TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 3. März 2020

Enthüllung von Familiengeheimnissen… (Die FIFA-Story)

von Johanna Brandl

…oder: Die große FIFA-Story (auch Planet FIFA vom französischen Originaltitel La Planète FIFA). Regisseur Jean-Louis Perez versucht mit seiner Dokumentation aus dem Jahr 2016, die von arte und netflix erstausgestrahlt wurde, Klarheit über die Machenschaften des umstrittenen Weltfußballverbands zu schaffen.
Die Doku beginnt mit einem einschneidenden Ereignis: Am 27. Mai 2015 werden sechs FIFA-Funktionäre in Zürich durch das FBI festgenommen. Der Grund: ihnen wird Korruption im Zusammenhang mit der Vergabe von Austragungsorten der Weltmeisterschaften – darunter auch die WM 2006 in Deutschland - sowie bei der Wahl von Funktionären vorgeworfen. Diese Festnahme ist die erste in der langen Geschichte der FIFA. Eigentlich ein Wunder.
Denn nach der kurzen Sequenz mit aktuellen Inhalten wird nun ausführlich die Historie der FIFA, ausgeschrieben Fédération Internationale de Football Association, nacherzählt. In über 100 Jahren - seit der Gründung im Mai 1904 - ist viel passiert. Und schnell wird klar: Korruption gehört zur FIFA wie Lionel Messi zum FC Barcelona. Mit dem Niederlegen des Amtes als FIFA-Präsident von Jules Rimet, der als (Mit-)Begründer der Fußballweltmeisterschaft gilt, gehen im Jahre 1954 auch jegliche Werte wie Gerechtigkeit und Einheit verloren, für die die FIFA ursprünglich stehen sollte und wollte.
Mit Sir Stanley Rous, der von 1961 bis 1974 als sechster Präsident  des Weltfußballverbands amtierte, werden die ersten Aktivitäten zur Generierung von Wählerstimmen klar: denn jedes Land verfügt über eine Stimme, die gerade auf dem afrikanischen Kontinent leicht erkauft werden kann. Auch der Sportartikelhersteller Adidas – verkörpert durch den Sohn des Gründers Adolf Dassler, Horst Dassler – rückt in kein gutes Licht.
Danach wird der – zunächst Widersacher und dann Nachfolger – João Havelange porträtiert, der sage und schreibe 24 Jahre im Amt war. Ein richtiger Familienvater also. Er hat die FIFA zu dem gemacht, was sie heute ist: eine Mafia. Und dies wird in der Dokumentation zum Glück auch deutlich. Unterstützt werden die Thesen durch glaubwürdige „Zeugen“: hauptsächlich ehemalige FIFA-Mitarbeiter, Anwälte, Politiker, Journalisten und viele mehr. So viele, dass zum einen deutlich wird, wie viele in die Geschäfte involviert waren. Zum anderen verliert man schnell den Überblick und ist überfordert, die Menschen zu- und einzuordnen. Besser und prägnanter wären weniger, aber dafür wiederkehrende Sprecher.
Im Jahr 1975 angekommen, tritt endlich einer der bekanntesten Fußballfunktionäre auf: der Schweizer Joseph „Sepp“ Blatter. Auch in das Dunkel seiner Person wird viel Licht gebracht. Mit dem Aufstieg des ehemaligen französischen Fußballprofis Michel Platini zum persönlichen Berater Blatters im Jahre 1999 bis 2002 sind wir nach 47 Minuten dann endlich im 21. Jahrhundert angelangt. Somit stellt die Hälfte der Dokumentation einen historischen Rückblick von „vor 1900 irgendwas“ dar. Langeweile vorprogrammiert, zumal bisher wenig große Überraschungen präsentiert wurden, sondern mit ein wenig Vorwissen bereits vorhandene Erkenntnisse wiedergegeben werden.
2002: Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen begeht Hochverrat, indem er auf einer Pressekonferenz öffentlich Familiengeheimnisse ausplaudert und Anschuldigungen in Richtung Präsident Sepp Blatter formuliert. Dennoch wird Blatter wiedergewählt und Zen-Ruffinen muss gehen: dies zeugt wieder einmal von den funktionierenden Mechanismen innerhalb der FIFA. Von Fair Play kann hier nicht die Rede sein. Eine Klage vor einem Schweizer Gericht wird nie bearbeitet, das Verfahren eingestellt.
Für weitere Diskussionen sorgte die Vergabe der WM 2010 nach Afrika, 2014 nach Brasilien sowie 2022 nach Katar: spätestens jetzt sollte jedem klar geworden sein, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Denn zum einen muss das Turnier aufgrund der extrem hohen Temperaturen in die Wintermonate November und Dezember verlegt werden und kann nicht wie gewohnt in den Monaten Juni und Juli stattfinden. Außerdem ist eine Fußballtradition in Katar quasi nicht existent und auch die Menschenrechte werden im arabischen Emirat Katar nicht so ernst genommen…
Die Dokumentation ist durchaus sehr informativ, der unterhaltsame Charakter bleibt aber vollends auf der Strecke. Die kurzen Sequenzen, in denen man fußballspielende Kinder oder Männer (ein Mal sogar Frauen, wow!) sieht, wirken wahllos eingefügt. Leider stellt die Dokumentation hauptsächlich einen historischen Rückblick dar, in dem wenig überraschende Enthüllungen präsentiert werden können. Offensichtliche Sachverhalte werden zum Teil behandelt wie die Entdeckung Amerikas. Ein einziges offizielles Dokument, auf dem illegaler Geldverkehr ersichtlich ist, wird gezeigt. Dennoch halte ich diese Dokumentation für sehr wichtig, denn der beliebteste Sport unserer Gesellschaft darf nicht noch mehr durch eine solche Organisation kaputt gemacht werden und es muss zu einer Veränderung kommen. Denn auch der neue FIFA-Präsident Infantini ist momentan dabei, die alten Strukturen aufrechtzuerhalten, statt sie aufzubrechen. Muss in der Familie liegen…

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