TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 12. September 2017

Erfolg durch Belehrung - Lie to Me

von Laura Frank 
  
Als Produzent findet man sich oft in einem Entscheidungsdilemma wieder. Lohnt es sich vorgeschlagene Drehbücher als Serie zu realisieren oder wird das zu Anfang vielversprechend erscheinende Projekt nur ein weiterer Ladenhüter, dem es an Innovation mangelt, der mit bereits Bekanntem nicht mithalten kann und der letztendlich doch wieder nach Staffel 1 abgesetzt wird.

Genau dieser Frage sahen sich auch Brian Grazer und der US-Amerikanische Fernsehsender Fox ausgesetzt, als ihnen von Samuel Baum die Idee zu Lie to me unterbreitet wurde. Eine Serie, rund um die "Lightman Group“. Ein Unternehmen gegründet von Lügenexperte Dr. Cal Lightman und Psychologin Dr. Gilian Foster, das der Polizei und Staatsanwaltschaft beim Lösen gegenwartsnaher Kriminalfälle zur Seite steht. 



Sie entschieden sich für die Produktion. Nach seit 2009 insgesamt 48 ausgestrahlten Episoden in drei Staffeln lässt sich ein Fazit ziehen – es war die richtige Entscheidung. 
Verwunderlich, denn auf den ersten Blick ist Lie to me eigentlich nur eine weitere Serie, die Verbrechen und deren Aufklärung thematisiert. Doch was machte die Serie trotzdem erfolgreich, worin bestand dieser eine innovative Baustein, der die Zuschauer überzeugte und sie vor dem Bildschirm kleben ließ?
Begeben wir uns gemeinsam auf die Suche




Das Intro – Die Methode des Dr. Cal Lightman  


Schon vor Beginn des eigentlichen Plots trumpft Lie to me mit einer Neuheit auf. Das Intro der Serie beinhaltet nicht etwa die partizipierenden Hauptfiguren oder Bilder der einzelnen Fälle. Das Intro der Serie ist besonders. Das Intro der Serie ist neu.
Es handelt sich um ein eine Art Lehrvideo, in dem das Publikum ein kurzes Briefing erhält. Es werden Personen gezeigt, die einen Gesichtsaudruck aufweisen, der auf ein bestimmtes Gefühl schließen lässt. Angst, Überraschung, echtes Lachen, Schmerz – um nur Einzelne zu nennen. Die jeweilige Bezeichnung des Gefühls wird eingeblendet, begleitet von einer Aufzählung der Muskelgruppen, die maßgeblich für jenen Ausdruck verantwortlich sind. Außerdem helfen auf den Gesichtern eingezeichnete Linien dem Zuschauer sogar jene Gruppen zu lokalisieren. Es gleicht fast einer Art Vortrag, einer Unterrichtsstunde – einer Einführung in die Welt der Mikroausdrücke. So macht Lie to me den Zuschauer schon ganz am Anfang zu einem Komplizen von Dr. Cal Lightman und man begibt sich gemeinsam auf die Spuren verschiedenster Krimineller.



Die Charaktere – Zusammenspiel der Gegensätze 

Zu Beginn, der wichtigste Charakter für die Serie, aus Sicht der Zuschauer und vermutlich auch aus seiner eigenen: Dr. Cal Lightman, Gründer der „Lightman Group“, ein narzisstischer Zyniker, der oft launisch wirkt. Er erforschte einst in einem eingeborenen Stamm in Afrika die Mikroausdrücke und revolutionierte die Psychologie mit seinen Erkenntnissen. Aus diesem Erfolg bezieht er ein unbegrenztes Vertrauen in sein Können und seine Selbstverliebtheit. So gibt er beispielsweise seinem eigenen Buch, welches er im Laufe der Serie schreibt, den Titel „Es werde Lightman“ – Nur ein Exempel für seinen enormen Narzissmus. Seine in der Serie verwendeten Thesen und Praktiken sind dabei interessanterweise nicht aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf der Forschung von Paul Ekman, einem bedeutenden Anthropologen und Psychologen der Neuzeit. Lightman lässt sich hier und da immer wieder auf verschiedenste Frauen ein, was jedoch nicht von Dauer ist. Die einzigen Konstanten in seinem Leben sind seine Partnerin, Dr. Gillian Foster, und seine Teenager Tochter Emily Lightman, für die er sich mit seiner Ex-Frau Zoe Landau das Sorgerecht teilt. Viel mehr erfährt der Zuschauer über das Leben von Cal Lightman nicht. 


Die nächste zentrale Rolle der Serie hat Dr. Gillian Foster inne. Sie ist Teilhaberin der „Lightman Group“ und Dr. Cal Lightmans größte Stütze. Als studierte Psychologin springt sie bei Verhören als vermittelnde Instanz ein und hilft Profile für Verdächtige zu erstellen. Man erfährt im Laufe der Serie viel über ihr Privatleben, was teils daran liegt, dass sie ihre Gefühlswelt oft nach außen trägt und man ihr Kummer, Sorge oder Verzweiflung direkt ansieht. 


Der dritte im Bunde der zentralen Personen der „Lightman Group“ ist Eli Loker. Er ist ein begabter Angestellter und enger Vertrauter der beiden Geschäftsführer, dennoch fühlt er sich oft nicht genug geachtet und unterschätzt. Er folgt dem Konzept der „Radikalen Ehrlichkeit“ nach Brad Blanton, weshalb er selten bis nie lügt und oft gerade heraus sagt, was ihm durch den Kopf geht. Dies provoziert im Laufe der Serie verschiedenste Gefühlsregungen seiner Interaktionspartner, wie bspw. Wut, Bewunderung oder Überraschung. Außerdem erfährt der Zuschauer so viel über das Privatleben, die Überzeugungen und Weltansichten von Eli Loker. 


Zuletzt ist noch Ria Torres zu betrachten. Sie ist ein sogenanntes Naturtalent was das erkennen von Mikroausdrücken angeht. Im Gegensatz zu allen anderen Mitarbeitern der Lightman Group hat sie ihr Können nicht durch ein Studium der Wissenschaft erlangt, sondern folgt schlicht und ergreifend ihrer Intuition. Ria ist Lightmans Schützling und wirkt oft kalt bzw. verschlossen. Dies ist auch der Grund, wieso man erst schleppend über die drei Staffeln hinweg einige wenige Details über ihr Leben erfährt. 


Insgesamt ist auffällig, dass es stets um gegensätzliche Positionen geht. So ist Dr. Cal Lightman, mit seiner impulsiven Art und seiner Selbstverliebtheit der Gegenpol zu dem verständnisvollem und ruhigen Ton, den die bescheidene und zurückhaltende Dr. Gillian Foster überwiegend anschlägt. Fortführend bildet Eli mit seiner Offenheit, die seiner radikalen Ehrlichkeit geschuldet ist, den disparaten Charakter zu Ria, die sich distanziert verhält und wenig auf soziale Interaktion aus ist. Dieses Konzept der Gegensätze lässt sich weiter auch auf das Privatleben der Hauptpersonen ausweiten. Da sind auf der einen Seite Loker und Dr. Foster. Loker ist ein offenes Buch, was seine Weltanschauungen, seine Vorlieben und seine Einstellungen angeht und über Fosters Privatleben erfährt der Zuschauer schon in Staffel 1 eine Menge. Als gegensätzliche Figuren dazu stehen auf der anderen Seite Lightman und Torres. Auf deren Vergangenheit wird des Öfteren angespielt, dennoch lässt man den Zuschauer in der Luft hängen. Abgesehen von sporadischen Informationen zu seiner Ex-Frau und seiner Tochter Emily gewährt der Plot der Serie lange keinen Einblick in den Hintergrund von Dr. Cal Lightman. Ähnlich bei Ria Torres, wo das große Geheimnis die Herkunft ihres Talentes ist, welches dem Publikum erst sehr spät offenbart wird.


Die Serie baut hier subtil Parteien auf, mit denen man sich als Zuschauer identifizieren kann und entscheiden soll, mit wem man mehr sympathisiert. Wäre man selbst Teil des Teams, wie würde man sich verhalten, wem würde man sich anschließen? 



Die Fälle – 0815 Kriminalität mit dem besonderen Extra

Jede Folge der Serie behandelt stets mindestens einen Fall, meistens sogar zwei. Diese sind nichts besonderes, nichts, was man noch nie gesehen hätte. Ob ein Schwarzer, dem Vergewaltigung Minderjähriger vorgeworfen wird, der aber schwört sie sei volljährig gewesen, oder die betrogene Frau, die zur Brandstifterin wird. Die Lösung kann man hier und da erraten, insgesamt gibt es selten verschachtelte Fälle und herausragend überraschende Plottwists - man fühlt sich über die 45 Minuten dennoch permanent unterhalten. Entscheidend dazu trägt die Arbeitsweise von Dr. Cal Lightman bei. Mit unkonventionellen Methoden, Tricks und Lügen erzwingt er Geständnisse oder liefert entscheidende Hinweise. Dabei wird sein Vorgehen stets von ihm selbst oder seinen Mitarbeitern kommentiert – zu welchem Zweck er jenes getan hat, was er gerade im Gesicht des Angeklagten erkannt hat, oder, wie genau sich der Täter gerade selbst verraten hat. Man ist als Zuschauer dieser Serie allzeit darüber informiert, was gerade warum passiert und wird so selbst zum Analysten. Man bekommt das Gefühl, die praktische Anwendung der Forschung durch Beobachtung ihrer Applikation erlernen zu können. Dies verschafft einem die Empfindung, zum Team zu gehören, eine Art Praktikant zu sein, dem alles genau erklärt wird, um ihn darauf vorzubereiten, das Gelernte selbst anzuwenden.



Alte Bekannte– neu inszeniert

Nun, zu der Besonderheit der Serie. Jedes Mal, wenn ein Verdächtiger einen prägnanten Gesichtsaudruck zeigt, der beispielsweise Wut, Scham oder Verachtung verdeutlicht, bedient sich Lie to me eines ganz besonderen Handlungselements. Als Verdeutlichung werden Bilder eingeblendet, die berühmte Personen mit derselben Emotion zeigen. Da wären bspw. Bill Clinton, der abstreitet mit Monica Lewinsky geschlafen zu haben, Richard Nixon mit der Watergate-Affäre oder George W. Bush, der den Irakkrieg rechtfertigt. Neben vielen politischen Beispielen gibt es auch andere Prominente, deren Gesichtausdruck, abgelichtet in prekären Situationen, als Lehrmaterial und Exempel herangezogen wird. Dem Zuschauer wird dadurch zu dem eben Gesehenen direkt eine Veranschaulichung angeboten. Erneut bekommt er das Gefühl, beim reinen Verfolgen der Serie etwas zu lernen.



Lie To Me – Einzigartiges Konzept mit Belohnungsfaktor   


Lie to Me schafft es sich von all den Krimiserien abzuheben. Es ist keine weitere Serie, die dem CSI und Navy CIS Universum entspringt, die als ein weiterer Abklatsch konzipiert ist. Lie to me schafft sich sein eigenes Genre, findet eine unbesetzte Lücke in dem Überfluss an Krimiserien. Der Fall selbst rückt in den Hintergrund und der Weg zu seiner Lösung ist hier das Ziel.  Lie to me  belohnt seine Zuschauer mit Wissen.
Man fühlt sich unterrichtet und belehrt und bleibt am Ende jeder Folge mit dem Gefühl zurück, wieder ein Stückchen mehr über die menschliche Psyche erfahren zu haben.
Man ertappt sich doch tatsächlich dabei, wie man hier und da seine Mitmenschen auf Blickrichtung, Körpersprache und Intonation hin analysiert. Bei der nächsten Gelegenheit kann man mit ein paar spannenden Fakten auftrumpfen und am Ende des Tages schaltet man, getrieben von Wissbegierde, wieder erneut ein, um die Lightman Group bei ihrem nächsten Fall zu begleiten und sich weiter einführen zu lassen in die Welt der Lügenerkennung .


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