TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 13. Mai 2020

"It's your world, I only live in it." (Arthur Spooner) Zum Tod von Jerry Stiller

Arthur Spooner ist eine dieser Figuren einer Sitcom, die nur dazu da sind, von Anfang an die Situation zu komplizieren. King of Queens, die klassische Sitcom der 1990er und 2000er Jahre hätte in seinen 9 Staffeln die nette Geschichte eines ungleichen Paares erzählen können, das in einem kleinen Häuschen in Queens zusammen den Alltag verbringt. Aber der selbstverschuldet obdachlos gewordene Vater seiner Frau Carrie nistet sich mit der ersten Episode in den geliebten Entertainment-Keller ein und bringt die Verhältnisse in Dougs und Carries Haushalt von Beginn an in Unordnung. Arthur Spooner ist ein herrischer Mensch, egozentrisch, ohne Scham, ohne Sinne für die Angemessenheit sozialen Verhaltens, linker Aktivist und Teil der Arbeiterkultur, auch wenn er nie viel gearbeitet zu haben scheint, maßlos hedonistisch, rechthaberisch, uneinsichtig und vor allem sehr, sehr laut. Dieser Inbegriff der Provokation und Irritation fordert in den folgenden Episoden immer wieder Doug heraus: die Eskalation ist Programm, Doug nimmt die Einladung zum Streit immer an, denn Arthur ist nie bereit, klein beizugeben. In einer Szene ist der einzige Grund für einen Streit die richtige Aussprache des Wortes Ketchup. Jerry Stiller Stiller stachelt als Arthur Spooner Kevin James, den Darsteller von Doug, zu einer Spielfreude an, die häufig sichtbar wird und deutlich macht, dass das Genre der Sitcom immer auch von Improvisation zeugt oder zeugen sollte (https://www.youtube.com/watch?v=GpL7I8xQA6A).
Die Sitcom handelt immer auch von komischen Inversionen und Arthur ist so kindisch, dass sich Doug und Carrie in einer Folge mit ihren Freunden darüber streiten, wie sie sich das Babysitten von deren Kinder mit dem Babysitten von Arthur besser teilen können. Arthur ist dabei anstrengender als jedes Kind, auf seinem Recht pochend und überall Ungerechtigkeit witternd und sich mit jeder Minderheit solidarisierend, aber nur, weil es ihm so Spaß macht, sich über diese Ungerechtigkeiten aufzuregen (https://www.youtube.com/watch?v=sL4shjKLqns).
Arthur Spooner ist reiner Instinkt, ein halbanimalisches Wesen, das immer nach seinen kleinen Vorteilen sucht, uneinsichtig, aber in Maßen dressierbar durch kleine Belohnung (in einer Folge füttert Doug Arthur mit Erdnüssen an, um ihn aus dem Haus zu locken), betreubar nur durch die Hundeführerin Holly, die bezahlt wird, um mit ihm kleine Ausflüge zu machen. Arthur ist ein Relikt aus einer anderen Zeit, den selbst das neue Medium eines Anrufbeantworters überfordert, der aber auch nicht bereit dazu ist, sich dieser neuen Welt anzupassen: It’s your world, I only live in it.“ (https://www.youtube.com/watch?v=YdkqULZ2onA)
Er ist nicht nur ein alter, sondern ein sperriger Mann, der auch seiner Tochter ständig in die Quere kommt und ihr das Leben durch seine Rechthaberei zur Hölle macht. In der Episode Foe:Pa (https://www.dailymotion.com/video/x5sqeey) verdichtet sich dies zu einem melodramatischen Konflikt, der zweimal den komischen Flow von Gags und Situationen, der sonst bestimmend ist, unterbricht. Ab Minute 7 etwa entspinnt sich ein bitterer Streit zwischen Carrie und ihrem Vater, der in dem Satz kulminiert: „You know what you are? A lousy, selfish, overbearing father.“ Die Kamera isoliert diesen Moment in einer langen Einstellung, die kein Studiolachen mehr kennt. Sie ist die Folge dieser Unhandlichkeit von Arthur, der sie in der Szene davor in einem Anwaltsoffice unter anderem damit bloßgestellt hat, einen Miniaturwolkenkratzer als Kratzhilfe gegen einen Ausschlag zu verwenden. Die zweite, unterbrechenden, melodramatische Szene ab Minute 19 bietet eine Versöhnung durch eine Kindheitserinnerung an und beweist damit auch, dass die statische Sitcom so etwas wie ein Gedächtnis haben kann, nicht nur Serien wie Mad Men, Lost oder Breaking Bad. Diese Gedächtnis ist die Folge einer Überlebendigkeit der Figur, die durch ihre Maßlosigkeit immer auch über die einzelne Episode und die Sitcom selbst hinausweisen muss.
Jerry Stiller, der Arthur Spooner verkörpert hat, hat mit über 70 Jahren die bekannteste Rolle einer langen Karriere übernommen, die er als Komikerduo Stiller und Meara mit seiner Ehefrau in den 1960er Jahren begonnen hat.  Neben Auftritten in einigen Filmen wie John Waters Hairspray setzte er seine Karriere in der Sitcom Seinfeld mit einer Nebenrolle fort und bekam auf ihrem späten Höhepunkt das Engagement für die wichtige Rolle in King of Queens, die ihn im hohen Alter berühmt machen sollte. Nebenbei war er noch der Vater von Ben Stiller, was ihm einige Engagements in Blockbusterkomödien beschert hat. Diese lange Karriere lässt ihn nicht nur als alten Mann mit Historie in der Sitcom erscheinen, sondern auch als ein Mann mit einer Populärkulturhistorie, worauf in der Sitcom gelegentlich angespielt wurde.  Seine Auftritte mit seiner Frau in so legendären Formaten wie der Ed Sullivan Show in den 1960er Jahren (https://www.youtube.com/watch?v=l0oRFtgrEII) oder der Carol Burnett Show in den 1970er Jahren (https://www.youtube.com/watch?v=dlHO6uf5ds4) machen ihn auch zu einem Relikt aus einer anderen Ära der Popuärkultur. Und wer sich die Clips anschaut wird merken, wie wenig sich seine Physignomie verändert hat. Es scheint, als sei seine Fähigkeit, immer wieder als Irritation in der Sitcom zu fungieren, auch eine Folge seines anachronistischen Alien-Charakters zu sein, weil er an eine eine vergangene Unterhaltungskultur erinnert.
Sitcoms brauchen schwierige Charaktere als Ankerpunkte für Irritationen und Konflikte. Jerry Stiller hat diesen Charakter auf unnachahmliche Weise verkörpert, so gut, dass er mich als Zuschauenden oft genug überfordert hat und gelegentlich auch abgestoßen hat. Dieses Lautsein, Herumbrüllen und überall auf seinem Recht pochen hat eine unmittelbare Wirkung auf den Zuschauenden einer Sitcom, die durch ihren Live-Charakter sowieso schon eine große Nähe herstellt. Ich will hier gar nicht davon sprechen, dass ich ihn liebgewonnen habe, dafür hat er zu gut seine Rolle verkörpert. Ich habe in den 207 Episoden, die ich alle mehrmals gesehen habe, ähnlich wie Carrie und Doug gelernt, ihn zu ertragen und hinzunehmen und trotzdem oder gerade deswegen, wegen dieser ständigen Erschütterungen durch diesen maßlosen Charakter, nicht ihn, aber diese Sitcom geliebt. Am 11. Mai 2020 ist Jerry Stiller im Alter von 93 Jahren verstorben und hinterlässt eine große, sperrige Lücke in der Sitcomwelt. Arthur Spooner und Jerry Stiller mögen eher von kleiner Statur gewesen sein, aber eigentlich war die Figur immer zu groß und maßlos für das Format der Sitcom und hat dadurch King of Queens zu einem so gelungenen (und fast letzen) Vertreter dieses Genre gemacht.

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