TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 1. September 2010

„Sie haben mich gerufen. Was kann ich für Sie tun?“ was Peter Zwegat so besonders macht


von Jasmin Bechtum

Am 1. September um 21:15 heißt es auf RTL wieder „Raus aus den Schulden!“. Die achte Staffel des Erfolgsformats wird seit Wochen von RTL angekündigt, mit dem Versprechen, auch dieses Mal wieder dramatische Schicksale vor Augen geführt zu bekommen. Konstante in der Serie ist der 60-jährige Peter Zwegat aus Berlin. Dieser absolvierte nach einer Ausbildung zum Verwaltungsbeamten das Studium der Sozialpädagogik, bevor er zum staatlich anerkannten Schuldnerberater in Berlin Friedrichshain wurde. Seit 2007 versucht er nun im Fernsehen Privatpersonen aus der Überschuldung zu führen. Immer im Gepäck: Die Flipchart und eine Schachtel Zigaretten. Bewerben kann sich jeder, der verschuldet ist, per E-Mail. Wichtigste Angaben sind neben der geschätzten Schuldenhöhe und der Art und Anzahl der Gläubiger auch soziale Faktoren - wie geht man mit der Situation in der Familie um und was erhofft man sich von Peter Zwegat? 

Letztere Angaben helfen sicher auch, die eher gewöhnlichen Bewerber, die vermutlich nicht die gewünschten Quoten bringen würden, auszusortieren. Es gibt oft wirkliche Härtefälle bei Raus aus den Schulden: Menschen, die durch beinahe erdacht klingende Schicksalsschläge und scheinbar unverschuldet in eine prekäre Situation gekommen sind und nun keinen Ausweg mehr sehen. Wie Claudia H. aus Waidhofen, die nach dem Tod ihres krebskranken Mannes 300.000€ Schulden aus dem gemeinsamen Fitnessstudio erbt. Zudem hatte der Verstorbene nur 6 Monate vor seinem Tod die Lebensversicherung gekündigt, staatliche Unterstützung wird der Witwe mit zwei Kindern verweigert, sodass sie sich mit einem Aushilfsjob und Essensspenden von Freunden über Wasser halten muss. Das sind die Geschichten, die die Zuschauer bewegen, bei denen man mitfiebert und hofft, dass die so hart arbeitende und vom Leben gebeutelte Frau doch endlich ihren Frieden finden möge. Auf einmal setzt man selbst alle Hoffnungen in Herrn Zwegat aus Berlin. Auch die neue Staffel verspricht solche herzergreifenden Geschichten: Gleich der erste Fall bringt den Schuldnerberater zu einer Frau, die von ihrem eigenen Bruder ein völlig heruntergekommenes Haus verkauft bekam und nun auf über 100.000€ Schulden und einer Ruine sitzt. Doch die Episoden, in denen sich naive oder uneinsichtige Schuldner finden, sind für den Zuschauer mindestens genauso unterhaltsam. Wie Familie Ülüglü: Hausherr Ismael bezahlt zwar seit 10 Monaten keine Miete, hat aber das Komplettpaket von Premiere bestellt und kauft Lebensmittel nur beim Feinkosthändler. Auch das allwöchentliche Essen im Restaurant möchte der Vater von fünf Kindern nur ungern aufgeben. Bei solchen Fällen überzeugt Peter Zwegat in der Rolle des streng tadelnden Herrn mit spitzem Humor genauso wie als mitfühlender Gesprächspartner. Die Quoten geben RTL Recht. Am 5. Mai 2010 sahen im Schnitt 4,22 Millionen Zuschauer die Serie. Bei den 14-49-Jährigen lag der Marktanteil bei 20,7 Prozent (Quelle: RTL). In Kombination mit der ebenso erfolgreichen „Super-Nanny“ um 20:15 ist der Mittwochabend für RTL also eine sichere Sache. Doch was bringt Menschen eigentlich dazu, ihre finanzielle Misere, an der sie häufig durch einen aufwendigen Lebensstil selbst Schuld sind, vor einem Millionenpublikum auszubreiten? Wer lässt sich gerne von einem Finanzberater in aller Öffentlichkeit für den Kauf des schicken Autos oder der 20.000€ teuren Einbauküche tadeln? Und wer gibt vor laufenden Kameras zu, dass er die gesamte Wohnungseinrichtung sowie unzählige Unterhaltungsgeräte per Ratenkauf bestellt hat, obwohl das Einkommen gerade einmal für das Nötigste reicht? Sicherlich- Die Wartezeit für einen Beratungstermin in den meisten Regionen Deutschlands ist lang- bis zu eineinhalb Jahre. Bis dahin „können die Schuldner doch schon sechsmal aus dem Fenster gesprungen sein“, so Peter Zwegat in einem Interview mit der TAZ vom 28. April 2008, in dem er den Ausbau der Beratungsstellen fordert. Auch unseriöse Schuldnerberater drängen auf den Markt und fordern oft hohe Gebühren, die den Schuldenberg dann noch vermehren. Also doch lieber bei dem vertrauensvollen, fast väterlichen Herrn Zwegat anfragen, der, wie es in der Sendung scheint, für jedes Problem eine Lösung parat hat? Oder hat das Fernsehen als alltägliches Medium in unserer Gesellschaft die Ämter und Institutionen als Helfer und Berater abgelöst? Sind die Menschen so frustriert von den Behörden, dass das Fernsehen eine schnellere und bequemere Lösung darstellt? Oder haben die Teilnehmer der Sendung das Bedürfnis, sich öffentlich darzustellen? Der Medienpädagoge Stefan Aufenanger vermutet, öffentliche Beratungsstellen seien mit sozialem Elend konnotiert, und so falle es den Teilnehmern leichter, bei einer Beratungs-TV-Sendung mitzumachen. Und diese Beratungssendungen gibt es mittlerweile für jede Lebenslage: „Helena Fürst- Anwältin der Armen“, hilft beim Ärger mit dem Arbeitsamt, bei „Endlich wieder Arbeit!“ fassen Langzeitarbeitslose wieder im Berufsleben Fuß und „Einsatz in 4 Wänden“ renoviert und saniert vom Messi-Haus bis zum maroden Bauernhof alles nach dem neuen IKEA-Katalog. In der Tat gibt es bei „Raus aus den Schulden“ in den bisher 7 Staffeln kaum einen Fall, der nicht doch noch ein gutes Ende genommen hat-wobei gut in dem Fall heißt, entweder Privatinsolvenz anzumelden und 7 Jahre auf jeglichen Luxus zu verzichten oder einen Vergleich zu erzielen- wobei besonders kleinere Gläubiger oft mit Minimalbeträgen abgespeist werden, immer mit der Androhung, dass im Falle einer Insolvenz gar kein Geld zu sehen sein werde. Auch die Verhandlungen mit Banken, Ämtern und anderen Gläubigern können meist zu einem für die Klienten guten Ergebnis gebracht werden- die Anwesenheit der Kamera und der Kommentar aus dem Off, dass nun alles von dem Entgegenkommen der Sparkasse Butzbach abhängt, tragen sicher ihren Teil zu diesen Erfolgen bei. Stures Beharren auf den Forderungen lässt die Gläubiger in einem schlechten Licht erscheinen- und wer will schon als der Getränkehändler bekannt sein, der der sympathischen Familie die letzte Chance auf einen Vergleich nimmt? Aber was interessiert Zuschauer an diesem Format? Sicher ist ein Punkt die Zurschaustellung der Probleme anderer, die meist die eigenen (Geld-) Sorgen recht klein erscheinen lassen. Aber auch, wenn die eigenen Nöte mit den Fällen der Sendung mithalten können, zeigt Herr Zwegat doch immer wieder, dass es für alle Probleme eine Lösung gibt und man am Ende nett zusammen bei Kaffee und Kuchen sitzen kann. Doch genau dies kritisiert z.B. der Psychologe Klaus Ritter. Dass Zuschauern weißgemacht werde, „Probleme ließen sich im Hau-Ruck-Verfahren lösen“, sieht er als Hauptproblem und verweist auf Patienten, die von ihm „nur noch klar formulierte „Super-Nanny“-Regeln hören wollen, statt sich in Gesprächen allmählich zu öffnen“. Das scheint wirklich ein Problem zu sein. Keine Beratungs-Sendung im Fernsehen dauert länger als 2 Stunden, im Schnelldurchlauf werden die einzelnen Etappen der Lösungsfindung gezeigt- auf jeden Rückschlag folgt ein kleiner Erfolg. Dass das nicht ganz der Realität einer Entschuldung entspricht und dass der Prozess oft ein sehr viel langwierigerer ist, als es in der Sendung erscheint, ist vielleicht nicht jedem Zuschauer bewusst. Manche Klienten, die in Ratenzahlungen ersticken, sind vielleicht auch nicht viel schlauer aus der Erfahrung geworden und tätigen nach einiger Zeit wieder einen Kauf auf Raten. Langzeithilfe bietet die Sendung also nur begrenzt: Durch den sporadischen Kontakt mit Herrn Zwegat während des Insolvenzverfahrens. Doch es gibt auch andere Impulse, die von Raus aus den Schulden ausgehen: Immer wieder landet Peter Zwegat bei Menschen, die resigniert haben und Briefe gar nicht erst öffnen, geschweige denn eine vernünftige Ablage vorzuweisen haben. Durch Sortieren und Auflisten aller Posten, Verträge, Einnahmen und Ausgaben folgt dann meist der große Knall: Die Schulden sind oft um einiges höher, als von den Teilnehmern zunächst gedacht. Nach und nach wird jeder Lebensbereich strukturiert, Zwegat, der selbst einige Jahre als Pflegehelfer arbeitete, agiert hier oft als Seelsorger. Am Ende steht die Familie tatsächlich noch vor einem langen Weg, aber der Grundstein für ein geregeltes Abzahlen ist gelegt, oft mithilfe einer Arbeitsstelle oder der außerordentlichen Kündigung eines Leasing-Vertrages. Das bringt manche Zuschauer zum Nachdenken: Mehrmals wurden anschließend bei „Stern TV“ selbst verschuldete Zuschauer von Raus aus den Schulden präsentiert, die nach der Sendung ihre Dokumente sortierten, überflüssige Ausgaben kürzten, Kredite zusammenfassten und nun auf dem besten Weg Raus aus den Schulden sind. Anders als bei vielen anderen Reality-Formaten werden die Teilnehmer hier nicht einfach vorgeführt. Auch wenn einige Klienten Zwegats hierfür bestens geeignet sind, geht es doch meist sachlich zu, der Fokus liegt auf den Schulden. Die Seitenhiebe an besonders uneinsichtige Schuldner kommen vom Berater selbst- wie im Fall des arbeitslosen Stefan S., der seine schwerstbehinderte Mutter für seine Sonderausgaben zum Putzen schickt und das Geld für einen Vergleich beim Online-Pokern gewinnen will, obwohl er dadurch bereits zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil seiner Schulden gekommen ist, und von Peter Zwegat ein geistiges Alter von 12 Jahren zugesprochen bekommt und für den Umgang mit seiner gutmütigen Mutter gerügt wird. All dies macht die Sendung so beliebt, und wie ich finde, häufig sehenswert. In der einen Folge kann man sich herrlich über die Ignoranz der Teilnehmer aufregen, in einer anderen ist man den Tränen nahe, wenn der kleine Sohn der Familie sich zum Geburtstag „ganz viel Geld“ wünscht, damit er die Schulden bezahlen kann und „Mama nicht mehr so viel weint“. Und im Mittelpunkt steht Peter Zwegat, „der Mann, dem die Gläubiger vertrauen“ (RTL). Der sympathische Kettenraucher wirkt sehr authentisch, hat immer einen lustigen Spruch oder ein aufmunterndes Wort parat und hat nach dem ersten Schock meist die Kontrolle über die Situation. Dieser väterliche Typ spricht die Zuschauer an, sein Mitgefühl sowie seine harten Worte treffen meist die Sicht des Betrachters. Abgerundet mit seinem Fachwissen zu rechtlichen Fragen, dass der Mann, der immer noch in seiner Studentenwohnung lebt, leicht verständlich und manchmal auch mithilfe von Playmobil-Schaubildern erklärt, ergibt diese Mischung die Vorzüge der Serie. Raus aus den Schulden bietet keine Patentlösungen, dafür aber ein paar generelle Ratschläge in Bezug auf Ratenzahlungen oder andere Schuldenfallen. Die unterschiedlichen Geschichten bieten alles in allem eine nette Abend-Unterhaltung um den Mann, „dem es nicht um seinen Gewinn geht, wenn er hilft- Peter Zwegat aus Berlin.“



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