TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 1. September 2010

MTV - Tot und lebendig

von Florian Schönsiegel

1981. Am ersten August um Mitternacht nimmt MTV in den USA den Sendebetrieb auf. Es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Der Sender wird großartig aufgenommen und in allen Medien gefeiert. Ein Phänomen sei damals geboren worden, MTV sei die TV-gewordene Popkultur oder einfach nur Kult - solche Formulierungen findet man auch heute noch häufig in Artikeln, die sich rückblickend mit dem Thema befassen. MTV wird sogar als so prägend auf die Jugend von damals angesehen, dass man selbst Begriffe wie „die MTV-Generation“ nicht selten vorfindet. Hauptverantwortlich für die immense Popularität MTVs in der Anfangszeit war wohl das Konzept. Hierbei war der Name Programm: „Music Television“ und nichts anderes. Ein Musikvideo folgte auf das andere. Das war einfach, aber das war auch neu und veränderte nicht nur die Musikindustrie sondern hatte auch Einfluss auf die Filmlandschaft. 
Musikvideos waren ein neues Medium im Erleben der Musik an sich. Aus den anfangs noch meist recht einfachen Kollagen aus wirrem Backstage-Material und Livemitschnitten bildete sich mit der Zeit eine echte Musikclip-Kultur, die sehr eindrucksvoll bewies, dass auch eine nur knapp fünfminütige „Musikbegleitung“ Kunst sein kann. MTVs Beitrag zur Medienwelt war enorm. 2010. In den USA gibt es MTV bereits seit 29 Jahren, in Deutschland, wo der Sender erst 1987 startete, seit mittlerweile 23. In drei Jahrzehnten kann eine Menge geschehen - und es ist eine Menge geschehen. MTV hat über die Jahre eine Reihe von Schwestersendern hervorgebracht, die nicht mehr unbedingt etwas mit Musik zu tun haben. In Deutschland sind sieben Sender den MTV Networks untergeordnet: Der MTV-Hauptkanal, MTV Entertainment, VIVA, Comedy Central, Nickelodeon, Nick Premium und Nick Junior. Der MTV-Hauptkanal entspricht heute dem Sender, der vor mehr als 20 Jahren in Deutschland auf Sendung ging. Musik ist dort immer noch ein fester Bestandteil im Programm - zwar gegenüber den Anfangszeiten drastisch reduziert, werden dennoch täglich etwa zwölf Stunden Musik gezeigt, meist die neuesten Videoclips, selten auch mal Älteres und ab und an auch mal ein Konzertmitschnitt. Nur bekommt ein Mensch mit einem normalen Tagesablauf von einem Großteil der Musik nichts mit. Denn MTV hat die Musik in die Nacht verbannt, nutzt sie als Füllmaterial wie andere Sender beispielsweise Call-In-Quizshows mit absurden Lösungen. Schaltet man hingegen nachmittags MTV ein, bekommt man fast keine Musikvideos zu sehen, gegen Abend werden meist noch ein bis zwei einstündige Sendungen gezeigt, die Musikclips beinhalten, wie etwa „brand: neu“ oder „Most Wanted Music“. Zu speziellen Anlässen, wie etwa dem jährlich stattfinden Festival „Rock am Ring“, gibt es auch mal nachmittags Musik. Ansonsten bekommt man bei MTV so gut wie alles zu sehen - außer Musik. MTV selbst nennt das Programm unkonventionell, progressiv und „edgy“, was wohl so viel wie „hip“ oder „trendig“ heißen soll. So unkonventionell ist das MTV-Programm aber gar nicht, wenn man es mit dem vergleicht, was man auf anderen Sendern geboten bekommt. Denn den Großteil der Sendezeit füllt MTV mit Reality-Fernsehen - ähnlich wie RTL, ProSieben oder Sat.1. Allerdings bekommt man bei MTV kaum mehr deutsche Formate zu sehen, sondern fast ausschließlich amerikanische Serien mit deutschen Untertiteln. Zum einen gibt es eine Unmenge an Dating-Shows: Relativ einfach gestrickte Sendungen, in denen ein Kandidat Blind Dates mit einer Anzahl an Singles hat und sich am Ende seinen Favoriten wählen kann - im Prinzip eine jugendlichere Variante des bei uns bekannten „Herzblatt“. Der Ablauf und die Dialoge der Sendungen sind größtenteils in einem Drehbuch festgehalten, nachdem sich die Kandidaten - alles Laienschauspieler - richten. Das Ergebnis sind kurzweilige Sendungen mit einem Haufen zweideutiger Anspielungen und - ähnlich wie im deutschen Reality-TV - unterdurchschnittlichen schauspielerischen Leistungen, die man sich aber zur Entspannung durchaus mal ansehen kann. Der einzige Unterschied zu den deutschen Formaten besteht wohl darin, dass diese Dating-Shows noch einfacher und billiger zu produzieren sind: Schließlich ist die Ausgangssituation immer die gleiche - eine Handvoll Charaktere mit festumrissenen Eigenschaften genügt um eine neue Folge zu drehen. Zum anderen hat MTV einige Shows im Programm, die man selbst als „Action-Trash“ bezeichnet. Angefangen hat alles vor ungefähr zehn Jahren mit „Jackass“, einer Sendung, in der die Akteure gefährliche, geschmacklose und teilweise auch selbstverletzende Stunts und Mutproben durchführen. Trotzdem war das Konzept so erfolgreich, dass heute beinahe jeder der früheren „Jackass“-Darsteller eine eigene Show auf MTV hat und andere das Format kopieren und weiterentwickeln. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl an anderen Reality-Shows: „Pimp My Ride“ etwa, in der beinahe schrottreife Autos mit großem Arbeits- und Geldaufwand „gepimpt“, d.h. mit allerlei optischen „Verschönerungen“ versehen, werden oder „Made“, in der mehrheitlich Schülern geholfen wird, sich einen Traum zu erfüllen, meistens der Kategorie „Ich möchte Skateboarder werden“ oder Breakdance lernen. Außerdem gibt es noch zahlreiche Shows, die der Reality-Show „The Bachelor“ nachempfunden sind; das Prinzip dabei ist immer dasselbe: Eine Gruppe meist junger Leute konkurriert um einen (mehr oder minder abgehalfterten) Star, sei es ein Rapper, Rocker oder IT-Girl, der eine feste Beziehung sucht. Allerdings ist die Suche meistens erfolglos, da von allen Shows eine zweite oder gar dritte Staffel existiert. Selbst Paris Hilton hat auf diese Weise schon versucht einen „neuen besten Freund (oder neue beste Freundin, je nachdem)“ zu finden, allerdings ebenfalls ohne Erfolg. Aber natürlich hat MTV nicht nur Reality-Sendungen im Programm. Cartoons wie „South Park“, das häufig für seinen Umgang mit sensiblen Themen gelobt aber oft auch kontrovers diskutiert wird, oder „Family Guy“ gehören durchaus zu den besseren Vertretern ihres Genres und laufen auf MTV täglich. Vor kurzem hat MTV außerdem mit „Blue Mountain State“ und „The Hard Times of RJ Berger“ zwei Comedyserien ins Programm genommen, die qualitativ hochwertiger sind und am besten als „Teenie-Film in Serienform“ beschrieben werden könnten. Betrachtet man die Liste der oben aufgezählten Sendungen, ist es kaum verwunderlich, dass beispielsweise die Tageszeitung „Die Welt“ das deutsche Musikfernsehen schon vor einigen Jahren für tot erklärt hat. Allerdings macht man es sich damit wohl etwas zu einfach. Sicher ist MTV nicht mehr das, was es früher einmal war. Sicher ist aber auch, dass das ursprüngliche Konzept heutzutage nicht mehr zeitgemäß wäre. Wer würde heute noch stundenlang vor den Fernseher sitzen und warten bis ein bestimmtes Musikvideo gespielt wird wo man doch in Sekundenschnelle jeden beliebigen Clip aus dem Internet abrufen kann? „Die meisten Musikvideos werden im Internet angeschaut oder auf ein tragbares Abspielgerät geladen“, stellte der Frankfurter Kulturwissenschaftler Thorsten Wübbena fest. „MTV und Viva müssen aufpassen, dass sie in diesem Wandel nicht untergehen.“ Dass MTV weniger Musik spielt, ist also eine nachvollziehbare Entscheidung. Fernsehen kann mit den individuellen Möglichkeiten des Internets nicht mithalten. MTV hat das erkannt und entsprechend reagiert: Musik raus aus dem TV (zumindest so lange es hell ist) und rein ins Internet. Auf mtvmusic.com hat der Sender ein Musikportal errichtet, das das ehrgeizige Ziel hat, jedes jemals produzierte Musikvideo im Archiv zu haben. Davon ist man selbstverständlich noch weit entfernt, aber mit ungefähr 7500 verschiedenen Künstlern und einem Vielfachen an Clips ist man auf dem richtigen Weg. Und anders als bei YouTube etwa heißt es hier nicht andauernd „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar.“, sondern man kann wirklich (noch) alle Videos ohne Einschränkungen ansehen. Vollständig von der Musik abgekehrt hat sich MTV also nie. In anderen Ländern, allen voran im Gründungsland USA, wurden beispielsweise als Ausgleich für die neue Ausrichtung auf Reality- und Dokusoap-Formate mehrere Sender gegründet, die mehr oder gar vollkommen auf Musik fokussiert sind. In Deutschland sind diese aber entweder gar nicht oder nur über Pay-TV oder Digitalfernsehen zu empfangen und erreichen so nur einen kleinen Teil der deutschen Bevölkerung. So unberechtigt ist also der Vorwurf, dass das deutsche Musikfernsehen tot sei, nicht. Jedoch kann man den Kritikern des neuen MTV-Kurses auch entgegenhalten, dass viele nicht wahrhaben bzw. nicht wahrnehmen wollen, dass Populärkultur sich stetig wandelt. MTV war prägend für eine Generation, doch der Einfluss auf Kultur und Gesellschaft ist nicht unbegrenzt. Vor MTV waren es Ereignisse wie Woodstock und die Hippiebewegung, jetzt sind es Soziale Netzwerke, YouTube oder das Internet im Allgemeinen, die sich auf das Denken und Handeln junger Menschen auswirken. Vollkommen gutheißen möchte ich das heutige MTV-Programm aber auch nicht. Trash-Fernsehen in Maßen ist in Ordnung und findet sicher auch seine Zuschauer, genauso wie Trash-Filme ihre Fans haben. Ein wenig hochwertiger könnte das Programm aber trotzdem sein. Außerdem: Man kann auch ohne durchgängig Musik zu spielen noch ein Musiksender sein. Eine Sendung wie „Masters“ etwa, die immer auf abwechslungsreiche und kreative Weise ein bestimmtes Thema aus dem Musikbereich behandelt, belegt das - hierbei ist wenigstens noch der Musikbezug gegeben. Dass „Masters“ mittlerweile gestrichen wurde, zeigt aber, wohin es mit MTV im Fernsehen in Zukunft geht.

4 Kommentare:

  1. Ich finde erstaunlich, dass die in Deutschland produzierten Sendungen von MTV, wie zB. MTV Home, viel ansprechender sind, als alle amerikanischen Sendungen. Problematisch ist es nur, wenn eine amerikanische Show direkt ins Deutsche adaptiert wird. MTV (Deutschland) sollte anhand von MTV Home und Game One merken, dass sie mit eigenen Ideen viel weiter kommen, als mit Kopien.

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  2. Florian Schönsiegel9. September 2010 um 09:26

    Ob die in Deutschland produzierten Sendungen von MTV (übrigens sind mittlerweile nur noch vier übrig geblieben) nun besser gefallen als die amerikanischen, liegt wohl immer im Auge des Betrachters. Aber generell würde ich Ihnen schon zustimmen, mir gefallen auch die deutschen Formate um einiges besser - allen voran Game One.
    Ihrer letzten Anmerkung muss ich allerdings (teilweise) widersprechen: Gemessen an den Quoten (und die sind ja für einen Fernsehsender hauptsächlich für die Programmplanung ausschlaggebend) sind die deutschen Sendungen nicht durchweg ein Erfolg. Bei Game One stimmen die Zuschauerzahlen, die Sendung gehört auf MTV mit zu den am meisten gesehenen. MTV Home konnte allerdings bei den relevanten Zielgruppen nur sehr niedrige Werte verbuchen.

    Siehe:
    http://www.quotenmeter.de/cms/?p1=n&p2=40388&p3=
    und
    http://www.quotenmeter.de/cms/?p1=n&p2=41746&p3=

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  3. Marktantaeile spiegeln ganz klar:
    DASS MTV nicht nur stirbt, sondern schon längst TOT ist! Pay-TV und Umstellung von VIVA TV besiegeln den Absturz... endlich!!!
    http://www.quotenmeter.de/cms/?p1=c&p2=28&p3=

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  4. Florian Schönsiegel17. Januar 2011 um 12:47

    Wer sich das Datum des Artikels ansieht, dem muss klar sein, dass die Umstellung von MTV zum Pay-TV-Sender zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war. Erst am 5. Oktober wurde diese Meldung veröffentlicht, etwa 2 Monate nachdem dieser Eintrag verfasst wurde. Natürlich könnte man sich darüber streiten, ob die Umstrukturierung des Sender hätte vorhergesehen werden können. Allerdings bin ich kein Medienanalytiker und für mich sah das Sendekonzept (das so ja bereits seit einigen Jahren verfolgt wurde) noch relativ stabil aus. Und außerdem: Es ist nicht das erste Mal, dass MTV zum Pay-TV-Sender wird. Schon 1995 hatte man einen solchen Versuch gestartet - mit miserabler Resonanz - und ist nach 5 Jahren wieder ins Free-TV zurückgekehrt. Also: Wer weiß, vielleicht sehen wir MTV in ein paar Jahren wieder unter den frei empfangbaren Sendern? Oder vielleicht nie wieder. Fragt sich, was wohl besser wäre...

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