TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 7. September 2017

0:3 - Ist Martin Schulz bereits K.o.? Hart aber Fair

von Curd Wunderlich

Arterienverschluss in der Herzkammer der Sozialdemokratie, ein krachend aus der Kurve fliegender oder gegen den Prellbock fahrender Schulz-Zug - die Bandbreite an Metaphern, an denen sich vor allem Journalisten nach der krachenden Wahlniederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen einmal mehr erfreuten, war riesig. Umso erstaunlicher, und zugleich äußerst erholsam, dass sich sowohl die drei anwesenden Journalisten als auch der eine Nicht-SPD-Politiker in Frank Plasbergs hart aber fair-Talkrunde am Montagabend mit den unzähligen möglichen Wortspielen gänzlich zurückhielten.

Dabei war das Thema der Sendung genau dieser Martin Schulz. "K.o. nach drei Runden - Keine Chance mehr für Schulz?" fragte Plasbergs Redaktion provokant in dessen wöchentlich ausgestrahlter politischer Talk-Show. Nach Verkündung von Schulz' Kanzlerkandidatur war er wochenlang Thema Nummer eins in den deutschen Medien gewesen, gerade von der eigenen Parteijugend zum Heilsbringer hochstilisiert worden. Rund 17.000 neue Mitglieder traten in die SPD ein, die Sozialdemokraten waren beflügelt von lange nicht mehr gekannten Umfragewerten: „Die SPD hat sich selbst besoffen geredet", drückte es Journalist und "hart aber fair"-Gast Hajo Schumacher aus.

Im verlorenen Wahlkampf in NRW war von Martin Schulz fast nichts zu sehen. Das sei ein Fehler gewesen, gestand SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann auf Nachhaken Plasbergs ein. Oppermann hatte keinen leichten Stand nach dem Debakel im eigentlichen Stammland der Sozialdemokraten und bemühte sich vor allem um Zweckoptimismus. Von allen Seiten - von der der Zuschauer genauso, wie von Spiegel-Hauptstadtkorrespondentin Christiane Hoffmann und Talk-Gast Ulrich Matthes, Schauspieler und bekennender SPD-Wähler - wurde gefordert, dass Schulz doch endlich seine "mehr Gerechtigkeit"-Plattitüden auch mit Inhalten füllen solle. Doch sowohl die eingespielten Versuche des Kanzlerkandidaten selbst, als auch die Oppermanns ("schnelles Internet für den ländlichen Raum, Investitionen in Schulen und Infrastruktur, höhere Löhne und Teilhabe am Reichtum für alle") scheiterten. 

Bayerns Finanzminister Markus Söder beließ es in erster Linie bei Geschlossenheits-Parolen zwischen CDU und CSU, lobte Kanzlerin Angela Merkel überschwänglich und musste sich dafür Witzeleien der anderen Gäste und Einbrems-Versuche durch Plasberg gefallen lassen. Schließlich sollen bei hart aber fair die Diskussion möglichst offen und kontrovers geführt werden. Statt ideologischer und parteipolitischer Aussagen sollen sachliche Argumente im Vordergrund stehen. 

Wie so häufig gelang das aber höchstens mittelprächtig. Die Gästegruppe hatte Plasbergs Redaktion zwar schön bunt zusammengewürfelt, zu einer konstruktiven Debatte trug das aber nicht gerade bei. Die beiden Politiker schalteten in den Wahlkampfmodus, die Journalisten kamen leider zu wenig zu Wort: Christiane Hoffmann musste die Rolle der Medien beim aufgebauschten Hype um Martin Schulz fast nebenbei beleuchten. Hajo Schumachers durchaus diskussionswürdigen Thesen fielen immer wieder schnell unter den Tisch. So wurde nicht weiter diskutiert, ob Hannelore Kraft auf der Höhe des Schulz-Hypes vor zwei Monaten quasi automatisch gewonnen hätte, oder ob sie dazu nicht doch ihren immer wieder in die Kritik geratenen Innenminister Ralf Jäger hätte "rausschmeißen" müssen. Und Schauspieler Matthes gab den recht ahnungslosen, manchmal fast schon naiven SPD-Wähler, nervte damit aber mehr, als wirklich sinnvolle Fragen aufzuwerfen. 

Im routinierten Zusammenspiel verstanden es Kameraleute und Regie, in den richtigen Momenten die richtigen Gesichter zu den Aussagen anderer Talk-Teilnehmer einzufangen. Erstaunlich selten wurde dem TV-Zuschauer dafür ein Blick ins Publikum gewährt. Der bei hart aber fair obligatorische Blick auf Zuschauerkommentare bei Twitter und Facebook zeigte einmal mehr: Häufig bleiben die interessierten Konsumenten im heimischen Wohnzimmer mehr beim Thema, als die Diskutanten im Fernsehstudio.

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