TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 3. Juli 2020

Beauty and The Nerd – Fremdschämen pur

von Matthias Fehlner
Als ich letztens, an einem Donnerstagabend zur Prime-Time durch das Fernsehprogramm gezappt habe, blieb ich auf ProSieben bei einer etwas anderen Show hängen. Der vielversprechende Titel lautet: „Beauty and The Nerd“. Leider habe ich die erste Folge verpasst und es lief schon die Zweite der mittlerweile zweiten Staffel (eine Erste wurde 2013 ausgestrahlt, wie ich später erfahren konnte. Allerdings schien sich die Show nicht durchzusetzen und so wagte man in dem Jahr, in dem eh schon alles egal ist und es kaum mehr schlimmer kommen kann, einen zweiten Versuch). Also - neugierig und unvorbereitet wie ich war - habe ich mich dieser etwas ungewöhnlich wirkenden Dating-Reality-Show gewidmet. Die Idee basiert scheinbar auf der schon 2005 produzierten amerikanischen Reality-Show „Beauty and the Geek“.
Ein kurzer Überblick für alle, die nicht wissen, um was es geht: Bei der von ProSieben ausgestrahlten Serie werden aus einem „Nerd“, also einem jungen Mann, der bisher kaum Kontakt zum anderen Geschlecht hatte und sich vor allem mit Fantasy, Science-Fiction, Computern und Ähnlichem auseinandersetzt und einer „Beauty“, einem jungen Mädchen, das sich vor allem über ihr Äußeres definiert und dabei hauptsächlich Interesse an Mode, Fitness und Schönheit zeigt, jeweils Paare gebildet. Klischeehafter könnte es nicht sein. In der aktuellen Staffel waren auf Ibiza ab Beginn sieben junge Männer („Nerds“) und sieben junge Mädchen („Beautys“) dabei, in der zweiten Folge kam allerdings – Achtung Spoiler – ein neues Pärchen dazu. Lassen wir uns also überraschen - aber ich kann so viel verraten: Es geht heiß her.
Die einzelnen Kandidaten werden mit ironischen, klischeehaften Titulierungen vorgestellt: So sind zum Beispiel ein „Schlagersternchen“, „Make-Up-Fan“, und eine „selbsternannte Diva“ bei den „Beautys“ und ein „PC-Spiele-Zocker im Priestergewand“, eine „Hobby-Elfe“ oder ein „Informatik-Nerd“ bei den „Nerds“ mit von der Partie. Da stellt sich mir schon gleich die Frage, wieso man sich freiwillig vor halb Deutschland öffentlich auf solche Details reduzieren und erniedrigen lässt. Aber das gehört wohl alles mit zur Show. Der „Sinn“ der Fernsehsendung besteht darin, in den Paarkonstellationen gemeinsam verschiedene Aufgaben und „Challenges“ zu meistern, um am Ende als Siegerpaar 50000€ mit nach Hause zu nehmen – und vielleicht nimmt ja der ein oder andere Nerd sein Sternchen mit nach Hause.
Wer die Serie gerne noch für sich selbst nachverfolgen möchte, sollte jetzt besser nicht weiterlesen. Es folgen Spoiler über die wundersamen Geschehnisse in Folge 2: Zu Beginn der zweiten Folge betritt ein neues Paar die Luxusvilla. Aber halt! Es handelt sich hier um eine männliche „Beauty“, der sich (seiner Ausstrahlung und seinem Verhalten nach) vor Muskelmasse und Selbstbewusstsein kaum noch retten kann und einem weiblichen „Nerd“. Diese Veränderung bringt das grundsolide Verhältnis der „Beautys“ und „Nerds“ ins wanken, die sich durch den neuen Kandidaten Chris, der auch noch, um seine „Beauty“-Klischees vollständig zu erfüllen, von Beruf Stripper ist. Und das werden die Mädels auch gleich am eigenen Leib erfahren: Stripper Chris gibt „Beauty“ Kim eine Kostprobe seiner Künste, was Kims „Nerd“ Illya aber so gar nicht gefällt – er erwartet eine sofortige Stellungnahme zu den Geschehnissen von Kim, fast so als wäre sie seine feste Freundin, während diese das gerade Erlebte aber immer noch nicht verarbeiten kann. Als Zuschauer hat man dabei auch ganz schön viel zu verarbeiten: Allein bei der Strip-Show und dem anschließenden Verhör Kims durch Illya hätte ich am liebsten weggesehen: Fremdschämen pur. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, warum sich der Mensch immer wieder selbst so erniedrigt – aber um „berühmt“ und im Fernsehen zu sein, macht man sicher alles, was dafür nötig ist!
Damit ist die Stripperei aber noch nicht vorbei: Jetzt sind die „Nerds“ dran. Bei einer professionellen Pole-Dance Lehrerin heißt es „ran an die Stange“. Während „Nerd“ Sven L. eine beeindruckende Show abliefert (das hätte wirklich niemand so erwartet – obwohl, er hat ja sogar offen preisgegeben gerne Schmuddelfilmchen zu schauen), erleidet Illya einen „Muskelfaserriss“ (was eventuell eine leichte Übertreibung sein mag) – bedeutet das das Aus für Team Kim und Illya? Nein! Illya tanzt mit leichter Verspätung, weil er noch beim Arzt war, an der Stange, als hätte er nie etwas anderes getan, doch letzten Endes gewinnt Favourit Sven L. die Challenge. Er ist sogar extra heimlich zum Üben früher aufgestanden! Er und seine Partnerin haben jetzt die Möglichkeit, ein Team zu nominieren, das am Ende einer Sendung Angst haben muss, die Show verfrüht zu verlassen. Das auserwählte Team ist das neue Paar „Beauty“ Chris und „Nerd“ Jenny – welch ein Skandal, Chris ist stark verärgert und übt sogleich Rache für diesen Schachzug an Sven L., indem er seine Partnerin Victoria verführerisch mit Sonnencreme einreibt. Sven wohnt zunächst noch der Situation bei, verlässt dann aber wutentbrannt die Szene. In einem persönlichen Interview behauptet der verärgerte Sven: „Ich werde ihn [Chris] zerficken“ – bleiben wir also gespannt, was Sven L. noch zu bieten hat.
Die Sendung ist noch nicht vorbei, nach der Challenge für die „Nerds“, folgt jetzt eine Challenge für die „Beautys“. Die Aufgabe lautet: baut ein Floß. Klingt im ersten Moment harmlos, bis „Beauty“ Emmy wieder einmal den Vogel abschießt und das Klischee ihrer Gruppe erfüllen muss, indem sie nachfragt, was ein Floß ist. Ich wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken – es scheint so, als hätte ProSieben mit Absicht die, freundlich ausgedrückt, am wenigsten schlauen „Beautys“ ausgesucht. Es scheint nicht nur so, es ist so. Man will dem Publikum ja etwas bieten. Nach einen mehr oder weniger spannenden Wettkampf, bei dem unter anderem Emmy, die sich persönlich schon für handwerklich begabt hält, einen Nagel mit Hilfe eines Schraubenschlüssels reinhämmern wollte, gewinnt Malin, die „Beauty“ des „Nerds“ Julien den Wettkampf. Das Paar nominiert das gegnerische Pärchen Samira und Dion für das alles entscheidende Quiz am Ende einer Sendung – wer hier verliert, verlässt die Show.
In einer überdramatischen (also einer eher lächerlichen) Aufmachung, die fast der Zeremonie eines Rituals nahekommt, betreten die zwei nominierten Verliererpaare Dion & Samira und Chris & Jenny den „Quizraum“. Verlieren Chris und Jenny, dann wäre das ein schnelles Aus für das erst neu dazugekommene „umgekehrte“ Paar. Während „Beauty“ Chris „Beauty“ Samira im direkten Duell mit 3:1 Punkten bei Fragen über ihren „Nerd“ schlägt, können weder Dion noch Jenny eine der drei „Beauty“-Fragen richtig beantworten. Was für eine Blamage. „Nerd“ Jenny darf jetzt gemeinsam mit ihrer „Beauty“ Chris in der Luxusvilla bleiben – mindestens bis zur nächsten Folge. Aber ob das ein so großer Erfolg ist, bleibt dem allgemeinen Publikum vermutlich fraglich. Sven L. ist offenbar sehr enttäuscht darüber, dass sein Erzrivale nicht vorzeitig ausgeschieden ist - aber damit wird er sich wohl in den nächsten Folgen beschäftigen.
Was ist also mein Fazit? Werde ich mir Folge 3 auch ansehen? Natürlich bin ich interessiert, vor allem, wie es mit Sven L. und seinem Gegner Chris weiter geht. Der Mensch sehnt sich nach Skandalösem (kleiner Spoiler: ich habe es mir nicht angetan). Aber warum tue ich mir so eine „Trash“-Show überhaupt an? Nur um mich im Nachhinein wieder darüber aufzuregen, wie schrecklich es ist, Menschen vor laufender Kamera vorzuführen, die die Klischees ihrer „Gruppen“ zu verstärken? Und trotzdem findet die Sendung ihr Publikum. Wie schon der ehemalige RTL-Programmchef Prof. Dr. Thoma treffend behauptet hat: „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.“ Und das tut der Köder offenbar: Die meisten Zuschauer denken vermutlich ähnlich wie ich über diese Sendung: Sie ärgern sich, machen sich lustig, schämen sich für die „TV-Stars“ fremd, aber sie können einfach nicht wegsehen – fast wie bei einem Unfall. Es muss also etwas geben, was den Zuschauer an der Sendung fasziniert. Vielleicht sind es diese puren Klischees, diese pure „Dummheit“, die man als Außenstehender so anziehend findet. Vielleicht ist man selbst froh, dass man kein Kandidat dieser öffentlichen Hinrichtung ist. Und so erfreuen sich ähnliche Formate immer größerer Beliebtheit. Die Quoten machen das Programm. In Zukunft werden wohl noch weitere Trash-TV Sendungen zum darüber ärgern, aufregen und lustig machen folgen. Abschließend muss natürlich auch noch festgehalten werden, dass sich sowohl „Beautys“ als auch „Nerds“ freiwillig hierfür beworben haben. Sie haben sich bewusst für eine öffentliche Demütigung entschieden. Dazu gehört viel Mut, aber trotzdem hat sie alle vermutlich nur der Hunger nach Anerkennung, Berühmtheit und Begehrtheit getrieben. Was man nicht alles für ein bisschen „Berühmtheit“ tut.

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