TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 21. Juli 2020

„Pearl Harbor“ – Alternativprogramm zu Netflix

von Lea D.
Es ist Wochenende 19:30Uhr, die ganze Familie sitzt am Esstisch, hat bereits gemeinsam zu Abend gegessen und möchte nun noch gemütlich zusammen Fernsehen schauen. Wie vermutlich bei vielen Familien, in denen es Mitglieder mit ganz unterschiedlichen Interessen und Präferenzen gibt, entpuppt sichauch bei uns die Suche nach einem passenden Abendprogramm des Öfteren als schwierig.
Das Schlimmste was man in dieser Situation machen kann ist Netflix zu öffnen. Ohne zumindest eine ungefähre Idee davon zu haben, was man denn eigentlich schauen möchte, wird man von der Angebotsvielfalt des Streaming Anbieters quasi erschlagen.
Eine Serie schauen wird schnell ausgeschlossen, denn wer weiß, wann man wieder in dieser Konstellation zusammen sitzt um die Serie weiter zu schauen? Eine Serie -und sei es nur eine Miniserie -mit mehreren Personen zu Ende zu schauen würde vermutlich Monate dauern,und bis zum nächsten Zusammentreffen hätte man vermutlich sowieso das meiste des Serieninhalts wieder vergessen. Nein. Serien sind nichts für einen selten zustande kommenden Familienabend.
Es folgt ein durchstöbern der Startseitevon Netflix, die Film Trends werden durchgeklickt, wobei jeder in der Familie sein „Ja“ oder „Nein“ zum Film abgibt. Wie zu erwarten, erhält kein Film alle „Ja“ Stimmen, woraufhin jedes einzelne Familienmitglied versucht die anderendavon zu überzeugen, nicht doch für seinen präferierten Film zu stimmen, gefolgt von einer endlose Diskussion (in der Zeit hätten wir vermutlich schon 2 Filme schauen können), welcher Film nun der Beste wäre.
Eine Steigerung, der nicht zielführenden Entscheidungen wäre nun, in der Hoffnungman finde dort einen Film auf den sich alle einigen können, Amazon Prime zu öffnen. Gefolgt von Sky und Disney Plus. Es würden weitere Diskussionen folgenu nd Achtung Spoiler,ein Film bei dem alle begeistert „Jaa!! Den schauen wir!“ rufen wird nicht gefunden.
Ach, was waren die Zeiten noch schön, als man nicht diese Entscheidungsschwierigkeitenhatte, sondern einfach schauen musste was im Fernsehen läuft...
Gott sei Dank, steht bei uns in der Familie das lineare Fernsehen immer noch sehr hoch im Kurs, was vor allem daran liegt, dass es vor einigen Jahren noch keine Streaming Plattformen gab und ältere Generation (meine Eltern), (noch) nicht viel mit Netflix und Co. anfangen können. Auch die Tradition des „Tagesschau gucken“ hat sicherlich dazu beigetragen, dass wir es beibehalten haben um 20:15 Uhr (nach der Tagesschau) erstmal zu schauen was im klassischen Fernsehprogramm geboten wird. So umgeht man die enorme Angebotsvielfalt sowie die folgenden Diskussionen, bei der man letzten Endes doch keinen Film findet auf den sich alle einigen können.
Die Filmauswahl des linearen Fernsehprogramms ist da das komplette Gegenteil. Am Wochenende laufen zur Primetime meist diverse Unterhaltungsshows auf Sendern wie Pro7, RTL und Sat1 und mittelmäßig bis schlechte eigenproduzierte Krimis oder Dramen auf ARD und ZDF. Wie gesagt, die Auswahl ist nicht vergleichbar mit Netflix. Wenn im TV kein familienabend-tauglicher Film läuft, wird oft auf Streaming Anbieter ausgewichen. (Was folgt habe ich ja bereits beschrieben.)
Ab und zu verirrt sich dann aber doch ein richtiger „Blockbuster“ ins TV-Programm, der von allen als „Ok“ empfunden wird. Komischerweise wird hier nicht diskutiert ob man nicht lieber einen anderen Film auf Netflix schauen möchte (vermutlich mit dem Wissen, der darauf folgenden Diskussion). Wenn der Film einigermaßen in Ordnung scheint wird er geschaut, und das ist, wie ich im Folgenden versuche zu beschreiben, oftmals, so auch dieses Mal die richtige Entscheidung.
Eine halbe Stunde später, um Punkt 20:00 Uhr sitzt die komplette Familie auf der Couch. Getränke und Snacks stehen bereit und der Tagesschausprecher begrüßt uns auf unserem Flachbildfernseher zu den Nachrichten. Um 20:14 Uhr wird der Wetterbericht schnell weg- und auf den Sender VOX gezappt, damit man ja den Anfang des Filmes „Pearl Harbor“ nicht verpasst.
Ein Hafen mitten im zweiten Weltkrieg, bombardiert und zerstört durch japanische Kampfflugzeuge, schreiende Menschen und versinkende Schiffe und mittendrin die beiden Freunde und Kampfpiloten Danny und Rafe auf Seiten der Amerikaner im Kampf gegen die Japaner. Diese 30-minütige Schlüsselszene ist wohl die spannendste und mitreißendste Szene des Dramas Pearl Harbor.
Es handelt sich bei dem Film um einen Kriegsfilm, welcher im Jahr 2001 in die Kinos kam. Regisseur ist Michael Bay und die Hauptdarsteller Ben Affleck, Josh Hartnett und Kate Beckinsale. Er spielt während des zweiten Weltkriegs zur Zeit des Angriffs auf Pearl Harbor durch die Japaner und den darauffolgenden Überraschungsangriff der US-Armee auf Tokio 1942. Ort des Geschehens ist der Hafen und US-Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii. Im Vordergrund der Handlung stehen die Freunde Rafe McCawley und Danny Walker, welche seit ihrer Kindheit davon träumen, einmal Kampfpiloten zu werden und später dann tatsächlich den US-Army Air Forces beitreten. Rafe verliebt sich in die Militärkrankenschwester Evelyn und die beiden werden ein Paar. Als Rafe sie jedoch verlässt, um seinem Land im Kampf gegen die Deutschen zu helfen und dabei abgeschossen und für tot erklärt wird, kommen sich Evelyn und Danny immer näher und verlieben sich. Rafe taucht jedoch kurz vor dem Angriff der Japaner wieder auf und es kommt zum Konflikt zwischen den beiden Freunden. Während des Angriffs schaffen die beiden es dann als Einzige, noch ein Flugzeug in die Luft zu bringen und sieben Flugzeuge der Japaner abzuschießen. Nach dem Angriff beteiligen sich beide an einem amerikanischen Luftangriff auf Tokio, genannt Doolittle Raid.
Bis zu diesem Zeitpunkt des Films wurde bereits mindestens 5 mal Werbung geschaltet. Diese oft verhassten Werbepausen, haben so gar nichts mit modernem Fernsehen gemein, überspringt man ja für gewöhnlich sogar den Vor- und Abspann einer Netflix Serie immer wieder weil man ungeduldig weiter schauen möchte.
Für einen Filmabend mit der Familie oder mit Freunden sind diese Pausen allerdings eher Segen als Fluch. Die 5 Minuten Werbung sind perfekt getimt, um in der Zeit schnell auf die Toilette zu gehen, Trinken nachzufüllen oder mehr Snacks aus der Küche zu holen. Man könnte jetzt einwenden, dass man bei Netflix die Pausen ja jeder Zeit selber festlegen kann, indem man auf Stopp drückt. Aber wer bestimmt dann wann die Pausen eingelegt werden? Und wie lange? „Müssen wir jetzt Stopp drücken, nur weil DU auf die Toilette musst?“, „Können wir nicht noch die spannenden Szene schauen bevor wir eine Pause machen?“, „Könnt ihr euch mal beeilen, ich möchte endlich weiter schauen!“
Ja, es ist Jammern auf hohem Niveau, aber jeder der mit einer großen Familie oder mit mehreren Freunden einen Film geschaut hat, wird dies sicherlich mal erlebt haben. Die vorgeschrieben Pausen beim linearen Fernsehen umgehen solche Diskussionen. Es ist Pause wenn Werbung kommt und wer nicht rechtzeitig nach dem Ende der Pause wieder vor dem Fernseher sitzt hat eben Pech gehabt.
Die kurzen Unterbrechungen im TV sind nicht nur im Vergleich zu Streaming Anbietern ein Vorteil, sondern auch zum Kino. Denn Pausen gibt es hier für gewöhnlich nicht. Und wer verlässt schon gerne den Kinosaal, um auf Toilette zu gehen oder sich Popcorn zu kaufen und riskiert dabei wichtige Szenen des Filmes zu verpassen?
Auch bieten die Werbeunterbrechungen einen guten Platz um sich über Gesehenes zu unterhalten und auszutauschen. Auch das ist im Kino nicht möglich. Der Film „Pearl Harbor“ bietet viel Gesprächsstoff, so wird bei uns in den Pausen beispielsweise über den geschichtlichen Hintergrund gesprochen und gerätselt ob es wirklich so geschehen ist, denn der Film basiert auf einem wahren historischen Ereignis und enthält viele historische Hintergrundinformationen über die damalige Kriegszeit kurz vor und nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Daher ist es interessant sich mit dem Wahrheitsgehalt des Dramas auseinanderzusetzen. Stimmen die genannten und gezeigten Ereignisse mit der wahren Geschichte überein? Wie ich später, und auch schon in den Werbepausen, recherchierte, kommt es hier nämlich zu einigen Abweichungen der historischen Vorlage. Ein Beispiel hierfür ist die prägnante Szene, in welcher Präsident Roosevelt aus seinem Rollstuhl aufsteht und eineRede hält, welche es tatsächlich jedoch nie gegeben hat und frei erfunden wurde. Ein weiteres Beispiel ist der Angriff auf Pearl Harbor selbst, bei welchem im Film auf Zivilisten und Krankenhäuser geschossen wurde, diese aber in Wirklichkeit aufgrund der Befehle der Japaner verschont wurden. In vielen weiteren Szenen sind veränderte oder frei erfundene Elemente zu sehen, welche es so nie gegeben hat, aber dennoch gut in die Gesamtgeschichte eingefügt wurden, um den gesamten Film dramatischer und fesselnder zu gestalten. Es handelt sich hier also eher um einen Kriegsfilm, welcher wichtige historische Grundinformationen und Daten vermittelt, aber dennoch eine erfundene Geschichte in den Kontext bringt, um die Zuschauer anzuziehen und auch mitfühlen zu lassen. Denn wenn es nur um die historische Wahrheit gehen würde, würde das ganze doch viel mehr nach einer Dokumentation aussehen und den ein oder anderen Zuschauer vermutlich langweilen. Die Gefahr hierbei ist zwar, dass falsche Informationen vermittelt und vom Zuschauer aufgenommen werden und dieser dadurch ein falsches oder abgeändertes Bild der Geschichte entwickelt, jedoch machen gerade diese eingefügten Szenen die ganze Geschichte unterhaltsam und lassen den Film authentischer wirken.
Durch die Einbringung der Hauptdarsteller Danny, Rafe und Evelyn und deren Geschichten gelingt es außerdem sofort, sich richtig in die Geschichte reinzuversetzen und auch über die damaligen Ereignisse und dessen Folgen auf die Menschen und deren Handeln nachzudenken und zu sie verstehen. Man sitzt voller Spannung vor dem Fernseher und hofft, dass die Geschichte für alle ein gutes Ende nimmt. An Kriegsszenen gibt es immer noch genug, weswegen es einfach angenehm ist, zwischendurch auch romantische und etwas friedlichere Szenen zu sehen, die nicht ganz so anstrengend für die Augen sind.
Durch die, zugegeben etwas übertriebene heldenhafte Inszenierung von Rafe und Danny als Helden in der Luft, wird zwar teilweise der fälschliche Eindruck verliehen, dass die beiden die Einzigen wirklich guten und wichtigen Piloten im Kampf sind, trotzdem sind viele Szene gerade dadurch sehr gut und spannend dargestellt, da es trotz gezeigtem Chaos gelingt, den Überblick im Gefecht zu behalten, was bei vielen Kampfszenen in Filmen oft schwierig ist. Außerdem sympathisiert man mit den beiden Piloten und hofft selber vor dem Fernseher, dass sich der ganze Einsatz lohnt.
Trotz einer Länge von etwas über drei Stunden, hat man zudem nicht das Gefühl, dass sich die Geschichte zu sehr hinzieht. Es gibt keinen Moment, in dem es langweilig wird und man nicht voller Spannung auf das Geschehen starrt, wodurch die Zeit schneller vergeht, als man denkt. Durch die Werbepausen ist der Film sogar noch länger als knapp über 3 Stunden. Das ist für einen Filmabend mit Familie oder Freunden am Wochenende zwar meiner Meinung nach etwas zu lang, aber bei dem Film lohnt es sich die kompletten 3 1/2 Stunden dran zu bleiben. Das haben wir natürlich gemacht, und um ca. 23:15 Uhr flackerte die Endszene des Films über den Bildschirm.
Mein Fazit: Auch wenn es, unter Beachtung des Wahrheitsgehaltes der Geschichte, aus Sicht eines Historikers natürlich viel zu bemängeln gibt, ist „Pearl Harbor“ für einen Zuschauer, der sich aus Lust und Laune einen spannenden Film ansehen möchte,genau der richtige Film. Man kann sich zum einen ein gewisses Maß an historischem Wissen aneignen und erfährt zum anderen eine spannende Geschichte zum mitfühlen und nachdenken.
Der Film ist außerdem perfekt für einen Filmabend mit Familie oder Freunden, da er eine Mischung aus einer romantischen Liebesgeschichte und einem spannenden Kriegsdrama bietet und zudem Informationen über die wahre Geschichte enthält und dabei einen super Einblick in die dargestellte Zeit gibt. Der Film beinhaltet also viele verschiedene Aspekte. So können sich sowohl Romantiker, also auch Actionbegeisterte und historisch interessierte Menschen für den Film begeistern. Es ist für jeden etwas dabei.
Als i-Tüpfelchen schaut man den Filmim linearen Fernsehen und erfährt so, was Fernseherfahrungen betrifft, das komplette Gegenprogramm zu Netflix. Man sitzt zusammen mit Familie oder Freunden gemütlich auf der Couch, es wird allmählich dunkel draußen, der Tag neigt sich dem Ende zu und zum Abschluss des Abends wird gemeinsam ein Film geschaut. Vor allem bei dem Film „Pearl Harbor“ muss man die ganzen 3 Stunden am Geschehen dabei bleiben, es ist kein „bedeutungsloser“, kurzlebiger Film oder Serie (wie viele auf Netflix), man muss sich mit dem Gesehenen auseinandersetzten und muss bzw. kann mitdenken und mitfühlen. Es ist bewusstes Fernsehen.
Netflixist das genaue Gegenteil. Man schaut oft (auch tagsüber), mal eben ein, zwei Folgen einer Serie, einfach nur zur bloßen Unterhaltung, lässt sich „berieseln“ und stellt nebenbei noch schnell die Uniaufgaben für den nächsten Tag fertig.
So hat lineares Fernsehen einen eigenen Charakter und bietet ein ganz anderes Erlebnis als Netflix oder Kino. Vor allem Filme sind super geeignet um sie zur Primetime gemeinsam mit der Familie oder Freunden zu schauen. Am Ende des Filmes hat der Inhalt oder die Umsetzung vielleicht nicht alle überzeugt, das Fernseherlebnis allerdings schon.
Daher, mein Tipp. Erstens: „Pearl Harbor“ anschauen. Am besten mit der Familie und im linearen Fernsehen. Zweitens: Schauen Sie beim nächsten Abend mit Ihrer Familie oder Ihren Freunden zuerst was im Free-TV für Filme ausgestrahlt werden und entscheiden Sie sich dann bewusst dafür einen Film zu schauen oder nicht. Wenn ein netter Film läuft werdet ihr das Gegenprogramm zu Netflix erfahren und ihr findet vielleicht sogar (wie ich) Gefallen daran. Wenn kein Film läuft, der Ihnen zusagt und ihr keine Idee habt was man sonst auf diversen Streaming Anbietern schauen könnteist es vermutlich besser ein Brettspiel zu spielen.

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