TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Deutscher - Eine ZDFneo-Serie zeigt das neue Deutschland

von Herbert Schwaab
Zwei nebeneinanderstehende Häuschen in einer Wohnsiedlung irgendwo und überall in Deutschland. Sie werden immer wieder frontal von vorne in einer Einstellung gezeigt, die Symmetrie zwischen den Häusern betont und dadurch die unterschiedlichen Farben der Fassaden und weitere Unterschiede umso stärker herausstellt. Diese Einstellungen sind kunstvoll komponiert und gefilmt, sie bieten so etwas wie kleine Unterbrechungen in dieser eleganten seriellen Produktion. In diesen Häusern wohnen auf der von Zuschauerseite aus gesehenen linken Seite ein linkes Ehepaar, Christoph Schneider, das Klischee eines sozialdemokratischen Lehrers, den es wohl seit den 1980er Jahren nicht mehr so gibt, Eva Schneider, eine Mitarbeiterin in einer Apotheke. Der Sohn David koexistiert mit ihnen in dem Haus, spricht wenig mit ihnen und ist aus irgendeinem Grund sauer auf sie. Leider ist die Serie mit vier Folgen wohl zu kurz, um ums jemals zu erläutern, warum der Sohn so sauer ist. Auf der anderen, der von uns aus rechten Seite, wohnt die andere Familie, der Installateur Frank Pielke, seine Frau Ulrike, die für ihn die Buchhaltung macht. Der Sohn Marvin koexistiert auf eine ähnliche Weise mit ihnen und ist auch sauer, aber hier wissen wir nicht mal genau auf wen, außer dass er einen Konflikt mit den Mitschülern mit migrantischen Hintergrund hat, dessen Ursache wir auch nicht kennen. Vier Folgen reichen wohl nicht, um ums auch das zu erklären. Warum er mit David aus der Nachbarsfamilie so eng befreundet ist, bleibt auch eher im dunkel, wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass sie sich in ihrem schweigsamen, apathischen Verhalten und ihrem unbestimmten Sauer sein auf die Eltern einfach sehr ähnlich sind. Die Familie tut selten etwas anderes als im Garten zu grillen, und das begeistert David von nebenan auch sehr. In dieser Serie ist es übrigens immer Sommer, und der macht sich gut im Design der ruhigen Bilder. Und Papa Pielke ist, natürlich als kleiner Selbständiger, nicht unbedingt links.
Auch wenn die Serie Deutscher, die im April 2020 auf neo und im Juni im ZDF ausgestrahlt wurde, auf der audiovisuellen Ebene immer einen Zustand der Ruhe und der Neutralität zu erzeugen versucht, durch die kunstvollen Bildkompositionen, die immer wieder die Erzählfäden durchschneiden, oder durch das fast völlige Fehlen von Musik, verdichten sich in den vier Folgen unzählige Konflikte, die die beiden Familien, die eigentlich schon irgendwie befreundet sind, zunehmend voneinander entfremden. Eva Schneider hat eine ungewollte Schwangerschaft, die sie bis zum dritten Monat vor ihrer Familie verheimlicht. Frank Pielke auf der rechten Seite wird von einem Geschäftsmann und Freund dazu gedrängt, sich zu vergrößern und ein Ladenlokal zu kaufen, was die Ehefrau aber ablehnt, weil sie sich schon einmal übernommen haben und dadurch in Schulden geraten sind. David Schneiders Freundin Cansu hat einen türkischen Migrationshintergrund, Marvin scheint eifersüchtig zu sein oder aus anderen Gründen die Beziehung nicht gutzuheißen. Was genau passiert ist, wird man aus diesen verschlossenen Teenagermündern nie richtig rausfinden. Eva Schneider ist nicht nur ungewollt schwanger, sondern wird auch noch verprügelt, als ihr Kollege Ather aus der Apotheke mit dem Auto einen kleinen Auffahrunfall baut und sich dafür dummerweise das Auto von blöd grinsenden und gewaltsuchenden, ausländerfeindlichen Jugendlichen ausgesucht hat. Der Kollege wird schwer verletzt und während seiner Abwesenheit von der Arbeit von der opportunistischen Chefin gefeiert, worauf auch Eva Schneider aus Solidarität kündigt. Die Suche nach den Tätern, das Trauma der Gewaltattacke und der Verdacht, dass einer der Täter aus dem Bekanntenkreis der grillenden Nachbarn stammt, überschatten die Ereignisse. Auf den Döner-Laden von Cansus Vater wird ein Brandanschlag verübt und Cansus Verdacht, dass Marvin etwas damit zu tun hat, vergiftet auch ihre Beziehung zu David und die Beziehung von David und Marvin. Noch dramatischer wird es, als sie verschwindet und mutmaßlich von Olaf, einem rechten Jugendlichen, der bei Frank eine Lehre macht, enführt wird. Olaf ist der Sohn des Mannes, der Franks Expansionspläne unterstützt und dem er sich verpflichtet fühlt, obwohl Olaf ein lausiger Lehrling ist. Christoph Schneider streitet sich mit seinen Lehrerkollegen über die politischen Veränderungen und gerät mit rechten, aber vor allem mit opportunistischen Kollegen in Streit. 
Die Serie hat alles, was es für die melodramatische Verdichtung braucht: Eine romantische Geschichte mit einem Paar aus unterschiedlichen Welten, Misstrauen, Geheimnisse, Loyalitätskonflikte, Entfremdungen, Gewaltattacken, Brandanschläge, Entführungen, kriminalistische Investigationen, eine Racheattacke mit der Gartenschere, Schwangerschaft, Frauenfreundschaft und Männerfreundschaft, die auf die Proben gestellt werden und schließlich noch ein Unfall, der immer 4 Minuten vor Ende einer solchen Serie kommen muss. Es ist eine angespannte Atmosphäre und die Menschen haben selten gute Laune in dieser hochdramatischen Serie. Gleichzeitig wirken die Menschen aber auch sehr apathisch, wird sehr ruhig erzählt, werden zwischen den beiden Freunden nur sehr wenige Worte gewechselt, scheinen sich die Jugendlichen überhaupt für nichts oder wenig zu interessieren. Es ist offensichtlich das Konzept der Serie, trotz dieser Dramatik unaufgeregt bleiben zu wollen. Sie versucht wohl damit, einen Gestus der neutralen Beobachtung aufrecht zu erhalten. Aber hier stimmt was nicht: so neutral und träge und elegant und hochästhetisch die Inszenierung ist, so melodramatisch und figurenbezogen ist dann doch das Drama, das sich hier entfaltet. Die Zuschauenden pendeln zwischen der kühlen Brillanz und den hochemotionalen Inhalt und vielleicht ist das ein Grund, warum am Ende einem die meisten Figuren dann doch irgendwie scheißegal sind. Wirklich sympathisch ist hier niemand und Identifikation hat auch schon mal besser geklappt.
Wenigsten ein Aspekt der Inszenierung steht mit dem in Verbindung, was in Deutscher eigentlich erzählt werden soll, wofür die Serie gemacht wurde und was ich bisher, aus Enttäuschung darüber, dass es eine so kleine Rolle gespielt hat, verschwiegen habe. Die Apathie, das Desinteresse, der Mangel an guter Kommunikation sind ein Grund dafür, warum im Deutschland von Deutscher eine rechtspopulistische Regierung an die Macht gekommen ist. Die Serie versucht deutlich zu machen, was mit uns passiert, wenn wir es zulassen, dass die AfD oder eine ähnliche Partei Deutschland regiert. Das führt nicht nur zu dem Anschlag auf den Dönerladen und der Prügelattacke auf Evas Kollegen, sondern auch zu alltäglichen Anfeindungen der muslimischen Mitschüler und schließlich auch zu der Durchführung der Segregation in der Schule, zur Zerstörung der Beziehung von David und Marvin, zu den Konflikten des Lehrers mit dem mangelnden Engagement seiner Kollegen gegen die schleichenden Veränderungen und dem Konflikt von Eva mit ihrer Chefin, die einen Mitarbeiter loswerden will, den sie querulantisch findet, weil er sich gegen ausländerfeindliche Sprüche von Kunden wehrt. An der Machtergreifung entzündet sich auch ein schwelender Konflikt zwischen den beiden nebeneinanderher lebenden Familien. Frank Pielke ist begeistert von den Veränderungen, die er erwartet, aber fremdenfeindlich ist er nicht wirklich. Ehepaar Schneider ist, zu Recht wie sich herausstellt, nur entsetzt und bekommen auch langsam und sicher immer mehr Probleme deswegen. Der Serie gelingt es durchaus, die schleichende Entfremdung und die wachsende Angst etwa durch Schüler und Schülerinnen, die ermutigt durch den Politikwechsel es den ‚anderen‘ mal endlich zeigen können, darzustellen. Der dramatische Kern ist die Darstellung des wachsenden Misstrauens zwischen den Nachbarn, aber es ist kein eindeutiger Konflikt, der sich auf links und rechts reduzieren lässt, so schön das bei den nebeneinanderstehenden Häusern dargestellt werden könnte. Es gibt tatsächlich eine große Ambivalenz und gar nicht klar gezogenen Trennlinien. So ist Ulrike Pielke, von der großartigen Milena Dreißig verkörpert, der einzige wirklich gelungene Charakter in dieser Serie, weil sie zwar die neue Regierung nicht komplett ablehnt, aber sich auch nicht moralisch korrumpieren lassen und andere Menschen ausgrenzen will und sie zwischen Nähe und Distanz zu den Nachbarn pendelt. Dass es Ambivalenz gibt, wenn politische Verhältnisse sich mit persönlichen mischen, kann die Serie sehr gut darstellen. Aber die Figuren bleiben Typen, mit meist nur einer behaupteten Tiefe. Dass sie so wenig miteinander sprechen, hat auch damit zu tun, dass sie eigentlich von der Serie konstruierte Automaten sind, die uns kalt lassen.
Das Problem ist eins, unter dem viele Serien leiden. So neutral, beobachtend, elegant und kalt die Serie von der Inszenierung her auch sein mag – am Ende geht es nur um persönliche Konflikte. Eine Analyse rechter Politik und ihrer Effekte bleibt vor allem deswegen aus, weil die neuen Strukturen nur punktuell beleuchtet werden, weil das Personal dieser Serie dann doch vielleicht zu klein ist, um diese Verhältnisse wirklich untersuchen zu können. Die Serie verzettelt sich und kann dann doch nicht en detail zeigen, was sie eigentlich zeigen wollte. Es bleibt dunkel, was das für eine rechte Partei ist, die über diese Kleinstadtwelt als pars pro toto für Deutschland herrscht, es bleibt auch dunkel, warum sie gewinnen konnte. Der einzige Grund, den die Serie nennt, ist das desinteressierte und apathische Verhalten der Jugendlichen: David bekommt noch nicht einmal mit, dass Wahlen waren. Die Serie hat gute Ansätze, sie hat viel investiert (vor allem in die audiovisuelle Gestaltung – die Serie sieht sehr schick und smart aus). Sie hat sich sicher auch etwas dabei gedacht, alles so kühl zu gestalten und doch tausend Konflikte in die vier Stunden Serienlaufzeit zu packen. Aber am Ende hat sie sich zu sehr auf melodramatische, unsinnige und unglaubliche Verdichtungen konzentriert, die dann auch noch ein einen unnötigen Unfall münden und die nichts über rechte Politik sagen, nur darüber, dass Unfälle immer Gräben überbrücken.
Tatsächlich kann die Kopplung von Melodrama, Soap Opera und Politik auch sehr gut funktionieren. Weissensee ist so ein Beispiel, eine Serie mit einem unglaublich dichten Netzwerk von familiären, melodramatischen Verwicklungen, die aber trotzdem etwas zur Geschichte der DDR und wie die Menschen sich gefühlt haben zu erzählen hat und unheimlich Spaß macht, auch weil drauf verzichtet wird, inszenatorisch einen Kontrapunkt zu dieser Verdichtung zu setzen und die Serie eher aus einem Guss ist und trotzdem smart erscheint. Bei Deutscher hat das leider nicht so gut funktioniert, weil sie beides will: eine neutrale Analyse und eine emotionale Bindung, die ich aber nicht mit den Figuren eingehen wollte, weil sie, ob rechst oder links, dann einfach zu unsympathisch und zu leer waren.

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