von Carolin Wittmann
Was machen ein Briefträger aus Pforzheim, eine Verwaltungsangestellte aus Köln und eine Mutter mit ihrer
Tochter in einer Halle voller Gerümpel? Kein Anfang eines Witzes, sondern die
ernste Frage, die den Zuschauer bei Bares für Rares vor dem Bildschirm hält.
Die seit 2013 im ZDF laufende Serie hat just diesen Mai die 1000 Folgen-Marke
gebrochen und nichts scheint den eigentlichen Koch Horst Lichter davor stoppen
zu können, dem Publikum die Inhalte deutscher Keller näher zu bringen.
Jedem Zuschauer, der vielleicht
das erste Mal um 9 Uhr morgens das ZDF einschaltet, mag dieses neue Format des
Antiquitätenhandels schon jetzt ein bisschen vertraut vorkommen. Das erste was
einen begrüßt, ist die schon aus zahlreichen anderen deutschen
Fernsehsendungen, synchronisierten Filmen und Serien bekannte Moderatorenstimme
von Volker Wolf. Mit ihr machen wir uns vertrauter, und ein typisches deutsches
Entertainment Format suggeriert bekommend, mit dem jeweiligen Verkäufer auf in
Richtung Verhandlungshalle. Dort stellt sich diese*r kurz vor. Heute ist es
Ingrid Klinger, 78, mit einem Silbertablett in der Hand, für das sie nie wirklich
Verwendung finden konnte, aufgrund seiner Wertigkeit nie benutzt hat und nun zu
Geld machen möchte. Manch einer Vermittelt den Eindruck, dass er eigentlich auf
dem Weg zu ebay Kleinanzeigen war und zu früh links abgebogen ist. Jedoch
variiert dieser Eindruck von Mensch zu Mensch und so erwische ich mich selbst
dabei, wie ich gespannt einer sympathischen Oma und ihren Erzählungen über das
Generationen-Teeporzelan lausche, und insgeheim hoffe, dass sie genügend Geld
für ihren ersehnten Urlaub bekommt.
Einen Schritt weiter und wir treffen auf den Moderator, Horst Lichter, bei dem sich uns die Verkäuferin des
Tablettes nochmals vorstellt. An dieser Stelle schleicht sich in meinem
Hinterkopf der Eindruck eines Déja-vues ein, jedoch weiß Lichter genau, wann er
zu viel geredet hat und geht sofort über zur zu verkaufenden Antiquität. Diesem
Muster folgt jede einzelne Folge der Sendung. Was variiert ist außer den
Verkäufern nur die Geschmeidigkeit mit der Horst Lichter es schafft, eine
Brücke zwischen Steckbrief-Smalltalk und Antiquitäten-Analyse zu schlagen.
Diese variiert von mittelmäßigen Wortwitzen über das zu verkaufende bis hin zum
wortlosen Blick zu den Experten, der ihnen das GO für ein kleines
Geschichte-Referat, gespickt mit ein paar Lupen-Blicken und Kamera Close-Ups
gibt. Dieser Vortrag wird nur von ein paar zustimmenden Kommentaren Lichters,
und Kamera-Einstellungen auf den Verkäufer gespickt, der augenscheinlich
manchmal mehr, manchmal weniger dem gesprochenen folgen kann. Ich kann
verstehen, dass Eloquenz bei 1000 gleichen Folgen manchmal etwas schwer wird,
aber Horst Lichter könnte sich bei der Frage, nach dem Verwendungszweck des
Geldes, auch ab und an etwas anderes einfallen lassen außer ,,Haut ihr’s
ordentlich auf den kopp?“.
Was sehr der monotonen Struktur und dem eigentlich unterschwelligem Desinteresse entgegenwirkt, das man
automatisch aufgrund der fehlenden persönlichen Verbindung zu den Verkäufern
und Gegenständen hat, ist Spannung. Da wir bis jetzt nur wenig über den
Gegenstand wissen, wird unser Interesse bereits von allerlei Fragen getragen:
Wie sieht es aus? Wieviel ist es wert? Hat sie es unterschätzt? Überschätzt?
Ist der Ring überhaupt aus echtem Gold? Mag das Gemälde nicht vielleicht doch
eine Fälschung sein? Wurde das Feuerzeug wirklich in den USA hergestellt? So
lauscht man auch den Experten interessiert. ,,Das hätte ich jetzt nicht
gedacht“ und ,,Ich hab‘s mir schon gedacht“ sind nach der Analyse die beiden
Gedanken die einem am meisten im Kopf auftauchen. Manchmal gesellt sich noch ein
,,Wenn der dafür so viel bekommt... dann ist vielleicht meiner im Keller auch
was wert!“ dazu.
Hier sieht man auch schon zwei weitere Motivationen, die den Zuschauer die ganzen 13-16 Minuten eines
Verkaufes und die circa 55 Minuten der Folge unterhalten. Menschen lieben es,
ihre Meinung zu etwas preiszugeben, oder sich zumindest eine zu machen. Seien
wir ehrlich, wer bleibt bis zu Ende einer Folge von ,,Das perfekte Dinner“,
oder ,,Shopping Queen“ um zu sehen wer gewinnt? Eigentlich wollen wir uns doch nur
aufregen, mitreden, unsere Meinung kundgeben und sagen, dass wir von Anfang an
wussten, dass Tanja für ihr Dinner maximal 8 Punkte kriegen wird, da man
Kartoffeln stampft und nicht püriert. Oder dass das Shirt der einen Blonden bei
Shopping Queen dann doch zu schlicht war, um zum Thema zu passen.
Durch diese Spannungen, die Fragen, das Sein-oder-nicht-sein? und die bereits versprochene Auflösung, die
uns am Ende vielleicht nicht immer gefällt, aber die es immer geben wird,
durchleben wir immer wieder eine kleine Katharsis. Es befreit uns in einem
Sinne, sich über Kleinigkeiten aufzuregen, von denen man in keinster Weise
tangiert wird. Denn wenn es uns alles zu viel wird, können wir jederzeit
ausschalten.
Das fällt uns bei Bares für Rares jedoch nicht allzu leicht, da wir aus dem immer gleich bleibenden Flow,
den jeder kleine Abschnitt eines Verkaufes hat, schwer ausbrechen können. Mir
fiel auf, dass nicht einmal die Kamerabewegungen oder Einstellungen
unterschiedlich sind. Jeder Verhandlungstisch wird aus fast dem gleichen Winkel
gefilmt. Die Analyse der Antiquitäten wird nur anhand von Close-Ups auf den
Gegenstand, Totale auf das Geschehen oder Halb-Totale auf die/den Verkäufer*in
oder Experten dokumentiert. Und nachdem der Preis feststeht (falls es jemanden
interessiert, das Silbertablett wurde auf 850-950€ geschätzt)(ich dachte ja, es
wäre viel weniger) ist das Close-Up, wie Lichter die Händlerkarte an den
Verkäufer übergibt, ein Must-Have. Jeder kann hier von 3 runterzählen, bis wir
einen neuen Verkäufer zu Gesicht bekommen, der – natürlich von Chart Pop-Musik
und der angenehmen Stimme Volker Wolfs begleitet – an der Backsteinmauer
entlang in Richtung Eingang spaziert, mit einer heiß erwarteten, neuen
Antiquität in der Hand.
Durch diesen Takt der Abläufe, bei dem überraschenderweise kein Element zu lang oder zu kurz ist, um den
Zuschauer aus dem Flow der Serie zu werfen, fühlen wir uns auf der Couch
liegend mehr und mehr eingelullt. Doch damit wir nicht gleich einschlafen, sind
die verschiedenen Schritte von Analyse bis Verkauf des Gegenstandes immer
wieder getrennt. Meist wird der Verkauf von zwei Gegenständen gleichzeitig,
doch in abwechselnder Chronologie. Wir sehen die Analyse von Gegenstand 1, dann
die Analyse von Gegenstand 2, dann springen wir wieder zum Gespräch mit
Verkäufer 1 und so weiter bis endlich das Geld am Tisch liegt. Davon bin ich
ehrlichgesagt sogar ein bisschen beeindruckt, da mir das selbst erst nach 2-3
Gesprächen aufgefallen ist. Heißt: Bares für Rares weiß was es tut, und vor allem,
wie es durch kurze Szenen die durch Social Media verkümmerte
Aufmerksamkeitsspanne des Zuschauers behält.
Aber nun weiter zum – heiß begehrten? –Silbertablett. In einer zweiten Interview Szene erfahren wir, was
Ingrid sich von den Händlern erwartet: ACHTUNG: SPOILER ALARM! Sie wäre froh
über die geschätzte Geldsumme. Um es positiv zu formulieren: Sie kann hier, wie
die meisten, noch mit ihrer Liebenswürdigkeit und ihrer Aufregung punkten. Nun
endlich, mit dem Tablett in der Hand, auf dem Weg vor zum Halbkreis der Händler
wird das stille Schweigen mit Bemerkungen wie ,,Wo hast du denn den Rest davon“
vermieden, oft aber nicht zum besseren. Eine Variante wäre, die gerade
verstummte Moderatorenstimme aus dem Off weiterreden zu lassen, bis der
Verkäufer kurz vor dem Tisch ist. So wäre uns bei manchen Verkäufen die Stille,
die wir vom Fernsehen eigentlich nicht gewohnt sind, weniger unangenehm.
Kaum ist das Silbertablett bei den Händlern angekommen, packen diese ihre geballte Mini-Expertise aus, deren
Lücken manchmal vom Verkäufer gestopft werden. Die Spannung schwebt hier in
Form der Frage ,,Verkaufen oder nicht verkaufen? Und wenn ja, an wen?“ im Raum.
Die Runde der Händler besteht aus Walter Lehnertz, Fabian Kahl, Susanne
Steiger, Julian Schmitz-Avila und, meinem persönlichen Favouriten, den man an
den oft wechselnden und kunterbunten Hemden erkennt: Ludwig Hofmaier. Favourit,
da er bei manchen Verhandlungen kein Wort von sich gibt, jedoch sehr wohl die
komplette Aufmerksamkeit mit impulsiven Kaufentscheidungen auf sich ziehen
kann. Nicht zu vergessen ist sein einzigartiger bairischer Dialekt. Hier haben
wir also einen weiteren Grund, warum manch einer immer wieder einschaltet: Man
lernt mit der Zeit die fest vorkommenden Personen kennen und ist gespannt auf deren
Meinung und – im Bezug auf die verschiedenen Interessensbereiche der Händler – die
Diskussionsrunden, die ab und an entstehen können.
Ludwig Hofmaier gab, zu meiner Enttäuschung, leider keinen Kommentar über das Tablett ab, das letztendlich
Susanne Steiger in kurzem Prozess für 1100€ kaufte. Zwar weiß ich, dass die
Händler oft bei geringem Interesse augenscheinlich nur mitbieten, damit sich
etwas bewegt und der Verkäufer und Zuschauer nicht enttäuscht ist, dass ein
Silbertablett oft leider einfach nichts Besonderes ist. Trotzdem hätte ich mich
über eine kleine Diskussion gefreut.
Ich lehne mich zurück und frage mich: Wie fühle ich mich jetzt? Bin ich glücklich, dass sie es für etwas mehr
Geld verkaufen konnte? Bin ich enttäuscht, da sich die Händler nicht um das
Tablett gestritten haben und alles so glatt ablief? Wenn ich so dasitze, merke
ich, dass ich vor allem eins bin: neugierig. Neugierig darauf, zu wissen, was
der Briefträger aus Potsdam denn für sein Spielzeugschiffchen kriegen mag. Es
ist ja schließlich von Schuko.
Habe ich etwas über Antiquitäten oder Silbertablettes gelernt? Eher weniger, aber das steht auch nicht im
Vordergrund. ,,Bares für Rares“ ist in keinerlei Hinsicht eine anspruchsvolle
Sendung. Jedoch ist das auch nicht weiter schlimm, da sie keinen großen
Anspruch zum Ziel hat. Ihr Ziel ist seichtes (hier nicht negativ gemeint),
entspannendes und doch abwechslungsreiches Entertainment, bei dem man gut nach
der Arbeit abschalten kann und trotzdem nicht komplett verblödet wie beim ,,Dschungelcamp“.
Man könnte auch sagen, dass Bares für Rares die auf Entertainment fokussierte
Version von ,,Kunst und Krempel“ ist, welche eher eine Form des Infotainments
darstellt. Abschließend bleibt es zwar leichtes und einschlummerndes, aber
gutes Entertainment, da es das Ziel der Unterhaltung erreicht.
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