von Herbert Schwaab
Zwei nebeneinanderstehende
Häuschen in einer Wohnsiedlung irgendwo und überall in Deutschland. Sie werden
immer wieder frontal von vorne in einer Einstellung gezeigt, die Symmetrie
zwischen den Häusern betont und dadurch die unterschiedlichen Farben der Fassaden
und weitere Unterschiede umso stärker herausstellt. Diese Einstellungen sind
kunstvoll komponiert und gefilmt, sie bieten so etwas wie kleine
Unterbrechungen in dieser eleganten seriellen Produktion. In diesen Häusern
wohnen auf der von Zuschauerseite aus gesehenen linken Seite ein linkes
Ehepaar, Christoph Schneider, das Klischee eines sozialdemokratischen Lehrers,
den es wohl seit den 1980er Jahren nicht mehr so gibt, Eva Schneider, eine
Mitarbeiterin in einer Apotheke. Der Sohn David koexistiert mit ihnen in dem
Haus, spricht wenig mit ihnen und ist aus irgendeinem Grund sauer auf sie.
Leider ist die Serie mit vier Folgen wohl zu kurz, um ums jemals zu erläutern,
warum der Sohn so sauer ist. Auf der anderen, der von uns aus rechten Seite,
wohnt die andere Familie, der Installateur Frank Pielke, seine Frau Ulrike, die
für ihn die Buchhaltung macht. Der Sohn Marvin koexistiert auf eine ähnliche
Weise mit ihnen und ist auch sauer, aber hier wissen wir nicht mal genau auf
wen, außer dass er einen Konflikt mit den Mitschülern mit migrantischen Hintergrund
hat, dessen Ursache wir auch nicht kennen. Vier Folgen reichen wohl nicht, um
ums auch das zu erklären. Warum er mit David aus der Nachbarsfamilie so eng befreundet
ist, bleibt auch eher im dunkel, wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass sie
sich in ihrem schweigsamen, apathischen Verhalten und ihrem unbestimmten Sauer sein
auf die Eltern einfach sehr ähnlich sind. Die Familie tut selten etwas anderes
als im Garten zu grillen, und das begeistert David von nebenan auch sehr. In
dieser Serie ist es übrigens immer Sommer, und der macht sich gut im Design der
ruhigen Bilder. Und Papa Pielke ist, natürlich als kleiner Selbständiger, nicht
unbedingt links.
Auch wenn die Serie Deutscher, die im April 2020 auf neo und
im Juni im ZDF ausgestrahlt wurde, auf der audiovisuellen Ebene immer einen Zustand
der Ruhe und der Neutralität zu erzeugen versucht, durch die kunstvollen
Bildkompositionen, die immer wieder die Erzählfäden durchschneiden, oder durch
das fast völlige Fehlen von Musik, verdichten sich in den vier Folgen unzählige
Konflikte, die die beiden Familien, die eigentlich schon irgendwie befreundet
sind, zunehmend voneinander entfremden. Eva Schneider hat eine ungewollte
Schwangerschaft, die sie bis zum dritten Monat vor ihrer Familie verheimlicht. Frank
Pielke auf der rechten Seite wird von einem Geschäftsmann und Freund dazu
gedrängt, sich zu vergrößern und ein Ladenlokal zu kaufen, was die Ehefrau aber
ablehnt, weil sie sich schon einmal übernommen haben und dadurch in Schulden
geraten sind. David Schneiders Freundin Cansu hat einen türkischen
Migrationshintergrund, Marvin scheint eifersüchtig zu sein oder aus anderen
Gründen die Beziehung nicht gutzuheißen. Was genau passiert ist, wird man aus diesen
verschlossenen Teenagermündern nie richtig rausfinden. Eva Schneider ist nicht
nur ungewollt schwanger, sondern wird auch noch verprügelt, als ihr Kollege
Ather aus der Apotheke mit dem Auto einen kleinen Auffahrunfall baut und sich
dafür dummerweise das Auto von blöd grinsenden und gewaltsuchenden, ausländerfeindlichen
Jugendlichen ausgesucht hat. Der Kollege wird schwer verletzt und während seiner
Abwesenheit von der Arbeit von der opportunistischen Chefin gefeiert, worauf
auch Eva Schneider aus Solidarität kündigt. Die Suche nach den Tätern, das Trauma der Gewaltattacke
und der Verdacht, dass einer der Täter aus dem Bekanntenkreis der grillenden
Nachbarn stammt, überschatten die Ereignisse. Auf den Döner-Laden von Cansus
Vater wird ein Brandanschlag verübt und Cansus Verdacht, dass Marvin etwas damit
zu tun hat, vergiftet auch ihre Beziehung zu David und die Beziehung von David
und Marvin. Noch dramatischer wird es, als sie verschwindet und mutmaßlich von
Olaf, einem rechten Jugendlichen, der bei Frank eine Lehre macht, enführt wird.
Olaf ist der Sohn des Mannes, der Franks
Expansionspläne unterstützt und dem er sich verpflichtet fühlt, obwohl Olaf ein
lausiger Lehrling ist. Christoph Schneider streitet sich mit seinen Lehrerkollegen
über die politischen Veränderungen und gerät mit rechten, aber vor
allem mit opportunistischen Kollegen in Streit.
Die Serie hat alles, was es für die melodramatische
Verdichtung braucht: Eine romantische Geschichte mit einem Paar aus unterschiedlichen
Welten, Misstrauen, Geheimnisse, Loyalitätskonflikte, Entfremdungen, Gewaltattacken,
Brandanschläge, Entführungen, kriminalistische Investigationen, eine Racheattacke
mit der Gartenschere, Schwangerschaft, Frauenfreundschaft und Männerfreundschaft,
die auf die Proben gestellt werden und schließlich noch ein Unfall, der immer 4
Minuten vor Ende einer solchen Serie kommen muss. Es ist eine angespannte Atmosphäre und die
Menschen haben selten gute Laune in dieser hochdramatischen Serie. Gleichzeitig
wirken die Menschen aber auch sehr apathisch, wird sehr ruhig erzählt, werden
zwischen den beiden Freunden nur sehr wenige Worte gewechselt, scheinen sich
die Jugendlichen überhaupt für nichts oder wenig zu interessieren. Es ist
offensichtlich das Konzept der Serie, trotz dieser Dramatik unaufgeregt bleiben
zu wollen. Sie versucht wohl damit, einen Gestus der neutralen Beobachtung
aufrecht zu erhalten. Aber hier stimmt was nicht: so neutral und träge und
elegant und hochästhetisch die Inszenierung ist, so melodramatisch und
figurenbezogen ist dann doch das Drama, das sich hier entfaltet. Die
Zuschauenden pendeln zwischen der kühlen Brillanz und den hochemotionalen
Inhalt und vielleicht ist das ein Grund, warum am Ende einem die meisten
Figuren dann doch irgendwie scheißegal sind. Wirklich sympathisch ist hier
niemand und Identifikation hat auch schon mal besser geklappt.
Wenigsten ein Aspekt der
Inszenierung steht mit dem in Verbindung, was in Deutscher eigentlich erzählt werden soll, wofür die Serie gemacht wurde und was ich bisher, aus Enttäuschung darüber, dass es eine so kleine Rolle
gespielt hat, verschwiegen habe. Die Apathie, das Desinteresse, der Mangel an
guter Kommunikation sind ein Grund dafür, warum im Deutschland von Deutscher eine rechtspopulistische Regierung
an die Macht gekommen ist. Die Serie versucht deutlich zu machen, was mit uns
passiert, wenn wir es zulassen, dass die AfD oder eine ähnliche Partei Deutschland
regiert. Das führt nicht nur zu dem Anschlag auf den Dönerladen und der
Prügelattacke auf Evas Kollegen, sondern auch zu alltäglichen Anfeindungen der muslimischen
Mitschüler und schließlich auch zu der Durchführung der Segregation in der
Schule, zur Zerstörung der Beziehung von David und Marvin, zu den Konflikten
des Lehrers mit dem mangelnden Engagement seiner Kollegen gegen die
schleichenden Veränderungen und dem Konflikt von Eva mit ihrer Chefin, die
einen Mitarbeiter loswerden will, den sie querulantisch findet, weil er sich
gegen ausländerfeindliche Sprüche von Kunden wehrt. An der Machtergreifung
entzündet sich auch ein schwelender Konflikt zwischen den beiden
nebeneinanderher lebenden Familien. Frank Pielke ist begeistert von den
Veränderungen, die er erwartet, aber fremdenfeindlich ist er nicht wirklich.
Ehepaar Schneider ist, zu Recht wie sich herausstellt, nur entsetzt und
bekommen auch langsam und sicher immer mehr Probleme deswegen. Der Serie gelingt
es durchaus, die schleichende Entfremdung und die wachsende Angst etwa durch Schüler
und Schülerinnen, die ermutigt durch den Politikwechsel es den ‚anderen‘ mal
endlich zeigen können, darzustellen. Der dramatische Kern ist die Darstellung
des wachsenden Misstrauens zwischen den Nachbarn, aber es ist kein eindeutiger
Konflikt, der sich auf links und rechts reduzieren lässt, so schön das bei den nebeneinanderstehenden
Häusern dargestellt werden könnte. Es gibt
tatsächlich eine große Ambivalenz und gar nicht klar gezogenen Trennlinien. So
ist Ulrike Pielke, von der großartigen Milena Dreißig verkörpert, der einzige wirklich gelungene Charakter in
dieser Serie, weil sie zwar die neue Regierung nicht komplett ablehnt, aber sich
auch nicht moralisch korrumpieren lassen und andere Menschen ausgrenzen will
und sie zwischen Nähe und Distanz zu den Nachbarn pendelt. Dass es Ambivalenz
gibt, wenn politische Verhältnisse sich mit persönlichen mischen, kann die Serie
sehr gut darstellen. Aber die Figuren bleiben Typen, mit meist nur einer
behaupteten Tiefe. Dass sie so wenig miteinander sprechen, hat auch damit zu
tun, dass sie eigentlich von der Serie konstruierte Automaten sind, die uns kalt
lassen.
Das Problem ist eins, unter dem
viele Serien leiden. So neutral, beobachtend, elegant und kalt die Serie von
der Inszenierung her auch sein mag – am Ende geht es nur um persönliche
Konflikte. Eine Analyse rechter Politik und ihrer Effekte bleibt vor allem
deswegen aus, weil die neuen Strukturen nur punktuell beleuchtet werden, weil
das Personal dieser Serie dann doch vielleicht zu klein ist, um diese Verhältnisse
wirklich untersuchen zu können. Die Serie verzettelt sich und kann dann doch
nicht en detail zeigen, was sie eigentlich zeigen wollte. Es bleibt dunkel, was
das für eine rechte Partei ist, die über diese Kleinstadtwelt als pars pro toto
für Deutschland herrscht, es bleibt auch dunkel, warum sie gewinnen konnte. Der
einzige Grund, den die Serie nennt, ist das desinteressierte und apathische
Verhalten der Jugendlichen: David bekommt noch nicht einmal mit, dass Wahlen
waren. Die Serie hat gute Ansätze, sie hat viel investiert (vor allem in die
audiovisuelle Gestaltung – die Serie sieht sehr schick und smart aus). Sie hat sich
sicher auch etwas dabei gedacht, alles so kühl zu gestalten und doch tausend
Konflikte in die vier Stunden Serienlaufzeit zu packen. Aber am Ende hat sie
sich zu sehr auf melodramatische, unsinnige und unglaubliche Verdichtungen
konzentriert, die dann auch noch ein einen unnötigen Unfall münden und die
nichts über rechte Politik sagen, nur darüber, dass Unfälle immer Gräben
überbrücken.
Tatsächlich kann die Kopplung von
Melodrama, Soap Opera und Politik auch sehr gut funktionieren. Weissensee
ist so ein Beispiel, eine Serie mit einem unglaublich dichten Netzwerk von
familiären, melodramatischen Verwicklungen, die aber trotzdem etwas zur
Geschichte der DDR und wie die Menschen sich gefühlt haben zu erzählen hat und
unheimlich Spaß macht, auch weil drauf verzichtet wird, inszenatorisch einen
Kontrapunkt zu dieser Verdichtung zu setzen und die Serie eher aus einem Guss
ist und trotzdem smart erscheint. Bei Deutscher
hat das leider nicht so gut funktioniert, weil sie beides will: eine neutrale
Analyse und eine emotionale Bindung, die ich aber nicht mit den Figuren
eingehen wollte, weil sie, ob rechst oder links, dann einfach zu unsympathisch
und zu leer waren.
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