TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 1. September 2010

Von Kompromissen und Wagnissen: Kinofilme im TV













von Christina Grundl


Als im März die Free-TV-Premiere des Blockbusters „Fluch der Karibik 3“ auf ProSieben ausgestrahlt wurde, gelang dem Sender ein fulminanter Quotenhit. Sage und schreibe sieben Millionen Zuschauer lockte das Piraten-Epos an - satte 40 Prozent der werberelevanten Zielgruppe. So viel hatte seit der Fußball-EM 2008 keine Sendung mehr erreicht. Die unglückliche Panne eines ProSieben-Mitarbeiters trat dabei eher ins Hintertreffen. Am besagten Sonntagabend vergaß der Bemitleidenswerte nämlich, den Schluss des Blockbusters einzulegen. Stattdessen ließ er das Programm nach dem letzten Werbeblock nahtlos weiterlaufen. Ein solcher Fauxpas ist an sich keine große Sache, der Sender entschuldigte sich und machte menschliches Versagen für den Fehler verantwortlich. Die letzte Sequenz war ohnehin nicht unbedingt essenziell für das Verständnis der Story – im Kino lief sie als Post-Credit-Szene nach dem Abspann.

Solch unglückliche Einzelfälle sind zwar ärgerlich, aber nur die Spitze des Eisbergs. Bei allem Komfort durch HD-Fernseher und gute Soundanlagen – ein Heimkinofreund muss sich auf einige Kompromisse einlassen. Die Werbeunterbrechungen, die den Zuschauer etwa alle 20 Minuten aus der Geschichte reißen und zurück in sein Wohnzimmer katapultieren, sind dabei das geringste Problem. Daran hat man sich nach fast 30 Jahren Privatfernsehen im Normalfall gewöhnt. Die Immersion, das tatsächliche Eintauchen in den Film wird vielmehr durch die Rezeptionssituation an sich erschwert. Sieht man sich einen Spielfilm werbefrei, beispielsweise auf einem öffentlich-rechtlichen Sender an, befindet man sich deswegen trotzdem noch zuhause. Im Gegensatz zum Kino schafft der Fernseher keine Realität - er ist Teil der Realität. In Günter Giesenfelds und Prisca Pruggers Arbeit zu Fernsehserien beschreiben sie das Fernsehen passend als „zweite Ebene von kontinuierlicher Lebenserfahrung, in der Fiktion und Alltagswelt sich verschlingen können“. Die Alltäglichkeit ist es gerade, welche die beiden Medien so stark voneinander abgrenzt – von der Bildgröße ganz zu schweigen. Anders als im Kinosaal ist der Zuseher im Wohnzimmer zeitlich, räumlich und sogar inhaltlich ungebunden. Und selbst wenn er nicht um- oder abschaltet oder sich ein neues Bier aus der Küche holt – allein die Möglichkeit dazu macht den Unterschied. Der Inhalt ist dabei fast nebensächlich, wie Marshall McLuhan bereits 1964 erkannte. „The Medium ist the Message“ – die Werbepausen tragen nur ihren Teil dazu bei.

Komplizierter wird es aber, wenn selbst dieser Rezeptionskompromiss immer weiteren Einschränkungen unterliegt. Ein passendes Beispiel hierfür ist der Trend zur Split-Screen-Werbung, also die parallele Ausstrahlung werblicher und redaktioneller beziehungsweise fiktionaler Inhalte. Werbung und Programm werden auf dem Bildschirm räumlich voneinander getrennt, per Gesetz ist eine eindeutige, optische Unterscheidung vorgeschrieben. So kann es also sein, dass sich unter der fliegenden Plastiktüte aus „American Beauty“ plötzlich ein stöhnender Homer Simpson ins Bild drängt, der einen überdimensionalen Doughnut vor sich her schiebt und für die neue „Simpsons“-Staffel wirbt. Auch die Praxis des langsameren Abspielens von Filmen durch den Sender ist kein Geheimnis. Dadurch lässt sich ein zusätzlicher Werbeblock im zuschauerstarken Programm platzieren, ohne den rechtlich festgelegten Abstand von 20 Minuten zwischen den Unterbrechungen zu unterschreiten. Durch solche Praktiken wird der Film nicht nur unterbrochen, sondern in seiner ästhetischen und sogar inhaltlichen Wirkung verfremdet. Noch extremer zeigt sich das in der gängigen TV-Praxis des nachträglichen Schneidens von Spielfilmen. Dabei muss es sich nicht unbedingt um brutale Horror- oder Sexszenen handeln. Am 27. Dezember 2009 zeigte RTL die Wiederholung des Peter-Jackson-Remakes vom Monster-Klassiker „King Kong“. Der Sender entschied sich dafür, den Film bereits nachmittags um 13:45 Uhr auszustrahlen. Der Kompromiss diesmal: 67 Schnitte und unglaubliche 23 Minuten Kürzung vom Original, das von der FSK ohnehin bereits für Zwölfjährige freigegeben worden war. Ob Peter Jackson das weiß?

Dabei handelt es sich nur um ein Beispiel von unzähligen, kaum ein Film wird uns im Privatfernsehen so gezeigt, wie er ursprünglich beabsichtigt war. Dabei stellt sich doch die Frage, wie viel den Sendern ein solcher Kinofilm wert ist. Muss man gewaltlastige Action- oder Horrorfilme unbedingt vor 23:00 Uhr senden und dabei schlechte Schnitte und Anschlussfehler billigend in Kauf nehmen? Wie wichtig ist es den Sendern überhaupt, dem Zuschauer einen bestmöglichen Fernsehabend mit einem guten Film zu bieten? Der Lizenzhandel funktioniert längst nicht mehr nur mit Einzeltiteln. In „package deals“ werden bis zu 100 Spielfilme auf einmal gekauft. Die A-Titel funktionieren dabei als Zugpferde. Blockbuster gibt es aber nur in Kombination mit weniger attraktiven B- und C-Titeln. Offenbar sind einige Verantwortliche glühende McLuhan-Fans – der Inhalt wird überbewertet. Das würde auch ProSiebens kleines Piratenunglück in völlig anderem Licht erscheinen lassen.

Dabei muss es nicht so sein. Die meisten öffentlich-rechtlichen Sender bemühen sich durchaus, Kinofilme möglichst in ihrer Originalfassung und sogar im Originalformat auszustrahlen, auch wenn das manchmal zu seltsamen schwarzen Balken an allen vier Seiten des Bildschirmes führt. Ein Fernseher, egal wie dünn und groß, ist und bleibt ein Fernseher und keine Kinoleinwand. Trotzdem wäre es falsch zu fordern, Kinofilme nicht mehr ins TV-Programm aufzunehmen. Das Fernsehen hat im Laufe der Zeit einen großen, wenn auch nicht unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung einer Filmkultur beigetragen. Vor dem Siegeszug von DVD und Internet stellte es die einzige Vermittlungsinstanz zwischen Filmgeschichte und Gegenwart dar.

Erst am gestrigen Samstagabend wagte arte dabei einen interessanten Versuch und kooperierte dafür sogar mir einem eher ungeliebten Kollegen – der „Bild“-Zeitung. Gezeigt wurden Alfred Hitchcocks „Bei Anruf Mord“ von 1953 und der Horrorfilm „Der Schrecken vom Amazonas“ aus dem Jahr 1954 – in 3D! Um möglichst viele Zuschauer anzusprechen wagte arte einen gelungenen Marketing-Coup. Die Brillen lagen der aktuellen Ausgabe der „Bild“-Zeitung bei, die ihrerseits komplett in 3D-Optik gedruckt war. arte dabei die Absicht zu unterstellen, auf den 3D-Zug aufspringen zu wollen, ist - hat man den Film gesehen - völlig ungerechtfertigt. Das Polarisationsverfahren mit den rot-grünen 3D-Brillen ist kaum mit aktuellen Techniken zu vergleichen. Tatsächlich hatte Alfred Hitchcock bereits ein halbes Jahrhundert vor James Camerons „Avatar“ mit der Technik experimentiert – damals übrigens, um dem drohenden Kinosterben entgegen zu wirken. Im Gegensatz zu den hyperrealen tiefschichtigen Ansichten eines „Avatar“ wirken die rot-grünen Pappbrillen fast süß und irgendwie kultig. Auch wenn die strapazierten Augen nach 101 Minuten irgendwann nach Erlösung schreien und der zweifellos raffinierte Hitchcock-Klassiker auch zweidimensional Spaß gemacht hätte, von solchen Wagnissen wünscht man sich mehr im Fernsehen – auch von den Privatsendern.

Es muss ja nicht gleich ein 50er-Jahre-Film sein, etwas mehr Wertschätzung und Gegenliebe gegenüber dem Werk von Filmschaffenden würde schon genügen. Schließlich gelten Spielfilme als entscheidende Investition in die Marke des Senders, nicht zuletzt weil Werbekunden etwa fünf Mal soviel in sie investieren, wie in TV-Produktionen. Daneben profitiert auch die Filmindustrie von Lizenzvergaben an Fernsehsender. Etwa ein Viertel der Einnahmen eines Kinofilms resultieren aus der nachgelagerten TV-Vermarktung, von den DVD-Verkäufen ganz abgesehen. Anders könnten die horrenden Budgetaufwendungen auch nicht mehr refinanziert werden. Sah sich die Kinoindustrie in den 50er und 60er Jahren noch durch das aufstrebende neue Medium Fernsehen in Gefahr, ist aus der einstigen Konkurrenz eine Interdependenz geworden, die für die Zuschauer ebenso sinnvoll sein sollte, wie für Fernsehmacher und Filmschaffende.

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