TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 8. September 2017

Medical Detectives - Zwischen Faszination und Abschreckung

von Lea Schinzel 
 
Das der Tod nun mal zum Leben dazu gehört ist schon lange Fakt und etwa genauso lang existiert auch die Faszination die von diesem Thema ausgeht. Dabei scheinen vor allem unnatürliche Todesfälle einen besonderen Reiz zu haben. Seien es Fernsehformate wie Akte X oder seit neustem Formate wie Anwälte der Toten, Autopsie- Mysteriöse Todesfälle, Chronologie des Grauens - Kein Fall bleibt ungelöst, Killerpaare -Tödliches Verlangen, Snapped - Wenn Frauen töten oder eben Medical Detectives- Geheimnisse der Gerichtsmedizin, in allen geht es um reale Verbrechen, tatsächliche Opfer, geschehen an Orten, die wirklich existieren. 



Wahrscheinlich ist genau das auch der Reiz des Ganzen. Es werden Originalaufnahmen der Polizei vom Tatort gezeigt, echte Ermittler werden auf ihrem Weg zur Lösung des Falles begleitet, Forensiker erklären die Verfahren, mit denen sie den Tätern auf die Schliche kommen. Von April 1996 bis September 2010 wurden bereits 460 Folgen der Dokumentar-Krimiserie ausgestrahlt. Sender wie Vox, Sixx, RTLCrime oder RTLNitro füllen die Abend- und Nachtstunden ihres Fernsehprograms mit genau dieser Art von Serie. Medical Detectives wird momentan sowohl bei Vox, als auch bei RTLNitro in den späten Abendstunden gezeigt. Fast alle behandelten Fälle sind aus Amerika und somit nur mit deutschen Synchronsprechern synchronisiert, allerdings wurden in den neueren Folgen auch deutsche Gerichtsmediziner, Forensiker und Spezialisten integriert, die bestimmte chemische Verfahren, Methoden oder Vorgänge erläutern.


Anders als die meisten amerikanischen Krimiserien, die im deutschen Fernsehen gezeigt werden und bei denen direkt zu Beginn klar gestellt wird, dass die vorkommenden Personen und ihre Geschichten frei erfunden sind, ist bei Medical Detectives jeder einzelne Fall wirklich so passiert. Die Fälle der meisten amerikanischen Krimiserien werden fast immer von den Ermittlern allein innerhalb weniger Tage gelöst und ähneln sich oftmals irgendwann. Es geht häufig mehr um die bizarren Geheimnisse der Opfer, der Täter oder der Ermittler und eher weniger um die Vorgehensweise bei der Aufklärung der Verbrechen an sich. Bei Medical Detectives hingegen wird in jeder Folge ein Mordfall, aber vor allem dessen Aufklärung unter die Lupe genommen, angefangen mit der Vorstellung des Opfers, einem Einblick in den Tatort und die Umstände des Mordes, geht es weiter mit ersten Vermutungen über den Tathergang, die gefundenen Beweisstücken und die ersten Verdächtigen. Die Beweiskette wird genau gezeigt und beschrieben, jede neue Erkenntnis der Ermittler ist klar nachzuvollziehen und die Spezialisten der Gerichtsmedizin erklären die einzelnen Schritte ihrer Forschungsarbeit. Dies verdeutlicht ein Beispiel vom 18.08.2017.


In der 55. Folge von Medical Detectives mit dem Titel „Pfad der Wahrheit“ wird am 2. September 1999 eine mumifizierte Leiche in einer Blechtonne gefunden. 

Bei der Betrachtung des Tonneninhalts werden ein Damenschuh, eine Handtasche und ein Stil einer Plastikblume sichergestellt, bei der Autopsie der Leiche stellen die Gerichtsmediziner zehn verschiedene Verletzungen fest, die wahrscheinlich durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Hinterkopf entstanden sind. Sie identifizieren die Leiche als eine weiße, süd- oder mittelamerikanische Frau, die zwischen 20 und 30 Jahre alt gewesen sein muss und eine Körpergröße von 1,50 m aufwies. Die Gerichtsmediziner entdecken, dass die Frau im neunten Monat schwanger war. Bei der Untersuchung der Tonne wird ermittelt, dass diese 1965 hergestellt wurde, somit folgt die grausame Gewissheit, dass die Leiche über 30 Jahre in dieser Tonne gelegen haben muss. In der Handtasche wird ein Adressbuch gefunden, das mit einer dicken geleeartigen Substanz überzogen und somit zuerst unleserlich ist. 

Durch ein bestimmtes Verfahren und stundenlanger Arbeit kann das Dokument allerdings wieder sichtbar gemacht werden. Auch wenn das Adressbuch über 30 Jahre alt ist, versuchen die Ermittler die notierten Personen zu kontaktieren, zunächst ohne Erfolg. Daraufhin konzentrieren sie sich auf den damaligen Besitzer des Hauses, einen Mann namens Howard Elkins, der zu besagter Zeit eine Kunststofffirma besaß, die Blumen und Bäume aus Plastik herstellte. Das lässt die Ermittler aufhorchen, da in der Tonne der Stil einer Plastikblume gefunden wurde. 

Durch eine Pressemitteilung meldet sich ein anonymer Anrufer, der damals in der Kunststofffabrik des Verdächtigen gearbeitet hat, er erzählt den Ermittlern, dass der Verdächtige eine Affäre mit einer Südamerikanerin hatte. Bei der Befragung des Verdächtigen streitet er ab, etwas mit dem Mord zutun gehabt zu haben, gibt aber die Affäre zu, auch wenn er sagt, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne mit wem er sie hatte. Die Ermittler sehen, dass es keinen Sinn hat, den Verdächtigen weiter zu verhören, beschließen aber ihm zu sagen, dass sie vorhaben einen Gerichtsbeschluss zu erwirken, der es ihnen ermöglicht Proben zu entnehmen, um die Vaterschaft des Fötus der Leiche zu testen. 

Daraufhin nimmt sich der Verdächtige mit einer Schrotflinte das Leben und die Ermittler testen mit seinem Blut die Vaterschaft. Dies ist nur durch eine bestimmte Methode namens PCR möglich, die durch einen DNA- Spezialisten erklärt und durchgeführt wird. Das Ergebnis: Er war der Vater des ungeborenen Kindes. Inzwischen gibt es neue Hinweise aus dem Adressbuch. Eine Frau namens Kathy Andrade, die noch im gleichen Apartment lebt wie vor 30 Jahren, wird gefunden und identifiziert die tote Frau als Reina Angelica Marroquin. Sie stammte aus El Salvador und kam nach New York, um ein besseres Leben anzufangen. Sie besuchte Modekurse und fand dadurch einen Job in der Kunstfabrik von Howard Elkins. Als sie schwanger wurde, erzählte sie Elkins Frau von der Affäre, daraufhin brachte er Reina um, verstaute sie in der Tonne und lagerte diese in seinem Keller, da sie zu schwer war, um sie wegzuschaffen. Die Folge endet damit, dass die Forensiker die letzte Nachricht auf einem leeren Blatt in Reinas Adressbuch entschlüsseln. Eine Nachricht an Howard Elkins mit den Worten „Sei nicht böse, ich habe die Wahrheit erzählt“.


Auch in diesem Fall wäre die Auflösung des Mordes ohne die Gerichtsmedizin und die Forensik nicht möglich gewesen. Ohne das Verfahren der DNA Replikation und der speziellen Vorgehensweise mit der Trocknung und der Auslese des Adressbuchs, wär der Täter nicht gefasst worden und auch die Identität des Opfers wäre verborgen geblieben. Die Tatsache, dass sowohl die Leiche, als auch die anderen Beweisstücke mehr als 30 Jahre in einer Tonne lagen, machen den Fall besonders kompliziert und genau deshalb ist er auch so interessant für die Zuschauer. Es ist wie ein Puzzle, bei dem sich nach und nach alles zu einem Gesamtbild zusammen fügt. Auch sind die Fälle oftmals sehr unterschiedlich, beispielsweise ist bei den meisten Fällen der Täter nicht so leicht zu ermitteln, wie im beschriebenen Fall, sondern es gibt mehrere Verdächtige, Spuren führen ins Leere, neue Indizien tauchen auf oder aber es gibt Jahre lang keine heiße Spur und erst ein Fund, eine Aussage oder ein anderes neues Indiz zur Lösung des Falls. 

Diese Folgen vermitteln große Teile der realen Polizeiarbeit, die sich teils jahrelang zieht und die auch unvermeidbare Enttäuschungen beinhaltet, wenn sich beispielsweise Verdächtige als nicht schuldig erweisen oder Fährten ins Leere führen. Es verdeutlicht, anders als die meisten amerikanischen Serien, dass Verbrechen in der Regel nicht in ein paar Tagen gelöst werden, sondern dass es ein langwieriger Prozess ist, der manchmal auch ohne Auflösung zu den Akten gelegt werden muss und vielleicht nie oder erst Jahre später gelöst werden kann. In Medical Detectives geht es nicht um die Ermittler selbst, um ein Ermittlerteam oder ihre Geschichten, sondern um die Fälle und ihre Aufklärung an sich. Durch die Originalaufnahmen des Tatorts und der Opfer wird dem Zuschauer erst bewusst, dass grausame Morde nicht nur Hirngespinste sind, ausgedacht für Krimiserien, um die Zuschauer zu schockieren, sondern dass sie leider auch in der Realität passieren. Wahrscheinlich macht dies die Sendung genau deshalb so spannend. Der Zuschauer stellt sich die Frage, wer so etwas Grausames tun kann und das Interesse wird geweckt, erfahren zu wollen, wie jemand aussieht, der so etwas tut. Es liegt in der menschlichen Natur alles erklären zu wollen, somit übt die Auflösung von mysteriösen, scheinbar unlösbaren Verbrechen, eine besondere Anziehungskraft auf den Zuschauer aus.


Auch wenn vor allem die ersten Folgen auf Grund der Bildqualität relativ altmodisch wirken, sind sie doch nicht veraltet. Es ist überraschend wie weit die Gerichtsmedizin und die Forensik schon in den 2000er Jahren waren und noch erstaunlicher sind die Fortschritte, die man über die Jahre in genau diesen Bereichen erkennen kann. Dies wird vor allem bei den Folgen ersichtlich, die nochmal neu ausstrahlt wurden, da neu entwickelte Methoden Fortschritte und neue Erkenntnisse erbrachten. Man lernt als Zuschauer bei jeder Folge mehr über den Bereich der Gerichtmedizin und der Forensik, ein Bereich, der sonst im deutschen Fernsehen recht wenig beleuchtet wird und doch von großer Bedeutung ist. Es ist äußerst faszinierend, mit welchen Mitteln und auf Grund welcher kleinsten Partikel als Beweisstücke, die Täter überführt werden können. Kleinste Blutspritzer an den ungewöhnlichsten Orten, ein Haar oder andere winzige Partikel geben nicht nur Hinweise auf die Umstände der Fälle und die möglichen Täter, sondern sie sind auch die Grundlage für die meisten erfolgreichen Verurteilungen, da sie als Beweisstücke eindeutig die Täterschaft beweisen können. 

Genau auf Grund dieser Tatsache ist Medical Detectives nicht nur eine Kriminalserie, sondern auch eine Dokumentation, die die Aufmerksamkeit auch auf solch wichtige Bereiche wie die Forensik und die Gerichtsmedizin lenkt und somit die meist sehr präzise, aber auch äußerst anstrengende und langwierige Arbeit würdigt. Sie soll nicht nur den Zuschauer durch Spannung „unterhalten“, auch wenn das in dem Zusammenhang etwas makaber klingt, sondern soll auch Informationen liefern über diese sonst so wenig beachteten Bereiche.


Auch die Tatsache, dass echte Ermittler die Situation des Leichenfundes oder des Tatorts schildern, macht diese Sendung zu einem so beliebten Format. So gut die Schauspieler in anderen geskripteten amerikanischen Krimiserien die Emotionen auch spielen mögen, die Zuschauer haben trotzdem meistens im Hinterkopf, dass alles nur fingiert ist. Bei Medical Detectives hingegen sieht man wahre Emotionen, man hört und sieht wirklich einen Menschen, der eine Leiche gesehen hat oder den völlig verwüsteten Tatort. Auch sieht man die echten Emotionen der Familienmitglieder und Freunde der Opfer, was einem als Zuschauer ziemlich nah gehen kann. Genau diese Momente bewirken, dass der Zuschauer empathisch wird, Mitleid zeigt und vielleicht auch darüber nachdenkt, wie wertvoll das Leben ist und wie froh man darüber sein kann, selbst gesund zu sein, seine Liebsten noch bei sich zu haben und wie schnell sich das Blatt wenden kann. 

Aber genau dieses Zeigen der Emotionen der Familienmitglieder und der Originaltatortfotos hat auch einiges an Kritik ausgelöst. So wurde die Frage laut, ob es sein muss, solche schrecklichen Taten im Fernsehen zu zeigen und ob es nicht auch respektlos ist, Fotos von einer Leiche so offen zu zeigen, denn immerhin muss man bedenken, dass es wirklich reale Menschen sind, denen auf brutale und grausame Weise das Leben genommen wurde. Ich denke allerdings, dass die Opfer mit sehr viel Respekt behandelt werden, beispielsweise werden immer nur Teile des toten Körpers gezeigt, niemals aber das Gesicht der Leiche. Wenn das Opfer vorgestellt wird, dann immer nur mit Fotos der noch lebenden Person. Auch geht es nur bedingt um die Leiche oder das Leben der Opfer selbst, eher um die Vorgehensweise der Ermittler, das Auswerten der Beweise, das Verhören von Verdächtigen und vor allem um die forensischen und gerichtsmedizinischen Möglichkeiten Ermittlungs-fortschritte zu erzielen. Ich denke außerdem, dass es für die Familienangehörigen und Freunde, teilweise auch eine Gelegenheit ist, die Geschehnisse zu verarbeiten und den geliebten Menschen, den sie verloren haben, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 

Ich selbst schaue Medical Detectives ziemlich häufig, weil mich die einzelnen Ermittlungsschritte interessieren und ich mich auch immer wieder dabei ertappe, wie ich Vermutungen darüber anstelle, wer der Täter sein könnte. Auch wenn die Tatsache, dass ein Mensch getötet wurde, grausam und schrecklich ist, so bin ich am Ende, wenn der Täter gefasst und bestraft wurde, erleichtert und froh darüber, dass vielleicht am Ende doch noch etwas Gerechtigkeit geübt werden konnte. Auch wenn das das Opfer leider nicht zurück bringt, so erhält der Täter wenigstens eine Strafe für das, was er getan hat und die Angehörigen und Freunde können vielleicht leichter damit umgehen. Meiner Meinung nach ist Medical Detectives für Krimi- Fans und Wissbegierige auf jeden Fall eine Empfehlung wert.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen