TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 3. Juli 2020

„13 Reasons Why“- oder doch mehrere?

von Linda Sharon Lioi

„Warum hast du das nicht gesagt, als ich noch lebte?“ diese Aussage von Hannah Baker, der Hauptdarstellerin beschreibt eine zentrale Thematik der Serie sehr gut. Das Unausgesprochene, das zu Problemen, Missverständnissen und letztlich zum Tod führen kann. Und in diesem Fall zum Tod von Hannah.
In der US amerikanischen Fernsehserie „13 Reasons Why“ oder im Deutschen bekannt als „Tote Mädchen lügen nicht“ geht es um die Schülerin Hannah Baker, die sich das Leben nimmt und ihren Mitschülern 13 Audiokassetten mit Gründen für ihren Selbstmord hinterlässt.
Anfangs wird die Serie aus Hannahs Sicht erzählt und später wird der Blickwinkel vergrößert und es werden auch die anderen Personen und deren Geschichten gezeigt. Eine wichtige Rolle spielt auch Clay Jensen, der heimliche Schwarm von Hannah. Die Story von Hannah stellt sein ganzes Leben auf den Kopf, er sucht nach Antworten, versucht Hannahs Handeln zu verstehen und die Schuldigen dafür verantwortlich zu machen. Aber ist er unschuldig? Trifft nicht jeden auf irgendeine Art und Weise eine Schuld, oder zumindest Teilschuld?
Nach und nach werden im Laufe der drei Staffeln Geheimnisse und Intrigen aufgedeckt, die Szenen werden emotionaler und aggressiver. Es werden schwierige Themen wie Mobbing, Gewalt, Stalking, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Vergewaltigung und vor allem Selbstzweifel gezeigt. Diese Themen werden direkt angesprochen und in keinster Weise beschönigt, wodurch die Serie sich von einigen anderen abhebt. Diese Themen sind vielen Jugendlichen vertraut, sie befinden sich in einer wichtigen Entwicklungsphase und werden dadurch mit diesen Problemen konfrontiert und haben mit ihnen zu kämpfen. Die Intension der Serie ist folgende: Die Serie versucht, ein Bewusstsein für diese gesellschaftlichen Probleme zu schaffen und möchte Jugendlichen aber auch Erwachsenen ein Denkanstoß geben, verdeutlichen dass über Probleme gesprochen werden muss und dass es für vieles eine Lösung gibt.
Am Ende der Serie erzählen alle weiblichen Protagonistinnen von ihren persönlichen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Es soll jungen Frauen suggerieren, im Falle einer sexuellen Belästigung oder gar einem Übergriff nicht zu schweigen, sich nicht zu schämen und als Opfer zu sehen, sondern darüber zu sprechen und stark zu bleiben. Auch das Thema Mobbing wird thematisiert und wirft beim Zuschauer viele Fragen auf. Wo beginnt Mobbing? Wieviel Verantwortung kann oder sollte die Schule übernehmen und müssen Lehrer oder Eltern aufmerksamer sein? Grundsätzlich zeigt es auch, wie man sich als Eltern, Freund, Mitschüler oder Lehrer von Betroffenen verhalten kann bzw. soll, um das Schlimmste zu verhindern.
Spoiler Alert: Beispielsweise wird ein versuchter Amoklauf verhindert, indem sie dem Betroffenen das Gefühl geben nicht alleine zu sein. Sie konfrontieren ihn mit den Folgen einer derart extremen Handlung. Trotz der guten Hintergedanken muss man die Serie kritisch beleuchten. Denn die Serie kann beim Zuschauer auch genau das Gegenteil bewirken. Sie kann Jugendlichen mit ähnlichen Problemen vorzeigen, dass Selbstmord eine Lösung oder ein Ausweg sein kann. Dies ist mit ein Grund, warum die Serie oft diskutiert und kritisiert wird. Ist es also möglich, dass die Anzahl an Suiziden durch eine solche Serie steigt?
Man spricht in diesem Fall vom sogenannten Werther Effekt, er beschreibt den Zusammenhang zwischen der ansteigenden Suizidrate in der Bevölkerung und Medienberichten über einzelne Suizidfälle. Er besagt auch, dass jede mediale Darstellung von Suizid für anfällige Personen bestärkend wirken kann. Die Suizidszene von Hannah wurde sehr detailliert gezeigt, nach viel Diskussion und Kritik wurde die dreiminütige Szene jedoch nach der Veröffentlichung entfernt, und nur noch die Reaktion der Eltern beibehalten. Scheinbar sind die SerienmacherInnen zu weit gegangen. Aber nicht nur in dieser Szene, auch Szenen der Gewalt und der sexuellen Belästigung werden ausführlichst gezeigt. Klar ist, die Serie erzeugt viel Redebedarf, der Zuschauer wird gefesselt, denn in wenigen Serien werden schwierige Themen so direkt angesprochen wie in dieser. Dies ist nur möglich indem die SerienmacherInnen Grenzen überschreiten und ein gewisses Risiko eingehen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Serie sehr gelungen ist. Wichtig ist aber sich zu überlegen, ob es einem gut tut, eine solche Serie zu schauen oder ob es einen psychisch zu sehr belastet. Denn die Serie spricht, wie bereits erwähnt, viele sensible Probleme an. Es kann also Vergangenes aufgewühlt werden, bereits vorhandene Sorgen verstärkt werden oder zu neuen Problemen führen.
Eine Möglichkeit ist es, wie die Schauspieler selbst empfehlen, die Serie gemeinsam mit den Eltern oder einer Bezugsperson zu schauen. In diesem Fall sind die Betroffenen dann nicht alleine. Denn gerade das ist es, was viele sind und dabei kann eine solche TV-Produktion Trost und vor allem Kraft schenken.
Trotz des grundlegend traurigen Themas macht die Serie Spaß zu schauen. Sie ist abwechslungsreich und auch die Spannung geht im Laufe der drei Staffeln nicht verloren. Die vielen Ebenen wie die Kassetten, die geisterhaften Auftritte von Hannah und der Wechsel zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem erwecken beim Zuschauer die Neugier und das Verlangen die Serie weiter zu schauen.

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