TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 12. September 2017

4 Blocks - Salam Aleikum bei den Hamadys

von Anna Lančava 

Welcome in Berlin Neukölln, das Revier der Hamadys. Der Vorspann beginnt und schon ist man drinnen, sieht Streetview Bilder vom Viertel und bekommt das Berlin-Gangster-Feeling. Die neue Dramaserie, die am 8.Mai 2017 erstmals auf TNT-Serie erschienen ist, greift unter Anderem die Problematik auf, die kriminelle arabische Clans in deutschen Großstädten darstellen. Die unvorstellbare Realität, dass arabische Familienclans ganze Stadtviertel beherrschen und durch ihre Macht für die Polizei unantastbar sind, kennt man hauptsächlich aus den Nachrichten, doch genau dieser Realität kommt man in 4 Blocks näher. 


Darüber hinaus bekommt man einen Eindruck von der arabischen Kultur, der Religion, den Sitten und der Mentalität- für die Nicht-Araber unter den Zuschauern stillt oder weckt es womöglich Interesse für die islamische und arabische Kultur und die Zuschauer mit arabischen Wurzeln, füllt es wahrscheinlich mit Stolz, die eigene Kultur und die eigene Sprache in einer deutschen Serienproduktion zu sehen. 4 Blocks zeigt nicht nur den Konflikt zwischen der arabischen Familie Hamady und dem deutschen Rechtsstaat, sondern auch ihre Lebensweise und vermeintliche Vorurteile dieser gegenüber.

Die Hamadys haben sich in der Berliner Drogenszene einen Namen gemacht und wollen diesen auch verteidigen. Die Familie besteht aus drei Brüdern: Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan), Abbas Hamady (Veysel Gelin) und Latif Hamady (Rapper Massiv/ Wasiem Taha). Der Älteste Toni möchte sich auf Wunsch seiner Frau Kalila und seiner kleinen Tochter zu Liebe aus dem kriminellen Business zurückziehen. Der Ausstieg gelingt ihm aber nie so richtig, denn trotz seiner Pläne für legale Geldanlagen, über die er viel sprcht, bleibt er der Anführer der Bande und somit in diesem Zwiespalt gefangen. Abbas Hamady ist der aggressive Bruder. Seine Wut und seine Gewaltbereitschaft ist ihm anzusehen und er macht einem fast schon etwas Angst, denn er ist kräftig und vermittelt über seine Gang und seine Körperhaltung, dass er jederzeit Schläge verteilt. Er erfüllt das negative Klischee des arabischen Mannes, da er seine eigene Freundin in einer Szene schlägt. Vor lauter Voreingenommenheit der arabischen Welt gegenüber, hat man darauf ja nur gewartet. Dass das Business als Drogengangster sehr viel Gewalt verlangt, ist verständlich - wie sonst soll man sich seinen Titel erhalten - und doch muss man schlucken: Das aber hätte man doch nicht erwartet, denn so wie die Faust trifft, trifft auch das Vorurteil. Oft redet ihm sein älterer Bruder Toni ins Gewissen und stellt ihn zur Rede, da es die ganze Familie in Gefahr bringen kann, wenn er etwas Unüberlegtes macht und sie sowieso schon unter Polizeibeobachtung stehen. 

Die Hamadys sind aufgrund des illegalen Drogenhandels schon seit Längerem bei der Polizei bekannt, doch die Araber halten zusammen und bereits in der ersten Szene, werden der Zusammenhalt und die Verachtung für die Cops deutlich. „Scheiße Diggah Kripo!“ ruft einer, als man den schwarzen BMW in den Block einfahren sieht, aber da ist es schon zu spät, um irgendetwas zu verstecken. Gebustet mitten in einer Drogenübergabe, doch Latif spielt Coolness vor, als die beiden Beamten beim Filzen des Autos die große Drogenlieferung entdecken. Die Spannung ist groß- die Serie hat doch nicht mal richtig angefangen und schon hat man sie erwischt? Alhamduillah nicht! Denn die Polizisten befinden sich ja im Hamady-Gebiet und um das Drogenauto haben sich die Anhänger der Hamadys versammelt- höchst wahrscheinlich arabischer Abstammung. Sie werfen mit Steinen und Gegenständen auf die Beamten und die beiden können die Situation nicht mehr kontrollieren - bis die Verstärkung kommt. Ein Gefühl der Genugtuung steigt jedoch in mir auf, denn so einfach machen sie es den Bullen zum Glück nicht. Für einen kurzen Moment bin ich schockiert von mir selbst. Auf wessen Seite steh ich denn überhaupt, die Hamadys leben ja schließlich haram. Was ist denn gut und was ist schlecht? Wenn man schon mit dem kriminellen Clan sympathisiert, wer ist denn dann der Feind? Die Frage nach dem Feind stellen sich auch die Hamadys. Bald mischt sich Vince (Frederick Lau) in die Gang. Der einzige Nicht-Araber unter den Gangstern. Wow, endlich mal ein bekanntes Gesicht unter den ganzen no-name Schauspielern, zugegebenermaßen. Frederick Lau kennt man schon aus vielen bekannten deutschen Spielfilmen, wie zum Beispiel „Das Fliegende Klassenzimmer“(2003) oder „Die Welle“(2008). Ein Gefühl des Vertrauens macht sich in mir breit und das nicht nur bei mir als Rezipient, auch Toni Hamady scheint ihn von irgendwoher zu kennen. Offenbar haben sie früher bereits gemeinsame Sache gemacht, bis sie sich aus den Augen verloren - wie man erfährt. Toni vertraut ihm sofort, nimmt ihn in den Kreis der Hamadys willkommen auf, nennt ihn Bruder und während die anderen Männer ihm misstrauen und immer wieder nachfragen, wo er denn so lange gewesen sei oder was genau er in der Zeit gemacht habe, nimmt Toni ihn in Schutz. Vince würde den Hamadys doch nichts Böses wollen, er sei ja einer von ihnen, oder etwa doch nicht? Schnell wird den Hamadys klar, dass es eine Schlange im Clan gibt. Interne Informationen sind an die Polizei durchgesickert und man bekommt den leisen Verdacht, dass es etwas mit dem Neuankömmling zu tun haben könnte - man soll eben doch nicht jedem vertrauen, nur weil man denjenigen von früher kennt. Aus auktorialer Perspektive, weiß der Rezipient schon, wer die Hamadys verpfeift, während unter ihnen das Misstrauen wächst. 

Während die Familie Hamady im Verlauf der Serie immer weiter droht auseinander zu brechen, stellen sich die Probleme der Ehefrauen von Latif und Toni immer weiter in den Vordergrund: Existenzängste, Verzweiflung, Unsicherheit. Latif wird bei der ersten Razzia festgenommen, seine Wohnung gestürmt und er wird vor den Augen seiner Frau Amara und seinem kleinen Sohn verhaftet. Auch Kalila hat Angst, denn nachdem auch bei ihr zuhause das SEK eingefallen ist und das Türschloss kaputt ist, fühlt sie sich nicht länger sicher. Aber es ist erstaunlich, wie verständnisvoll die Ehefrauen mit der Situation umgehen, ihren Männern nicht widersprechen, gehorchen ohne nachzufragen und wenn sie doch mal nachfragen, sich mit einer ungenügenden Antwort zufrieden geben. Sieht so die arabische Frau aus? Für mich als europäische Frau einerseits bewundernswert - scheint ja blindes Vertrauen zu herrschen - andererseits unverständlich. Das müssen die doch checken, dass da was Kriminelles läuft. Naja , vielleicht ist das halt Liebe. Trotzdem kümmert sich Toni um seine Familie, liest seiner Tochter Sherin abends ein Buch vor, und kauft ihr ein pinkes Kinderfahrrad- Entzückend wie der Clan-Anführer mit dem pinken Rad auf den Schultern durch Berlin-Neukölln läuft. Er ist wirklich mein Lieblingscharakter unter den Brüdern, es ist einfach süß zu sehen, dass der Gangchef auch so eine liebvolle und familienbewusste Seite hat. 

Latif wird gleich am Anfang der ersten Staffel verhaftet, weil er ja bei der Drogenübergabe erwischt wurde. Schnell merkt man, dass sich zwischen Amara und Vince etwas entwickeln zu scheint. Aber ihre Liebe ist genauso aussichtslos, wie die Zukunft des Clans - mal ganz rational betrachtet. Und dennoch hat es mich gefesselt und in jeder neuen Serie bin ich dankbar, für die nächsten 50 Minuten ein Teil von den Hamadys zu sein. Solange bis eben das Ende kommt. 

Das Serienformat von Gangs, geheimem Drogenbusiness, Gewalt und Familiendrama ist nichts Neues und ein weitverbreitetes Seriengenre. Besonders bekannt ist Breaking Bad, wobei der Protagonist Walter White eher als Einzelgänger sein Ding durchzieht und sich vom Chemielehrer zum Drogenkoch entwickelt. Es wird auch hier der Konflikt mit der Familie behandelt, denn seine Frau, vor der er sein illegales Hobby verheimlicht, macht sich natürlich Sorgen. Gomorrha ist als italienisches Pendant schon eher mit 4 Blocks zu vergleichen, da auch hier die familiären Strukturen eines Clans im Vordergrund stehen. Historisch interessant ist die Serie Pablo Escobar: El Patrón del Mal über das Leben von Pablo Escobar. Der Drogenbaron Kolumbiens, seine Karriere und seine Machtausbreitung. Vergleichen lassen sich die oben genannten Serien mit 4 Blocks durchaus, aber 4 Blocks hat einfach noch eine krasserer Stufe erreicht, denn es spielt quasi um die Ecke, in Berlin, hier in Deutschland. Das Image der Hamadys so cool, so unantastbar, so exklusiv. Auch wenn das Bild der starken Familie zu bröckeln beginnt, hofft man mit den Hamadys, dass sie ja nicht erwischt werden von der Polizei. Und als Deutsche mit Migrationshintergrund erfüllt es mich persönlich zugegebenermaßen ein bisschen mit Stolz, zu sehen, wie der arabische Clan gewissermaßen über Berlin herrscht und die Stadt auf den Kopf stellt, denn „in Berlin redet man jetzt arabisch“. 

Sobald ich die erste und im Moment einzige Staffel zu Ende geschaut habe, griff ich sofort zum Handy und googelte instantly, ob es Hoffnung auf eine weitere gäbe. Und ja! Anfang 2018 soll es so weit sein - die Hoffnung, die mich über das Serienende hinwegtröstet. Inshallah wird sie so gut wie die erste, vielleicht noch besser… 

„…aber leg dich nicht mit uns an“.

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