TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 3. Juli 2020

Élite - Die spanische Erfolgsserie als Kombination aus Gossip Girl und Thirteen Reasons Why

von Laura Käfer
Mit blutverschmierten Händen steht ein verstörter Jugendlicher in Schuluniform hinter einer Fassade aus Glas. Auf der anderen Seite: Blaulicht, Polizei und Sirenengeheul. Wie ein Genre-Thriller beginnt die spanische Serie „Élite“, für die der amerikanischen Bezahlstreamingdienst Netflix gerade die vierte Staffel bestellt hat.
Élite handelt vordergründig von dem Leben der Reichen und Schönen, dem Luxus und das glamouröses Leben in Madrid. An der Privatschule "Las Encinas" lernt die junge Elite Spaniens – aber dann stoßen drei neue Mitschüler*innen aus ärmlichen Verhältnissen dazu. Nach einem Erdbebenschaden an ihrer alten Schule erhielten diese drei Schüler*innen ein Stipendium und sind damit gezwungen auf die Eliteschule zu gehen. Ihren neuen Mitschüler*innen heißen die Neuen nicht gerade willkommen. Kurz nach ihrer Ankunft geschieht ein Mord an einer Mitschülerin, welche die alten und neuen Schüler*innen versuchen auf eigene Faust aufzuklären.
Der Kniff dabei: wie auch beim Vorbild Tote Mädchen Lügen nicht ist die Handlung von Rückblenden geprägt. In diesen erzählt die erste Staffel von Élite, wie es zu dem Mord an Marina kommen konnten, immer wieder unterbrochen durch Szenen aus dem Verhörzimmer, in dem die Hauptcharaktere nacheinander der Polizei Rede und Antwort stehen müssen. Die Jugendlichen beschuldigen dabei einander, wobei ein kompliziert zu durchschauendes Geflecht aus Wahrheit, Lügen, Schuld und Beziehungen untereinander entsteht.
Das Setting und die handelnden Akutere sind schnell klar. Die Themen auch: Privatschule, Armut und Reichtum, Intrigen und Drogen. Und auch Mord. Klingt doch nach einer Mischung aus Gossip Girl und Tote Mädchen Lügen nicht und somit Nachschub für die Zielgruppe von jungen, zumeist weiblichen Streamer*innen im Alter zwischen 14 und Ende 20 Jahren. Denn genau die gleiche explosive Mischung vereinigt auch die spanische Erfolgsserie Élite. Zu dem vermeintlich alltäglichen Wahnsinn an einer Schule kommen Drogen, Sex und Skandale hinzu.
Doch glücklicherweise gibt es abgesehen von dem vordergründigen Whodunit-Handlungsstrang aber auch viel Platz für Sozialkritik und Nebenschauplätze mit moralischen Fragestellungen: unter anderem werden Klassenkampf, Homosexualität und der Kampf gegen Vorurteile und Rassismus thematisiert.
Positiv hervorheben lässt sich zum Beispiel, dass Unterschiede zwischen Männer und Frauen bzw. Schüler*innen deutlich kleiner sind als in anderen Serien und so vielleicht sogar als feministisch gelten lassen kann. Zudem werden klassische storytelling-Klischees aus ähnlichen Serien umgangen, zum Beispiel indem ein betrunkenes Mädchen von ihrem Verehrer sicher nach Hause gebracht wird (in manchen Serienuniversen keine Selbstverständlichkeit); schwule sexuelle Handlungen sehr natürlich dargestellt werden; und dass ein positiver HIV-Test bei einer weißen, reichen und heterosexuellen Frau auftritt und nicht etwa bei einem schwulen Mann aus der Unterschicht.
Der Umgang mit der diversity der Charaktere wirft aber auch Fragen auf, der sich jede*r Zuschauer*in stellen muss. Die neue Stipendiatin Nadia wird aufgrund ihrer arabischen Herkunft diskriminiert und aufgefordert, ihr Kopftuch an der Schule abzulegen, was sie vor ihrer Familie geheim hält. Auch Samuel und Christian, die anderen zwei Stipendiaten, werden durch ihre soziale Herkunft bloßgestellt, da sie ihre Familie mit mehreren Jobs über Wasser halten müssen. Durch die Ankunft der drei neuen Mitschüler*innen werden die etablierten Schüler*innen mit einem Blick auf eine Welt jenseits ihres Glamour-Lebens konfrontiert, und müssen sich ebenso der Frage stellen, woher der Reichtum kommt. Zudem stellen sich die Schüler*innen, aber auch die geneigten Zuschauer*innen, im Laufe der Staffel die fundamentale Frage, ob man mit Geld Gerechtigkeit kaufen kann.
Der Serie sieht man die Netflix-Millionen an. Élite wurde zwar zunächst für den spanischen Markt produziert, der Konzern hat auch die internationale Vermarktung im Hinterkopf und sorgte schnell für Untertitel und Synchronisation. Genauso generisch und transnational selbst ist aber auch die Produktion für diesen Zweck geraten. Spanien oder Los Angeles? Egal, es werden alle Klischees über die internationale Instagram-Kids-Bubble bedient.
Teenager mit schönen Wangenknochen und perfekt sitzendem Make-up und Frisuren, durchtrainiert und optimiert von Kopf bis Fuß, die wahlweise so schauen, als wollten sie übereinander herfallen oder sich gegenseitig umbringen. Sie sind arrogant, hochnäsig, fies und herablassend. Junge Mädchen, die sich über die Lippen lecken und an ihren Haaren herumspielen. Männliche Schauspieler, die ihren perfekten nackten Oberkörper präsentieren. Das Szenenbild sieht genauso aus: Lustvoll gleitet die Kamera über protzige Villen mit den Poolpartys der Jugendlichen, bleibt an kühlen Fassaden hängen.
Der krasse Gegensatz dazu ist der Wohnblock in der ‚ärmeren Gegend‘, welcher überproportional aus dem Bild fällt und hier auch gnadenlos das Klischee ausgereizt wird: Wenn die Handelnden in ihren kleinen Wohnungen sitzen, werden die Hauptcharaktere ständig mit einer Zigarette oder einem Bier in der Hand gefilmt. Neben der Hochglanzwelt der spanischen Oberschicht taucht Elite in das vermeidlich tägliche Leben von Kleinkriminellen, Dealern, und Ex-Sträflingen ein, garniert mit einem Bruder-Zwist.
Diese Formel aus Krimi und Schulalltag ist nicht neu oder innovativ und die geübten Zuschauer*innen haben permanent das Gefühl, dass einem alle Plot Twists und Entdeckungen aus anderen Serien bekannt vorkommen – lädt also eher zum Mit-Raten denn Überraschen-Lassen ein. Obwohl es viele kleine Handlungsstränge gibt, die zu Beginn nicht ganz einfach zu überblicken sind, hängen sie dennoch alle zusammen. Denjenigen Zuschauer*innen, welche das Gerne der Jugendserien noch nicht ganz durchdrungen haben, bietet Elite sicherlich einige Überraschungsmomente. Der Spannungsbogen mit den Dramen und Intrigen überzeugt dennoch leider nicht bis ganz zum Ende der 8 Folgen der Auftaktstaffel, zu vorhersehbar sind die Wendungen.
Die Darstellung einer realistischen Lernumgebung und Familienlebens sieht anders aus, ist aber auch nicht das Ziel dieser gattungstypischen Serie. Wer ein genaues Bild des (Schul-)Alltags eines durchschnittlichen Jugendlichen interessiert ist, mit nahbaren Charakteren, echten Problemen und realistischen Plänen, der möge doch eher auf die gefeierte norwegische Serie SKAM und deren Länder-Adaptionen (in Deutschland DRUCK, bei ZDFneo) ausweichen.
Das Publikum lechzt ja nach originalen Stoffen, welche nicht Adaptionen von Büchern (Gossip Girl, 13 Reasons Why), Filmen (aktuell: Snowpiercer) oder Remakes und Sequels (Fuller House, Game of Thrones Spin-offs) sind. Élite wurde eigens für das Format einer Serie geschrieben. Ob dieser Stoff wirklich original ist und nicht vielmehr einen Zusammenschnitt von verschiedenen Erfolgsserien ist, das darf jede*r Zuschauer*in selbst entscheiden. Auch wenn es kein großer Wurf ist, als guilty pleasure taugt Élite aber auf alle Fälle.
Diese Kritik basiert auf der ersten Staffel der Serie. Alle 24 Folgen der ersten drei Staffeln sind auf Netflix verfügbar.

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