind die Verkleidungen so gut ausgewählt, dass die Opfer nicht einmal ahnen, dass sie veräppelt werden? In der Folge vom 24.02.2012 tritt Gosejohann zum Beispiel als Greis verkleidet vor zwei Frauen. Er erzählt ihnen von seinem Musikgeschmack und wie gerne er tanzen geht („Ey, wollt ihr ´mal mit mir mitkommen? Ich hab´ geile Styles auf dem Dancefloor am Start!“). Die Reaktion der Frauen ist sehr positiv, sie lachen herzhaft. Allerdings scheint es so, als würden sie wirklich nicht merken, dass sie es soeben mit einem Spaß zu tun hatten. Trotz der übertrieben ausgewählten Verkleidung Gosejohanns - unter anderem trägt er eine auffällige karierte Hose - scheinen seine Opfer ihm seine Erscheinung abzukaufen.
In einer anderen Szene erscheint er als Schuljunge verkleidet und beschwert sich vor drei Erwachsenen darüber, dass er noch keine Freundin hat. Obgleich man Simon Gosejohann eigentlich ansehen müsste, dass er aus dem Schulalter längst heraus ist, geben ihm die Leute sogar noch gut gemeinte Ratschläge.
Einige Verkleidungen Gosejohanns sind allerdings mit Absicht lächerlich ausgewählt. Das Outfit als Verkehrspolizistin, die Strafzettel verteilt, ist zum Beispiel wenig überzeugend und soll offenbar gezielt für ein Schmunzeln beim Zuschauer sorgen. Auch Gosejohanns Opfer in dieser Szene, eine Dame, die einen Strafzettel von ihm (beziehungsweise ihr) bekommt, kann sich nur schwer beherrschen.
Zugegebenermaßen sind aber andere Verkleidungen Gosejohanns derartig glaubhaft, dass selbst der größte Realist nicht zweifeln würde.
Verkleidet als Pornoregisseur, der mit zwei angeblichen Pornostars in eine Videothek marschiert, um dort unerlaubt zu drehen, bringt er eine Mitarbeiterin derartig in Verlegenheit, dass diese schon die Polizei rufen will.
Auch mit seiner Verkleidung als Guido, dem hyperaktiven Amateur-Sportler, wirkt er sehr überzeugend, als er zum Beispiel zwei ältere Herren zum Sport ermuntern will.
Liegt diese Überzeugungskraft nur an Simon Gosejohanns Verkleidung oder etwa auch an seiner schauspielerischen Leistung?
Kann man den gebürtigen Gütersloher als einen guten Schauspieler bezeichnen? Ja, kann man. Und die Begründung dazu folgt: Gosejohann ist ein raffiniertes Schlitzohr und weiß ganz genau, wann er wie handeln muss und mit welchen Witzen er welche Altersgruppe anspricht. Er macht nicht Halt vor sexuellen Themen und Wörtern, die den Geschlechtsakt vulgär umschreiben. Auch hat er kein Problem damit, sich vor allen Leuten so richtig zu blamieren. Wer über sich selbst lachen kann, der ist selbstbewusster und kann unbeschwerter durchs Leben gehen als andere. Das weiß jeder.
Simon Gosejohann hat also das gewisse Gesamtpaket, um ein guter Schauspieler zu sein. Das muss man ihm einfach lassen.
Offensichtlich hat er bei jeder seiner Handlungen eine genaue Vorstellung davon, wie die betroffenen Leute darauf reagieren sollen.
Will er sich zum Beispiel einfach nur vor allen Leuten „zum Affen machen“ und diesen ein Lächeln auf das Gesicht zaubern, wird sich als blondgelockte Tänzerin verkleidet. Dann wird Musik von Madonna laut aufgedreht und getanzt, getanzt, getanzt. Oder er streift sich Gummihandschuhe mit endlos langen Fingernägeln über und ein Maniküre-Termin wird vereinbart.
Diese Szenen verursachen einfach gute Laune, nicht nur bei den Leuten direkt im Geschehen sondern auch beim Zuschauer zuhause vor dem Bildschirm.
Will er die Leute auf amüsante Art und Weise schocken, wird zum Beispiel eine andere Schauspielerin zur Unterstützung geholt und das perfekte Pärchen wird verkörpert. Mitten auf einer Liegewiese wird vor den Augen anderer erst heftig geturtelt, dann – scheinbar - der Geschlechtsakt vollzogen.
Gerne verkleidet sich Simon Gosejohann auch als junge Frau, die laut darüber flucht, dass sie ihre Pille vergessen hat, obwohl doch noch ein Date mit „heißen Italienern“ bevorstünde.
Die Zuschauer kommen aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Das ist die eine Seite von „Comedystreet“: Die Menschen werden zwar von Gosejohann düpiert, jedoch eben auf amüsante Art und Weise. Er macht sich mehr über sich selbst lustig als über andere. Bei diesen Szenen wird kein Mensch direkt angegriffen, die Opfer Gosejohanns haben hier bloß Spaß beim Zusehen und können sich köstlich über die Szenerie amüsieren.
Doch es gibt auch eine andere Seite von „Comedystreet“: Es gibt Szenen, in denen Menschen, in teilweise verletzender Form, veräppelt und angegriffen werden. Manchmal spricht er die Leute dabei an, manchmal führt er sie durch unmögliche Handlungen in der Öffentlichkeit vor.
Hier stellt sich die Frage: Wie weit darf Simon Gosejohann gehen? Wie böse dürfen seine Witze sein? Wann sind Gosejohanns Taten noch hinnehmbar, ab wann einfach nur noch geschmacklos und verletzend? Werden Grenzen überschritten?
In einer Szene der Folge vom 24.02.2012 zählt er in aller Öffentlichkeit in einem Café die Namen zahlreicher Pornofilme auf, da er angeblich für ein Kreuzworträtsel nach dem richtigen sucht. Ohne Scham spricht Gosejohann dabei laut Wörter wie „Analstufe Rot“ oder „Trocken in der Muschi, feucht im Arsch“ aus und schert sich keineswegs drum, dass die Tischnachbarn offensichtlich angewidert und genervt sind. Hier lässt sich darüber streiten, ob die Grenze schon überschritten wurde. Allerdings wird niemand direkt angegriffen.
In einer anderen Szene mischt er sich zwischen zwei Herren und versucht diese zu überzeugen, dass sie alte Schulkameraden seien und sie doch früher immer sogenannte „Fotzenheftchen“ verkauft hätten. Als diese beteuern, ihn nicht zu kennen, verschwindet er mit den Worten „Was quatscht ihr mich dann so voll?“. Die Zurückgelassenen lachen und fassen das Geschehene offensichtlich positiv auf. Auch hier wurde keine Grenze überschritten, die Männer wurden zwar direkt düpiert, jedoch noch auf tolerable Art und Weise.
Es gibt aber auch Szenen, wo man ohne Zweifel von Grenzüberschreitung durch Simon Gosejohann sprechen muss. Ein Beispiel dafür ist ein Sketch, in welchem er vor eine Gruppe junger Frauen tritt und ihnen sagt, dass sie ihn an die Töchter seines Onkels erinnern würden. Diese Töchter seien „asoziale Drecksplagen“. Die Reaktion der jungen Frauen fällt verständlicherweise gemischt aus, einige sind entsetzt, andere lachen. Allerdings ist das Lachen vielmehr als perplexes Lachen aufzufassen. Gosejohann kann von Glück reden, dass trotz seiner Unverschämtheit die Reaktionen der Damen noch verhältnismäßig milde ausfallen.
Auch in einer anderen Szene wird als Reaktion auf eine Beleidigung gelacht. Als verkleideter Bootsführer geht der Protagonist von „Comedystreet“ an einem Pärchen vorbei und brummt: „So, wie Sie ´rumlaufen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn sie Sie bald verlässt.“.
Der angesprochene Mann und seine Partnerin reagieren amüsiert, jedoch ist nicht sicher, ob es sich bei ihnen schlichtweg um kritikunempfindliche Menschen handelt oder sie vielleicht Gosejohann sogar erkannt haben.
In einer anderen Szene der in Rede stehenden Folge beschmiert er als angebliche Reinigungskraft das Schaufenster einer Bäckerei, sodass die überforderte Bäckerin einen Kollegen zur Hilfe holt. Diese Szene ist sinnbildlich für einen weiteren  Aspekt bei „Comedystreet“, nämlich den der Überforderung. Die Opfer Gosejohanns werden von ihm teilweise in derartig ungewöhnliche und abstruse Situationen gebracht, dass diese gar nicht mehr wissen, wie sie handeln sollen.
In einer Szene zum Beispiel liefert er eine maskierte, in Leder gekleidete Frau mit Peitsche in einem persischen Feingebäckladen ab und verschwindet dann einfach wieder mit den Worten: „Ich hab ´ne Lieferung für Sie. Wo soll ich sie abstellen?“. Die Verkäuferinnen wissen sich in der Situation überhaupt nicht zu helfen, zumal die Frau in Leder nicht mit ihnen spricht. Die blanke Entgeisterung steht ihnen ins Gesicht geschrieben.
Auch das ältere Ehepaar, in dessen Garten Gosejohann, in Schutzkleidung gewandet, ein Fass mit angeblichen Giftstoffen hinterlässt, weiß nicht so recht, was da gerade vor sich geht. Gosejohann lässt sie völlig perplex stehen, in der Annahme, in ihrem Garten befände sich nun ein Fass mit Giftstoffen.
Dem Zuschauer ist klar, dass sich in diesem Fass alles Mögliche befinden kann, nur nicht Giftstoffe. Doch das Ehepaar weiß das in diesem Moment nicht. In dieser Szene überschreitet Gosejohann klar die Grenze, denn er jagt zwei älteren Menschen einen gehörigen Schrecken ein, ganz abgesehen davon, dass er einen Hausfriedensbruch begeht, indem er ihr Grundstück betritt.
Obgleich zahlreiche Menschen durch Simon Gosejohann und seine teilweise grenzwertigen Scherze zu Opfern werden, ist es zum Glück bekannt, dass nach jeder einzelnen Szene eine Aufklärung stattfindet. Danach wird noch um Sendeerlaubnis gebeten. Somit weiß jedes einzelne Opfer Gosejohanns unmittelbar, dass es sich um einen (mehr oder weniger derben) Scherz gehandelt hat.
Neben der überzeugenden schauspielerischen Leistung und den lustigen Verkleidungen Simon Gosejohanns trägt aber noch ein weiterer Aspekt dazu bei, dass „Comedystreet“ so erfolgreich und unterhaltend ist: Das Fremdschämen. Es ist allgemein bekannt, dass sich Menschen nicht gerne für sich selbst schämen und dass es hingegen viel angenehmer und bequemer ist, sich für andere zu schämen.
Besonders Simon Gosejohann sorgt für jede Menge Fremdschämen.
Auch die Opfer lösen bei den Fernsehzuschauern nicht selten eine gewisse Schadenfreude aus. Das klingt zwar sehr hart und auch ein wenig menschenverachtend, ist es aber gar nicht mal. Es ist wohl viel mehr die leise Angst des Zuschauers, selbst in eine solche Opferrolle zu geraten und die geheime Erleichterung, bloß Zuschauer des Geschehens zu sein.
Dass Simon Gosejohann sich gerne selbst düpiert und über sich lachen kann, ist ja nun bekannt. Also muss man sich als Zuschauer auch nicht schlecht fühlen, wenn man sich über ihn lustig macht. Denn das Ziel von „Comedystreet“ ist es ja, möglichst viele Zuschauer zu unterhalten. Und das schafft die Sendung vom 24.02.2012 ebenso wie ihre Vorgänger auch.

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