TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Samstag, 11. Juli 2020

Die Fortsetzung von Liebesg'schichten und Heiratssachen im ORF2

von Herbert Schwaab 
 
Auf diesen Seiten wurde schon einmal das großartige österreichische Format Liebesg'schichten und Heiratssachen gewürdigt,  eine Kuppelshow die viel mehr ist als eine Kuppelshow. Im letzten Jahr konnten die letzten Folgen der von Elisabeth T. Spira produzierten und moderierten Show gesehen werden. Sie starb schon vor dem Ende der Ausstrahlung der letzten Staffel und es waren wehmütige Blicke auf ein Fernsehens, dass es, das dachte ich, wohl so schnell nicht mehr geben würde: eine unaufgeregte, dokumentarische Show, die sich nicht über die Menschen lustig macht, die nach Liebe suchen. Es sind meistens ältere Menschen, die schon Partnerschaften, Ehe und Tod der Partnerinnen und Partner hinter sich haben und die offenherzig über ihren Wunsch sprechen, nicht mehr einsam zu sein. Sie stellen sich vor und sie hoffen auf ein paar Zuschriften und dadurch angebahnten Treffen.
Hier muss sich niemand produzieren und sich zu einer Ware zur Begutachtung durch andere machen, aber trotzdem offenbaren diese Menschen in den kleinen, liebevollen Portraits (es werden immer etwa sechs liebessuchende Menschen vorgestellt) ihre Wünsche, Gefühle, gerne auch ihre Talente und vor allem ihre Wohnzimmer und weiteren Wohnräume. Denn eigentlich geht es in der Sendung um die Menschen und um ihre privaten Welten, die sie bewohnen. In der Kritik zu dem Format wurde diese besondere Ästhetik, die zum Beispiel in kleinen Montagen die Objekte zusammenstellt, mit denen die Räume dekoriert werden, schon ausführlich beschrieben. Das ist entschleunigtes Reality TV als Slow TV,  das aber dennoch oder gerade durch die Art wie es gemacht ist, in uns das Gefühl erzeugt, wirklichen Menschen zu begegnen, die wir bisher nicht gekannt hatten. Denn fast alle Menschen, die von Elisabeth T. Spira für das Format ausgesucht wurden, sind interessant und Originale und haben etwas von der Welt (in der sie leben) zu berichten. Das Format ist in Österreich äußerst erfolgreich und in Deutschland gibt es außer vielleicht Dokumentationen, die am späten Abend auf den dritten Programmen laufen (z.B. Lebenslinien vom BR) wenig Vergleichbares. Ich habe immer das Gefühl, dass es solche Menschen, die sich nicht ausdenken lassen, nur in Österreich gibt. 
Letzte Woche gab es dann unverhofft eine erfolgreiche Fortsetzung des Programms mit der neuen Moderatorin Nina Horowitz. Das Format hat Kleinigkeiten geändert (vor allem was die Musik und die Sendelogos angeht), aber sonst bleibt vieles gleich. Nicht nur wird der Eindruck erweckt, dass Nina Horowitz den Tonfall der behutsamen Nachfragen von Elisabeth T. Spira und auch ihren Stil, bei traurigen und unangenehmen Sachen (sehr sensibel) nachzubohren und so die Wahrheit einer jeden Person hervorzubringen, imitiert – auch die Menschen sind die gleichen geblieben. Schrullig, einsam, eigensinnig, verträumt, manchmal mit verstiegenen Wünschen, aber immer unheimlich ehrlich und interessant. 
Nur zwei Menschen aus diesem Potpourri des puren Alltags sollen hier vorgestellt werden: Manfredo, der genauso aussieht, wie er heißt, in den 60ern, ehemaliger Tänzer und Musicaldarsteller, in einem kleinen Häuschen in der Steiermark lebend und in der Coronazeit seine Nachbarn mit Gesängen vom Balkon beglückend, er weiß aber nicht ganz genau, ob das auch tatstächlich gewünscht wird. Ein selbstbewusster bunter Vogel, der eine Frau sucht, auch wenn ihn die meisten Menschen wegen seiner schrillen Kleidung für schwul halten, was ihm aber nichts ausmacht. Manfredo ist ein Angeber, aber ein netter Angeber, der sich selbst nicht ernst nimmt. Oder Luzia, eine 75jährige ungarische Komtesse, die aber den Adelstitel wie alle Menschen in Österreich nicht tragen darf. Sie ist sehr stark geschminkt, hat blonde Haare und eine sehr plüschige mit unzähligen Gegenständen vollgestellte Wohnung mit diesen lebensechten Puppendarstellungen von Kindern, die auf den letzten Seiten billiger Illustrierten zum Sammeln angeboten werden. Ihr häusliches Setting lässt sie sehr naiv erscheinen, was sie aber zum Leben und zur Liebe äußert ist sehr echt und klug. Sie wünscht sich folgendes: "Ein netter, lieber Mann halt, ganz fad soll er nicht sein, denn ich selbst bin eh schon fad. Ich möchte jemand, der mich auch mitreißt. Denn im Grund bin ih eh stinklangweilig, Ich sitz' ja nur zuhause rum." Man wünscht sich am Ende jedes Porträt der Liebe suchenden Menschen immer nur das Beste für sie, aber mal sehen, was daraus wird. 
Elisabeth T. Spira, die mit anderen Formaten auch kritisch den österreichischen Alltag seziert hat, hat eine großartige Sendung erfunden und geprägt. Dass sie doch so leicht fortzusetzen ist, zeigt, wie wenig eigentlich dafür gebraucht wird, gutes Fernsehen zu machen (und wie erfolgreich es sein kann). Das ist ein netter Kontrapunkt zu Formaten wie Der Bachelor oder Die Bachelorette. Hier können wir Menschen sehen, die auch etwas anderes im Sinn haben, als die bizarren Normen einer Leistungsgesellschaft, die von uns die Optimierung unserer Körper und die optimierte Organisation von Liebessachen fordert. Es zeigt uns eine andere, widerständige Welt nicht-normierter Menschen – und das ist eine bessere Welt. Deswegen gilt für alle, die diese Kritik lesen: klicken sie auf die Seite von ORF und hoffen sie, dass es für die neuen Folgen von Liebesg'schichten und Heiratssachen keinen Geoblocker gibt.Tauchen sie ein in die fremde Welt des Alltags, in einem nahen fernen Land, das nicht exotischer sein könnte.

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