TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 3. Juni 2020

Die Inflation der Unterbrechung. Alexander Kluge, Joko und Klaas und Männerwelten

von Herbert Schwaab 

Wenn sie folgenden Link (https://www.prosieben.at/tv/joko-klaas-gegen-prosieben/video/32-maennerwelten-joko-klaas-15-minuten-clip) anklicken, dann haben sie eine am 14.5.2020 im Fernsehen ausgestrahlte 15-minütige Show über männliche Gewalt im Internet und außerhalb des Internets gesehen. Sie haben sie aber auch nicht gesehen, weil zu der Wirkung dieses Clips dazugehört, dass er im laufenden Fernsehprogramm als von Joko und Klaas in ihrem Duell gegen Pro7 gewonnene 15 Minuten Sendezeit zur Primetime gezeigt und damit der Flow des Fernsehens auf radikale Weise unterbrochen wurde. Daher ist es auch schade, dass der von Pro7 aufbewahrte Clip mit dem Joko und Klaas Intro im 1980er Jahre Stil zwar ein kleines Moment von Heterogenität anbietet, der so typisch für den Raymond Williams in den 1970er Jahren definierte flow des Fernsehens ist. Was fehlt ist aber das tatsächliche Programm, das der lange Clip unterbrochen hat, und der Schock, den es für die Grey’s Anatomy Fans bedeutet haben muss (denn davor lief angeblich der Clip), sich mit dieser Ausstellung von männlicher Gewalt, Stumpfheit, Empathielosigkeit, Egozentrik und ihrer hässlicher Fantasien und egozentrischen Maßlosigkeit beschäftigen zu müssen.
Unterbrechung ermöglicht eine interessante, strategische Vereinnahmung des Fernsehprogramms. Als Ende der 1980er Jahre die ersten privaten Sender wie RTL oder Sat1 auch terrestrische Frequenzen für die Antennenausstrahlung haben wollten (bisher waren sie nur über Kabel empfangbar gewesen), wurde ihnen von der Politik auferlegt, auch einen Kulturauftrag zu erfüllen. Weil das zu anstrengend war, hat der Filmemacher Alexander Kluge mit seiner Produktionsfirma dctp (an der auch der Spiegel beteiligt war), diesen Sendern das Angebot gemacht, diesen Kulturauftrag für sie zu übernehmen, worauf vor allem RTL zurückgegriffen hat. Seine Sendungen wie News and Stories, 10 vor 11 und das ironisch betitelte Prime Time,  waren die sperrigsten Stücke Fernsehen, die sich vorstellen lassen: Manchmal waren es collagenartige Zusammenstellungen von Bildern und Tönen, meistens in einer Einstellung gedrehte Interviews mit Experten zu kulturell hochrelevanten, aber komplizierten Themen, häufig aber auch Interviews mit Menschen, die so taten, als wären sie Experten (wie Helge Schneider oder Peter Berling). Immer kam aus dem Off immer die überaus beruhigende und nachhakende Stimme von Alexander Kluge, der zwar Fragen stellte, sich aber auch gerne eigenen Assoziationen, die immer weiter vom Thema wegführten, hingab.
Kluge hat sich ausdrücklich auf ein von ihm entwickeltes theoretisches Konzept gestützt, dass beim Fernsehen weniger die Analyse und Kritik dazu führen würde, ein besseres und anderes Fernsehen zu machen, das auch für die Ausbildungen einer politisch wirksamen Imaginationsfähigkeit des Publikums sorgen würde (das ist die Hoffnung linker Medienpolitik). Er wollte das Fernsehen nicht reformieren, sondern kapern, und er wollte es vor allem ‚unterbrechen‘, die Menschen erschrecken und irritieren, ihre verfestigten Vorstellungen aufbrechen, was nur mit dem größtmöglichen Kontrast zum gewöhnlichen Programm ging. Alexander Kluge wurde angeblich von den Sendern, die er gekapert hatte und die an ihn mit langfristigen Verträgen gebunden waren, gehasst (tatsächlich haben sie sich mit ihm wohl auch arrangiert, weil in dem Portfolio seiner Produktionsfirma auch erfolgreiche Formate wie Spiegel TV waren). Aber was seine Sendungen, die wohl nie wirklich viele überrumpelte Zuschauer längere Zeit an die Formate binden konnten, dann doch irgendwie unterhaltsam macht, ist die freiwillige Komik, die mit ihnen verbunden ist und die beispielweise im folgenden Clip, in dem Alexander Kluge Helge Schneider als Cousin von Asterix interviewt, zum Ausdruck kommt (https://www.youtube.com/watch?v=bVQ1Ba8rmGc).
Das Konzept der Unterbrechung und des Wechsel des Tonfalls funktioniert tatsächlich eigentlich ganz gut, weil die Unterbrechung ebenso gut zum Fernsehen selbst passt: Spielfilme werden für Werbung unterbrochen, Magazinsendungen werden über Unterbrechungen und Abschweifungen organisiert (gut zu erkennen an dem ‚now for something completely different‘, mit dem Monty Python in seinen Fernsehsendungen den BBC-Stil der Nachrichten in den 1960er Jahren parodierte), Soap Operas sind für Tania Modleski konsequent als Unterbrechungen eines Erzählflusses gestaltete Formate - Geschichten werden einfach gestoppt und erst viel später weitergeführt werden. Aber auch Sitcoms können damit spielen, gelegentlich ernste Momente ohne Lacher einzufügen und erzielen damit eine große Wirkung.
Unterbrechungen lassen sich auch anwenden, um dramatische Unterbrechungen unserer Wirklichkeit, Katastrophen und menschliche Tragödien zu verdeutlichen. An einer anderen Stelle habe ich auf die Strategie des Late Night Comedian Jon Stewart in seiner Daily Show hingewiesen, mit den Erwartungen der Zuschauenden auf extreme Weise zu spielen, wenn statt am Anfang der komische Monolog eine minutenlange Rede über Rassismus in den USA kommt, deren Anlass ein Anschlag auf eine von Afroamerikanern besuchte Kirche im Jahr 2015 war, bei der 8 Kirchenbesucher*innen erschossen wurden (https://fernsehmomente.wordpress.com/2015/07/24/unterbrechungen-jon-stewart-und-die-politik-des-fernsehens/).
Joko und Klaas scheinen sich auch auf eine produktive Weise dieser Art der dramatisierenden Unterbrechung bedient zu haben, auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, was unterbrochen wurde. Aber den Clip als eine von Sophie Passmann organisierte Führung durch eine virtuelle Ausstellung männlicher Niedertracht und struktureller Gewalt zu gestalten, bei der wir als Zuschauende durch das uns bekannte Personal mit Frauen aus dem Umfeld der Joko und Klaas-Programme (Pala Rojinski, Katrin Bauerfeind oder Collien Ulmes-Fernandez) vielleicht noch am Anfang denken, jetzt wird es komisch, und erst nach ein, zwei Minuten realisieren, es wird alles andere als komisch, funktioniert schon ganz gut. Auch die Gestaltung dieses Clips ist sehr passend: Es ist ein alptraumartiger Gang in die hintersten Winkel einer dunklen Höhle regressiver männlicher Vorstellungen. Es lässt sich tatsächlich im Detail Kritik an Männerwelten üben, zum Beispiel, dass Joko und Klaas selbst schon mit sehr unangenehmen und nicht zu rechtfertigenden Überschreitungen gearbeitet haben, bei denen Frauen sexuell belästigt wurden, oder dass der Clip die Sichtweise privilegierter Frauen einnimmt oder der männliche Standpunkt hier komplett ausgeblendet wird und die Kritik nur von Frauen geübt wird (für eine detaillierte Kritik siehe auch die Kolumne von Margarete Stockowski in Spiegel online, https://www.spiegel.de/kultur/maennerwelten-bei-joko-und-klaas-zeigt-her-eure-wunden-a-5adbca59-0a20-4723-b0cd-02c3cdd16d95).
Ich will aber etwas anderes an diesem Programm kritisieren, das Gefühl einer Inflation von Unterbrechungen ausgesetzt zu sein, die diese stumpf werden lässt. Die Wahl von Trump hat nach Jon Stewarts eindrucksvoller Unterbrechung (als Obama noch an der Macht war), viele Unterbrechungen anderer Comedians in Late Night Shows verursacht, die immer wieder dieses radikale Mittel genutzt haben, um deutlich zu machen, dass hier der Spaß buchstäblich aufhört. Und aktuell gibt es wieder Unterbrechungen von komischen oder unterhaltenden Programmen: in der Late Late Show (CBS) fängt James Corden nicht mit seinen typischen komischen Monologen an, sondern setzt sich mit dem Rassismus, seinem Unbehagen wegen seines Weiß-Seins auseinander und kommt auf die letzten Fälle von rassistischer Gewalt in den USA zu sprechen: die Unruhen und der Mord von Polizisten an dem Afroamerikaner George Floyd, dem Mord von Angehörigen einer Bürgerwehr an dem joggenden Afroamerikaner Ahmaud Arbery, die ‚Verwechslung‘ einer Haustür, die zur Erschießung der Afroamerikanerin Breonna Taylor durch Polizisten geführt hat, eine Frau, die sich vor ihrer Erschießung als Krankenschwester im Kampf gegen Corona aufgerieben hatte. James Corden ist sichtlich bewegt, aber noch eindringlicher ist ein Moment, in dem der von ihm zugeschaltete und interviewte Reggie Watts von seinen Erfahrungen als schwarzer Mann in den USA spricht und dabei in Tränen ausbricht (https://www.youtube.com/watch?v=qUZIzYwmEDE). 
Das sind ‚tolle‘ Unterbrechungen, die die Zuschauenden auch dekontextualisiert vom Fernsehen als Clips bewegen und erschüttern können und damit die angesprochenen Funktionen einer Unterbrechungen übernehmen, uns in einem unerwarteten Moment noch besser und genauer zu treffen.Aber es sind mittlerweile vielleicht auch zu viele Unterbrechungen des Programms. Es droht die Gefahr, dass diese Unterbrechungen zu einem Ritual werden, mit dem wir uns unserer sicheren Position des sich Empörens über Ungerechtigkeiten versichern, aber die keinen Handlungsauftrag an uns stellt oder uns nachhaltig verändern würde. Es passiert zu viel im Trump-Amerika (das ist Teil seiner Eskalationsstrategie, außergewöhnlichen Dingen ihre Außergewöhnlichkeit zu nehmen), es wird zu oft unterbrochen und angesichts der immer größer werdenden Zerbröselungen der Zuschauenden von audiovisuellen Inhalten im Fernsehen und auf den Plattformen des Internets, sind die dramatischen Unterbrechungen nicht dramatisch genug, um tatsächlich etwas zu erreichen oder eine Normalität des Fernsehens in Frage zu stellen, die es im Vergleich mit den 1990er Jahren etwa gar nicht mehr gibt. Sie sind eher Ausdruck einer Dispersion der Zuschauenden des Fernsehens, die auch ein Grund dafür ist, warum sich so viele Menschen feindlich gegenüberstehen und es keine Vermittlung (durch das Fernsehen etwa) mehr gibt. Und am Ende passen die Unterbrechungen dann doch zu gut zum Fernsehen selbst, so dass das radikale Konzept und die Hoffnung auf eine nachhaltige Irritation der Zuschauenden bei Alexander Kluge vielleicht nur eine fromme Hoffnung war. Das alles ändert nichts daran, dass die Intervention mit Männerwelten eine gute Sache war und wir mehr solcher Interventionen brauchen. Sie hat mich zumindest auf eine andere Weise als Zuschauenden erreicht als andere Formen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

1 Kommentar:

  1. An dieser Kritik gefällt mir besonders gut, dass sie nicht die Inhalte des Fernsehens kritisiert, sondern die Art und Weise wie diese verpackt und in welchem Kontext sie präsentiert werden. Dass ist natürlich auch ein, für mich bisher unbeachteter, Faktor der sich auch darauf auswirkt, wie wir diese Inhalte wahrnehmen. Den geschichtlichen Kontext dieser Unterbrechungen finde ich gut und schön eingebettet anhand der Links zu den angesprochenen Sendungen/Artikeln. Am Ende hätte mich eventuell noch ein Ausblick interessiert. Die Kritik ist angenehm informativ, gelungen formuliert und mir gefällt sehr, dass sie ein neuartigesThema anspricht.

    AntwortenLöschen