TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 1. Oktober 2019

Projekt A - Eine Reise zu anarchistischen Projekten in Europa

von Maximilian Hohlheimer
Klimawandel, Armut, Ausbeutung, Leistungsdruck und Arbeitslosigkeit stellen zentrale und ungelöste Problematiken unserer Zeit dar. Hierbei stellt sich die Frage, ob wir uns in spezifischen gesellschaftspolitischen Bereichen in einer Krise befinden oder ob diese Krise systemischen Ursprungs ist. So fordern beispielsweise junge Menschen weltweit auf den sogenannten "friday for future" Demonstrationen immer wieder "system change, not climate change" auf ihren Plakaten und Bannern. Im Laufe der Geschichte bestand immer wieder die Annahme, dass das aktuelle politische und gesellschaftliche System zum scheitern verurteilt sei. Diesbezüglich machten sich die damit konfrontierten Personen Gedanken zu Alternativen. Der Anarchismus gilt als einer der radikalsten Ansätze. In seinem theoretischen Konstrukt umfasst er unter anderem die Abschaffung aller Herrschaft, Befreiung von Vaterland, Religion, Kapitalismus und Vorgesetzten. Zielsetzung ist die Überwindung des Staats und eine daraus resultierende freie Gesellschaft aus solidarischen Menschen. Die 84 minütige Dokumentation "Projekt A - Eine Reise zu narchistischen Projekten in Europa" aus dem Jahr 2015 von Marcel Seehuber und Moritz Springer knüpft genau an diese polarisierende Thematik an und bietet einen Einblick in die Lebensrealität von aktiven Anarchistinnen und Anarchisten. 
Wie das theoretische Konstrukt des Anarchismus in die Praxis umgesetzt werden kann, wird anhand vielseitiger Beispiele konkretisiert. Hierfür wurden verschiedene autonome Projekte und Organisationen in Griechenland, Deutschland, Katalonien und der Schweiz besucht und dokumentiert. Hierbei werden sowohl die Beweggründe und Entstehungsdynamiken der unterschiedlichen autonomen Aktivistinnen und Aktivisten, als auch die Organisationsstruktur, Entscheidungsmechanismen und die daraus resultierende Durchsetzungsfähigkeit aufgezeigt. Um zu große Spoiler zu vermeiden, konkretisiere ich nun inhaltlich nur das gezeigte Videomaterial aus Griechenland.
Der alternative Athener Stadtteil Exarchia gilt als Zentrum von autonomen Anarchisten. Das Stadtbild ist geprägt von besetzten Häusern und Graffiti. In den Aufnahmen sieht man einen ehemaligen Parkplatz, der gerade zu einem grünen Stadtpark selbstverwaltet umgestaltet wird. Banken oder Polizisten sind hier nicht zu finden. Gegen aggressives Verhalten, Kriminalität oder Drogenhandel steht die organisierte Szene laut Befragten selbst ein. Verschiedene Aktivistinnen und Aktivisten beziehen zu den diversen Projekten Stellung und begleiten die Kamera durch das alternative Viertel. Neben einem besetzten Hausprojekt, Cafes, einem Kindergarten und einem selbstverwaltetem Gesundheitszentrum wird auch die Straße gezeigt, an der 2008 der 15 jährige Alexandros-Andreas Grigoropoulos von Polizisten erschossen wurde. Die polarisierende Frage nach "legitimer" Gewalt durch die anarchistische Szene wird das ein oder andere mal angeschnitten und innerhalb der Dokumentation immer wieder kritisch betrachtet, nimmt jedoch nicht den größten Stellenwert ein. Die Zuschauer erfahren hautnah eine motivierende und gelebte Idee, ohne nervige Selbstdarstellungen, Inszenierungen durch Reporter oder klischeebehafteten Kommentaren. Der Schnitt und die musikalische Untermalung ist je nach Szenario passend gewählt. Dadurch konnte eine spannende und authentische Darstellung verschiedener anarchistischer Projekte gewährleistet werden, die zum Nachdenken anregen. Die Dokumentation bietet neben der Fülle an unterschiedlichen praktischen Beispielen auch kurze theoretische Erläuterungen und historische und Ideengeschichtliche Einführungen zum Thema Anarchismus. Wünschenswert wäre noch etwas mehr Selbstkritik und Selbstreflexion an der einen oder anderen Stelle, beispielsweise bei der Gewaltfrage. Ansonsten steht die Dokumentation, die auf Amazon Prime zum streaming erhältlich ist, konträr zu den immer wieder aufkommenden Klischees über chaotische und gewaltgeile Steinewerfer.

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