TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 1. September 2010

Cougar Town

von Christine Resch

Vor ein paar Wochen versprach mir Sat1 meinen Sonntagabend nun „sexy“ und „verzweifelt“ gestalten zu können. Pinker Schriftzug, Katy Perrys Gute-Laune-Song „California Girls“ und Courteney Cox sollen dazu verlocken, mich mit Sex, Problemen mit dem Älter werden und ganz viel Comedy im Fernsehen zu vergnügen. Das Einzige was mir jedoch in den Kopf kommt ist, dass ich sicherlich nicht schon wieder mit großen Erwartungen auf eine pseudo moderne Sitcom reinfallen werde, nur weil eine Starbesetzung das Ganze besser machen soll. Lachend frage ich mich, wer das wohl ansehen wird. Ein paar Wochen und Empfehlungen später halte ich die erste Staffel auf DVD, welche am 15. August 2010 in den USA erschienen ist, in den Händen und die Antwort auf meine Frage lautet: Ich! Und zwar überaus gerne! In Zeiten von Ashton Kutcher und Demi Moore gelangt immer mehr Augenmerk auf die sogenannten „Cougars“, umgangssprachlich für Frauen in einer Beziehung zu einem wesentlich jüngeren Mann. Die Tendenz zum „Boy Toy“ hat sich dank Samantha Jones in Sex and the City seither weiter entwickelt: Madonna und Jesus und Elle Macpherson und Vito Schnabel sind nur zwei der prominenten Beispiele. Höchste Zeit also das Thema, welches bereits in Accidentally on Purpose aufgegriffen wurde, weiter im Fernsehen aufzuarbeiten.
Jules Cobb, gespielt von Courteney Cox, begutachtet sich nackt vor dem Spiegel: Die Sorgen einer Frau ab 40 werden klar. Die nicht mehr elastische Haut, Cellulite und Problemzonen. Der Unterschied ist jedoch, dass die kürzlich geschiedene Jules Cobb, Mutter des 18 Jahre alten Travis, mit ihrem Aussehen manch 20 Jährige in den Schatten stellen könnte. Diese Anfangssequenz sahen am 25. Juli diesen Jahres um 22:15 rund 13,7 Prozent der Fernsehzuschauer auf Sat1.
Die Sitcom über das Leben von Jules fokussiert in den ersten 10 Episoden auf das post-Scheidungsverhalten, nachdem sie feststellt, ihre Zwanziger durch eine frühe Schwangerschaft und Ehe nie erlebt zu haben. Zusammen mit ihrer Arbeitskollegin und Freundin Laurie Keller, gespielt von Busy Philipps (bekannt als Audrey in Dawson‘s Creek), holt sie diesen Abschnitt auf Parties und mit dem neuen, weit jüngeren Freund Josh nach. Nach diesem leicht einseitigen Handlungsstrang wandelt sich jedoch der Plot fast gänzlich; die Macher Bill Lawrence und Kevin Biegel zogen daher sogar eine Änderung des Titels zur zweiten Staffel in Erwägung.
Der anfängliche Fokus auf das Sexleben von Jules als „Cougar“, welcher nach bereits einer Episode seinen Reiz verliert, scheint für ein Quotentief zu sorgen. So fielen diese am zweiten Wochenende auf 9,3 Prozent des Marktanteils. Einen ähnlichen Fall verspürte die Serie auf dem amerikanischen Markt: Von 11 Millionenen Zuschauern zu Beginn, am 23. September 2009, blieben nach 14 Episoden nur 6 Millionen übrig. Verständlich, aber irgendwie schade, denn manchmal zahlt sich durchhalten aus. Es scheint, als musste sich die Show lediglich „warm laufen“.
Die Single-Camera-Comedy ohne Laughtracks spielt in der fiktiven Stadt Gulf Haven in Sarasota, Florida. Sie wird in den Culver Studios in Culver City, Kalifornien, von Autor, Regisseur und leitendem Produzent Bill Lawrence, Kevin Biegel (Autor und Co-Produzent) und Ehepaar Courteney Cox und David Arquette, als ausführende Produzenten, von den ABC Studios produziert. Entstanden aus Cox Wunsch eine Show zu drehen, entwickelten die Scrubs Produzenten Biegel und Lawrence das, ihrer Meinung nach, sehr aktuelle Konzept einer ledigen Frau ab 40. Die Handlung spielt in Florida um einen Kontrast zu den üblichen Locations Kalifornien oder New York herzustellen; der Titel „Cougar Town“ soll Aufmerksamkeit erregen, obwohl der Begriff „Cougar“ in der Show selbst nie fällt.
In der auf den ersten Blick vorhersehbaren und nicht unbedingt neuartigen Show werden dem Zuschauer die liebevoll entwickelten Charaktere, sowie in jeder 22-minütigen Episode die jeweils nach einem Song von dem in Florida geborenen Sänger Tom Petty benannt ist, auch ein bestimmtes Thema näher gebracht. Entweder geht es um den Umgang mit Freundschaften und Beziehungen in jeder Altersstufe, als Teenager, als junge Frau, am Beispiel Laurie, oder im mittleren Alter der Protagonistin Jules und ihren Freunden, jeweils aus der Sicht beider Geschlechter. Oder es werden Ansichten bezüglich Alkoholkonsum, Kindererziehung, frühe Schwangerschaft oder das Gefühl etwas im Leben zu verpassen, thematisiert. Themen mit welchen jeder, früher oder später, im Leben konfrontiert werden könnte.
Diverse Ähnlichkeiten zur früheren Show der beiden Produzenten Lawrence und Biegel Scrubs, abgesehen von Produktionseigenschaften und der Rolle Christa Millers (Ehefrau von Lawrence, bekannt aus Scrubs als Jordan Sullivan) als Jules Nachbarin und beste Freundin Ellie Torres, ähneln sich beide Formate im Hinblick auf den Sarkasmus, trockenen Humor und der wundervollen Ausarbeitung der Charaktere, welche durch ihre sympathischen und witzigen Persönlichkeiten, eine Art von Situationskomik herstellen und für Lacher und Wohlgefallen sorgen.
Protagonistin Jules Cobb, gespielt von Courteney Cox, arbeitet als Immobilienmaklerin und versucht nach ihrer Scheidung wieder ein Liebesleben zu haben und die Jahre, die sie nach Abbruch der College-Ausbildung als Ehefrau und Mutter „versäumt“ hat, nachzuholen und gleichzeitig eine gute Mutter und Freundin zu sein. Durch ihre fürsorglichen und aufgedrehten Wesenszüge stellt sie das gute Mittelmaß aller Charaktere dar. Ihre Nachbarin und beste Freundin Ellie Torres ist als glücklich verheiratete Mutter das Idealbild und hält sie durch Sarkasmus und Ehrlichkeit auf dem Boden. Laurie Keller zieht mit ihrer lebensfrohen Art Jules am Anfang der Staffel in die Dating Welt mit, bevor sie mit Freund Smith ihre erste glückliche Beziehung führt. Jules‘ arbeitsloser Ex-Mann Bobby, gespielt von Briant Van Holt, wohnt auf einem Boot auf einem öffentlichen Parkplatz und porträtiert den lässigen und coolen Taugenichts, welcher seit der Scheidung weiterhin mit Jules befreundet ist und sein Bestes gibt, ein guter Vater zu sein. Ian Gomez, unter anderem zu sehen in Felicity und My Big Fat Greek Wedding, spielt Ellies sensiblen und aufopfernden Ehemann Andy und ist gleichzeitig Bobbys langjähriger Freund, sowie größter Fan. Der glücklich verheiratete Durchschnittsmann, der zu einer scheinbar freien Person wie Bobbys aufsieht aber im Grunde doch nur er selbst sein kann und letzten Endes damit glücklich ist. Grayson Ellis, dargestellt von Josh Hopkins, ist Jules kürzlich geschiedener Nachbar, der im Unterschied zu Jules, sein Junggesellenleben in vollen Zügen auskostet. Dieses Verhalten schwindet aber mit seinem zunehmenden romantischen Interesse an Jules. Er versucht sein Image als unnahbarer Einzelgänger aufrecht zu erhalten, wird aber mit der Entwicklung der Sendung ein immer stärkerer Teil der Gruppe. Jules Sohn Travis, Dan Byrd, bekannt aus The Hills Have Eyes und Cinderella Story, macht als typischer Durchschnittsteenager in der ersten Staffel eine große Entwicklung durch und bringt Themen wie die erste Liebe, High School Abschluss und die Beziehung zu den Eltern in die Show ein.
Der sympathische Cast und dessen liebenswürdige Eigenschaften machen nicht nur Freude, sondern bringen die Charaktere auch dem Zuschauer sehr nahe. Sie werden pro Episode zunehmend entfaltet und zeigen ihre verschiedenen Ebenen. Dadurch erwärmt der Zuschauer sich zunehmend für sie. Auch gibt es, ähnlich dem Format NCIS, für jede Figur eine Episode die sich hauptsächlich um sie dreht. In der Episode „All the Wrong Reasons“ (Staffel 1, Episode 14) wird beispielsweise Ellie genauer beleuchtet, da sie sich durch den Wirbel um Jules vernachlässigt fühlt.
Des Weiteren hat jede Folge eine Art durchziehende „Insider Geschichte“. Die Haupthandlung um das Leben von Jules wird graduell weitergeführt, sowie die Nebenhandlungen. Als Insider tritt aber ein sich ausbreitender Wortwitz oder eine Geste auf, ähnlich den Running Gags in How I Met Your Mother („Suit up?“, „I’m awesome“), jedoch nur auf eine Episode eingeschlossen. Die sich auf mehrere Episoden streckenden Running Gags sind größtenteils Handlungen, wie das Songschreiben über das Thema der Episode oder von den Männern selbst erfundene Spiele, bspw. „Penny Can“. Fast die gesamte Handlung spielt sich in Jules Haus ab; Außenszenen spielen sich in der Nachbarschaft ab. Somit lassen sich visuelle Ähnlichkeiten zu Desperate Houswives erkennen, auch aufgrund diverser sexueller Themen. Die solide Single-Camera-Führung und die Ausarbeitung der Charaktere erinnert an Scrubs; das Thema Altersunterschied in einer Beziehung gleicht Accidentally on Purpose. Die Idee, einen ehemaligen Friends-Charakter als Protagonist in einer neuen Show einzusetzen, in der sich alles um Freundschaften und Beziehungen dreht, erinnert sehr stark an die NBC Produktion aus dem Jahr 2004 Joey. Jedoch schafft es Cougar Town durch die Entwicklung ab der zweiten Hälfte der Staffel, in der sich nichts mehr um die Liebesbeziehungen zu jüngeren Partnern dreht, sondern um die Beziehungen und Erlebnisse der „Crew“ in Cougar Town und deren lustiges Alltagsleben, sich von den anderen Formaten abzuheben und sogar einen gewissen „Friends-Flair“ herzustellen. Dieser wird unterstützt durch den Gastauftritt von Lisa Kudrow (Phoebe Buffay). Die Charaktere und ihr Leben scheinen realistisch. Gemeinsame Fernsehabende, die Männer- und Frauenfreundschaften, Beziehungen und das Erwachsenwerden von Travis sind Aspekte, welche alle sehr zugänglich und sympathisch gezeigt werden. Des Weiteren brechen die Figuren auch mal aus ihrem stereotypischen Verhalten aus, so hat Ellie beispielsweise einen sehr emotionalen Moment und Grayson gibt zu wie froh er ist Teil dieser Gruppe zu sein. In Amerika lief die Sendung auf ABC zwischen der Mockumentary Serie Modern Family und der Drama Serie Eastwick. Bei uns folgt sie dem „Crime Sonntag“ auf Sat1, nach Navy CIS und The Mentalist. In Amerika ist sie somit als eine Art Familiensendung oder für junge Erwachsene konzipiert, hier passt sie recht gut als leichter Ausklang nach einem eher Aufmerksamkeit verlangendem Programm. Optisch schließt sie sich dem hellen und überarbeiteten Bild der US-Serien an und greift durch den im Vergleich zu den vorherigen Shows im Vordergrund stehenden Humor die Art der Witze in den beiden Shows auf eine andere Art auf. Somit an und für sich gut platziert, allerdings könnten die Vorreiter des deutschen Sendeplatzes Ermittlungsakte – dem Verbrechen auf der Spur und Stars und Stories dem Zuschauer diesem mittlerweile eine negative Konnotation verliehen haben. Die Show ist intelligent gestaltet und nimmt auch durch Shows wie Oprah und der gemeinsamen Fernsehabende Bezug auf sich selbst. Der zum Teil „emotionslose Realismus“, wie es Ken Tucker von Entertainment Weekly betitelt, und das teils kindische Verhalten der Erwachsenen-Charaktere, kann entweder als lächerlich oder furchtbar liebenswert wahrgenommen werden. Der Plot ist zwar in gewisser Weise vorhersehbar, doch durch die lockere und witzige Umsetzung nichtsdestotrotz entzückend. Sitzt der Zuschauer also im wahrsten Sinne des Wortes die erste Hälfte aus, wird er belohnt. Möglicherweise falle ich als junge Frau mit zwanzig genau in die Kategorie, in der ein lockeres Erwachsenenleben mit „Friends-Flair“ und die Wesenszüge der Charaktere genau ins Schwarze treffen, aber meiner Meinung nach ist die Show für jeden absolut sehenswert. Sie arbeitet bereits Gesehenes auf und formt es, mit viel Arbeit und Gedanken, um. Das Lebensgefühl und die Charaktere, die die Show vermittelt, machen die Aussicht womöglich mit 40 (wieder) Single zu sein, entgegengesetzt voreiliger Annahmen, schon fast verlockend. Und so werde ich auch das vorschnelle Urteil über Serien, die nichts sonderlich Neues an sich haben zu scheinen, revidieren und ihnen sofort eine Chance geben, egal welche Reaktion der Sat1 Trailer in mir hervor bringt. Versprochen.

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