TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 24. Juli 2020

Transparent. Wie wir gelernt haben (und lernen mussten), eine Serie und ihre schwierigen Figuren zu lieben

von Herbert Schwaab 
Maura Pfefferman ist ein Universitätsprofessor, der nach der Pensionierung endlich seinen Traum einer transsexuellen Existenz umsetzt. Die älteste Tochter Sarah, Mutter von zwei Kindern, verlässt in der ersten Staffel ihren Mann, als sie sich leidenschaftlich in Tammy verliebt und mit ihr überstürzt zusammenzieht, aber später entdeckt, dass es doch keine so gute Idee war, mit der dominanten Tammy zusammenleben zu wollen. Sein Sohn Josh Pfefferman arbeitet bei einem Music Label, beziehungsunfähig stolpert er von One Night Stand zu kurzen Beziehungen und scheint dann doch seine Erfüllung in dem weiblichen Rabbi Raquel gefunden zu haben - wäre da nicht ein Sohn, den er als Teenager mit einer älteren Freundin gezeugt hat, der als 17jähriger Teenager vom Land wieder auftaucht und bei dem neuen Paar zu leben versucht. Ali Pfefferman, die jüngste, noch immer von den Eltern abhängige Tochter, wechselt ihre sexuellen Identitäten fast so oft wie sie ihre Frisuren oder ihren Kleiderstil ändert, von heterosexuellen Affären, zu Affären mit Transgender-Männern, zu einer lesbischen Beziehung mit einer alten Freundin bis zu einer Beziehung mit einer Gender-Professorin und -Aktivistin, durch die sie gleichzeitig in die Welt der Universität und Gendertheorie eintaucht und ihren ersten richtigen Job überhaupt hat. Dann gibt es noch die von Maura, ehemals Mort geschiedene Ehefrau Shelley, die mit ihrer neuen Beziehung, einem dement gewordenen Mann, in einer Gated Community lebt und nach dessen Tod für wenige Wochen dann auch wieder mit ihrem Frauenkleider tragenden Ex-Mann zusammenlebt.

Eigentlich könnte man glauben, dass Transparent (2014-19) - eine der ersten eigenproduzierten Serien von Amazon Prime, die bewusst ausgewählt wurde, um dem Sender intellektuelles Renommee zu geben -  versuchen sollte, Sympathien zu schaffen für Menschen, deren sexuelle Identität nicht den Normen entspricht und die trotzdem konsequent nach Wegen suchen, ein glückliches, selbstbestimmtes Leben zu führen, das ihrer Identität entspricht und sich nicht um die Einschränkungen einer heteronormativen Gesellschaft zu kümmern. Eigentlich würden alle denken, dass diese Serie von Transgender-Identitäten und deren Emanzipation handelt. Überraschenderweise handeln die 30minütigen Episoden, die es mittlerweile auf 4 Staffeln von 10 Folgen gebracht haben (es gibt auch noch einen abschließenden Film, der als Musical inszeniert ist), von etwas ganz anderem: Von durch und durch egozentrischen, narzisstischen, teilweise asozialen, wohlstandsverwahrlosten Menschen, die man schon nach wenigen Minuten zu hassen lernt. Der von Jeffrey Tambor gespielte Transgender-Vater kann die Welt nur aus der Perspektive der Befriedigung seiner Bedürfnisse betrachten und  er erwartet, dass alle anderen Menschen auf diese eingehen. Mit seinen unsensiblen, herrischen Auftritten zerstört und verdirbt er jede Begegnung oder jedes Event, weil er es nicht erträgt, dass es einmal nicht um ihn geht, und dann alles dafür tut, dass es um ihn geht. Sarah folgt ihren Impulsen und bereut es dann schnell, sucht ständig nach stimulierenden Erfahrung mit Sex und Drogen, aber auch verzweifelt nach erfüllenden Aufgaben und neuen Perspektiven und findet sie sogar, um sie durch ihr undiplomatisches, anstößiges Verhalten, dass offensichtlich niemals von der Annahme ausgeht, dass auch andere Menschen Gefühle haben, immer wieder zu zerstören. Josh ist ein hoffnungsloser Romantiker, der aber tatsächlich nur in die Idee verliebt ist, verliebt sein zu können. Wie diese Spur eines tiefsitzenden Narzissmus immer wieder gelegt wird und wir dabei zusehen können, wie er seine erste echte Beziehung zu Raquel ohne Not durch seine Entscheidungen und durch seine Indifferenz zerstört, ist zugleich faszinierend und hochtragisch. Ali ist eine sprunghafte Schnorrerin, der es mehr darum zu gehen scheint, jemanden zu erobern, egal welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Orientierung, und die daher dann nicht weiß, was sie dann mit der Eroberung anzufangen ist. Sie scheint so intensiv auf der Suche zu sein, dass sie nicht mehr weiß, wonach sie eigentlich sucht. Die Mutter Shelly ist von jener Art Person, die irgendwann (meistens durch Therapien oder anderen Ereignissen ausgelöst) entdecken, dass es jetzt endlich mal um sie gehen muss und sich in ein Projekt zur Selbstverwirklichung stürzt (in diesem Fall das wenig glamouröse Amt im Vorstand der Gated Community), dabei aber vergisst, dass es in ihrem ganzen Leben nur um sie ging. Sie ist laut, geschmacklos, übergriffig, und ähnlich wie ihr Ex-Mann ohne jegliches soziales Empfinden, wodurch sie auch jedes Event und jede Feier innerhalb kürzester Zeit zu zerstören versteht.
Warum schauen sich Menschen so eine Serie an. Was ist faszinierend daran, unangenehmen Menschen bei der Arbeit daran, zuzuschauen, unangenehme Menschen zu sein? Als ich und meine Frau begannen, diese Serie zu schauen, haben wir uns zunächst von Episode zu Episode gehangelt, bis die Intervalle kleiner und die geschauten Episoden so viele wurden, dass wir die Serie jetzt doch bald zu Ende geschaut haben werden. Zunächst haben wir uns nur aufgeregt, und zwar so stark, dass wir dann auch wissen wollten, wie es weitergeht, um uns noch mehr aufzuregen oder endlich zu begreifen, warum eine Serie über so unmögliche Menschen gemacht wird. Ich bin Fernsehwissenschaftler, aber es fällt mir unheimlich schwer zu erklären, warum ich (und meine Frau) dann doch zu Fans von dieser Serie wurden.
Ein möglicher Grund liegt in dem, was den größten Raum dieser Kritik einnimmt. Wir können uns nur über Menschen aufregen, die uns vorkommen, als wären sie ‚echte‘ Menschen. Natürlich sind das auch in diesem Fall nur (großartige) Schauspielende, die Rollen verkörpern, aber es sind zugleich ‚tiefe‘ Charaktere, von denen es, wie immer behauptet wird, in neuen Serien nur so wimmelt. Tatsächlich finden wir aber immer nur dieselben Figuren mit ihren großen Geheimnissen und moralischen Dilemmata, wie Walter White oder Don Draper. In Transparent haben wir widersprüchliche, unsympathische, energetische, manische und ultrarealistische Figuren, die wir nicht unbedingt lieben müssen, die wir aber auch nicht ignorieren können. Deswegen macht es auch so Spaß, sich über sie aufzuregen und deswegen ist es so schwer, sie ganz aus den Augen zu verlieren. Es gibt wenig Serien, denen es gelingt, so wirkliche Charaktere zu schaffen, widerspenstig und widerständig. Vielleicht ist das Schauen dieser Serie auch ein Versuch, diese Figuren und ihre erratischen Handlungen zu überwachen und uns damit vor ihnen schützen (wie ein Unfall, bei dem wir nicht wegschauen können, weil wir nicht wollen, dass er uns passiert).
Ein weiterer Grund für das Interesse an der Serie liegt schlichtweg an ihrer wirklich durch und durch innovativen Gestaltung. Am Anfang erschien sie mir eher kalkuliert, darauf ausgerichtet, Stoff für smarte, liberale, großstädtische Zuschauende zu bieten, aber erst langsam habe ich gemerkt, wie eigenwillig diese Serie erzählt und inszeniert ist, wie sehr sie sich in rauschhafte Zustände, die mit den Erfahrungen der Figuren korrelieren, verliert, wie sie immer wieder versucht, Subtexte aufzurufen und eine mythologisierende Variante der Familiengeschichte zu erzählen, die bis in das Berlin der sexuellen Befreiung in den 1930er Jahren zurückführt, wie selbstverständlich sie dann doch an das Transgenderthema hinführt, wenn es uns einfach auch nur das Leben und die Kultur von Transgender-Menschen oder vielen anderen Menschen aus der LGBTQ-Community zeigt. Die Serie verändert individuell ihre Tonlage, sie bleibt außen und dringt ein, sie ist schnell und langsam, realistisch und symbolisch, sie ist keine typisch getaktete Serie, sie ist eher eine unbeherrschbare Serie, eine Herausforderung, aber eine schöne Herausforderung. Und sie scheint auch ein Thema in der jüdischen Identität zu haben, mit der Figur des Rabbis Raquel, vielen Ritualen und dem Versuch von Sarah, in einer jüdischen Community unterzukommen und für sie eine religiöses Ritual zu inszenieren – natürlich wieder ein Event, dass durch den egozentrischen Vater nachhaltig zerstört wird.
Ich könnte hier viele weitere Gründe nennen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das alles niemals ausreichen wird, um wirklich zu erklären, was an der Serie wirklich gut. Wirklich begriffen habe ich das noch immer nicht, wirklich einordnen kann ich auch nicht und wirklich lieb gewonnen habe ich die Figuren immer noch nicht, auch wenn ich manchmal zu spüren glaube, dass ich sie jetzt doch besser verstehe. Aber am Ende sollte sich jeder und jede und was es sonst noch gibt selbst von der Serie ein Bild machen aber nicht nicht darauf hoffen, dass eine Folge dafür ausreichen wird. Ein letzter Punkt noch: Als ich anfing, die Serie zu schauen, habe ich mir immer die Frage gestellt: Warum werden dort LGBTQ Menschen größtenteils so unsympathisch und egoistisch gezeigt, soll das heißen, dass es auch Egoismus ist, seine Identität ausleben zu wollen, was natürlich hochproblematisch wäre. Diese Frage wurde mir im Laufe der Serie nicht beantwortet, dafür habe ich sie schlichtweg vergessen, wurde sie von dieser schönen und eigenwilligen Serie komplett überschrieben.

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