TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 4. Juni 2020

Bares für Rares – eine seichte, schnelle Entertainment Version von ,,Kunst und Krempel“

von Carolin Wittmann

Was machen ein Briefträger aus Pforzheim, eine Verwaltungsangestellte aus Köln und eine Mutter mit ihrer Tochter in einer Halle voller Gerümpel? Kein Anfang eines Witzes, sondern die ernste Frage, die den Zuschauer bei Bares für Rares vor dem Bildschirm hält. Die seit 2013 im ZDF laufende Serie hat just diesen Mai die 1000 Folgen-Marke gebrochen und nichts scheint den eigentlichen Koch Horst Lichter davor stoppen zu können, dem Publikum die Inhalte deutscher Keller näher zu bringen.
Jedem Zuschauer, der vielleicht das erste Mal um 9 Uhr morgens das ZDF einschaltet, mag dieses neue Format des Antiquitätenhandels schon jetzt ein bisschen vertraut vorkommen. Das erste was einen begrüßt, ist die schon aus zahlreichen anderen deutschen Fernsehsendungen, synchronisierten Filmen und Serien bekannte Moderatorenstimme von Volker Wolf. Mit ihr machen wir uns vertrauter, und ein typisches deutsches Entertainment Format suggeriert bekommend, mit dem jeweiligen Verkäufer auf in Richtung Verhandlungshalle. Dort stellt sich diese*r kurz vor. Heute ist es Ingrid Klinger, 78, mit einem Silbertablett in der Hand, für das sie nie wirklich Verwendung finden konnte, aufgrund seiner Wertigkeit nie benutzt hat und nun zu Geld machen möchte. Manch einer Vermittelt den Eindruck, dass er eigentlich auf dem Weg zu ebay Kleinanzeigen war und zu früh links abgebogen ist. Jedoch variiert dieser Eindruck von Mensch zu Mensch und so erwische ich mich selbst dabei, wie ich gespannt einer sympathischen Oma und ihren Erzählungen über das Generationen-Teeporzelan lausche, und insgeheim hoffe, dass sie genügend Geld für ihren ersehnten Urlaub bekommt.
Einen Schritt weiter und wir treffen auf den Moderator, Horst Lichter, bei dem sich uns die Verkäuferin des Tablettes nochmals vorstellt. An dieser Stelle schleicht sich in meinem Hinterkopf der Eindruck eines Déja-vues ein, jedoch weiß Lichter genau, wann er zu viel geredet hat und geht sofort über zur zu verkaufenden Antiquität. Diesem Muster folgt jede einzelne Folge der Sendung. Was variiert ist außer den Verkäufern nur die Geschmeidigkeit mit der Horst Lichter es schafft, eine Brücke zwischen Steckbrief-Smalltalk und Antiquitäten-Analyse zu schlagen. Diese variiert von mittelmäßigen Wortwitzen über das zu verkaufende bis hin zum wortlosen Blick zu den Experten, der ihnen das GO für ein kleines Geschichte-Referat, gespickt mit ein paar Lupen-Blicken und Kamera Close-Ups gibt. Dieser Vortrag wird nur von ein paar zustimmenden Kommentaren Lichters, und Kamera-Einstellungen auf den Verkäufer gespickt, der augenscheinlich manchmal mehr, manchmal weniger dem gesprochenen folgen kann. Ich kann verstehen, dass Eloquenz bei 1000 gleichen Folgen manchmal etwas schwer wird, aber Horst Lichter könnte sich bei der Frage, nach dem Verwendungszweck des Geldes, auch ab und an etwas anderes einfallen lassen außer ,,Haut ihr’s ordentlich auf den kopp?“.
Was sehr der monotonen Struktur und dem eigentlich unterschwelligem Desinteresse entgegenwirkt, das man automatisch aufgrund der fehlenden persönlichen Verbindung zu den Verkäufern und Gegenständen hat, ist Spannung. Da wir bis jetzt nur wenig über den Gegenstand wissen, wird unser Interesse bereits von allerlei Fragen getragen: Wie sieht es aus? Wieviel ist es wert? Hat sie es unterschätzt? Überschätzt? Ist der Ring überhaupt aus echtem Gold? Mag das Gemälde nicht vielleicht doch eine Fälschung sein? Wurde das Feuerzeug wirklich in den USA hergestellt? So lauscht man auch den Experten interessiert. ,,Das hätte ich jetzt nicht gedacht“ und ,,Ich hab‘s mir schon gedacht“ sind nach der Analyse die beiden Gedanken die einem am meisten im Kopf auftauchen. Manchmal gesellt sich noch ein ,,Wenn der dafür so viel bekommt... dann ist vielleicht meiner im Keller auch was wert!“ dazu.
Hier sieht man auch schon zwei weitere Motivationen, die den Zuschauer die ganzen 13-16 Minuten eines Verkaufes und die circa 55 Minuten der Folge unterhalten. Menschen lieben es, ihre Meinung zu etwas preiszugeben, oder sich zumindest eine zu machen. Seien wir ehrlich, wer bleibt bis zu Ende einer Folge von ,,Das perfekte Dinner“, oder ,,Shopping Queen“ um zu sehen wer gewinnt? Eigentlich wollen wir uns doch nur aufregen, mitreden, unsere Meinung kundgeben und sagen, dass wir von Anfang an wussten, dass Tanja für ihr Dinner maximal 8 Punkte kriegen wird, da man Kartoffeln stampft und nicht püriert. Oder dass das Shirt der einen Blonden bei Shopping Queen dann doch zu schlicht war, um zum Thema zu passen.
Durch diese Spannungen, die Fragen, das Sein-oder-nicht-sein? und die bereits versprochene Auflösung, die uns am Ende vielleicht nicht immer gefällt, aber die es immer geben wird, durchleben wir immer wieder eine kleine Katharsis. Es befreit uns in einem Sinne, sich über Kleinigkeiten aufzuregen, von denen man in keinster Weise tangiert wird. Denn wenn es uns alles zu viel wird, können wir jederzeit ausschalten.
Das fällt uns bei Bares für Rares jedoch nicht allzu leicht, da wir aus dem immer gleich bleibenden Flow, den jeder kleine Abschnitt eines Verkaufes hat, schwer ausbrechen können. Mir fiel auf, dass nicht einmal die Kamerabewegungen oder Einstellungen unterschiedlich sind. Jeder Verhandlungstisch wird aus fast dem gleichen Winkel gefilmt. Die Analyse der Antiquitäten wird nur anhand von Close-Ups auf den Gegenstand, Totale auf das Geschehen oder Halb-Totale auf die/den Verkäufer*in oder Experten dokumentiert. Und nachdem der Preis feststeht (falls es jemanden interessiert, das Silbertablett wurde auf 850-950€ geschätzt)(ich dachte ja, es wäre viel weniger) ist das Close-Up, wie Lichter die Händlerkarte an den Verkäufer übergibt, ein Must-Have. Jeder kann hier von 3 runterzählen, bis wir einen neuen Verkäufer zu Gesicht bekommen, der – natürlich von Chart Pop-Musik und der angenehmen Stimme Volker Wolfs begleitet – an der Backsteinmauer entlang in Richtung Eingang spaziert, mit einer heiß erwarteten, neuen Antiquität in der Hand.
Durch diesen Takt der Abläufe, bei dem überraschenderweise kein Element zu lang oder zu kurz ist, um den Zuschauer aus dem Flow der Serie zu werfen, fühlen wir uns auf der Couch liegend mehr und mehr eingelullt. Doch damit wir nicht gleich einschlafen, sind die verschiedenen Schritte von Analyse bis Verkauf des Gegenstandes immer wieder getrennt. Meist wird der Verkauf von zwei Gegenständen gleichzeitig, doch in abwechselnder Chronologie. Wir sehen die Analyse von Gegenstand 1, dann die Analyse von Gegenstand 2, dann springen wir wieder zum Gespräch mit Verkäufer 1 und so weiter bis endlich das Geld am Tisch liegt. Davon bin ich ehrlichgesagt sogar ein bisschen beeindruckt, da mir das selbst erst nach 2-3 Gesprächen aufgefallen ist. Heißt: Bares für Rares weiß was es tut, und vor allem, wie es durch kurze Szenen die durch Social Media verkümmerte Aufmerksamkeitsspanne des Zuschauers behält.
Aber nun weiter zum – heiß begehrten? –Silbertablett. In einer zweiten Interview Szene erfahren wir, was Ingrid sich von den Händlern erwartet: ACHTUNG: SPOILER ALARM! Sie wäre froh über die geschätzte Geldsumme. Um es positiv zu formulieren: Sie kann hier, wie die meisten, noch mit ihrer Liebenswürdigkeit und ihrer Aufregung punkten. Nun endlich, mit dem Tablett in der Hand, auf dem Weg vor zum Halbkreis der Händler wird das stille Schweigen mit Bemerkungen wie ,,Wo hast du denn den Rest davon“ vermieden, oft aber nicht zum besseren. Eine Variante wäre, die gerade verstummte Moderatorenstimme aus dem Off weiterreden zu lassen, bis der Verkäufer kurz vor dem Tisch ist. So wäre uns bei manchen Verkäufen die Stille, die wir vom Fernsehen eigentlich nicht gewohnt sind, weniger unangenehm.
Kaum ist das Silbertablett bei den Händlern angekommen, packen diese ihre geballte Mini-Expertise aus, deren Lücken manchmal vom Verkäufer gestopft werden. Die Spannung schwebt hier in Form der Frage ,,Verkaufen oder nicht verkaufen? Und wenn ja, an wen?“ im Raum. Die Runde der Händler besteht aus Walter Lehnertz, Fabian Kahl, Susanne Steiger, Julian Schmitz-Avila und, meinem persönlichen Favouriten, den man an den oft wechselnden und kunterbunten Hemden erkennt: Ludwig Hofmaier. Favourit, da er bei manchen Verhandlungen kein Wort von sich gibt, jedoch sehr wohl die komplette Aufmerksamkeit mit impulsiven Kaufentscheidungen auf sich ziehen kann. Nicht zu vergessen ist sein einzigartiger bairischer Dialekt. Hier haben wir also einen weiteren Grund, warum manch einer immer wieder einschaltet: Man lernt mit der Zeit die fest vorkommenden Personen kennen und ist gespannt auf deren Meinung und – im Bezug auf die verschiedenen Interessensbereiche der Händler – die Diskussionsrunden, die ab und an entstehen können.
Ludwig Hofmaier gab, zu meiner Enttäuschung, leider keinen Kommentar über das Tablett ab, das letztendlich Susanne Steiger in kurzem Prozess für 1100€ kaufte. Zwar weiß ich, dass die Händler oft bei geringem Interesse augenscheinlich nur mitbieten, damit sich etwas bewegt und der Verkäufer und Zuschauer nicht enttäuscht ist, dass ein Silbertablett oft leider einfach nichts Besonderes ist. Trotzdem hätte ich mich über eine kleine Diskussion gefreut.
Ich lehne mich zurück und frage mich: Wie fühle ich mich jetzt? Bin ich glücklich, dass sie es für etwas mehr Geld verkaufen konnte? Bin ich enttäuscht, da sich die Händler nicht um das Tablett gestritten haben und alles so glatt ablief? Wenn ich so dasitze, merke ich, dass ich vor allem eins bin: neugierig. Neugierig darauf, zu wissen, was der Briefträger aus Potsdam denn für sein Spielzeugschiffchen kriegen mag. Es ist ja schließlich von Schuko.
Habe ich etwas über Antiquitäten oder Silbertablettes gelernt? Eher weniger, aber das steht auch nicht im Vordergrund. ,,Bares für Rares“ ist in keinerlei Hinsicht eine anspruchsvolle Sendung. Jedoch ist das auch nicht weiter schlimm, da sie keinen großen Anspruch zum Ziel hat. Ihr Ziel ist seichtes (hier nicht negativ gemeint), entspannendes und doch abwechslungsreiches Entertainment, bei dem man gut nach der Arbeit abschalten kann und trotzdem nicht komplett verblödet wie beim ,,Dschungelcamp“. Man könnte auch sagen, dass Bares für Rares die auf Entertainment fokussierte Version von ,,Kunst und Krempel“ ist, welche eher eine Form des Infotainments darstellt. Abschließend bleibt es zwar leichtes und einschlummerndes, aber gutes Entertainment, da es das Ziel der Unterhaltung erreicht.

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