von Herbert Schwaab
Wenn sie folgenden Link (https://www.prosieben.at/tv/joko-klaas-gegen-prosieben/video/32-maennerwelten-joko-klaas-15-minuten-clip)
anklicken, dann haben sie eine am 14.5.2020 im Fernsehen ausgestrahlte 15-minütige
Show über männliche Gewalt im Internet und außerhalb des Internets gesehen. Sie
haben sie aber auch nicht gesehen, weil zu der Wirkung dieses Clips dazugehört,
dass er im laufenden Fernsehprogramm als von Joko und Klaas in ihrem Duell
gegen Pro7 gewonnene 15 Minuten Sendezeit zur Primetime gezeigt und damit der
Flow des Fernsehens auf radikale Weise unterbrochen wurde. Daher ist es auch schade,
dass der von Pro7 aufbewahrte Clip mit dem Joko und Klaas Intro im 1980er Jahre
Stil zwar ein kleines Moment von Heterogenität anbietet, der so typisch für den
Raymond Williams in den 1970er Jahren definierte flow des Fernsehens ist. Was
fehlt ist aber das tatsächliche Programm, das der lange Clip unterbrochen hat,
und der Schock, den es für die Grey’s Anatomy
Fans bedeutet haben muss (denn davor lief angeblich der Clip), sich mit
dieser Ausstellung von männlicher Gewalt, Stumpfheit, Empathielosigkeit,
Egozentrik und ihrer hässlicher Fantasien und egozentrischen Maßlosigkeit beschäftigen
zu müssen.
Unterbrechung ermöglicht eine interessante, strategische
Vereinnahmung des Fernsehprogramms. Als Ende der 1980er Jahre die ersten privaten
Sender wie RTL oder Sat1 auch terrestrische Frequenzen für die Antennenausstrahlung
haben wollten (bisher waren sie nur über Kabel empfangbar gewesen), wurde ihnen
von der Politik auferlegt, auch einen Kulturauftrag zu erfüllen. Weil das zu
anstrengend war, hat der Filmemacher Alexander Kluge mit seiner Produktionsfirma
dctp (an der auch der Spiegel beteiligt war), diesen Sendern das Angebot
gemacht, diesen Kulturauftrag für sie zu übernehmen, worauf vor allem RTL zurückgegriffen
hat. Seine Sendungen wie News and Stories,
10 vor 11 und das ironisch betitelte Prime Time, waren die sperrigsten Stücke Fernsehen, die sich
vorstellen lassen: Manchmal waren es collagenartige Zusammenstellungen von Bildern
und Tönen, meistens in einer Einstellung gedrehte Interviews mit Experten zu
kulturell hochrelevanten, aber komplizierten Themen, häufig aber auch Interviews
mit Menschen, die so taten, als wären sie Experten (wie Helge Schneider oder
Peter Berling). Immer kam aus dem Off immer die überaus beruhigende und nachhakende
Stimme von Alexander Kluge, der zwar Fragen stellte, sich aber auch gerne
eigenen Assoziationen, die immer weiter vom Thema wegführten, hingab.
Kluge hat sich ausdrücklich auf ein von ihm entwickeltes
theoretisches Konzept gestützt, dass beim Fernsehen weniger die Analyse und
Kritik dazu führen würde, ein besseres und anderes Fernsehen zu machen, das
auch für die Ausbildungen einer politisch wirksamen Imaginationsfähigkeit des
Publikums sorgen würde (das ist die Hoffnung linker Medienpolitik). Er wollte das
Fernsehen nicht reformieren, sondern kapern, und er wollte es vor allem ‚unterbrechen‘,
die Menschen erschrecken und irritieren, ihre verfestigten Vorstellungen aufbrechen,
was nur mit dem größtmöglichen Kontrast zum gewöhnlichen Programm ging. Alexander
Kluge wurde angeblich von den Sendern, die er gekapert hatte und die an ihn mit
langfristigen Verträgen gebunden waren, gehasst (tatsächlich haben sie sich mit
ihm wohl auch arrangiert, weil in dem Portfolio seiner Produktionsfirma auch erfolgreiche
Formate wie Spiegel TV waren). Aber
was seine Sendungen, die wohl nie wirklich viele überrumpelte Zuschauer längere
Zeit an die Formate binden konnten, dann doch irgendwie unterhaltsam macht, ist
die freiwillige Komik, die mit ihnen verbunden ist und die beispielweise im
folgenden Clip, in dem Alexander Kluge Helge Schneider als Cousin von Asterix
interviewt, zum Ausdruck kommt (https://www.youtube.com/watch?v=bVQ1Ba8rmGc).
Das Konzept der Unterbrechung und des Wechsel des Tonfalls
funktioniert tatsächlich eigentlich ganz gut, weil die Unterbrechung ebenso gut
zum Fernsehen selbst passt: Spielfilme werden für Werbung unterbrochen, Magazinsendungen
werden über Unterbrechungen und Abschweifungen organisiert (gut zu erkennen an
dem ‚now for something completely different‘, mit dem Monty Python in seinen
Fernsehsendungen den BBC-Stil der Nachrichten in den 1960er Jahren parodierte),
Soap Operas sind für Tania Modleski konsequent als Unterbrechungen eines
Erzählflusses gestaltete Formate - Geschichten werden einfach gestoppt und erst
viel später weitergeführt werden. Aber auch Sitcoms können damit spielen,
gelegentlich ernste Momente ohne Lacher einzufügen und erzielen damit eine große
Wirkung.
Unterbrechungen lassen sich auch anwenden, um dramatische
Unterbrechungen unserer Wirklichkeit, Katastrophen und menschliche Tragödien zu
verdeutlichen. An einer anderen Stelle habe ich auf die Strategie des Late Night
Comedian Jon Stewart in seiner Daily Show
hingewiesen, mit den Erwartungen der Zuschauenden auf extreme Weise zu spielen,
wenn statt am Anfang der komische Monolog eine minutenlange Rede über Rassismus
in den USA kommt, deren Anlass ein Anschlag auf eine von Afroamerikanern
besuchte Kirche im Jahr 2015 war, bei der 8 Kirchenbesucher*innen erschossen
wurden (https://fernsehmomente.wordpress.com/2015/07/24/unterbrechungen-jon-stewart-und-die-politik-des-fernsehens/).
Joko und Klaas scheinen sich auch auf eine produktive Weise
dieser Art der dramatisierenden Unterbrechung bedient zu haben, auch wenn ich nicht
nachvollziehen kann, was unterbrochen wurde. Aber den Clip als eine von Sophie
Passmann organisierte Führung durch eine virtuelle Ausstellung männlicher
Niedertracht und struktureller Gewalt zu gestalten, bei der wir als Zuschauende
durch das uns bekannte Personal mit Frauen aus dem Umfeld der Joko und Klaas-Programme
(Pala Rojinski, Katrin Bauerfeind oder Collien Ulmes-Fernandez) vielleicht noch
am Anfang denken, jetzt wird es komisch, und erst nach ein, zwei Minuten
realisieren, es wird alles andere als komisch, funktioniert schon ganz gut.
Auch die Gestaltung dieses Clips ist sehr passend: Es ist ein alptraumartiger
Gang in die hintersten Winkel einer dunklen Höhle regressiver männlicher
Vorstellungen. Es lässt sich tatsächlich im Detail Kritik an Männerwelten üben, zum Beispiel, dass
Joko und Klaas selbst schon mit sehr unangenehmen und nicht zu rechtfertigenden
Überschreitungen gearbeitet haben, bei denen Frauen sexuell belästigt wurden,
oder dass der Clip die Sichtweise privilegierter Frauen einnimmt oder der
männliche Standpunkt hier komplett ausgeblendet wird und die Kritik nur von
Frauen geübt wird (für eine detaillierte Kritik siehe auch die Kolumne von Margarete
Stockowski in Spiegel online, https://www.spiegel.de/kultur/maennerwelten-bei-joko-und-klaas-zeigt-her-eure-wunden-a-5adbca59-0a20-4723-b0cd-02c3cdd16d95).
Ich will aber etwas anderes an diesem Programm kritisieren,
das Gefühl einer Inflation von Unterbrechungen ausgesetzt zu sein, die diese
stumpf werden lässt. Die Wahl von Trump hat nach Jon Stewarts eindrucksvoller
Unterbrechung (als Obama noch an der Macht war), viele Unterbrechungen anderer
Comedians in Late Night Shows verursacht, die immer wieder dieses radikale Mittel
genutzt haben, um deutlich zu machen, dass hier der Spaß buchstäblich aufhört.
Und aktuell gibt es wieder Unterbrechungen von komischen oder unterhaltenden
Programmen: in der Late Late Show (CBS) fängt James Corden nicht mit seinen typischen
komischen Monologen an, sondern setzt sich mit dem Rassismus, seinem Unbehagen wegen
seines Weiß-Seins auseinander und kommt auf die letzten Fälle von rassistischer
Gewalt in den USA zu sprechen: die Unruhen und der Mord von Polizisten an dem
Afroamerikaner George Floyd, dem Mord von Angehörigen einer Bürgerwehr an dem joggenden
Afroamerikaner Ahmaud Arbery, die ‚Verwechslung‘ einer Haustür, die zur
Erschießung der Afroamerikanerin Breonna Taylor durch Polizisten geführt hat, eine
Frau, die sich vor ihrer Erschießung als Krankenschwester im Kampf gegen Corona
aufgerieben hatte. James Corden ist sichtlich bewegt, aber noch eindringlicher
ist ein Moment, in dem der von ihm zugeschaltete und interviewte Reggie Watts
von seinen Erfahrungen als schwarzer Mann in den USA spricht und dabei in
Tränen ausbricht (https://www.youtube.com/watch?v=qUZIzYwmEDE).
Das sind ‚tolle‘ Unterbrechungen, die die Zuschauenden auch dekontextualisiert vom
Fernsehen als Clips bewegen und erschüttern können und damit die angesprochenen
Funktionen einer Unterbrechungen übernehmen, uns in einem unerwarteten Moment
noch besser und genauer zu treffen.Aber es sind mittlerweile vielleicht auch zu viele
Unterbrechungen des Programms. Es droht die Gefahr, dass diese Unterbrechungen
zu einem Ritual werden, mit dem wir uns unserer sicheren Position des sich
Empörens über Ungerechtigkeiten versichern, aber die keinen Handlungsauftrag an
uns stellt oder uns nachhaltig verändern würde. Es passiert zu viel im Trump-Amerika
(das ist Teil seiner Eskalationsstrategie, außergewöhnlichen Dingen ihre
Außergewöhnlichkeit zu nehmen), es wird zu oft unterbrochen und angesichts der immer
größer werdenden Zerbröselungen der Zuschauenden von audiovisuellen Inhalten im
Fernsehen und auf den Plattformen des Internets, sind die dramatischen
Unterbrechungen nicht dramatisch genug, um tatsächlich etwas zu erreichen oder
eine Normalität des Fernsehens in Frage zu stellen, die es im Vergleich mit den
1990er Jahren etwa gar nicht mehr gibt. Sie sind eher Ausdruck einer Dispersion
der Zuschauenden des Fernsehens, die auch ein Grund dafür ist, warum sich so
viele Menschen feindlich gegenüberstehen und es keine Vermittlung (durch das Fernsehen
etwa) mehr gibt. Und am Ende passen die Unterbrechungen dann doch zu gut zum
Fernsehen selbst, so dass das radikale Konzept und die Hoffnung auf eine
nachhaltige Irritation der Zuschauenden bei Alexander Kluge vielleicht nur eine
fromme Hoffnung war. Das alles ändert nichts daran, dass die Intervention mit
Männerwelten eine gute Sache war und wir mehr solcher Interventionen brauchen.
Sie hat mich zumindest auf eine andere Weise als Zuschauenden erreicht als
andere Formen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
An dieser Kritik gefällt mir besonders gut, dass sie nicht die Inhalte des Fernsehens kritisiert, sondern die Art und Weise wie diese verpackt und in welchem Kontext sie präsentiert werden. Dass ist natürlich auch ein, für mich bisher unbeachteter, Faktor der sich auch darauf auswirkt, wie wir diese Inhalte wahrnehmen. Den geschichtlichen Kontext dieser Unterbrechungen finde ich gut und schön eingebettet anhand der Links zu den angesprochenen Sendungen/Artikeln. Am Ende hätte mich eventuell noch ein Ausblick interessiert. Die Kritik ist angenehm informativ, gelungen formuliert und mir gefällt sehr, dass sie ein neuartigesThema anspricht.
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