TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 7. September 2017

"Überzeugt uns!" #ueberzeugtunsnicht

von Curd Wunderlich

Wahlkampfzeit ist Politiksendungszeit. Fast hat man den Eindruck: egal wo, egal wie. Die ARD stopft im Monat vor der Wahl 1000 Extraminuten "Bundestagswahl" in ihr Sendeprogramm. Bei ProSieben gibt sich Spaßvogel Klaas Heufer-Umlauf im September zwei Mal mit einer Primetime-Politiksendung die Ehre. Im Internet versuchen sich Youtuber an Interviews mit Kanzlerin Angela Merkel. Zumindest die letzten beiden Beispiele zeigen: Neue und alte Medien versuchen sicherzustellen, dass sich auch junge Zuschauer eine Meinung bilden können und am 24. September an die Wahlurnen strömen.


Auch die öffentlich-rechtlichen Sender wollen da nicht zurückstecken und bringen Inhalte an den Start, die aus ihrer Sicht auf Erst- und Jungwähler zugeschnitten sein sollen. Im ZDF dürfen weitgehend unbekannte Jungpolitiker in Wähl mich ihre Argumente vorbringen, die ARD versucht das junge Publikum mit "Überzeugt uns!" vor die Bildschirme zu locken. Zur Primetime trauen sich die Senderverantwortlichen das nicht - und liegen zumindest damit am Ende richtig: Am späten Montagabend, um 23 Uhr, flimmerte das Format live ausgestrahlt über die Fernseh- und (wohl überwiegend) Computerbildschirme. 

Dass die Mienen der geladenen Spitzenpolitiker aller Parteien mit guten Aussichten auf den Bundestagseinzug gefühlt minütlich mehr versteinerten, lag allerdings nicht an der Uhrzeit. SPD-Mann Ralf Stegner saß von Minute eins an miesepetrig wie immer an dem sehr gewollt auf "jugendlich cool" gestylten langen Bartresen in einem Saal der Berliner Kulturbrauerei, einem Veranstaltungsgelände in Prenzlauer Berg. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland tat es ihm gleich. 

Doch mit dem offensichtlich verfehlten Sendekonzept schaffte es das eigentlich genial gewählte, schlagfertige und sympathische Talk-Duo Ronja von Rönne und Ingo Zamperoni, auch die anderen Gäste nach und nach wahlweise aus dem Konzept oder - mindestens innerlich - auf die Palme zu bringen. Thematisch teilte sich die von SWR, BR und MDR gemeinsam produzierte Sendung in drei große Fragenkomplexe auf: Wie fair ist Deutschland, wie verändert es sich und welche Regeln braucht es? Das war eindeutig zu breit gefächert für eine 90-minütige Talkshow mit zwei Moderatoren und sieben Gäste. Um das einmal beisammen zu haben: Neben Stegner und Gauland hatten CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt, Jens Spahn (CDU), Grünen-Chef Cem Özdemir, FDP-Vize Katja Suding und Linke-Chefin Katja Kipping ihr Kommen zugesagt und eingehalten - was zumindest Spahn sehr offenkundig bald bereute. 

In der Sendung wird zunächst der Vorwurf formuliert, Politiker kümmerten sich zu wenig um die Interessen junger Menschen, und das aus einem ganz bestimmten Grund: Die Gruppe der 18- bis 21-Jährigen, also der Erstwähler, macht gerade einmal 3,6 Prozent der Wahlberechtigten aus. Dass von diesen jungen Wähler auch noch nur wenige überhaupt an der Wahl teilnehmen (bei der Bundestagswahl 2013 lag die Beteiligung der unter 21-Jährigen bei nur 64 Prozent), daran wollten von Rönne und Zamperoni mit ihrer Sendung etwas ändern. Und sind damit wohl gescheitert. 

Die Bandbreite an Themen innerhalb der drei Themenkomplexe ist schier unermesslich: Von Renten und befristeten Arbeitsverhältnissen über Wohnungspolitik und Populismus bis hin zur inneren Sicherheit, doppelten Staatsbürgerschaft und Drogenlegalisierung. Zu jedem Thema gesteht das Moderatorenduo jedem Politiker meist ein oder zwei Sätze zu - dann werden die Abgeordneten und Kandidaten unterbrochen. Für die ist es damit fast unmöglich, Gedanken zu Ende zu führen oder ihre Meinungen auch fundiert zu begründen. 

Ideen in den Raum werfen die Politiker an diesem Abend viele - wirklich ausführen können sie diese aber nicht. Und so ist die Sendung für Jungwähler auch keine wirkliche Hilfe. Denn wer beispielsweise von Wohnungspolitik wenig Ahnung hat, wird kaum bewerten können, was er denn nun für sinnvoller erachtet: Eine Mietpreisbremse oder doch mehr Investoren, die bauen? 

Dass während der Sendung - wie heute üblich - dazu aufgerufen war, sich unter dem Hashtag #ueberzeugtuns im Netz an der Sendung zu beteiligen, Aussagen zu kommentieren und Fragen zu stellen, erwies sich als Eigentor. Das Echo der Zuschauer war weit überwiegend negativ, vor allem Moderatorin Ronja von Rönne wurde harsch kritisiert. Als Jens Spahn irgendwann wütend ausrief: "Ihr könnt hier doch nicht tausend Themen in 90 Minuten abhandeln wollen, und das zu dieser Sendezeit!", gaben ihm wohl auch Menschen recht, die ihm in politischen Fragen eher nicht nahestehen. 

Das Moderatorenduo war oft zu ungeduldig, die Regie im Ohr traute dem Publikum der "Generation Y" wohl keine Aufmerksamkeitsspanne zu, die über zwei, drei Sätze hinausgeht. Doch damit lag sie falsch. Auch 18-Jährige können sehr wohl differenzieren - wenn sie denn differenzierbare Aussagen zu hören bekommen; und die waren im Stakkato-Takt von "Überzeugt uns!" für die Politiker nicht möglich zu formulieren.

Für das ständige Unterbrechen konnten die Gastgeber offenbar nichts. Nach vielen Twitter- und Facebook-Kommentaren, die weit unter die Gürtellinie gingen, äußerte sich TV-Moderations-Debütantin Ronja von Rönne am Tag nach der Sendung ausführlich bei Facebook. " Vielleicht ist Zuschauern oft gar nicht so bewusst, aber ob jemand unterbrochen wird, diese Entscheidung liegt oft an der Regie. Man selbst hat einen Knopf im Ohr, und in diesen Kopf spricht dann jemand: "Bitte unbedingt reingrätschen, Ingo". Oder eben: "Bitte reingrätschen, Ronja, uns läuft die Zeit davon". Es ist nicht etwas, was mir Spaß macht, mir ist es, wie wohl den meisten, sehr unangenehm, Leute zu unterbrechen. Gerade wenn es um so wichtige Themen geht, wie gestern", schrieb sie da. 

Doch während Tagesthemen-Anchorman Ingo Zamperoni journalistisch einwandfrei in jeder Situation, bei jeder Frage Neutralität wahrte und zwar sympathisch locker, aber nie wertend nachhakte, ließ sich die 25-jährige "Welt"-Autorin von Rönne zu manch meinungsstarkem Kommentar hinreißen, der Talkmastern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht "rausrutschen" sollte. 

Und so empfanden mehrere Zuschauer von Rönnes Stil als parteiisch, oft links. Auch wenn man beispielsweise ihre Frage an Gauland, ob der in einer Multikulti-Fußballmannschaft auf der Position des Rechtsaußen spielen würde, durchaus auch bei einer Jungwähler ansprechenden Sendung für den passenden Humor halten kann. Zu diesem Satz schreibt die "Welt"-Kolumnistin bei Facebook: "Das ist mein Humor. Den mögen nicht alle, versteh ich. Ändere ich aber nicht. Das hätte ich genauso gut zu Kipping sagen können, nur hatte ich da keine Pointe parat. Aber ja. Vielleicht sind solche Bemerkungen fehl am Platz. Das entscheidet ja nun Mal der Zuschauer, und nicht ich. Ich bin keine seriöse Politik-Moderation (und möchte auch keine werden, keine Angst) - ich kann mir also vorstellen, dass das ziemlich irritiert." 

Dem Vorwurf, Gauland zu wenig zu Wort kommen gelassen zu haben, begegnet Moderationsneuling von Rönne sehr selbstkritisch. "Was leider trotzdem stimmt: Ich habe Gauland oft weniger zu Wort kommen lassen, als andere. Ich war sehr aufgeregt, das war meine erste Sendung jemals, und keine bös gemeintes "Die ARD lässt die AfD nicht zu Wort kommen, typisch Staatsfernsehen". An der Stelle das, was man noch weniger darf als explainen und complainen: Entschuldigung. Das war nicht fair." 

Und da sie auch verspricht, Sender und Redaktion nähmen die Kritik am Format generell sehr ernst, steht zu hoffen, dass künftige Inhalte für Jungwähler durchdachter sind, bevor sie auf Sendung gehen. Im Idealfall nicht nur in der ARD.

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