TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 7. September 2017

Narcos – Unmoralische Unterhaltung auf höchstem Niveau

von Bastian Fraunhofer 

Problemlos zwei Nächte durchfeiern, einen stressigen 15 Stunden Arbeitstag bewältigen oder den kreativen Schaffungsprozess anregen: Kokain ist eine Droge, die sich durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten zieht. In den letzten Jahren nimmt der Konsum vor allem in Europa stark zu. Doch woher beziehen europäische Konsumenten ihr Kokain? Wo wird Kokain hergestellt? Jedes Gramm, das in Europa konsumiert wird, hat schon einen langen, blutigen Weg hinter sich gebracht. Der Weg der Droge beginnt in den undurchdringlichen Dschungelgebieten in den Andenregionen Südamerikas.

Die Netflix-Serie Narcos nimmt den Zuschauer mit auf die Reise zu den Anfängen des weltweiten Kokainexports. Im Mittelpunkt der Serie steht das Leben des Chefs des berüchtigten Medellin-Kartells aus Kolumbien, Pablo Escobar. Im idyllischen Medellin nimmt die Geschichte eines der ehemals reichsten Menschen der Welt seinen Anfang. Der Zuschauer wird Zeuge, wie sich Escobar skrupellos und gewalttätig seinen Platz im Drogengeschäft erkämpft. Trotz der Härte der Serie und den extrem vielen Todesopfern, die es in nahezu jeder Folge gibt, stellt man sich trotzdem oft die Frage: Was ist bzw. war brutaler, die Serie oder die Realität? Die Produzenten spielen gekonnt mit dem Machtgefühl des Zuschauers und wissen geschickt, Nähe und Sympathie zur Figur des Pablo Escobars aufzubauen. Obwohl man dieses Vorgehen aus Filmen wie Der Pate oder Scarface längst kennt, ertappt man sich beim Schauen der Serie oft dabei, wie man insgeheim darauf hofft, Pablo möge doch der Polizei entkommen oder die Rivalen im Drogengeschäft durch einen Hinterhalt oder eine kluge Idee ausstechen, um selbst erfolgreich zu sein. Diese Emotionalisierung geschieht vor allem aufgrund des sehr intimen Einblicks in das Privatleben des Kartellchefs. Man frühstückt mit der gesamten Familie, sieht seine Kinder aufwachsen und leidet mit seiner Frau. Wie in den oben genannten Klassikern, darf auch in Narcos der Gegenspieler, die „gute“ Seite nicht fehlen. So bekommt man zusätzlich zum Leben von Pablo Escobar einen Einblick in das Alltagsleben der kolumbianischen und US-amerikanischen Polizisten im Kampf gegen die organisierten Kartelle.

Fans der Serie feiern die gute Recherche, tolle schauspielerische Leistungen und einen Spannungsbogen, der den Zuschauer nach jeder Episode mit der Lust auf mehr zurücklässt. Doch abermals muss man der Serie, genau wie ihren Vorgängern im Genre, große Vorwürfe machen. Neben der Verharmlosung von Gewalt und der Verherrlichung von faktischen Massenmördern, steht für mich vor allem die voranschreitende Stigmatisierung einer ganzen Nation im Vordergrund. Durch Serien wie Narcos werden Vorurteile gegenüber der kolumbianischen Bevölkerung geschürt und ein falsches Bild von einem Land vermittelt, das weitaus mehr zu bieten hat, als mythenbehaftete Geschichten von Drogenkartellen. Trotzdem scheint das viele Geld, das Machtgefühl, die zügellose Gewalt, die starke Heroisierung und Emotionalisierung den Zuschauer magisch anzuziehen und immer noch ein effektives Zugpferd der Unterhaltungsindustrie zu sein. 

Logischerweise habe auch ich, als Verfasser dieser Kritik die Serie gesehen. Trotz der vielen Kritikpunkte, kann ich mich den Fans der Serie in einigen Punkten anschließen. Die Serie ist spannend und nimmt den Zuschauer mit in eine gefährliche Welt, in die er sich, bequem vor dem Fernseher sitzend, nie im Leben selbst hineinwagen würde. Gerade dieses Abenteuer, das Unvorhersehbare, das man erlebt, wenn man die Serie schaut, ist glaube ich das faszinierende an ihr. Wie so oft fühle ich mich hin- und her gerissen zwischen der moralischen und ethischen Kritik, die man der Serie vorwerfen kann und der puren Unterhaltung beim Schauen. Was bleibt ist ein fader Beigeschmack und die etwas überhebliche Selbsterkenntnis, dass man ja sehr wohl weiß, dass Kolumbien mehr ist, als ein Drogenproduzent.

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