TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 1. September 2010

Dschungelcamp meets Big Brother: Solitary, der neue Tiefpunkt am Samstagabend?

von Andreas Kilian

„Bis nächste Woche - und halten sie durch!“ – mit diesen Worten verabschiedete sich am gestrigen Abend Prosiebens omnipräsente Moderatorin Sonya Kraus von den Zuschauern der neuen Gameshow Solitary. Diese wurde nun bereits zum siebten Mal in Folge am Samstag in der Primetime ausgestrahlt. Das ursprünglich vom US-amerikanischen Sender Fox stammende Format wirkt auf den ersten Blick wie eine Synergie aus den bekannten Sendungen Big Brother und Dschungelcamp, welche jedoch beim Konkurrenzunternehmen, der RTL-Group, ausgestrahlt wurden. Doch lässt man sich nur wenig länger berieseln, so fällt einem noch eine weitere Kernkomponente der Show ins Auge: der selbst erhobene Anspruch, dass die anfänglich neun Kandidaten nicht gegen einander antreten, sondern einzig und allein gegen sich selbst. Dies klingt erst einmal spannend und unkonventionell, doch kann das Format dieses Potenzial umsetzen oder klafft hier eine große Lücke zwischen Theorie und Praxis?
Die Staffel wurde bereits im Jahr 2009 am amerikanischen Originaldrehort aufgezeichnet und soll nun ganz offensichtlich den Samstagabend von Prosieben während des Sommerlochs füllen. Zumindest so lange, bis sich die alteingesessene Gameshow Schlag den Raab am 18.09.2010 wieder von der Sommerpause zurückmeldet und den Sendeplatz für sich beansprucht.
Alle Kandidaten der deutschen Solitary-Staffel sind mehr oder weniger prominent – Sonya Kraus, welche nur ab und an bei einer kurzen Anmoderation zu sehen ist, beschreibt dies in der ersten Sendung mit folgenden Worten: „Es handelt sich hierbei nicht um ganz normale Menschen, nein, die Rede ist von Promis, oder solchen, die sich dafür halten.“ Vor allem der letzte Teil des Satzes spiegelt die Situation gut wieder und weckt zudem Gedanken an das Dschungelcamp - die Bandbreite der Teilnehmer reicht zwar von Sängern über Schauspieler bis hin zu Playmates und Wrestlern – doch kaum jemand ist wirklich bekannt. Somit scheint besonders der Wrestler gut in der Sendung aufgehoben zu sein – Schaukämpfe sind schließlich auch mehr Schein als Sein. Die mangelnde Prominenz ist ohnehin kaum von Bedeutung, denn Namen spielen eine untergeordnete Rolle. Der Grund: jeder Kandidat bekommt anfangs eine eigene Nummer zugewiesen, die fortan sein Rufname ist. „Nummer 9, du hast als einziger durchgehalten!“ – und urplötzlich kommt einem die Wartehalle der örtlichen Kfz-Zulassungsstelle in den Sinn.
Doch wie sieht ein Kampf gegen sich selbst aus, der die Teilnehmer an ihre körperlichen, mentalen und emotionalen Grenzen bringen soll? Zuerst werden die Kandidaten in ihre 8 Quadratmeter großen Zellen – auch Wohnkapseln genannt - gebracht, welche in futuristischer Gestaltung daherkommen. Sie beinhalten kaum Einrichtung und könnten ebenfalls als Arrestzellen-Kulisse in einem Science-Fiction Film gedient haben. Überall sind Kameras versteckt, die die Menschen ins Visier nehmen – Big Brother lässt grüßen. An den Wänden sind zwei Knöpfe, ein roter und ein grüner. Drückt ein Spieler zu einem beliebigen Zeitpunkt den roten Knopf, darf er seine Zelle verlassen und kann nie wieder zurückkehren – was natürlich tragisch wäre, nachdem damit auch der Traum vom Siegertitel „Solitary Superchampion“ platzen würde. Der grüne Knopf ist zur Kommunikation mit dem alles überwachenden Computer „Alice“ gedacht, welcher während der Show der einzige Ansprechpartner für die neun tapferen Promis ist. „Ihr seid absolut allein, mit Ausnahme von mir. Ich bin euer einziger Kontakt zur Außenwelt, ich bin euer einziger Gefährte und euer einziger Freund.“, gibt Alice ihren Gästen zu bedenken.
Bereits nach 50 Minuten in Isolation, entschied sich der erste Kandidat zur freiwilligen Kapitulation, ohne auch nur eine Aufgabe bewältigt zu haben. Allein die Einsamkeit von wenigen Minuten wurde ihm zum Verhängnis. Doch war das nicht weiter verwunderlich, nachdem der ehemalige Teilnehmer von Deutschland sucht den Superstar bereits im Vorfeld von allen anderen Mitstreitern als Weichei gebrandmarkt worden war. Wenn das mal kein Seitenhieb auf die Teilnehmergüte der Talentshow des Konkurrenzsenders RTL sein sollte... Nun fragt man sich, was an ursprünglich geplanten 9 Tagen in einer zugegebenermaßen tristen und engen Einzelzelle derart herausfordernd sein soll, dass die Kandidaten an ihre Grenzen gebracht werden. Die Show wird sogar stets von einem Psychologen überwacht, damit „weitere psychische Schäden“ verhindert werden können. Schade ist, dass dieser Service nicht auch den Zuschauern zugute kommt. Diese müssen im Laufe der Show nämlich ebenfalls so einiges ertragen. Im akustischen Bereich fängt das bei der allgegenwärtigen Computerstimme an, welche einen bestenfalls an die freundliche Stimme aus der Telefonwarteschleife größerer Unternehmen erinnert und hört bei den verbalen Entgleisungen der Teilnehmer auf - selten hört man derart ausgeprägte Fäkalsprache wie in dieser Show. Aber auch inhaltlich gibt es wenig Licht und vielmehr Schatten. „Warum habt ihr das nicht die peinlichste Promishow der Welt genannt“ fragt „das harte Mädchen“ Liza Li bei der Ankündigung einer neuen Aufgabe. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Es hätten sich noch weniger Prominente zu einer Teilnahme überreden lassen, selbst wenn dieser Titel die wahren Inhalte der Sendung deutlicher herausstellen würde. Im amerikanischen Original wurden übrigens unbekannte Privatpersonen gezeigt, die wenigstens nicht den Anspruch erhoben, prominent zu sein.
Es gibt drei verschiedene Arten von Herausforderungen, die einem Gast von Alice bevorstehen. Das wichtigste Element ist das „Entscheidungsspiel“ am Ende einer jeden Folge, dessen Verlierer – sofern auch wirklich eine Entscheidung gefällt wird - aus der Sendung fliegt. Zum anderen gibt es ein sogenanntes „Safety-Spiel“, bei dem sich der Gewinner als Belohnung nicht am eben angesprochenen Entscheidungsspiel beteiligen muss. Zusätzliche Sendezeit wird mit „freiwilligen“ Spielen gefüllt, bei denen die Teilnehmer z. B. genießbares Essen oder besondere Getränke gewinnen können – standardmäßig gibt es leckeres Wasser mit schmackhafter Kost, wie z. B. ungekochten Blumenkohl.
Das Schlimme sind jedoch nicht die Umstände, unter denen diese Spiele ausgetragen werden, sondern die Spielinhalte an sich. Es geht nicht wirklich um spannende Kämpfe, vielmehr werden die Protagonisten in möglichst lächerlichen, bloßstellenden Posen vor der Kamera positioniert – Sieger ist der, der das am längsten erträgt. So müssen die Kandidaten Hampelmännchen machen, mit der Zunge und Gesicht stundenlang Glasscheiben berühren oder sich so lange im Kreis drehen, bis sich die ersten Mitstreiter vor laufenden Kameras übergeben. „In den kommenden Tagen bin ich alles was meine Gäste haben, […] ich werde ihnen zeigen, was alles in ihnen steckt, das ist ein Versprechen!“ -beim Gedanken an diese eingangs der Sendung von Alice zum besten gegebenen Worte, muss man angesichts der sich bis zum Erbrechen drehenden Kandidaten schon fast schmunzeln. Wäre das alleine schon genug, um den Appetit des Zuschauers gehörig zu verderben, so wird der negative Eindruck noch verstärkt, indem trotz der innovativen Ansätze keinerlei Spannung aufgebaut wird. Der Grund hierfür liegt auf der Hand – die Teilnehmer selbst wissen während des Spiels zwar nicht, ob schon ein anderer den roten Knopf gedrückt und damit den Kampf vorzeitig verloren hat, der Betrachter ist jedoch stets gut informiert. Gibt der erste Kandidat bereits nach 5 Minuten, der letzte aber erst nach 20 Minuten auf, so darf der Zuschauer eine Viertelstunde lang das bereits entschiedene Spiel verfolgen. Erschwerend kommen die ständigen Wiederholungen ähnlicher Spielabläufe hinzu, denn die meisten Aufgaben verlaufen rundenweise mit sich steigernder Schwierigkeit. Manche Herausforderungen sind zudem von vornherein unlösbar und somit keine Frage des Könnens, sondern eine reine Schikane.
Nachdem man dieser Sendung nur mit Mühe Positives abringen kann, stellt sich einem unweigerlich die Frage, was Prosieben dazu bewegt, sie am wichtigen Samstagabend zu zeigen. Vielleicht hofften die Programmmacher, dass das Publikum von Big Brother oder dem Dschungelcamp zum eigenen Sender wechseln würde? Oder wollte man an die Schadenfreude einiger Zuschauer appellieren, die bei der Betrachtung Prominenter in freiwilliger Folterhaft aufkommen könnte? Ungeachtet dessen ist die Zielgruppe offensichtlich sehr eingeschränkt – auch weil die Sendung mit Sicherheit kein Stoff für einen samstäglichen Familienabend ist. Das hat auch RTL erkannt und zeigte als Kontrapunkt zur selben Sendezeit einen Disney-Zeichentrickfilm. Dieser wäre wohl auch für mich die bessere Wahl gewesen, denn meine Erwartungen an die neue Gameshow wurden enttäuscht – sie kann anderen Formaten des Senders, wie z. B. dem in vielen Punkten gelungenen Schlag den Raab nicht das Wasser reichen und hinterlässt den Eindruck einer preiswert produzierten Lückenfüllershow. Wenigstens für die Kandidaten könnte der Fernsehauftritt einen kleinen Karriereschub bedeuten. Ex-Soap-Darsteller Kay Böger, welcher seine gemütliche Unterkunft erst in der gestrigen Folge verlassen musste, gab zu Beginn sogar offen zu, dass er sich genau dies von der Sendung erhofft - man kann ihm nur wünschen, dass dieser Schuss nicht nach hinten losgeht. Für weiterhin geneigte Zuschauer gilt der zu Beginn erwähnte Spruch von Sonya Kraus: „Bis nächste Woche - und halten sie durch!“ – oder aber, Sie schalten aus.

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