TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 1. September 2010

Solitary - Besieg dich selbst!

Von Julian Hoffmann

Vermeitlich Prominente in Isolationshaft. Tränen, Schreie und Emotionen im Kampf gegen sich selbst. Und dazu noch Sonja Kraus. Dies ist der Beginn des Samstagabend auf ProSieben. Unter dem Motto Next Level Entertainment startet jeden Samstag zur Prime Time der Reigen von Qual, Schmerz, Demütigung und dies nicht nur bei den Teilnehmern. ,,Solitary - Besieg dich selbst!“, heißt die Show mit der ProSieben versucht das diesjährige Sommerloch zu stopfen.
 Die Show ,,Solitary” (engl. Abkürzung für Einzelhaft) ist ursprünglich eine Produktion des amerikanischen Senders Fox der seit 2006 bereits vier Staffeln ausgestrahlt hat. Die deutsche Fassung wird in den original Kulissen in Los Angeles gedreht. und seit dem 17. Juli Samstags um 20:15 Uhr mit stetig fallenden Quoten ausgestrahlt. So sahen beispielsweise die sechste Folge weniger als eine Million Menschen, was für eine Samstagabend-Show enttäuschend, und für die Folgeformate ,,Elton vs. Simon - Die Show” und ,,League of Balls” problematisch ist. Neun mehr- oder weniger prominente Kandidaten lassen sich bis zu zehn Tage in Einzelhaft stecken. Ihre achteckige und ca. neun Quadratmeter große Zelle ist dabei Match-, Schlaf- und Aufenthaltsort. Zu keinem Zeitpunkt gibt es Kontakt zur Außenwelt. Die Kandidaten, darunter ein Playmate, eine Moderatorin, zwei ehemalige Teilnehmer einschlägiger Castingformate und ein Wrestler, müssen sich täglich zwei Spielen stellen. Im ersten, dem sog. Safety-Spiel, kann im Falle eines Sieges das Ticket in die nächste Runde gelöst werden. Eine Teilnahme am Entscheidungsspiel wird dann durch eine angenehmere Tätigkeit, beispielsweise ein Schaumbad ersetzt. Die Kandidaten die am Entscheidungsspiel teilnehmen, kämpfen gegen das Ausscheiden und gegen sich selbst, denn Ziel ist es, nicht als erster bei der Prüfung zu scheitern. Da man jedoch durch die Isolation nicht weiß, ob schon jemand aufgegeben hat, ist es das Ziel möglichst lange durchzuhalten, um den Gegner zu besiegen. Inhalt der Spiele ist die Verbindung von körperlicher und geistiger Anstrengung. So müssen zum Beispiel Ziegelsteine von einer in die andere Ecke der Zelle geräumt werden, um die Möglichkeit zu bekommen, sich eine Botschaft einzuprägen die anschließend ohne Fehler wiederholt werden muss. Dem Gewinner winkt der Titel ,,Solitary Super Champion”. Ein Geldgewinn, wie in der amerikanischen Version, ist nicht vorgesehen. Dies wäre aufgrund des Prominenten-Status der Teilnehmer auch nicht möglich. Bis hierhin fallen dem geneigten Sadismus-Fernseh-Liebhaber, wahrscheinlich nur kleine Änderungen zum ähnlichen Format ,,Ich bin ein Star holt mich hier raus” vom Konkurrenzsender RTL auf. Prominente nutzen die Möglichkeit der Selbstdarstellung im Fernsehen, speziell in Form von Reality-Shows aus, um sich wieder bekannter zu machen. Das Schauspiel Prominenter die sich nicht zu schade sind die Hälfte der 135-minütigen Sendezeit ständig im Bikini oder Badehose vor der Kamera zu flanieren ist ebenfalls bekanntes Merkmal Reality-Shows. Auch das Gefühl des ungestörten Beobachtens und des Voyeurismus wird von ,,Solitary” in alter Big-Brother-Tradition fortgeführt. So werden also insgesamt alle Vorrausetzungen erfüllt die Reality-Show-Format erfüllen muss. Doch irgendetwas an dieser Show ist anders und zutiefst beunruhigend. Als Besonderheit ist nicht die Moderation der ProSieben-Inkarnation des Trash-TV Sonja Kraus auszumachen, die in ,,Solitary “ völlig deplatziert wirkt, da sie nur die Werbeunterbrechungen einleitet, das obligatorische Gewinnspiel vorstellt und mehr als Co-Moderatorin für Alice dient. Alice, eine weibliche Computerstimme, welche die Kandidaten durch die Spiele leitet und sich begrenzt mit ihnen in Konversation begibt, wird zum eigentlichen Kern der Show. Stilisiert durch Animation ist Alice ein allmächtiger Computer in dessen Reich sich die Kandidaten begeben. So gibt Alice jedem der Kandidaten eine Nummer und nennt sie schlicht ,,ihre Gäste”. Alice will dabei die Kandidaten testen und vor unmenschliche Aufgaben stellen, um zu erfahren, dass jeder Mensch gebrochen werden kann. Quasi ein Sieg der Technik gegenüber dem Menschen. Dabei ist Alice jedoch kein allein von rationalen Kalkülen gelenktes Gebilde, wie man es von einem Computer annehmen müsste, sondern beweist an einigen Stellen ungeahnte Menschlichkeit, wenn sie sich von Kandidaten so sehr beeindruckt zeigt, das sie die Prüfung abbricht. Um die Verwirrung des Zuschauers noch zu steigern, fungiert Alice ebenfalls noch als Moderatorin, wenn sie die Tätigkeiten der Kandidaten aus dem Off kommentiert und danach unmittelbar wieder in das Geschehen eingreift. Alice die omnipräsente, fiktive Herrscherin über ihre fiktive Welt. Und dies ist der große Unterschied zum Reality-Urgestein ,,Big Brother”, bei dem zwar ebenfalls den Überwache mimte, jedoch noch Konversation mit der Außenwelt, in Form von Studio-Live-Schaltungen bestand. Bei ,,Solitary” ist Alice die einzige die die Gewalt über das Spiel hat, die Kandidaten sind ihr ausgeliefert und müssen das tun was sie verlangt. Der einzige Ausweg aus der Folter von Schlafentzug, Isolation, körperlicher und psychischer Anstrengung sowie Demütigung durch einen fiktiven Herrscher, ist das Drücken des roten Knopfes und damit die Aufgabe und das Ende der Selbstdarstellung. Glaubt man ProSieben, so soll das ,,nächste Level der Unterhaltung” in der Darstellung von Inhalten bestehen die nach der der Antifolterkonvention als Folter gelten. Die Isolation von der Außenwelt und das Ausgeliefertsein an eine alles überwachende Computerstimme, welche durch ihre bedrohende Existenz eine große psychische Belastung ist. Dazu die Qual der Ungewissheit über das Verhalten des Anderen in der Nachbarzelle, sowie körperliche Belastung durch Enge und Freiheitsentzug. Dies alles sind Tatmerkmale der Folter. Natürlich sind alle Teilnehmer freiwillig bei ,,Solitary” dabei und haben jederzeit die Möglichkeit die Show zu verlassen. Doch dann warten Spott und Hohn auf die, die aufgegeben haben. Denn Alice spart nicht an Worten, die das den Kandidaten jederzeit vor Augen führen. ,,Solitary” weckt Erinnerungen an die beängstigende Atomssphäre in George Orwells dunkler Zukunftsvision ,,1984” in der durch völlige Überwachung kein Platz für Individualismus bleibt. Die Teilnehmer befinden sich in einer Situation der fast vollständigen Ausgeliefertheit gegenüber einer höheren Instanz, welche sich auf dem zweiten Blick nicht als bloße Computerstimme Alice entpuppt, sondern in letzter Instanz als die Institutionen des Fernsehens, die über die Kandidaten in ihrer eigenen Welt richtet und walltet. Dies und die perfide Darstellung von Folter macht die Perversion des Formates ,,Solitary” aus. Diese beängstigenden Banalität ist ProSiebens Interpretation der nächsten Stufe der Unterhaltung.

Von Bedeutung ist hier der Anspruch den ProSieben selbst vertritt das nächste Level der Unterhaltung zu kennen. Und dies ist nicht nur für eine Samstag-Abend-Show von Bedeutung sondern für das Fernsehen an sich. Wenn ein Sender für sich in Anspruch nimmt zu erkennen was die nächste Form der Unterhaltung ist und dies in Folter, Individualismus und Überwachung besteht, so sind wir an den selben Punkt angelangt der bei ,,Solitary” kritisiert wird, nämlich die Darstellung der Gewalt von und durch Medien, und im speziellen das Fernsehen. Wenn man nun noch die desaströsen Quoten in die Betrachtung mit einbezieht muss feststellen, dass die Zuschauer dieser Form der Unterhaltung überdrüssig werden. Und eine dauerhafte Bevormundung mit Entzug ihrer Aufmerksamkeit entgegentreten.



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