TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Fleabag – ein charmanter Einblick in eine überzogene Realität

von Lea-Jasmin Kienle

Die Serie „Fleabag“, nach dem gleichnamigen 1-Person-Theaterstück der Autorin und Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge befasst sich gnadenlos ehrlich mit der Geschichte einer jungen Frau (auch gespielt von Waller-Bridge), die trotz Verlusten und unglücklichen Beziehungen versucht, sich durch das Leben in London zu schlagen.
Obwohl diese erste Beschreibung für viele nur nach einer weiteren stereotypischen, unoriginellen Serie klingt, bietet „Fleabag“ doch so viel mehr. Anstatt einer oberflächlichen Storyline, die flache Witze liefert und keine tiefen Einblicke in die Charaktere zeigt, kann diese Serie durch das Gegenteil punkten.
Auf humorvolle Art und Weise begleiten wir die Protagonistin bei ihrem Versuch, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen und dabei gleichzeitig ihre dysfunktionale Familie, ihr spärlich besuchtes Meerschweinchen-Café (richtig gelesen, - ein Café, das sich ganz um Meerschweinchen dreht) und ihre kurzlebigen männlichen Beziehungen unter einen Hut zu bringen. Die Hauptdarstellerin, dessen Name uns vorenthalten wird, mag mit ihrer direkten und zynischen Art nicht unbedingt der größte Sympathieträger sein. Jedoch entwickelt man im Laufe der Serie Mitgefühl und Verständnis für sie und ihr Leben, welches einem großen Durcheinander gleicht. „Fleabag“ behandelt lebensnahe und ernste Themen unter einem komischen Schleier. Das hilft, traurige Szenen aufzulockern, versetzt den Zuschauer aber gleichzeitig auch in einen teilweise irritierenden Zustand zwischen emotionalem Nachempfinden und lautem Lachen.
Die Dialoge der Serie sind schlagfertig und frech, die Ereignisse so unvorhersehbar und witzig-kurios, dass sie teilweise überspitzt wirken und gleichzeitig doch so real.
Vor allem sind die Personen, die uns vorgestellt werden, auf ihre eigene Art und Weise speziell und außergewöhnlich, wirken aber wiederum genauso authentisch und natürlich. „Claire“, die Schwester der Hauptperson und der Vater der beiden beispielsweise, zeichnen sich durch ihre recht kalten Persönlichkeiten aus, lassen aber hin und wieder Herz und Charisma durchblicken. Oder der labile Ex, der mit Hilfe eines „verlorenen“ Spielzeugdinosauriers immer wieder einen Vorwand hat, zurückzukommen, und der Typ aus dem Bus mit extremen Hasenzähnen und andauerndem Gerede, - es sind recht übertriebene Charaktere, die dennoch eine Familiarität aufweisen und schlichtweg in die Erzählung passen.
Was diese Serie besonders macht, ist wie sie ihr Publikum in den Bann zieht. Die Hauptdarstellerin blickt in den Szenen ab und zu zur Kamera (also zu uns als Zuschauer) und spricht ihre Gedanken aus, dreht sich daraufhin wieder zurück und die Szene setzt fort. Sie lässt zum Beispiel kurze, sarkastische Bemerkungen ab, oder wirft auch einfach nur gewisse Blicke, die ihre inneren Gefühle widerspiegeln. Durch diese Technik habe ich mich selbst immer wieder persönlich miteinbezogen gefühlt, als wäre ich ein fester Bestandteil der Geschichte und gewissermaßen ein „Insider“, der als einziger mit den Gefühlen der Hauptperson vertraut ist. Kleiner Spoiler Alert: In der zweiten Staffel wird mit diesem Merkmal bewusst gespielt, indem es in der Handlung amüsant hervorgehoben und anerkannt wird.
Besonders in einer Zeit, in der man Serien fast wie am laufenden Band konsumiert (ich spreche hier zumindest von mir), fand ich diese Art des Storytellings erfrischend und abwechslungsreich.
Das bedeutet jedoch nicht, dass „Fleabag“ mit dieser Art und Weise der Erzählung etwas Bahnbrechendes oder Einzigartiges bietet, andere bekannte Serien haben auch schon früher die direkte Ansprache zum Publikum genutzt. Dennoch ist das ein markantes Merkmal der Serie, das schlichtweg perfekt hineinpasst und sie ausmacht.
Zudem lassen uns spezifische Rückblicke aus dem Leben der Protagonistin ihre Lebenssituation gewissermaßen nachvollziehen, sowie ihre teilweise unsensiblen Bemerkungen und egoistischen Taten entschuldigen.
Dennoch ist anzumerken, dass diese Serie wahrscheinlich nichts für jedermann ist. Der sehr direkte und ungenierte Einbau unangenehmer und oft anzüglicher Themen mag vielen dann doch zu viel des Guten sein. Schon die ersten 3 Minuten der allerersten Folge sind hier beispielhaft. Was meiner Meinung nach ein amüsanter Einstieg in die Geschichte ist, mag für den Anderen ein unerwartet obszöner erster Eindruck sein, der das Interesse an der Serie schwinden lässt.
Und obwohl ich die ungehemmte Darstellung in „Fleabag“ sehr abwechslungsreich und unterhaltend finde, muss ich doch gestehen, dass auch mir die etwas unangenehmen Situationen vereinzelt Unbehagen bereitet haben. Szenen, die unangenehme Momente zeigen, habe ich aufgrund meines Mitgefühls zu der Hauptdarstellerin intensiver und eindringlicher wahrgenommen, als ich es mir gewünscht hätte. Diese werden zwar schnell wieder durch Humor aufgelockert, aber trotzdem bin ich es nicht gewohnt, mir eingestehen zu müssen, dass ich doch emotionaler involviert bin, als erwartet.
Meiner Meinung nach lohnt es sich, dieser Serie eine Chance zu geben, denn sie ist trotz einiger unangenehmer Momente umso mehr mit unzähligen Lachern und rührenden Momenten gefüllt. Die Geschichte fühlt sich menschlich und echt an, und genau diese Mischung aus Humor, Emotion und auch ein wenig Fremdscham macht „Fleabag“ aus und setzt sie aus dem Mainstream gewissermaßen hervor. Sie ist im Vergleich zu Serien wie „Friends“ oder „How I Met Your Mother“ nicht immer die leichteste Kost, mit vergleichsweise recht schwarzem Humor und auch unangenehm „rohen“ Momenten.
Die zwei recht kurzen Staffeln der Serie sind auf Amazon Prime erhältlich, und bieten sich perfekt für eine Ablenkung aus dem eigenen Chaos im Leben an. Sie lassen sich leider viel zu schnell durchschauen, sodass man gleich am liebsten von vorne anfangen würde, nur um alles erneut mitzuerleben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen