Arthur Spooner ist eine dieser
Figuren einer Sitcom, die nur dazu da sind, von Anfang an die Situation zu komplizieren.
King of Queens, die klassische Sitcom der 1990er und 2000er Jahre hätte in
seinen 9 Staffeln die nette Geschichte eines ungleichen Paares erzählen können,
das in einem kleinen Häuschen in Queens zusammen den Alltag verbringt. Aber der
selbstverschuldet obdachlos gewordene Vater seiner Frau Carrie nistet sich mit
der ersten Episode in den geliebten Entertainment-Keller ein und bringt die Verhältnisse
in Dougs und Carries Haushalt von Beginn an in Unordnung. Arthur Spooner ist
ein herrischer Mensch, egozentrisch, ohne Scham, ohne Sinne für die
Angemessenheit sozialen Verhaltens, linker Aktivist und Teil der
Arbeiterkultur, auch wenn er nie viel gearbeitet zu haben scheint, maßlos
hedonistisch, rechthaberisch, uneinsichtig und vor allem sehr, sehr laut. Dieser
Inbegriff der Provokation und Irritation fordert in den folgenden Episoden immer
wieder Doug heraus: die Eskalation ist Programm, Doug nimmt die Einladung zum Streit
immer an, denn Arthur ist nie bereit, klein beizugeben. In einer Szene ist der
einzige Grund für einen Streit die richtige Aussprache des Wortes Ketchup. Jerry Stiller Stiller stachelt als Arthur Spooner Kevin James, den Darsteller von Doug, zu einer Spielfreude an,
die häufig sichtbar wird und deutlich macht, dass das Genre der Sitcom immer
auch von Improvisation zeugt oder zeugen sollte (https://www.youtube.com/watch?v=GpL7I8xQA6A).
Die Sitcom handelt immer auch von
komischen Inversionen und Arthur ist so kindisch, dass sich Doug und Carrie in
einer Folge mit ihren Freunden darüber streiten, wie sie sich das Babysitten
von deren Kinder mit dem Babysitten von Arthur besser teilen können. Arthur ist
dabei anstrengender als jedes Kind, auf seinem Recht pochend und überall Ungerechtigkeit
witternd und sich mit jeder Minderheit solidarisierend, aber nur, weil es ihm
so Spaß macht, sich über diese Ungerechtigkeiten aufzuregen (https://www.youtube.com/watch?v=sL4shjKLqns).
Arthur Spooner ist reiner Instinkt,
ein halbanimalisches Wesen, das immer nach seinen kleinen Vorteilen sucht, uneinsichtig,
aber in Maßen dressierbar durch kleine Belohnung (in einer Folge füttert Doug
Arthur mit Erdnüssen an, um ihn aus dem Haus zu locken), betreubar nur durch die
Hundeführerin Holly, die bezahlt wird, um mit ihm kleine Ausflüge zu machen. Arthur
ist ein Relikt aus einer anderen Zeit, den selbst das neue Medium eines
Anrufbeantworters überfordert, der aber auch nicht bereit dazu ist, sich dieser
neuen Welt anzupassen: It’s your world, I only live in it.“ (https://www.youtube.com/watch?v=YdkqULZ2onA)
Er ist nicht nur ein alter,
sondern ein sperriger Mann, der auch seiner Tochter ständig in die Quere kommt
und ihr das Leben durch seine Rechthaberei zur Hölle macht. In der Episode Foe:Pa
(https://www.dailymotion.com/video/x5sqeey)
verdichtet sich dies zu einem melodramatischen Konflikt, der zweimal den
komischen Flow von Gags und Situationen, der sonst bestimmend ist, unterbricht.
Ab Minute 7 etwa entspinnt sich ein bitterer Streit zwischen Carrie und ihrem
Vater, der in dem Satz kulminiert: „You know what you are? A lousy, selfish,
overbearing father.“ Die Kamera isoliert diesen Moment in einer langen Einstellung,
die kein Studiolachen mehr kennt. Sie ist die Folge dieser Unhandlichkeit von
Arthur, der sie in der Szene davor in einem Anwaltsoffice unter anderem damit
bloßgestellt hat, einen Miniaturwolkenkratzer als Kratzhilfe gegen einen Ausschlag
zu verwenden. Die zweite, unterbrechenden, melodramatische Szene ab Minute 19
bietet eine Versöhnung durch eine Kindheitserinnerung an und beweist damit
auch, dass die statische Sitcom so etwas wie ein Gedächtnis haben kann, nicht
nur Serien wie Mad Men, Lost oder Breaking Bad. Diese Gedächtnis ist die Folge einer Überlebendigkeit
der Figur, die durch ihre Maßlosigkeit immer auch über die einzelne Episode und
die Sitcom selbst hinausweisen muss.
Jerry Stiller, der Arthur Spooner
verkörpert hat, hat mit über 70 Jahren die bekannteste Rolle einer langen
Karriere übernommen, die er als Komikerduo Stiller und Meara mit seiner Ehefrau
in den 1960er Jahren begonnen hat. Neben
Auftritten in einigen Filmen wie John Waters Hairspray setzte er seine Karriere in der Sitcom Seinfeld mit einer
Nebenrolle fort und bekam auf ihrem späten Höhepunkt das Engagement für die
wichtige Rolle in King of Queens, die ihn im hohen Alter berühmt machen sollte.
Nebenbei war er noch der Vater von Ben Stiller, was ihm einige Engagements in Blockbusterkomödien
beschert hat. Diese lange Karriere lässt ihn nicht nur als alten Mann mit
Historie in der Sitcom erscheinen, sondern auch als ein Mann mit einer Populärkulturhistorie,
worauf in der Sitcom gelegentlich angespielt wurde. Seine Auftritte mit seiner Frau in so
legendären Formaten wie der Ed Sullivan Show in den 1960er Jahren (https://www.youtube.com/watch?v=l0oRFtgrEII)
oder der Carol Burnett Show in den 1970er Jahren (https://www.youtube.com/watch?v=dlHO6uf5ds4)
machen ihn auch zu einem Relikt aus einer anderen Ära der Popuärkultur. Und wer sich
die Clips anschaut wird merken, wie wenig sich seine Physignomie verändert hat.
Es scheint, als sei seine Fähigkeit, immer wieder als Irritation in der Sitcom
zu fungieren, auch eine Folge seines anachronistischen Alien-Charakters zu
sein, weil er an eine eine vergangene Unterhaltungskultur erinnert.
Sitcoms brauchen schwierige Charaktere
als Ankerpunkte für Irritationen und Konflikte. Jerry Stiller hat diesen
Charakter auf unnachahmliche Weise verkörpert, so gut, dass er mich als Zuschauenden
oft genug überfordert hat und gelegentlich auch abgestoßen hat. Dieses Lautsein,
Herumbrüllen und überall auf seinem Recht pochen hat eine unmittelbare Wirkung
auf den Zuschauenden einer Sitcom, die durch ihren Live-Charakter sowieso schon
eine große Nähe herstellt. Ich will hier gar nicht davon sprechen, dass ich ihn
liebgewonnen habe, dafür hat er zu gut seine Rolle verkörpert. Ich habe in den
207 Episoden, die ich alle mehrmals gesehen habe, ähnlich wie Carrie und Doug
gelernt, ihn zu ertragen und hinzunehmen und trotzdem oder gerade deswegen,
wegen dieser ständigen Erschütterungen durch diesen maßlosen Charakter, nicht ihn,
aber diese Sitcom geliebt. Am 11. Mai 2020 ist Jerry Stiller im Alter von 93
Jahren verstorben und hinterlässt eine große, sperrige Lücke in der Sitcomwelt.
Arthur Spooner und Jerry Stiller mögen eher von kleiner Statur gewesen sein,
aber eigentlich war die Figur immer zu groß und maßlos für das Format der
Sitcom und hat dadurch King of Queens zu einem so gelungenen (und fast letzen)
Vertreter dieses Genre gemacht.
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