TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 9. Oktober 2019

„Das perfekte Dinner“ – oder: wie Fernsehen manipuliert

von Antonia Pröls
Vox war für mich nie das Fernsehen, das ich abends freiwillig eingeschaltet hätte – bei „Shopping Queen“ und „Vier Hochzeiten, eine Traumreise“ klingen ja schon alle Vorurteile, die man gegenüber dem zur RTL-Group gehörenden Privatsender haben könnte, mit. Obendrein noch alle fünf Minuten Werbeunterbrechung – nein danke, ich verzichte. Daher ist es umso verwunderlicher, dass ich letztes Jahr um diese Zeit scheinbar aus Versehen „Das perfekte Dinner“-Fan wurde. Doch wie kam es dazu?
Das war so: letzten August im Familienurlaub schwärmten meine jüngeren Geschwister bereits am ersten Abend davon, „Das perfekte Dinner“ auf Vox sehen zu wollen. Ich war ein wenig verärgert, dass unsere Familientradition des Fernsehens im Urlaub unter solch einer Serie leiden sollte. Nun ja, ich wollte nicht der Spielverderber sein und so versammelte ich mich mit dem Rest der Familie pünktlich um 19 Uhr vor dem Fernseher. Natürlich nahm ich mir ein Buch mit, um nicht den Eindruck der Zustimmung oder des Interesses zu vermitteln.
So saßen wir allesamt auf der Couch und ich schaute stur in mein Buch, als nach einem kurzen flotten Intro der Moderator Daniel Werner aus dem Off die Sendung einleitete und mit mir irgendwie direkt unsympathischer Stimme gleich mal ein paar Klischees über Helgoland, Drehort der Folge, auspackte. Der erste Koch-Kandidat, Frank, trat mit nicht allzu freundlichem „Moin“ aus seiner Tür. Ah, hatte ich ja doch hingesehen. Schnell wieder den Blick ins Buch senken.
Als Frank ein paar Minuten später seinen Hometrainer zeigte, mit der Info, dass Fahrradfahren auf Helgoland verboten sei, horchte ich doch wieder auf. Kann ich da etwa ein wenig Landeskunde aufschnappen? Helgoland, damit hatte ich mich noch nie befasst. Irgendwie interessant, was Frank so über das Inselleben zu erzählen hatte. Erst zaghaft und dann immer mutiger schaute ich zum Fernsehbildschirm. Irgendwie doch ein cooler Typ, der Frank. Und interessant, mal ein paar Eindrücke von Helgoland zu sehen. Während Frank auf seinem Spaziergang über die Insel und bei ein paar Begegnungen mit Insulanern gefilmt wurde, wurden immer wieder Schnittbilder von Franks vier Gästen, den anderen Kandidaten, eingeblendet.
Bei „Das perfekte Dinner“ bekochen sich nämlich fünf TeilnehmerInnen gegenseitig – jeden Abend ist ein anderer an der Reihe. In Franks „Nordsee-Gruppe“ sind noch Hardy, Melanie, Andreas und Merle. Alles ganz normale Leute wie du und ich. Und sie vereint ein gemeinsames Hobby: richtig gut kochen zu können. Irgendwie hatte ich erwartet, dass sich hier – wie bei so vielen Sendungen des Privatfernsehens – auch wieder auf Kosten der KandidatInnen lustig gemacht wird. Aber einmal abgesehen von den teils schon aufgesetzten und gar nicht mal so lustigen Voice-Overs des Moderators, konnte man die Personen von persönlicher Seite und sehr ehrlich kennenlernen. So waren mir Frank, Melanie und Merle von Anfang an gleich interessant. Hardy sagte nicht so viel und Andreas, wohl der jüngste in der Runde, schien seine Aufregung irgendwie mit übertriebener Coolness überspielen zu wollen. Aufgeregt wäre ich aber wohl auch, wenn ich bei Vox ins Fernsehen käme!
Frank war die Ruhe in Person bei der Vorbereitung seines Dinners und die fünf KandidatInnen waren sich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in Franks Eigenheim direkt sympathisch. Wie zu erwarten, servierte Frank Meeresfrüchte – es gab Kürbissuppe mit Krabbenfleisch und zur Hauptspeise Fisch mit Spargel und Süßkartoffelpüree. Zum Ende der Sendung konnten die vier Gäste Punkte von 1 bis 10 an Frank vergeben. Denn wer am Freitag die meisten Punkte gesammelt hat, gewinnt die Runde und damit ein Preisgeld von 3.000€.
So verging ein Tag um den anderen, an dem Merle, Andreas und Melanie kochten. Am Freitag, als Hardy an der Reihe war, war ich sogar die erste vor dem Fernseher. Die nächste Woche kam und ich schaute die neue Folge mit dem Titel „Wer ist der Profi“, bei der vier Laienköche und ein Profikoch gegeneinander antraten, und rätselte begeistert mit, wer der Profi sein könnte. Die nächste Woche wurde in München gedreht, die nächste in Hamburg, dann Berlin... und so wurde „Das perfekte Dinner“ irgendwie zum Abendritual und ich ein wenig süchtig danach. Irgendwann stellte sich mein „Das perfekte Dinner“-Schauen dann doch ein, wohl aufgrund von Zeitmangel.
Der August dieses Jahres stand an und damit der nächste Familienurlaub. In freudiger Erinnerung forderte ich ein, dass wir jeden Abend „Das perfekte Dinner“ einschalteten. Diese Woche: Tessin in der Schweiz. Das hört sich super an! Zuerst einmal werden die sehr exklusiven Wohnungen der diesmaligen TeilnehmerInnen gezeigt – na da werden die Gerichte sicher noch exklusiver sein. Erster Koch ist Alessandro, der auf seiner Speisekarte vieles, von dem ich noch nie gehört hatte, verzeichnet: Zitronenzesten, Fümenga und Farina Bóna. Hört sich wirklich exklusiv an und ist auch interessant zuzusehen, wie Alessandro die ersten Vorbereitungen in seiner Luxus-Küche trifft.
Dann führt er uns in sein Kellerabteil, um Wein zu holen. Da lagern auf fünf Quadratmeter bestimmt 200 Flaschen Wein. Er zählt auf: aus Frankreich, aus der Schweiz, manche sind in der Vitrine, manche im Kühlschrank, manche müssen noch ein paar Jahre lagern, damit sie gut werden. Ein bisschen von allem – „So soll es sein“, kommentiert Moderator Daniel Werner. Als die Gäste eintreffen, gibt es erst einmal Apéro mit italienischem Sekt – ziemlich alten von 2007, erklärt Alessandro und bekommt die zustimmende Anerkennung der Runde. In die Vorspeise, das Risotto, kommt zum Schluss ein Schuss Weißwein, zu trinken gibt es Rotwein. Zur Hauptspeise nochmal Rotwein. Zur Nachspeise noch mehr Rotwein.
Ich ertappte mich dabei, durch meine im Laufe des letzten Jahres entwickelte Abneigung gegen Alkohol den Spaß an der Sendung zu verlieren. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich und ich bin mir nicht sicher, ob ich überreagiere. Bei der Serie, die mich letztes Jahr so in ihren Bann gezogen hat, kann ich irgendwie nur noch eines denken: sollte ein Sender, den Millionen von Menschen sehen, nicht mehr darauf achten, welche Werte er vermittelt? Und schnell bäumte sich in meinem Kopf weitere Fragen auf: Gab es jemals ein Dinner, bei dem nicht mindestens einmal mit alkoholischen Getränken angestoßen wurde? Ich dachte zurück an die ersten Sendungen, bei denen die KandidatInnen teils zum Ende hin schon sehr beschwipst waren. Manchmal gab es sogar beim Kochen schon einen Beruhigungsschnaps zwischendurch.
Hemmschwellen und Stress abbauen hin oder her – da verharmlost Vox doch eindeutig den Alkoholkonsum! Und diese Message, dass Alkohol zu jedem „perfekten“ Dinner gehört, sehen meine jüngeren Geschwister und tausende andere Minderjährige jeden Abend im Fernsehen, und bekommen in einem scheinbar harmlosen Format die Normalität des Alkoholkonsums vermittelt. In „Das perfekte Dinner“ werden also nicht die TeilnehmerInnen, sondern die Fernsehzuschauer selbst veräppelt. Sorry Vox, aber ich bin raus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen