TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 10. November 2017

The Handmaid’s Tale – Ein schauderhafter Einblick in ein zukünftiges Amerika

von Julia Hoffmann

Sirenen, eine von Soldaten verfolgte Familie, abgefeuerte Schüsse und eine Mutter, welche gewaltsam von ihrer Tochter getrennt wird. Mit diesen Eindrücken beginnt die 2017 erschienene US- Serie um die Geschichte der jungen Frau June Osborne. In der darauffolgenden Szene wird einem schnell der Titel der Serie bewusst und man erlebt die Protagonistin in ihrem alltäglichen Dasein als Magd. Verwirrung darüber, wie es dazu wohl gekommen sein mag, aber auch Neugier über die plötzlich so altertümlich erscheinende Umgebung schleichen sich beim Zuschauer ein. Man findet die in klassischer Magdkleidung angezogene Hauptdarstellerin in einer Vorstadtidylle wieder, welche an das typische Neuengland um die Jahre um 1800 erinnert.
Diese Fassade bröckelt jedoch schnell als man die Magd auf ihrem Weg zu einem Supermarkt begleitet. Uniformierte Wachen mit großkalibrigen Waffen finden sich an nahezu jeder Straßenkreuzung wieder und es wird schnell deutlich, dass es sich hierbei um eine Diktatur handelt, bei welcher jeder Schritt der Mägde überwacht wird. Strukturen wie modern eingerichtete Supermärkte oder eben auch die Soldaten lassen einen schnell zu dem Schluss kommen, dass die Geschichte der Serie trotz der altertümlichen Kulisse nicht in der Vergangenheit, sondern in der heutigen Zeit anzusiedeln ist. Elemente wie Essensmarken, welche man in den Supermärkten einlösen kann, lassen an die Nachkriegszeit erinnern und als Zuschauer lässt einen das Gefühl nicht los, dass in dieser Welt etwas Schlimmes geschehen ist und sich die Gesellschaft langsam zurückentwickelt hat. Diese Gesellschaft oder auch Welt entpuppt sich auch schnell als die große Stärke von The Handmaid’s Tale

Das frische und interessante Szenario ist mit gesellschaftlicher Kritik nur so gefüllt und offenbart sich erst sehr langsam und schrittweise für den Zuschauer. In ihr findet sich die traurige Geschichte einer Mutter wieder, welche gegen ihren Willen als Magd dienen muss und von ihrer Tochter losgerissen wurde. Der Grund für das unliebsame Dasein als Magd und zugleich auch für das Zusammenbrechen der damaligen Gesellschaft wird dem Zuschauer recht schnell eröffnet. Durch atomare Katastrophen, Umweltzerstörungen und Geschlechtskrankheiten wurde die Menschheit zunehmend unfruchtbar, wodurch lediglich ein kleiner Teil der Frauen Kinder gebären kann. Die auf christlichen Werten errichtete Diktatur Gilead machte es sich daraufhin zur Aufgabe diesen Teil an Frauen zu Mägden umzuschulen, um als „Brutmaschinen“ für die Menschheit zu dienen. Die Unterdrückung der Frau wird in nahezu jeder Szene verdeutlicht und zeichnet sich schnell als das große Thema ab, welches die Serie behandelt. So werden Mägde nicht als gleichwertige Mitglieder der neuen Gesellschaft, sondern als Objekte, ab einem gewissen Zeitpunkt sogar als Handelsware für den Staat betrachtet. Dies zeigt sich auch in der Namensgebung der Dienstmädchen. Sobald die „Ausbildung“ zur Magd vollzogen ist und die Frauen ihre alte Identität gezwungenermaßen abgelegt haben, werden sie einer neuen Familie zugewiesen. Hierbei erhalten sie den Namen des Hausherrn und ein zusätzlich vorangestelltes „Of“ (zu Deutsch „von“), welches wiederum verdeutlicht, dass die Frau ein Eigentum des Mannes darstellt. So trägt die Protagonistin beispielsweise den etwas gewöhnungsbedürftigen Namen Offred. Diese entpuppt sich als Heldin der Geschichte angemessen als starke Frau, welche sich gegenüber ihrem Hausherrn und seiner Gattin oftmals als sehr rebellisch erweist, was wiederum gegen das vorherrschende Bild der möglichst emotionslosen und funktionierenden Magd spricht. Dadurch gerät sie oftmals in heikle Situationen, was die Serie sehr spannend und nervenaufreibend gestaltet. Um diese Unterdrückungen und Qualen zu überstehen, hält sie an ihren Erinnerungen fest, in der Hoffnung eines Tages ihre Tochter wiederzusehen.

Dabei wird auch schnell die inhaltlich zweigeteilte Struktur der Serie deutlich. Durch Rückblenden in vergangene Tage werden nach und nach die Familiengeschichte der Hauptdarstellerin und die Anfänge der Diktatur aus dem Blickwinkel einer feministischen und fruchtbaren Frau veranschaulicht. Wie sich zunehmend herausstellt, wurde das totalitäre Regime nur schrittweise errichtet und gerade zu Beginn ergab sich oftmals die Chance zur Flucht. Dabei lassen sich auch Parallelen zur NS-Zeit erkennen, als begonnen wurde, die Juden zu verfolgen. Neben Offreds Schilderungen und Sichtweisen gesellen sich nach und nach auch Einblicke in das Leben des Hausherrn und besonders seiner unfruchtbaren Frau Serena Waterford. Wie sich herausstellt, hat der Hausherr die Position als oberster Führer der Diktatur inne, deren Errichtung durch das Ehepaar sorgfältig im Voraus geplant wurde. Als Frau kann Serena jedoch keine Macht ausüben und muss die Rolle der stillen Ehefrau einnehmen, während sich ihr Ehemann unter dem Vorwand, ein Kind für die eigene Ehe zu zeugen, mit der Magd vergnügt. Die Charaktere erscheinen für den Zuschauer die meiste Zeit sehr ambivalent und besonders beim Hausherren Fred Waterford weiß man nie so recht, ob er der Heldin nun wohlgesonnen ist oder sie nur für seine Zwecke und Gelüste benutzt. Ebenso wie die Charaktere erscheint auch die Welt nach außen hin perfekt, jedoch schlummern in ihr allerhand Konflikte und Misstrauen. So wurde die Diktatur zwar auf christlichen Werten erbaut, dies stellt sich jedoch nur als ein Mittel zum Zweck und als eine Art Marketingstrategie heraus, um die Bevölkerung unter einer Ideologie zu einen.

Diese Gesellschaftskritik zeigt auf erschreckende Weise, wie einfach es ist, Leute zu beeinflussen und zu kontrollieren. Leute, die sich dieser Gesellschaft nicht unterwerfen wollen, werden entweder verstümmelt oder auch sofort entsorgt. So haben auch viele der Mägde Verstümmelungen, wie etwa fehlende Gliedmaßen. Hier zeigt sich auch die zum Teil sehr düstere und brutale Inszenierung der von Hulu produzierten Serie. Durchwegs dunkelgehaltene Bilder und ein schauderhafter Soundtrack unterstreichen dabei Szenen wie zum Beispiel eine Steinigung oder das Entfernen von Augen. Neben der wunderbaren Inszenierung und der packenden Welt sind ebenso die Schauspielerinnen hervorzuheben, welche den Charakteren einen besonderen Tiefgang verleihen. Nicht umsonst erhielt die Adaption des gleichnamigen Romans aus den Achtzigern neben dem Emmy als beste Dramaserie auch die Auszeichnungen für die beste Hauptdarstellerin und für zwei der Nebendarstellerinnen.

Eine Gesellschaft voller unterdrückter Gedanken und Triebe, Fanatismus und Überwachung zeigen ein realistisches Abbild einer möglichen Zukunft, in der die spannende Geschichte einer einzelnen. starken und rebellierenden Frau gezeigt wird. Ob die Geschichte weiterhin das sehr hohe Niveau halten kann und wie der persönliche Konflikt um die Magd Offred, ebenso wie der weltumspannende Konflikt um den möglichen Sturz der Diktatur ausgeht, wird schon im Jahr 2018 ersichtlich, wenn die 2. Staffel der überaus erfolgreichen Dramaserie anläuft.

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