TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 3. März 2020

FANTASTISCH ODER FANTASIELOS? Die Übernahme unserer lieb gewonnenen Makler-Fernsehserien durch den Streaming-Dienst Netflix. DIE AUSSERGEWÖHNLICHSTEN HÄUSER DER WELT - Eine Netflix Original Serie

von Talena Burger 

Wenn zu Beginn der ersten Folge die Kamera von einer Luftbildaufnahme zu einem auf der Landstraße fahrendem Auto schwenkt, könnte man auch meinen, man hat aus Versehen eine französische Romantikkomödie angeklickt. Doch falsch gedacht, hier dreht es sich nämlich weder um Romantik, noch um Liebesduselei, hier geht es um klare Linien, atemberaubende Natur, Zahlen und Details. Kurz gesagt: hier geht es um Architektur.
Krausig blondes Haar, immer mit zur Folge passendem Outfit und mit einer Vorliebe für Überschwänglichkeit, das ist Caroline Quentin. An ihrer Seite Piers Taylor, der ihren ausgleichenden Ruhepol bildet - funktional gekleidet, schlank und hochgewachsen, sowie mit lichtem Haar wirkt er sehr bedacht und professionell. Die beiden arbeiten das erste Mal zusammen, harmonieren aber sehr gut. Gekonnt führen sie den Zuschauer um den Globus zu den außergewöhnlichsten Häusern der Welt, wie auch der Titel schon verrät.
Generell sind die Folgen alle ähnlich aufgebaut: nach einem Netflix-typischem Intro tritt man visuell und in Gedanken durch drei bis vier Haustüren während der 45-minütigen Folgen. Die geschickte Strukturierung spricht dabei absolut für die Serie. Während die erste Staffel in die Themenbereiche Berge, Wald, Küste und Untergrund aufgeteilt ist, widmet sich die zweite Staffel einzelner Länder der ganzen Welt. Die Serie wird dadurch nicht nur übersichtlich, es wird dadurch auch schon vor Beginn Spannung aufgebaut und Neugierde geweckt.
Was man der Serie auf jeden Fall nicht absprechen kann, ist, dass sie neben außergewöhnlichen Häusern definitiv die außergewöhnlichsten Landschaften der Welt präsentiert. Wir werden eingeladen das Moderatoren-Gespann Quentin und Taylor nach Spanien und Portugal zu begleiten, bis nach Übersee, Israel oder Japan. Dies lässt uns nicht nur von den Luxusvillen träumen, sondern auch in andere Welten eintauchen, abdriften, staunen und den Kopf schütteln. Phänomenal!!
Gehen also die Türen auf, geht man zunächst einmal auf Entdeckungstour durch das Haus. Neben einer faktischen Beschreibung des Baus, der Materialien und einzelner innenarchitektonischer Elemente, lernt man die stolzen Eigentümer kennen. Meist sehr charmant erzählen diese vor allem von ihrer Motivation ein solch außergewöhnliches Haus zu bauen und von ihren Lieblingsplätzen im Haus. An dieser Stelle ist schön, dass die sonst wenig emotionale Thematik ein Gesicht bekommt und sehr persönlich, teilweise sogar berührend wird.
Zusammen mit dem BBC arbeitet Netflix also die so grundlegende, allgegenwärtige Thematik, nämlich die des Wohnens, auf. „Die außergewöhnlichsten Häuser der Welt“ ist dabei jedoch kein gänzlich neues Format. Immobilien - Fans dürfte die Serie „Mieten - Kaufen - Wohnen“ noch allzu bekannt sein, immerhin erlangte sie zu Spitzenquoten-Zeiten knapp zwei Millionen Zuschauer. Außerdem beachtlich: ganze acht Jahre lang jagte eine Reihe von Immobilienmaklern durch das Vorabendprogramm auf der Suche nach den besten Schnäppchen.
Versucht Netflix also durch ein Comeback der guten alten Maklerserie eingefleischte Häuser-Begeisterte wieder in den Bann zu ziehen und in die Welt des Streaming - TVs zu locken, oder steckt doch mehr dahinter? Reed Hastings, Chef des Film- und Serien - Streemingdienstes Netflix, prophezeit den Untergang des Fernsehens: „In einigen Jahren werden wir auf das Fernsehen zurückblicken wie heute auf das Faxgerät.“ [1] Er begründet dies mit dem zunehmenden Wunsch der Flexibilität innerhalb der Gesellschaft und den festen Ausstrahlzeiten des linearen TV-Programms. Möglicherweise begründet sich darin auch die Übernahme herkömmlicher TV-Formate in das online Format, denn dadurch werden diese jederzeit zugänglich gemacht.
Doch mit einem Umbruch kommt immer auch die Frage der Selbstverortung, des Selbstverständnisses und der Berechtigung eines Mediums. Wie das Rieplsche Theorem der Kommunikationsgeschichte besagt, verdrängt kein Medium ein anderes. [2] Kommunikative Funktionen werden neu geordnet und verordnet, das alte Medium bleibt, muss jedoch neu definiert werden.
Der wesentlichste Unterschied zur TV - Tradition ist wohl, dass die Häuser in der 2019 erschienenen Netflix- Serie schon in Händen glücklicher Besitzer sind - keine übereifrigen Makler also. Oder doch?! Wenn man ehrlich ist, riesengroß ist der Unterschied zwischen werbendem Makler und Caroline Quentin nicht. Diese steht gänzlich überwältigt und überrascht das erste Mal in den außergewöhnlichen Häusern. Da kann es schon mal vorkommen, dass drei Häuser in Folge als „definitiv das schönste Haus der Welt“ in den Himmel hoch gelobt werden. Die Preise der Häuser werden dann aber doch geheim gehalten, nicht dass noch jemand auf die Idee kommt eine Kaufanfrage zu stellen. Leider merkt man nichts davon, dass Quentin, die in der Serie als Moderatorin fungiert, einmal den „Best Comedy Actress“ - Award gewonnen hat. In „Die außergewöhnlichsten Häuser der Welt“ ist sie leider wenig lustig und kommt mit flachen Floskeln daher. „Ahhh und erst die Aussicht, schaut euch die Aussicht an!“ Quentin schaukelt sich in ihren Lobpreisungen leider völlig umsonst hoch. Es wäre wünschenswert, nicht alle 10 bis 15 Minuten dieselbe Floskel zu einem neuen Haus zu hören.
Um fair zu bleiben, muss an dieser Stelle Piers Taylor genannt werden. Er brilliert oft mit Fachwissen und bewahrt die Serie in der ein oder anderen Situation davor, in die Unprofessionalität abzudriften. Danke dafür! Man merkt, dass der seriös, aber sympathisch wirkende Moderator aus der Branche kommt. Nach einem Studium an der Cambridge University gründet und leitet er ein renommiertes Architektenprogramm. Immer wieder schafft er es somit seine überschwängliche Kollegin auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen, um gekonnt die Bauweise der Häuser zu beschreiben oder Skizzen anzufertigen. Diese sind nicht nur schön anzusehen, sondern tragen auch zur Orientierung des Zuschauers bei. Nochmals ein herzliches Dankeschön Piers!
Die Serie ist alles in allem nicht nur was für Häuserfreaks, auch Landschaftsfans, Designliebhaber, Weltenbummler, Innenarchitekten oder auch die, die während des Wohnungsputzes einfach nur etwas Hintergrundunterhaltung suchen, kommen auf ihre Kosten! Warum kann also neu-aufgemacht statt neu-gedacht nicht auch einfach mal gut sein? Oder wie es Caroline Quentin ausdrücken würde: „Phänomenal! ÜBERWÄLTIGEND!“ Wir warten also gespannt auf eine dritte Staffel! Und wenn Carolins quäkende Stimme uns doch mal zu viel wird, schalten wir zwischendrin einfach für ein paar Minuten auf stumm, denn allein die Szenerien sind es Wert Beachtung geschenkt zu bekommen.



[1] Heuzeroth, Thomas: Fernsehen erleidet dasselbe Schicksal wie das Fax. Auf: WELT.de, Veröffentlicht am: 15.05.2015.
[2] Riepl, Wolfgang: Das Nachrichtenwesen des Altertums. Mit besonderer Rücksicht auf die Römer. Leipzig 1913.

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