TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 17. Juni 2020

Gülle, Heringe und die Ostsee - Frontal 21

von Herbert Schwaab

Gibt es etwas, das mehr entspannt, als am Abend Politmagazin zu schauen? Schon der erste Bereicht „Ostsee in Not“ von Frontal 21 vom 16.6.2020 führt uns vor, warum Magazinsendungen immersive Erlebnisse sein können, in die wir uns gut eingebettet fühlen: 
Zunächst sehen wir einen Fischer, der in der Ostsee von heute auf morgen keinen Dorsch mehr fischen darf, aber trotzdem einigermaßen erfolgreich ist, weil er einen großen Schwarm Heringe aufgestöbert hat, den er mit seinen Netzen fangen konnte. Er klagt über Überfischung und Fangverbote, die seine Existenz bedrohen.
Nachdem ausgiebig der Fischschwarm gezeigt und damit die Perspektive der Tiere übernommen wurde, lernen wir einen Experten für Meeresbiologie kennen, der in der Ostsee forscht und forschungsmäßig Fische fängt und uns in seinem Büro erläutert, was der Grund für den Rückgang der Meerespopulation ist: Überdüngung macht das Wasser trüb, Wasserpflanzen haben nicht genug Licht und kommen nur noch im flachen Wasser vor, der Hering kann nur noch begrenzt seine Fischlaich an den Pflanzen unterbringen und er hat nicht genug Nahrung: Die Kinderstube der Ostsee wird immer kleiner. Dann begleiten wir einen Landwirt bei der Arbeit, der uns einen Grund für die Überdüngung nennt. Klimawandel und Trockenheit sorgen dafür, dass die Pflanzen einerseits mehr gedüngt werden müssen, sie aber die Stickoxide nicht aufnehmen können und diese dann unverdünnt in die Ostsee rauschen, wenn es dann doch einmal wieder regnet. Auch die Landwirtin, die ebenfalls befragt wird, beklagt diesen Zustand und würde sehr gerne etwas daran ändern. Der nächste Ort dieses Berichtes, das Landeslabor Schleswig-Holstein, bestätigt diese Entwicklungen und weist auf die schlechte Qualität des Grundwassers hin. Ein Sprung nach Dänemark auf den Bauernhof eines Schweinewirts zeigt Alternativen auf. Bauer Johannes Kasgaard erläutert uns die strengeren Gülleregeln in Dänemark und zeigt uns eine Aufbereitungsanlage, die die Gülle von schädlichen Stickoxiden reinigt und dabei einen effektiveren und weniger schädlichen Dünger herstellt. Er ist stolz darauf, dass seine Schweinezucht weder Boden, noch Grundwasser noch die Ostsee schädigt. Der Beitrag schließt mit dem Fischer, der traurig darüber ist, keine Fische mehr fangen zu dürfen und der ratlos in die Zukunft (oder nach Dänemark) blickt.
Manchmal frage ich mich, ob wir solche Beiträge in Magazinen schauen, weil wir etwas über Gülle, Fische, Landwirtschaft und Klimawandel erfahren wollen, oder weil sie so eine elegante Kette von Betroffenen, Experten, Alternativen, Tier, Mensch und Pflanzen knüpfen. Gut gemachte Magazinsendungen wie das von Ilka Brecht moderierte Frontal 21 auf ZDF mögen zwar viele verstörende Inhalte haben (in der selben Sendung gibt es einen Bericht über die kriminellen Machenschaften von Impfgegnern und eine kleine Collage von Bildern, in denen Menschen von ihren alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus berichten). Aber sie haben auch etwas beruhigendes, weil sie so ordentlich und aufgeräumt erscheinen, weil sie neben der Kette von Fakten und Bildern immer auch eine Klammerstruktur haben, dass meist mit dem aufgehört wird, womit begonnen wurde. Die Welt mag chaotisch erscheinen, aber Politmagazine ordnen sie für uns wieder in hochorganisierten Reportagen über Gülle, Heringe und die Ostsee.

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